Redebeitrag für den Ostermarsch im Werra-Meißner-Kreis in Eschwege am 4. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

"Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte – einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“Das ist der Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union.

Ihr merkt es schon: Mein Redebeitrag beschäftigt sich mit den Menschenrechten in der Europäischen Union. Es sind die Werte, auf die sich alle Menschen in dieser EU berufen können. Alle Menschen?

2012 hat das Norwegische Nobelkommitee den Friedensnobelpreis an die EU vergeben mit der Begründung, „die EU und ihre Vorgänger hätten über 60 Jahrzehnte zur Förderung von Frieden und Versöhnung beigetragen.“

„Der Friedensnobelpreis ist eine Auszeichnung für besondere Verdienste in der Friedensarbeit.“

Bereits ein Jahr später titelte der „Tagesspiegel“ :

„Erbärmlich und selbstgefällig“:

„An den Ansprüchen gemessen habe die Realität Europa entlarvt und die Auszeichnung fragwürdig gemacht“ und begründet es so:

„ Die moralische Integrität der EU sei durch das furchtbare Schicksal tausender im Mittelmeer und Atlantik ertrinkender Asylsuchender schwer beschädigt. Der stark bürokratische Ton im Umgang mit diesen Schicksalen und die brüske Abwehrhaltung nicht nur von deutschen PolitikerInnen sind menschenverachtend.“

Der Tagesspiegel zieht das Fazit:

„Dieses Europa ist ein Jahr nach dem Friedensnobelpreis keine Erfolgsgeschichte mehr. Waffen liefern und ansonsten zuschauen, das ist erbärmlich“.

Das sind Zitate von vor fast 9 Jahren – was hat sich geändert ? – Hat sich was geändert?

Ja, inzwischen ist nicht nur Militarismus in Deutschland gesellschaftsfähig geworden.

Unter einer Regierung, - die sich beharrlich weigert, den Atomwaffenverbotsvertrag zu ratifizieren;

  • die auf Druck der USA den deutschen Militäretat ins Unermessliche steigert;
  • die die Bundeswehr in viele Krisengebiete schickt;
  • die Waffenexporte an diktatorisch regierte Länder genehmigt;
  • die Schutzsuchende gewaltsam in Kriegsgebiete deportiert; - die die europäischen Außergrenzen mit Frontex und ihren nationalistischen Helfershelfern wie z.B. Ungarn, Bulgarien und Kroatien militärisch aufrüstet, um Schutzsuchende von der EU fernzuhalten - Länder, die von Rechtsstaatlichkeit weit entfernt sind.

Die humanitäre Katastrophe in den Lagern auf den griechischen Inseln ist hinreichend dokumentiert und bleibt bis heute folgenlos.

Europas Schuld und Schande nimmt immer größere Ausmaße an. Und die deutsche Regierung verspricht mal wieder viel Geld.

Wofür?

Seit Dezember 2018 unterstützt die EU-Kommission Kroatiens Grenzschutz mit 6,8 Millionen Euro.

Dazu eine Mitarbeiterin des Border Violence Monotoring Network: „ Ziel Kroatiens ist es, dass es durch den Grenzschutz in den Schengenraum aufgenommen wird. Kroatien agiert als der Schild Europas, genau wie Griechenland“.

Innenminister Seehofer lieferte Wärmebildkameras an Kroatien, damit die Polizisten auch im Dunkeln jeden Flüchtling finden, der aus Bosnien weg will, wo die Lage der Geflüchteten ebenso grauenhaft ist: Sie müssen völlig schutzlos in Wäldern leben und irgendwie überleben. Wer in Bosnien Geflüchteten hilft, muss mit harten Strafen rechnen.

Dazu folgende Berichte von Flüchtlingen an der hochgerüsteten grünen Grenze zwischen Bosnien und Kroatien:

„ Es sind immer Männer mit schwarzen Masken, die uns von der kroatischen an die bosnische Polizei übergeben. Sie schlagen auf die Schultern, damit man keinen Rucksack mehr tragen kann, sie brechen die Arme, doch nicht die Beine, damit man noch ein paar Kilometer nach Bosnien zurücklaufen kann.“

„Oft brechen sie einem die Brille und machen die Kinderwagen kaputt, doch das Schlimmste sind nicht die Schläge, es sind ihre Worte. Die Männer mit den schwarzen Masken sagen jedes Mal, dass sie im Auftrag von Deutschland und Frankreich handeln und dass wir in Bosnien bleiben sollen, weil wir Muslime sind.“

Ein Bosnier, der Geflüchteten illegal hilft, erzählt von Schüssen auf Flüchtlinge durch die bosnische Polizei. Einer wurde getroffen und später tot aus dem Fluss geborgen.

„So verschwinden Menschen schon seit Jahren namenlos im Fluss“. Er erzählt von Eisenkugeln mit Stacheln, mit denen manche Grenzschützer gegen Menschen vorgingen, „wie im Mittelalter“. Manchmal trieben die maskierten Männer die Fliehenden wieder aus dem kalten Wasser des Grenzflusses heraus, setzten sie in einen grauen oder schwarzen Van und drehten die Klimaanlage auf die kälteste Stufe. Zurück auf der bosnischen Seite bleiben viele Geflüchtete oft tagelang verletzt in den Wäldern zurück. Laut lokaler Vorschriften dürfen die Bosnier keinen Geflüchteten im Auto mitnehmen oder ins Krankenhaus bringen.

Der hilfsbereite Bosnier kann sich nicht vorstellen, dass diese apokalyptischen Szenen von irgendwem gewollt sind. „Wie kann ich mich versöhnen mit einer Welt, die das zulässt? Der Krieg ist hier seit 26 Jahren vorbei. Als Soldat habe ich viele schlimme Dinge gesehen, jetzt wiederholen sie sich jeden Tag vor meiner Haustür.“

In einem Schwarzbuch der Pushbacks legte das Border Violence Monotoring Network der EU-Kommission im Dezember 2020 die Berichte von 892 Geflüchteten vor. Sie erzählen von Hundebissen, erzwungenem Entkleiden und Haft ohne grundlegende Standards.

Wie verhält sich dazu die Friedensnobelpreisträgerin EU?

Ylva Johannson, die zuständige EU-Kommissarin, sagte bei einem Besuch in einem bosnischen Flüchtlingslager, es sei „nicht akzeptabel, dass Menschen verprügelt und zurückgedrängt werden.“

Gleichzeitig betonte sie aber auch die hohen Erwartungen der Europäischen Kommission an Bosnien und Herzegowina, „damit das Land ein aufstrebender Kandidat für eine EU-Mitgliedschaft bleibe.“

Ein Flüchtling aus Afghanistan: „Wer sind diese Menschen? Ich bin im Krieg geboren; schaue ich zurück, sehe ich Krieg. Die Kroaten müssen verstehen, dass uns der Tod nicht abschreckt, um in Sicherheit zu gelangen.“

Wir demonstrieren, weil wir Frieden und Freiheit für alle Menschen weltweit wollen. Wir haben das Recht und das Glück, frei und ungefährdet wählen zu können.

Wählen wir doch ganz bewusst „Frieden“ – ohne Wenn und Aber!

Vielen Dank.

 

Waltraud Eisenträger-Tomcuk ist aktiv beim Friedensforum Werra-Meißner.