Redebeitrag für den Ostermarsch Sachsen-Anhalt in Dolle am 18. April 2022

 

- Sperrfrist: 18. April 2022, Redebeginn: 14 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreunde, liebe Friedensfreundinnen, liebe Weggefährten

Ist Antimilitarismus angesichts des Krieges in der Ukraine "out"? Hat die Friedensbewegung angesichts der zunehmenden kriegerischen Gewalt, auch hier in Europa, die sie nicht verhindern konnte, versagt? Sind ihre Konzepte überhaupt realistisch? Mainstream Medien und Politik wollen uns genau ein rationales und realistisches Politikhandeln absprechen.

Sieht man sich die bisherige Reaktion unserer jetzigen Bundesregierung auf den erneuten eskalierenden Ausbruch kriegerischer Gewalt in der Ukraine an, dann könnte man zu dem Schluss kommen, nur militärische Stärke und Aufrüstung bringe uns Sicherheit, Freiheit und letztlich Frieden und verhindere weitere kriegerische Auseinandersetzungen.Selbst das bisherige politische Tabu, nämlich keine Waffen in Kriegs- und Spannungsgebiete zu liefern, wurde innerhalb weniger Tagen einfach öffentlich verworfen. Jetzt hat die Bundesregierung die Lieferung schwerer Waffen beschlossen, Waffen, die laut Militärs von Ungeübten gar nicht bedient werden können. Sie werden nur weitere zivile Menschenleben fordern. Hochrangige Militärs warnen davor, dass dies direkt den Weg in den 3. Weltkrieg ebnet.(siehe Aussage des Militärberater von Angelika Merkel Herr General Pratt) Offensichtlich lernt man nicht, dass Waffen Brandbeschleuniger für Krieg und Gewalt sind und letztlich Kriegshandlungen nur verlängern, wie wir in den zahlreichen Kriegen es immer wieder bereits schmerzlich erfahren müssen. Bei den Rüstungskonzernen jedoch werden wohl die Sektkorken geknallt haben angesichts des 100 Milliarden Sonderfonds, der für sie aufgelegt wurde.

Kriege fallen allerdings nicht vom Himmel, sondern sind oft Endpunkte einer langen absehbaren Entwicklung, vor der wir als Friedensbewegung immer wieder gewarnt haben. Die Entwicklung zu einem Krieg wird meist bestimmt

  • von gegenseitiger gesteigerter Aufrüstung,
  • Produktion von Feindbildern,
  • einseitigen Schuldzuweisungen ("Kampf der Guten gegen das Böse)
  • Kampf um Vorherrschaft und nationaler Ressourcensicherung,
  • vermeintlicher militärischer Stärke
  • einer überkommenden Ideologie gegenseitiger militärischerAbschreckung und in Schach halten wollen mit immer rafinierteren Waffensystemen.

Dagegen harren dringendere Probleme der ganzen Menschheit, wie z.B.

  • Klimawandel,
  • die zunehmende sich erweiternde Schere zwischen Arm und Reich,
  • der zunehmende Hunger und Unterernährung
  • die zunehmende Ausgrenzung von Menschen und ganzen Gesellschaften, die als überflüssig erklärt werden, z.B. Geflüchtete und alle, die aus ihrer Heimat aus Existenznöten fliehen müssen
  • die Zerstörung unserer Biodiversität und vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt,
  • Mangel an genießbaren Trinkwasser und produktiven Böden,
  • die Begrenzung fossiler Bodenschätze etc.

dass sie endlich weltweit angegangen werden, um die sich uns auftürmenden Krisen ursächlich mit unseren begrenzten Ressourcen zu begegnen und damit kriegerische Gewalt zu vermeiden.

Diese Probleme werden aber hinten angesetzt zugunsten einer sogenannten militärischen Sicherheit, die nicht zum Frieden, sondern, wie die Geschichte zeigt, zu mehr kriegerischer Gewalt, Zerstörung und letztlich der Gefahr der Auslöschung unseres Planeten durch Atomwaffen führt. Der gegenwärtige Krieg in Europa macht uns noch einmal bewusst, wie aus einem regionalen konventionellen Krieg ein entgrenzter, unseren gesamten Planeten zerstörender Atomkrieg sich entwickeln kann. Mehr als 95% des gesamten atomaren Zerstörungspotentials steht in diesem Krieg feindlich gegenüber. Selbst wenn die Verantwortlichen in Regierungen und Militär einen Atomwaffeneinsatz nicht aktuell beabsichtigen, wird ein Atomkrieg aus Versehen (besser: ein mutwilliges Zusteuern auf einen Atomkrieg) durch immer kürzere Vorwarnzeiten, ausgefeiltere Trägersysteme, autonom entscheidende Computerprogramme und fehlende direkte Kommunikation zwischen den gegnerischen Konfliktparteien immer wahrscheinlicher.

Das in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher und politischer Instabilitäten, Wirtschaftskriegen (als Sanktionsmittel getarnt), Ressourcenknappheit und sich vermehrender sozialen und ökologischen Problemen in fast allen Gesellschaften auf diesem Planeten!(!)

Diese bedürfen dringend gemeinsamer Lösungen, so schwer das auch auf diplomatischen Weg durchgesetzt werden kann und uns die Unversöhnlichkeit eingeredet wird.

Wie kommen wir aus dem "Teufelskreis"raus ? Das ist die Frage des heutigen Ostermarsches hier in Dolle.

Offensichtlich gehen die politischen Eliten einen Weg, der eher noch als Brandbeschleuniger zu wirken scheint.. Dem müssen wir als Zivilgesellschaft entschieden entgegentreten. Kriege und Gewalt lassen sich nur durch Diplomatie, Kommunikation, Begegnung und Beendigung jeglicher menschlicher Verteufelung, ja nur durch Abbau von Feinbildern beenden!!! Das heißt ja nicht, dass wir kriegerische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen klein reden sollten oder rechtfertigen wollen, aber unbedingt die Arroganz "Wir sind die Guten, nur der Gegner ist der Schlechte " , diese Arroganz müssen wir entschieden bekämpfen. In einer solch aufgeheizten Kriegssituation wie zur Zeit erfordert das Standfestigkeit, Mut und überzeugende auf Fakten bezogene Argumente. Empathie, d. h. sich lediglich in den anderen hineinzuversetzen, ist keine Rechtfertigung der rechtswidriger Taten, das wissen wir als Ärzte und Ärztinnen aus unserer Arbeit mit Gewalttätern. Und wahrlich, dieser Ukraine Krieg hat seine Blaupause in den völkerrechtwidrigen Interventionen auf dem Balkan, Irak, Libyen und Afghanistan. Selbstkritische Haltung vor dem eigenen Tun kann Türen beim Gegner öffnen und so die ewige Spirale der kriegerischen Gewalt durchbrechen.

Das lehrt uns die Geschichte. Auch wenn wir im Augenblick nur wenig öffentliche Resonanz für diese Themen finden, müssen wir dran bleiben,sie immer wieder mutig in die Gesellschaft und zu Entscheidungsträgern tragen und unsere Argumente beharrlich zur Sprache bringen. Manchmal bedarf es, beharrlich auf die Füße gewisser Kreise zu treten, auch wenn es für sie schmerzlich ist. Ihr als Bürgerinitiative Offene Heide seid dafür ein leuchtendes Beispiel. Beharrlich geht Ihr Eure Friedenswege, seit mehr als 20 Jahren, aktive Menschen aus Eurer Gruppe dringen zusammen mit anderen Antimilitaristen in das Militärgelände seit Jahren ein und führen immer wieder juristische Prozesse, um so den Finger in die Wunde einer gefährlichen und rechtswidrigen Kriegsvorbereitung zu legen. Ihr unterstützt immer wieder Protestcamps. Dass wir mehr werden müssen, um nicht auszubrennen,brauche ich Euch nicht zu sagen.

Wir können es nicht laut genug und genügend immer wieder sagen: Der Krieg startet auch hier. Dass, was in der Offenen Heide geübt wird, ist doch offensive Kriegsführung, die sich in den zahlreiche militärischen Interventionen der letzten Jahre wiederspiegelt, vom Häuserkampf in fremden Gesellschaften (siehe Schnöggersburg) bis zum hoch aufgerüsteten integrierten Gefechtsfeld mit KI-Technologie, Digitalisierung und Einbeziehung unterschiedlicher Waffentechnologien, z.B.Drohnen. Nicht umsonst wird stolz von Seiten des Militärs als Europas modernster Kriegsübungsplatz geworben. Mit ermutigenden Aktionen können wir mehr Menschen mobilisieren und so den Widerstand erhöhen.

Wir müssen allerdings auch akzeptieren und aushalten,

  • dass wir nicht immer in allen Fragen über Einschätzung, Ziele und Wege einer Meinung sind,
  • dass wir uns auch irren können (besonders in Kriegszeiten, wo Lüge, Desinformation und Propaganda auf allen Seiten vorherrschen),
  • dass wir in vielen Fragen und Lösungsansätzen noch ratlos sind und auch keine4 perfekten Lösungen anbieten können.

Wir dürfen uns aber nicht von außen und innen spalten lassen, wenn wir uns in Grundsatzfragen wie Einhaltung von unbedingten Völker-und Menschenrechten, kriegerischer Gewaltverzicht, Recht auf Leben f+ür alle Menschen und Gesellschaften, ausreichend guter Existenz für jeden Menschen, Ablehnung jeglicher Nationalismen und Rassismen etc einig sind. Die Einteilung von Menschenleben 1. und 2. Klasse, wie es zur Zeit an Geflüchtete an der osteuropäischen Grenze praktiziert wird kann nie und nimmer für uns akzeptabel sein. Schutz und Aufnahme müssen alle Menschen unterschiedslos bei uns finden können.

Und ein drittes können wir: Wir als planetarische Zivilgesellschaft können allerdings unsere über Jahre entwickelten zukunftsträchtige Frieden schaffendes Instrumentarium anbieten und offensiv in die Gesellschaft hineintragen: Kommunikation und Kooperation statt Aufbau von Feindbildern und Verteufelung des Gegners, Zivile Konfliktlösungen und diplomatische Verhandlungen von der Basis her, Angebote, die auf win-win Situation für alle gegnerischen Seiten hinauslaufen, statt Stärke, Konkurrenz und Überlegenheit durch Waffen zu demonstrieren, gemeinsame Stärke zur Überwindung kriegs- und konflikttreibender Ursachen entwickeln. Laßt uns diese Bürgerdiplomatie wieder aufleben. Wir als IPPNW haben in den 80iger Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges eine Menge positive Erfahrungen dazu sammeln können.

Und wir haben noch mehr Instrumentarien als weltweite Zivilgesellschaft entwickelt: Die soziale gewaltfreie Verteidigung, die an zahlreichen Orten in der Ukraine auch schon praktiziert wurde, leider mit zu wenig Unterstützung und Beachtung der hiesigen Friedensbewegung. Man stelle sich vor: 4 Mill. Westeuropäer, das ist etwa 1 % der EU - Bevölkerung, wären vorbereitet und intensiv trainiert, an die ukrainisch-russische Grenze waffenlos gegangen. Hätte man die schlimmsten Exzesse der kriegerischen Gewalt dort vermeiden können? Ich weiß es nicht, wäre aber einer Überlegung zum Schutz für die ukrainische Bevölkerung wert. Eins steht aber fest: Historiker und Historikerinnen haben herausgefunden, dass gewaltfreier Widerstand mehr Menschenleben rettet als kriegerische Gewalt, viel weniger Traumata setzt und vor allem positiv nachhaltiger die Entwicklungen in den Postkonfliktgesellschaften bestimmt. Gewaltfreier Widerstand gegen einen Aggressor ist offensichtlich wirksamer als einer mit Waffen,wenn man tote und verwundete Zivilisten, Zerstörung ganzer Gesellschaften und Folgen der Vernichtung von sensibler Infrastruktur mit einbezieht Mit diesen wissenschaftlich abgesicherten Fakten sollten wir offensiv denjenigen entgegentreten, die jetzt ganz und gar nur auf kriegerische Gewalt und Waffen setzen. Wir sollten unsere Konzepte in der Friedensbewegung selbstbewußter und unbeirrt zur Diskussion stellen, auch wenn wir anfangs verlacht, als Träumer, Utopisten oder bestenfalls als 5. Kolonne des Kriegsgegners verunglimpft werden. Auch dafür haben wir als IPPNW-Organisation in den 80iger reichlich Erfahrungen machen müssen und trotzdem Anerkennung und Erfolge gehabt, bis hin zum Friedensnobelpreis. Eines davon ist im Atomwaffenbereich der Atomwaffenverbotsvertrag wegen der humanitären Folgen eines Atomkrieges:

Wir haben als planetarische Zivilgesellschaft nämlich ein ganz konkretes Angebot entwickelt: nämlich den Atomwaffenverbotsvertrag. Dieser von der UN später übernommene Vertrag ist seit über 1 Jahr in Kraft, er ist unterschrieben von 86 Staaten dieser Erde und von 60 schon ratifiziert. Er ist Ausdruck des Willens eines großen Teils der Menschheit, endlich sich aus der atomaren Geiselhaft ganz weniger mächtiger Eliten in den Atomwaffenländern zu befreien, auch gegen deren Widerstand. Leider ist Deutschland bisher nicht dabei, im Gegenteil, die gegenwärtige Politik blockiert mit der Anschaffung der neuen atomwaffentragenden Kampfbomber über Jahrzehnte diesen Beitritt und hält so an der völkerrechtswidrigen atomaren Teilhabe fest. Hier gilt es weiter Druck von unten auszuüben, ICAN hat dazu einen Städteappell mit Verpflichtungscharakter entwickelt, der in jede Stadt, in jede Ortschaft, in jedes Parlament reingetragen werden kann. In Rheinland Pfalz und in Hamburg ist es der Friedensbewegung gelungen, ihn auch in Landesparlamente beschließen zu lassen. Warum es nicht hier in Sachsen-Anhalt versuchen?

In Büchel leisten immer mehr Gruppen Widerstand und organisieren an diesem symbolischen Ort Proteste, bis hin zu Zivilen Ungehorsam. Laßt uns das verstärken!!! Jeder der sich einsetzt, drückt diese Stärke der Zivilgesellschaft zur Umkehr dieser atomaren Krankheit, die, wenn sie einmal ausgebrochen ist, wir als Ärzte und Ärztinnen nur feststellen können: Wir können Euch nicht mehr helfen. Kriege, besonders mit drohenden Atomwaffeneinsätzen, können nur präventiv verhindert und nicht kurativ abgemildert werden. Leider geht die gegenwärtige Politik in die entgegengesetzte Richtung und bewirkt dabei noch Brandbeschleunigung. Hier müssen wir ihnen in den Arm fallen, den demokratischen Druck von unten verstärken, auf der Strasse, im Gespräch, mit Aktionen, mit Zivilen Ungehorsam. Heute seid Ihr dafür ein leuchtendes Beispiel.

Vielen Dank.

 

Ernst-Ludwig Iskenius ist aktive bei der IPPNW.