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Redebeitrag für den Ostermarsch Landshut am 18. April 2022
- Sperrfrist: 18. April 2021, Redebeginn: 14 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Friedensbewegte,
an den Anfang meiner Rede möchte ich ein Gedenken in Stille setzen – und an all die Menschen in der Ukraine denken, die in dieser Stunde Opfer der russischen Invasion sind – und es seit dem 24. Februar 2022 geworden sind.
(Stille)
Anfang März 2022 hatte ich ein langes Telefongespräch mit Anna, einer inzwischen 40-jährigen Lehrerin aus der Ukraine, die im Jahr 2004 beim Versöhnungsbund, für den ich seit 1992 arbeite, ein Jahrespraktikum absolviert hat.
Mit Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 ist sie mit ihren drei Kindern, 2, 10 und 13 Jahre alt, aus ihrem Dorf in den Karpaten, mit einem Reisebus zur polnischen Grenze geflohen, wo sie zwei Tage ausgeharrt hat.
Ein Privat-PKW brachte sie und ihre drei Kinder auf der polnischen Seite an einen Ort, von wo sie von einem Versöhnungsbund-Mitglied auf einen Bauernhof im Schwarzwald gebracht wurde, den sie mit ihrer Familie von einigen Besuchen her kennt.
Anna berichtete, dass ihr Mann sich auch in Sicherheit hätte bringen können, weil sie drei gemeinsame Kinder haben. Sie hätten aber gemeinsam entschieden, dass er im Dorf bleibt und das Haus bewacht, wo in den letzten Tagen eine Familie aus Kiew Unterschlupf gefunden habe, bis auch ihr die Ausreise nach Polen ermöglicht wurde.
Für diejenigen, die mich nicht kennen, möchte ich einige persönliche Worte zu mir sagen. Ich bin Jahrgang 1960 und bin sechs Jahrzehnte im Frieden aufgewachsen.
Mein Vater, Jahrgang 1925, wurde an seinem 17. Geburtstag 1942 von den Nazis abgeholt und nach Russland transportiert. Hitlers Wehrmacht tötete rund 27 Millionen Menschen in der Sowjetunion, davon allein 8 Millionen in der Ukraine.
Mein Vater kam verwundet und traumatisiert aus diesem Krieg – und konnte erst gegen Ende seines Lebens mit mir darüber sprechen. Wir waren uns einig: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Seit 1992 bin ich Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes, einer Organisation, die 1914 zur Verhinderung des 1. Weltkrieges gegründet wurde und sich in 50 Staaten weltweit mit rund
100 000 Mitgliedern gegen Krieg und Unrecht – und für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt.
In meinen ersten Berufsjahren habe ich rund neun Monate während der Balkankriege ab 1992 in Flüchtlingslagern verbracht, nachts im Zelt die Einschläge von Granaten der nahe gelegenen Front gehört – und dann am nächsten Tag Programme für Kinder und Jugendliche gestaltet.
Auch wenn ich hier und heute im sicheren Landshut bin, kann ich aus diesen Erfahrungen heraus etwas erahnen, welche Hölle die Menschen derzeit in der Ukraine durchleben.
Ich beginne mit meinem wichtigsten Punkt:
1. Wie kann der Krieg gestoppt und weiteres menschliches Leid in der Ukraine verhindert werden?
Wenn ich in den letzten Wochen morgens aufgewacht bin und mir der Krieg bewusst wurde, wünschte ich mir, es wäre ein Albtraum gewesen – und nicht die Realität, die wir gerade erleben.
Die Ukraine wurde völkerrechtswidrig von der russischen Armee unter Führung von Wladimir Putin angegriffen – der sich für diesen Angriffsbefehl mit all seinen brutalen Folgen für die ukrainische Zivilbevölkerung möglicherweise vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor einem Kriegsverbrechertribunal zu verantworten hat.
Nach Artikel 51 der UN-Charta hat die Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung, zunächst bis zum zügigen Zusammentreffen des UN-Sicherheitsrates. Der hat ohne Ergebnis getagt.
Eine Resolution mit einer klaren Verurteilung der Aggression kam wegen des russischen Vetos nicht zustande. Dieser Vorgang zeigt erneut, wie reformbedürftig der UN-Sicherheitsrat ist – und wie überfällig die Abschaffung des Veto-Rechts der permanenten fünf Atomwaffen-Mitgliedsstaaten.
Nach den Terrorattacken des 11. September 2001 mit rund 3000 Toten rief die US- Führung einen „Krieg gegen den Terror“ mit der Begründung der Selbstverteidigung aus, dem nach Angaben der fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstitute in ihrer Sonderstellungnahme zum aktuellen Friedensgutachten bis 2021 rund 900 000 Menschen in Afghanistan, Irak und anderen Ländern zum Opfer gefallen sind – verbunden mit materiellen Schäden in Höhe von rund 8 Billionen US-Dollar. (1).
Haben die letzten 20 Jahre in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen oder Mali nicht allesamt gezeigt, dass militärisches Eingreifen keines der zuvor selbst erklärten Ziele erreichen konnte – sofern diese Ende der Gewalt, Sicherheit oder Stabilität hießen?
Haben Waffenlieferungen in all diese Brandherde der letzten zwei Jahrzehnte die jeweiligen Kriege nicht verlängert statt sie zu beenden?
Meine große Sorge ist, dass der Ukraine-Krieg diese Serie gescheiterter militärischer Gegenmaßnahmen verlängert - mit unendlich großem Leid für die Zivilbevölkerung.
Es gibt inzwischen viele russische Deserteure, die sich geweigert haben, auf Menschen in der Ukraine zu schießen – und ich möchte die Verantwortlichen der Europäischen Union ermutigen, die russischen Soldaten in der Ukraine zur Befehlsverweigerung aufzurufen, und – sofern diese Soldaten bisher nicht an Kriegsverbrechen beteiligt waren oder Menschen getötet haben – Asyl in europäischen Ländern zu gewähren.
Die Wirklichkeit ist derzeit wie sie ist – und ich möchte eine Stimme zu Wort kommen lassen, die sich den Realitäten stellt.
Es ist Marcel Röthig, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Ukraine und der Republik Moldau. Zuvor war er für die Friedrich-Ebert-Stiftung u.a. in der Russischen Föderation und als Repräsentant für Belarus tätig.
Er kennt also die beteiligten Konfliktseiten wie kaum eine andere Person. In einem Interview vom 1. März 2022 stellt er folgende Überlegungen an:
„Aus jeder Krise und jedem Krieg kommt man nur mit Verhandlungen raus. Auch der jetzige Krieg wird sich nur mit Verhandlungen beenden lassen. Andernfalls wiederholt sich eine Entwicklung, die wir auf jeden Fall vermeiden wollen, nämlich die eines zweiten Afghanistans der 1980er Jahre oder des Iraks 2003 – nur diesmal an der EU-Außengrenze.
Das wäre dann eine Situation, in der westliche Partner jahrelang Waffen in den Konflikt liefern und Russland in einem Abnutzungskrieg gezwungen wird. Das ist in niemands Interesse, nicht Russlands oder des Westens und erst recht nicht der Ukraine. (...)
Röthig: Aus meiner Sicht gibt es jetzt zwei mögliche Szenarien.
Erstens: Es kommt zu einer schnellen Übereinkunft zwischen Russland und der Ukraine, einem Kompromiss, der beide Seiten gesichtswahrend aus der Lage herauskommen lässt.
Das hieße für Russland, dass es seine erklärten Kriegsziele als erreicht betrachten könnte. Zum einen eine Entmilitarisierung der Ukraine, die alleine schon dadurch erreicht ist, dass in den letzten Tagen sehr viel an militärischem Potential des Landes zerstört worden ist.
Dies eventuell verbunden mit der Versicherung der Ukraine, dass die Armee nicht mehr in dem Maße aufgerüstet bzw. keine westlichen Militärhilfen angenommen werden oder auch auf bestimmte Kalibergrößen verzichtet wird.
Zum anderen ein Verzicht der Ukraine auf die NATO-Mitgliedschaft jetzt und in Zukunft.
(...)
Gleichwohl gälte für dieses Szenario, dass derjenige, der diese Übereinkunft unterschreibt, innenpolitisch massiv unter Druck kommt. Bliebe Selenskyj im Amt, wäre er vermutlich den Angriffen der Opposition ausgesetzt, die ihn des Ausverkaufs der Ukraine beschuldigen würden.
(...) Es wäre ein Szenario, dass der Ukraine ein massives Blutvergießen ersparen könnte, sie aber innenpolitisch vor enorme Spaltungen stellen würde.
Das zweite Szenario wäre, dass es zu keiner Übereinkunft kommt, weil Russland auf Maximalforderungen besteht, die die Ukraine schlicht nicht eingehen kann. In der Folge kommt es zu einem langen, schlimmen Abnutzungskrieg mit zahlreichen Opfern auf beiden Seiten, mit Millionen Flüchtlingen, mit einem zerstörten Land und einem sich immer weiter vertiefenden Spalt zwischen Russland und dem Westen. Das ist sicherlich der schlimmstmögliche Fall.
Natürlich kann es noch zu gänzlich unerwarteten Entwicklungen kommen. Beispielsweise, dass man das Minsker Abkommen doch nochmal zum Tragen kommen lässt. Donezk und Luhansk erhielten einen Sonderstatus oder es käme zu einer Föderalisierung der Ukraine. Das wäre auch für Russland praktisch, da es mit den beiden Gebieten dann weiterhin Einfluss auf die Ukraine hätte.
Viele Dinge sind in den Verhandlungen noch möglich. Man sollte nie die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung ausschließen, auch wenn sie nur unter der Bedingung noch unvorstellbarer Konzessionen beider Seiten zustande kommen kann.
Letztlich kann auch Russland kein Interesse an einer wachsenden Zahl gefallener Soldaten, einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und zunehmenden innenpolitischen Spannungen haben“. (2).
So weit Marcel Röthig, der derzeit Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Ukraine und der Republik Moldau ist.
Ziviler Widerstand in der Ukraine
In der Ukraine gibt es eine starke Befürwortung gewaltfreien Widerstandes, der zu einem baldigen Kriegsende beitragen kann:
2015 führte das Kiewer Internationale Institut für Soziologie (KIIS) eine repräsentative landesweite Umfrage durch, in der zum ersten Mal die Präferenzen der Ukrainer*innen für den Widerstand im Falle einer ausländischen bewaffneten Invasion und Besetzung ihres Landes ermittelt wurden.
Die Umfrage fand kurz nach der Euromaidan-Revolution und der Einnahme der Krim und der Donbas- Region durch russische Truppen statt, als man erwarten konnte, dass die ukrainische Öffentlichkeit die Verteidigung des Mutterlandes mit Waffengewalt stark befürworten würde.
Die Ergebnisse zeigten jedoch eine überraschend starke Unterstützung für eine Alternative zur bewaffneten Verteidigung: die gewaltfreie Verteidigung unter ziviler Führung.
Die Umfrage ergab, dass die beliebteste Widerstandsform unter den Ukrainer*innen der gewaltlose Widerstand war: 29 % unterstützten diese Handlungsoption im Falle einer bewaffneten ausländischen Aggression und 26 % im Falle einer Besetzung. Der bewaffnete Widerstand wurde dagegen von 24 % bzw. 25 % unterstützt.
Weitere Wahlmöglichkeiten erhielten deutlich weniger Zuspruch, z.B. Flucht in sichere Gebiete der Ukraine, Flucht ins Ausland oder auch „ich weiß nicht“. (3).
Am 28.02.2022 berichtete der Tagesspiegel unter der Überschrift: „Geht nach Hause!“ Unbewaffnete Ukrainer stellen sich russischen Panzern entgegen:
„Mehrere Dutzend Bewohner der ukrainischen Kleinstadt Dniprorudne im Süden des Landes haben sich offenbar unbewaffnet einer russischen Militärkolonne mit Panzern entgegengestellt. Das zeigen mehrere aktuelle Aufnahmen vom Rand von Dniprorudne, die am Sonntag in sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden.
Zu sehen ist darin der Bürgermeister der Stadt, Jewhenij Matwjejew, der nach vorne läuft und mit den Fahrern der vordersten Panzers spricht. Die Männer im Hintergrund rufen ‚Geht nach Hause!‘ oder ‚Wir lassen Euch nicht durch!‘. Andere rufen ‚Held!‘ in Richtung Matwjejews.
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Bürgermeister drehen die Panzer um. (...)
Es war nicht die erste Szene dieser Art. In den vergangenen Tagen waren auf Twitter Video geteilt worden, auf denen sich andere Ukrainer ebenfalls Panzern in den Weg gestellt hatten“. (4).
Auch in Russland haben in den letzten Wochen in mehreren hundert Städten Menschen für den Rückzug der russischen Armee aus der Ukraine demonstriert. Mehrere Tausend Personen wurden verhaftet – und auch ihnen gilt meine Solidarität.
In einer Erklärung von russischen Friedensaktivist*innen - „Es darf keinen Krieg geben!“ (30.01.2022) – noch vor dem Kriegsbeginn - heißt es:
„Die russischen Bürger werden durch das kriminelle Abenteurertum, zu dem sich die russische Außenpolitik entwickelt, faktisch als Geiseln gehalten. Sie leben nicht nur in der Ungewissheit, ob ein großer Krieg ausbricht, sondern erleben auch einen starken Anstieg der Preise und einen Verfall der Landeswährung. Brauchen die Russ*innen eine solche Politik? Wollen sie den Krieg, und sind sie bereit, seine Lasten zu tragen? Haben sie der Regierung das Recht gegeben, auf diese Weise mit ihrem Schicksal zu spielen?
Niemand fragt die Bürger Russlands. Es findet keine öffentliche Diskussion statt. Das staatliche Fernsehen präsentiert nur eine Sichtweise, und zwar die der
Kriegsbefürworter. Von ihnen sind direkte militärische Drohungen zu hören, Aggressionen und Hass gegen die Ukraine, Amerika und westliche Länder.
Am gefährlichsten ist jedoch, dass der Krieg als eine zulässige und unvermeidliche Entwicklung dargestellt wird. Die Menschen werden getäuscht und korrumpiert. Ihnen wird die Vorstellung eines heiligen Krieges mit dem Westen aufgezwungen, anstatt das Land zu entwickeln und den Lebensstandard der Bürger zu verbessern. Die Frage des Preises steht außer Frage, aber es sind die einfachen Menschen, die den Preis zahlen müssen – ein hoher und blutiger Preis.
Wir, verantwortungsbewusste Bürger Russlands und Patrioten unseres Landes, appellieren an die politische Führung Russlands und wenden uns offen und öffentlich an die Kriegsbefürworter*innen innerhalb der Regierung.
Wir bringen den Standpunkt jenes Teils der russischen Gesellschaft zum Ausdruck, der den Krieg hasst und schon den Einsatz militärischer Drohungen und krimineller Methoden in der außenpolitischen Rhetorik als Verbrechen betrachtet.
Wir hassen den Krieg, während Sie ihn für akzeptabel halten. Wir setzen uns für den Frieden und das Wohlergehen aller Bürger Russlands ein, während Sie deren Leben und Schicksal mit Ihren politischen Zielen aufs Spiel setzen. Sie täuschen die Menschen und nutzen sie aus, während wir ihnen die Wahrheit sagen.
Wir sind diejenigen, die für Russland sprechen, nicht Sie, denn die Völker Russlands, die in den Kriegen der Vergangenheit Millionen von Menschen verloren haben, leben seit Jahrzehnten entsprechend dem Slogan: ‚Es darf keinen Krieg geben‘. Haben Sie das vergessen?
Unsere Position ist ganz einfach: Russland braucht keinen Krieg mit der Ukraine und dem Westen. Niemand bedroht uns, niemand greift uns an. Eine Politik, die auf die Agitation für die Idee eines solchen Krieges beruht, ist unmoralisch, unverantwortlich und kriminell und darf nicht im Namen der Völker Russlands geführt werden.
Ein solcher Krieg kann weder legitime noch moralische Ziele haben. Die Diplomatie des Landes darf keine andere Position einnehmen als die kategorische Ablehnung dieses Krieges.
Der Krieg ist nicht nur mit den Interessen Russlands unvereinbar, sondern stellt eine Bedrohung für Russlands Existenz dar. Die irrsinnigen Aktionen der politischen Führung des Landes, die uns in diese Richtung drängen, werden unweigerlich zur Bildung einer massenhaften Antikriegsbewegung in Russland führen. Jeder und jede von uns wird auf selbstverständliche Art und Weise ein Teil davon sein.
Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Krieg zu verhindern und wenn nötig zu beenden“. (5).
Ich lese aus einer Pressemeldung der katholischen Nachrichtenagentur KNA:
„Indirekte Kritik an Festnahmen bei Protestaktionen in Russland Priester des Moskauer Patriarchats fordern Kriegsende Priester und Diakone der russisch- orthodoxen Kirche sind betrübt angesichts der ‚Kluft, die unsere Kinder und Enkel in
Russland und der Ukraine werden überwinden müssen, um wieder miteinander befreundet sein zu können‘. Sie fordern eine Waffenruhe.
Moskau/Bonn - 02.03.2022
Priester und Diakone der russisch-orthodoxen Kirche fordern in einem Offenen Brief Versöhnung und eine sofortige Waffenruhe in der Ukraine. Die Unterzeichner des Online-Aufrufs – derzeit mehr als 230 – drücken ihre Trauer über das Leid aus, dem die Ukrainer ‚unverdient‘ ausgesetzt seien.
Mit Blick auf die ‚gottgegebene Freiheit des Menschen‘ erklären die Geistlichen, das ukrainische Volk müsse seinen Weg selbst wählen – ohne Druck des Westens oder des Ostens. Alle Soldaten – sowohl die russischen als auch die ukrainischen – sollten unverletzt nach Hause zurückkehren.
Betrübt zeigen sich die Priester, Diakone und Äbte angesichts der ‚Kluft, die unsere Kinder und Enkel in Russland und der Ukraine werden überwinden müssen, um wieder miteinander befreundet sein zu können‘. Die Unterzeichner kritisieren zudem indirekt die zahlreichen Festnahmen bei Protestaktionen in Russland. Kein gewaltloser Aufruf zum Frieden dürfe gewaltsam unterbunden und als Gesetzesverstoß betrachtet werden, heißt es.
Bereits am Montag hatte die ukrainische-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats von Kreml-Chef Wladimir Putin einen sofortigen Stopp des ‚Bruderkriegs‘ gefordert. In einer Erklärung bekräftigte die Kirchenleitung, der Heilige Synod, die ‚staatliche Souveränität und territoriale Integrität‘ der Ukraine und appellierte an den Moskauer Patriarchen Kyrill I., von der Staatsführung die unverzügliche Einstellung der Feindseligkeiten einzufordern“. (6).
2. Was ist im Verhältnis zwischen NATO und Russland – und auch in Deutschland zur Deeskalation und für ein mehr an Frieden notwendig?
Wenn ich hier in die Gesichter vor mir sehe, gibt es viele, die wie ich den Fall der Berliner Mauer 1989 und die deutsche Einheit erlebt haben.
Wladimir Putin zog aus Dresden mit rund 400 000 russischen Soldaten ab, davon allein rund 220 000, die in der ehemaligen DDR stationiert waren. Eine Weltmacht kollabierte, ohne einen Schuss abzugeben. Die NATO-Osterweiterung – entgegen mündlicher Zusagen 1990 an Moskau - habe ich von Anfang an für einen schwerwiegenden Fehler gehalten, weil sie den eisernen Vorhang lediglich an die russische Westgrenze verlegt hat, statt die Chance auf ein gemeinsames Haus Europa mit Russland zu ergreifen.
Im OSZE-Schlussdokument von 1999 wurde in Istanbul von der russischen Föderation, der Ukraine, den USA, Deutschland und vielen anderen Staaten unterzeichnet, dass jedes Land das Recht auf Bündnisfreiheit hat. Gleichzeitig unterzeichneten alle Vertragspartner, dass kein Staat seine Sicherheit auf Kosten eines anderen Staates ausweiten darf. Den ersten Punkt betonen die NATO und die Ukraine, den zweiten Russland.
In einer vernetzten Welt kann es nur gemeinsame Sicherheit geben – aber nicht mehr Sicherheit gegen andere, sonst droht die Selbstzerstörung unseres Planeten Erde.
Was ich für jetzt notwendig halte, ist ein Paradigmenwechsel: Weg von einer Sicherheitslogik, die nur die eigene Sicherheit im Blick hat, hin zu einer Friedenslogik. Die enorme Aufrüstung der Ukraine in den letzten Jahren hat dem Land offenbar nicht mehr Sicherheit gebracht, weil sie auf der russischen Seite Unsicherheit ausgelöst hat.
Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt als russischer Ministerpräsident im Jahr 1999, dem Jahr des Istanbuler OSZE-Abschlussdokumentes, der Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn sowie des Kosovo-Jugoslawienkrieges, hielt Waldimir Putin 2001 eine Rede im deutschen Bundestag mit anschließenden stehenden Ovationen, bei der er sein großes Interesse an Europa bekundete, zu dem er und Russland gehören wollten.
Sechs Jahre später war im Jahre 2007 seine Brandrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu hören; er warnte eindringlich vor einer weiteren NATO- Osterweiterung.
2008 wurde auf dem NATO-Gipfel in Bukarest dennoch der Grundsatzbeschluss der NATO gefasst, die Ukraine und Georgien in das westliche Militärbündnis aufzunehmen – auf Druck Deutschlands und Frankreichs ohne Zeitangabe.
2014 erfolgte die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, mit der Wladimir Putin offensichtlich den russischen Marinestützpunkt Sewastopol sichern wollte, zu dem es ein Stationierungsabkommen mit der ukrainischen Regierung gibt.
Seit acht Jahren gibt es Kämpfe im Donbas, seit sieben Jahren hätte das Minsk-II- Abkommen umgesetzt werden können – u.a. mit einem Autonomiestatus für die Separatistenregionen.
Der Krieg in der Ukraine ist auch das Resultat von Versäumnissen diplomatischer Hartnäckigkeit bei der Deeskalation eines sich immer mehr verschärfenden Konfliktes – bei gleichzeitiger Unterschätzung der Gefahren, die in der Persönlichkeitsstruktur von Wladimir Putin lagen und liegen.
Und jetzt?
Ja, die Menschen in der Ukraine brauchen Schutzhelme, Schutzwesten und in tatkräftiger Solidarität jede nur mögliche Unterstützung medizinischer und humanitärer Art. Sammelstellen gibt es in vielen Städten, so z.B. in München.
Haben Waffenlieferungen nicht in der Vergangenheit gezeigt, dass sie in Afghanistan, Syrien oder Libyen zu noch mehr Leid und Elend in der Zivilbevölkerung führen, Kriege verlängern und verwüstete Länder zurücklassen in vieljährigen Abnutzungskriegen?
Meine große Sorge ist: Wird sich die Ukraine einreihen in die Reihe der Länder, in denen in den letzten Jahren durch militärische Gegenmaßnahmen unermessliches Leid über die jeweiligen Zivilbevölkerungen gekommen ist?
Zeigen nicht Friedensgruppen in der Ukraine, dass es eine hohe Bereitschaft der Zivilbevölkerung zur zivilen Verteidigung ihres Landes gibt, die Menschenleben sowie Städte und Gemeinden vor der Zerstörung retten könnten?
Da die Geographie nicht verändert werden kann, bleiben sowohl die Ukraine als auch Russland Teil von Europa. Es wird eine Nach-Putin-Zeit geben, von der ich hoffe, dass nicht Oligarchen den Ton angeben, sondern mutige Menschen in Russland, die in mehreren hundert Städten gegen diesen Krieg demonstriert haben.
Eine große Frage, die nach Ende eines hoffentlich baldigen Waffenstillstandes und Friedensverhandlungen ansteht, ist, wie die Menschen in der Ukraine sich ihre Zukunft nach diesem Krieg vorstellen – und ob sie in einer Nach-Putin-Zeit sich eine Rolle als Brückenland zwischen der EU und Russland noch ausmalen können - ohne sich komplett für eine Seite zu entscheiden.
Einige Sätze möchte ich speziell zur Bundesregierung sagen:
Als Demokrat macht mir die Art und Weise der Verkündung des 100-Milliarden-Euro- Bundeswehr-Sondervermögens, das ein Sonder-Schuldenprogramm ist - ohne vorherige Absprachen und parlamentarische Gremienarbeit - große Sorge.
Ist nicht im Jahr 2021 der rund 13 Milliarden Euro teure Afghanistan-Einsatz gescheitert – und steht nicht auch der Bundeswehr-Mali-Einsatz vor dem erfolglosen Ende? Wo haben in den letzten 20 Jahren Milliarden an Euro oder Dollar für das Militär irgendwo zu Stabilität, Sicherheit oder einem Ende der Gewalt geführt?
Statt neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge bräuchte es die Unterschrift der Bundesregierung unter den Atomwaffenverbotsvertrag!
Staat bewaffneter Drohnen den sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft mit einem massiven Ausbau erneuerbarer Energien und der Reduzierung von der Abhängigkeit klimazerstörender Energieträger!
Die bereits diskutierte Verlängerung der Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken ist ein Weg in die Sackgasse und ein Angriff auf eine lebenswerte Zukunft nachfolgender Generationen! Diese Politik hat die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Ampelkoalition nicht gewählt!
Was wir aktuell friedenspolitisch brauchen, ist die Erhöhung des OSZE-Budgets, den Ausbau ziviler diplomatischer Frühwarnsysteme sowie ziviler Friedensdienste generell.
Die Alternative zu Militäreinsätzen heißt nicht Passivität, sondern aktive zivile Friedensarbeit auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen, von hochrangigen zivilen Kriseninterventionsteams bis zu bilateralen Städte- und Gemeindepartnerschaften z.B. zwischen Deutschland und Russland.
3. Was können wir tun?
Die Münchner Freiwilligenhilfe empfängt am Hauptbahnhof ankommende Menschen aus der Ukraine und vermittelt ihnen Wohnungen.
Ich bin dankbar dafür, dass diese Familien zunächst drei Jahre ohne große bürokratische Hürden hier bleiben können und auch arbeiten dürfen.
Auch hier in Landshut engagieren sich Menschen für Geflüchtete aus der Ukraine.
Aufrufen möchte ich zur finanziellen Unterstützung von Caritas International in der Ukraine. Die Caritas verfügt über eine gute Infrastruktur im Land und bringt Spenden zuverlässig dorthin, wo sie wirklich gebraucht werden.
Lassen wir nicht zu, dass es Geflüchtete erster und zweiter Klasse gibt! Auch im Mittelmeer sterben weiterhin Menschen aus der Flucht vor Krieg und Elend.
Überwinden wir gemeinsam patriarchale Denkmuster und Gewalt-Strukturen, in denen Politiker bereit sind, dass andere Menschen eher ihr Leben verlieren – bevor sie selbst das Gesicht verlieren könnten.
Ich danke der Friedensinitiative in Landshut für die Einladung und allen tatkräftigen Helferinnen und Helfern hier in Landshut, die Menschen aus der Ukraine mit dem Lebensnotwendigen versorgen.
Enden möchte ich mit Martin Luther King jr., einem von sechs Personen des Internationalen Versöhnungsbundes, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden. Er sagte:
"Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur Licht. Hass kann Hass nicht vertreiben, das kann nur die Liebe.
Ich danke Euch und Ihnen fürs Zuhören.
Anmerkungen:
- (1) https://nachrichten.idw-online.de/2021/09/30/sonderstellungnahme-des- friedensgutachtens-nach-dem-scheitern-in-afghanistan-lehren-fuer-die- neue-bundesregierung/
- (2) https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/der-krieg-wird- sich-nur-mit-verhandlungen-beenden-lassen-5752/?utm_campaign= de_40_20220303&utm_medium=email&utm_source=newsletter
- (3) https://www.nonviolent-conflict.org/blog_post/ukrainians-vs-putin-
- potential-for-nonviolent-civilian-based-defense/
- (4) https://m.tagesspiegel.de/politik/geht-nach-hause-unbewaffnete- ukrainer-stellen-sich-russischen-panzern-entgegen/28113950.html?fbclid =IwAR0sLOzrV_EXvgidZl_zkmrl9tj99P4LGci-5nPntueiLIU3cVIburaZKP8
- (5) https://de.connection-ev.org/article:erklarung-von-russischen- friedensaktivistinnen
- (6) https://www.katholisch.de/artikel/33336-priester-des-moskauer- patriarchats-fordern-kriegsende
Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes.