Redebeitrag für den Ostermarsch Nürnberg am 18. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich ungemein, hier zu sein. Ich freue mich ungemein, dass wir hier sind. Dass wir hier einen Raum schaffen jenseits der allgemeinen Kriegsbegeisterung, der Aufrüstungs-Euphorie, des Schwarzweiss-Denkens und der öffentlich-rechtlichen Dauermobilmachung. Wir kommen kaum umhin, täglich Leichen ukrainischer Zivilisten zu sehen und zerstörte Gebäude in der Ukraine. Wir wissen, dass in Kriegen Menschen sterben, Soldaten und Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder. Wir wussten das, als die NATO Rest-Jugoslawien angegriffen hat, die Koalition der Willigen den Irak und Saudi Arabien und seine Verbündeten den Jemen. Überall dort starben und sterben Zivilistinnen und gegen jeden dieser Kriege haben wir demonstriert - so wie wir heute auch gegen den Krieg in der Ukraine demonstrieren: Das Töten muss ein Ende haben, die Waffen müssen schweigen und die Parteien müssen an den Verhandlungstisch!

Aber wir dürfen nicht Partei werden in diesem Krieg, wie es die Bundesregierung ist. Wir dürfen diesen Krieg nicht in die Länge ziehen durch Waffenlieferungen in dem Wunsch, dem strategischen Rivalen Russland möglichst große Verluste zuzufügen – auf Kosten auch und gerade der ukrainischen Bevölkerung. Wir sollten nicht hoffen auf eine totale Niederlage Russlands, eines Staates mit Atomwaffen, sonst kann daraus ganz schnell eine totale Niederlage Aller, der ganzen Menschheit werden. Liebe Freundinnen und Freunde, von hier sollte ein ganz starkes Signal ausgehen an unsere Regierungen, dass wir dieses gefährliche Spiel nicht mitspielen, dass wir einen Waffenstillstand wollen, Frieden und zwar jetzt sofort!

Wir müssen aber Partei werden, Partei bleiben für diejenigen weltweit, die unter diesem Krieg, die unter allen Kriegen leiden. Wenn uns tagtäglich und von allen Seiten erzählt wird, Deutschland würde sich international isolieren, weil es nicht noch mehr Waffen schickt und härtere Sanktionen erlässt, dann ist das schlicht falsch. Es ist zumindest dann falsch, wenn man als Welt nicht nur die NATO, die europäischen NATO-Staaten wahrnimmt. In weiten Teilen der Welt, v.a. im globalen Süden, blickt man mit Fassungslosigkeit und Angst auf die Sanktionen und Waffenlieferungen. In vielen Teilen der Welt herrschen bereits Armut und Hunger und liebe Leute, wenn hier das Benzin und Mehl schon deutlich teurer geworden ist und der Liter Sonnenblumenöl bei Aldi fünf Euro kostet, dann können wir uns ausmalen, wo bald schon gar kein Mehl und Öl mehr ankommt. Auch deshalb muss der Krieg in der Ukraine beendet werden, damit wieder ausgesäht, bestellt und geerntet werden kann. Wenn die Tagesschau behauptet, Putin nutze Hunger als Waffe, dann mag das stimmen. Aber was ist dann von der Bundesregierung zu halten, die diesen Krieg in die Länge ziehen will, um Russland größtmöglich zu schaden. Liebe Leute, wo ist eigentlich die Entrüstung über den Skandal, dass außer dem Ruf nach Sanktionen und Waffen von keinem europäischen NATO-Staat Initiativen für einen Waffenstillstand oder einen Friedensschluss zu erkennen sind, dass alle, die so etwas auch nur andeuten, mit Hohn und Abscheu überschüttet werden. Das alleine ist doch schon ein Zeichen dafür, wie weit die Verrohung der Debatte, wie weit die Kriegsbegeisterung vorangeschritten ist. Dazu gehört im übrigen auch, dass sich so gut wie niemand mehr dafür interessiert, was in der UN eigentlich gerade wie diskutiert wird. Das scheint zu komplex zu sein, das passt nicht ins herrschende Schwarzweiss-Denken.

So haben dieses Jahr schon Geberkonferenzen stattgefunden, um auf die humanitären Krisen im Jemen und Afghanistan zu reagieren. Beide verliefen enttäuschend. Für den Jemen haben Hilfsorganisationen einen Bedarf von 4,2 Mrd. US$ angemeldet, 1,3 Mrd wurden zugesagt. Das wird konkret Menschenleben kosten, gaben Hilfsorganisationen bekannt. Die EU sagte 154 Mio. Euro zu. Das war am 16. März. Wenige Tage zuvor hatte die EU Ihr zweites 500-Mio.-Euro-Paket für Rüstungslieferungen in die Ukraine geschnürt. Mittlerweile wurden 1,5 Mrd. für Rüstungsgüter in die Ukraine zugesagt. Das ist das zehnfache von dem, was gegen den Hunger im Jemen unterneommen wird.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das ist ein Skandal – und das selbe findet in der Innenpolitik statt: Statt Sozialpolitik gibt es Hochrüstung. Nach zwei Jahren Pandemie und angesichts einer galoppierenden Inflation werden nun plötzlich, einmalig und ausnahmsweise, neue Schulden aufgenommen, 100 Mrd. Euro aus dem Hut gezaubert – für die Aufrüstung der Bundeswehr. Als ob es nichts wichtigeres zu tun gäbe angesichts von weltweitem Hunger, Klimawandel, Gesundheitskrisen und so weiter.

Der Verteidigungshaushalt der Ukraine betrug übrigens in den letzten Jahren jeweils etwa 5 Mrd. Euro – zuvor betrug er jeweils etwa die Hälfte. Und trotzdem beißt sich Russland als unmittelbarer Nachbar der Ukraine dort offensichtlich die Zähne aus. Russlands Rüstungsetat der vergangenen Jahre wird auf 50 bis 70 Mrd. Euro geschätzt, Deutschland will künftig mehr als 70 Mrd. für Bundeswehr und Rüstung ausgeben – mehr als Russland, das aktuell massive Verluste in der Ukraine hinnehmen muss. Bereits 2020 gaben alleine die Europäischen Mitgliedsstaaten fast 200 Mrd. für die Rüstung aus und alleine die USA 700 Mrd. - mehr als das zehnfache Russlands.

Der aktuelle Krieg gegen die Ukraine zeigt doch, dass uns diese konkurrierende Aufrüstung, auch die NATO-Osterweiterung keinen Frieden gebracht haben und auch keine Sicherheit. Es ist ja überhaupt erstaunlich, was heute so alles als Sicherheit und Sicherheitspolitik verkauft wird: Das zwanzig Jahre währende, fruchtlose NATO-Abenteuer in Afghanistan. Die Zerstörung Libyens und die völlig chaotische Aufrüstung der Sahelregion. Die Verwandlung des Mittelmeers in ein Massengrab und nun auch noch erklärtermaßen – faktisch läuft das ja schon lange so – die Lieferung von Waffen, auch schweren Waffen, mitten in eine Krisenregion hinein.

Um den Charakter dieser Sicherheitspolitik zu erfassen, müssen wir vielleicht gar nicht in erster Linie in die Kriegsregionen dieser Erde blicken, sondern auf den Alltag an den Außengrenzen. Milliarden werden investiert in Satelliten, Überwachungsballons und Drohnen; in Radar-, Wärmebild- und andere Sensoren. In deren informationstechnische Vernetzung, Bilderkennung und so genannte Künstliche Intelligenz. In Hubschrauber und Patrouillenboote. All das führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Toten im Mittelmeer – zu noch weniger Menschen, die aus Hunger, Armut, Verfolgung, Diskriminierung und Krieg fliehen können. Das Retten von Menschenleben spielt in dieser Sicherheitspolitik keine Rolle, ebenso wenig wie in den Kriegen und Interventionen der NATO und der EU.

Aber diese Sicherheitspolitik generiert Profite. Die Forschung an Raketen und Satelliten, Sensoren und Bilderkennung, Robotern und Schwärmen von Drohnen wird von der EU und Deutschland mit Milliardensummen aus der öffentlichen Hand finanziert. Ganze so genannte Ökosysteme werden zu ihrer Entwicklung und Erprobung aufgebaut – mit öffentlichen Mitteln aus dem Boden gestampft, Investitionen und Risikokapital subventioniert, bis endlich ein Produkt entsteht, dass wiederum von der öffentlichen Hand für teures Geld eingekauft wird. Wir haben das bei der Entwicklung von Impfstoffen erlebt und so verhält es sich mit den meisten Hochtechnologien, auch den kriegerischen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

für Viele lohnt sich also der Krieg, wie sich für Viele auch die tödliche Pandemie gelohnt hat. Die Aktien der Rüstungskonzerne, Rheinmetall, Thales, Hensoldt und so weiter gehen durch die Decke – während sich globale Krisen entfalten: Klimakrise, Hungerkrisen, Energiekrisen. Das ist eine gefährliche Situation. Und deshalb ist es gut, dass wir hier sind. Diejenigen, die in dieser Situation versuchen, die Ostermärsche, die Friedensbewegung, den Pazifismus, sogar die Diplomatie zu diffamieren, zeigen damit nur umso deutlicher, auf welcher Seite sie stehen: Sie stehen auf der Seite von Imperialismus und Krieg. Sie versuchen, ein System zu retten, das uns in den Untergang führt.

Viele haben das erkannt, in den jüngeren Generationen v.a. in Hinblick auf den Klimawandel, im globalen Süden in Hinblick auf Ausbeutung, Einsperrung, Hunger und Armut. Die Überwindung von Grenzen, des Neoliberalismus und seiner vielfältigen Formen der Enteignung ist dort in vielen Milieus Konsens. Liebe Leute, ich glaube, dort liegt auch viel Hoffnung für uns, wenn wir uns vom Eurozentrismus emanzipieren, uns nicht als Deutsche, Europäer und auch nicht an der Seite unserer Regierungen als Verteidiger der Freiheit sehen – sondern als Bewohnerinnen dieses einzigen, gemeinsamen Planeten. Es gibt viel zu tun, packen wir’s an.

Vielen Dank.
 

Christoph Marischka ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung.