Redebeitrag für den Ostermarsch Krefeld am 5. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Am Stolperstein für Paula Billstein

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir stehen hier an dem Stolperstein zum Gedenken an Paula Billstein. Ihre Geschichte ist eng mit der Geschichte ihrer Familie, speziell ihres Sohnes Aurel verbunden. Paula Billstein war von 1924 bis 1933 Stadtverordnete der KPD. Die Familie Billstein lebte hier in der Ritterstraße in einer Genossenschaftswohnung. Viele der in diesem Viertel ansässigen Arbeiter waren von der sozialdemokratischen Partei wegen der Zustimmung zu den Kriegskrediten für den 1. Weltkrieg enttäuscht. In Folge dessen schlossen sich viele zunächst den Unabhängigen Sozialdemokraten und später der KPD an, so auch die Familie Billstein. Als Frauen in der Weimarer Republik erstmals für politische Ämter kandidieren durften, wurde Paula Billstein für die KPD in den Stadtrat gewählt. Dort engagierte sie sich stark im Bereich Bildung und in sozialen Fragen. Sie wurde schnell bekannt und geachtet. Sie wäre auch 1933 wieder gewählt worden. Aber die Nazis verboten nach ihrer Machtübernahme die KPD. Paula Billsteins Sohn Aurel war zu der Zeit bereits einer der führenden Köpfe der KPD in Krefeld und von Beginn der Nazi-Herrschaft an im Widerstand aktiv. Er wurde jedoch enttarnt und 1934 zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Paula Billstein wurde aufgrund des Schriftverkehrs mit ihrem Sohn 1937 verhaftet und kam zunächst in das Frauen-KZ Moringen und später nach Lichtenburg. Sie erkrankte während ihrer Haft schwer. Sie wurde dann zwar 1938 entlassen, starb aber wenige Tage nach ihrer Haft.
Aurel Billstein wurde nach seiner Haftentlassung gegen Ende des Krieges zur Strafdivision 999 eingezogen. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und kehrte erst 1947 nach Krefeld zurück. Er engagierte sich sofort wieder für die KPD und war für die Partei von 1948 bis 1952 im Rat der Stadt Krefeld. Nach dem Verbot der KPD 1956 konzentrierte er seine politische Arbeit auf die Gewerkschaften und engagierte sich insbesondere für die Einheit der Arbeiterbewegung und den Kampf gegen den Rechtsextremismus. Als Rentner arbeitete er die Geschichte des Nationalsozialismus in Krefeld auf. Er erstellte eine Reihe von Aufklärungsschriften und setzte sich erfolgreich für ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus ein. Er erhielt für seine Verdienste um die Aufarbeitung der NS-Herrschaft 1990 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Krefeld. Nach den Billsteins ist die Straße dort drüben benannt.

Die politische Verfolgung der Kommunisten durch die Nazis war Ausdruck ihres extremen Antikommunismus, Antisemitismus und Antibolschewismus. Dieses Ideologiegemisch führte außenpolitisch zum Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. In diesem Jahr jährt sich der Überfall auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Die Sowjetunion hatte im 2. Weltkrieg bei Weitem die meisten Toten zu beklagen, Schätzung belaufen sich auf ca. 27 Millionen.

Der 2. Weltkrieg endete mit der Niederlage des Faschismus. Nicht beendet waren damit allerdings Antikommunismus und Russlandfeindlichkeit in Deutschland, wenn auch nicht mehr in den extremen Formen der Nazizeit. Ungeachtet der historischen Tatsache, dass Deutschland einen Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion bzw. Russland geführt hat und nicht umgekehrt, lebt die Erzählung von der russischen Bedrohung bis heute fort.

Der Antikommunismus der Nachkriegszeit gehörte sozusagen zur Gründungsdoktrin der Bundesrepublik Deutschland. Er richtete sich oft nicht nur gegen die Kommunisten selbst sondern gegen politische Gruppierungen und Bewegungen, die diskreditiert werden sollten. Oft wurde er verbunden mit politischer Propaganda gegen die Sowjetunion bzw. Russland. So warb die CDU im Bundestagswahlkampf 1953 mit dem Spruch “Alle Wege des Marxismus“ führen nach Moskau. Gemeint war nicht in erster Linie die KPD sondern die SPD, die sich damals noch nicht vom Marxismus distanziert hatte. Alle friedenspolitischen Bewegungen und viele soziale Bewegungen, die es seit der Gründung der Bundesrepublik in Deutschland gab, mussten mit dem Vorwurf leben kommunistisch, und damit letztlich von Moskau, gesteuert zu sein. Dies fing an mit der Ohne-mich-Bewegung, u.a. von Martin Niemöller initiiert, die sich für eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung einsetzte. Die Volksbefragung wurde verboten, die FDJ, eine der KPD nahestehende Jugendorganisation gleich mit. Einer der ausdrücklich genannten Hauptgründe war die Beteiligung an der Volksbefragung. Die antikommunistischen Unterstellungen setzten sich fort mit den Ostermärschen ab 1958 gegen die Stationierung von Atomwaffen und mit dem Krefelder Appell und der Friedensbewegung der 1980-er-Jahre.

Die Entspannungspolitik der 1970-er-Jahre unter Willy Brand und Egon Bahr führte zu einer Annäherung an die Sowjetunion und zu Russland Die alten Feindbilder wurden zumindest zum Teil abgebaut. Auch in der Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands Ende der 1980-er und in den 1990-er-Jahren gab es Zeichen einer Annäherung zwischen den Staaten und den Völkern. Eine gemeinsame europäische Friedensordnung war im Gespräch. Der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, Deutschland und die USA sagten zu, die NATO nicht auf das Gebiet der DDR und weiter nach Osten auszudehnen.

Dies ist leider heute alles Geschichte. Seit Jahren erleben wir eine zunehmende Verteufelung Russlands und speziell seines Präsidenten Putin. Die NATO wurde bis weit in den Osten ausgedehnt, mit Option auf weitere Staaten. Die Militärausgaben aller NATO-Staaten sollen auf 2 % des Brutto-Inlandsprodukts erhöht werden, obwohl die Militärausgaben der NATO-Staaten in Summe schon heute mehr als das 14-fache der russischen Ausgaben betragen. selbst die europäischen NATO-Staaten kommen auf das 3-fache der russischen Ausgaben. Russland oder russische Vertreter werden mit einer Vielzahl von Sanktionen belegt, angeblich alles zur Verteidigung der westlichen Werte. Dabei werden in den internationalen Beziehungen recht unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Während Saudi-Arabien nach der Ermordung des Regimekritikers Kashoggi gerade mal einige Waffenlieferungen ausgesetzt und ansonsten die guten Beziehungen gepflegt werden, werden gegen Russland nach dem Mordversuch an Nawalny, dessen Urheber noch nicht eindeutig aufgeklärt sind, Sanktionen gegen Russland verhängt. Putin wird vom neuen amerikanischen Präsidenten als Killer bezeichnet, ausgerechnet von einem Mann der Vizepräsident unter einem Präsidenten Obama war, der den Einsatz von Killer-Drohnen weltweit massiv ausgeweitet hat.

Es geht mir hier nicht um Beschönigung der russischen Politik, die sicher, wie die mancher anderer Staaten, in vielen Teilen zu kritisieren ist. Aber man sollte wegkommen von einer Meinungsmache, die Russland mehr oder weniger als Reich des Bösen darstellt. Wir sollten wieder zu einer Politik der guten Nachbarschaft finden, in der versucht wird, die andere Seite zu verstehen, auch in ihren historischen Hintergründen, anstatt sie permanent zu diffamieren.
Während die Erinnerungskultur in Deutschland den Holocaust oft sehr gut ins öffentliche Bewusstsein gebracht hat, ist heute von der Verantwortung Deutschlands für die Millionen Toten in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion kaum noch die Rede.

Es ist Zeit für eine neue Entspannungs- und Abrüstungspolitik, zu unser aller Sicherheit. Ein Beitrag der Stadt Krefeld könnte sein, die seit 1993 bestehende Städtepartnerschaft mit Uljanowsk wiederzubeleben, damit sich auch die Menschen besser kennenlernen.

„Feindbilder leben davon, das wir unsere Gegner nicht wirklich kennen. Je weniger wir über sie wissen, desto leichter fällt es, unser Mitgefühl auszuschalten", schrieb Horst Teltschik, ehemaliger Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz und Berater Helmut Kohls.

Vielen Dank.

 

Wolfgang Bluhm ist aktiv beim Krefelder Friedensbündnis.