Redebeitrag für den Ostermarsch Neuruppin am 17. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreunde und Friedensfreundinnen,

Vielen Dank erst einmal, dass ich heute hier bei Euch sein kann und Euren schönen ersten Ostermarsch nach vielen Jahren mit begleiten darf. Mich persönlich verbindet Neuruppin mit zwei Dingen:

In den 90iger und ersten 2000der Jahren gab es rund um das damalige militärische Gelände Bombodrom eine große, letztendlich erfolgreiche Bewegung gegen die Militarisierung dieser Gegend und schließlich die Umwidmung in ein ziviles Projekt. Das hat bundesweit ausgestrahlt. Dieses Erbe, nämlich, wenn die Zivilgesellschaft beharrlich zusammensteht, auch was bewirken kann, behaltet auch heute in einer weit komplizierteren Welt im Gedächtnis.

Die zweite persönliche Verbindung war vor einigen Jahren, als ich dreiviertel Jahr hier in der Nähe gewohnt und Neuruppin mein ärztlicher Arbeitsplatz war. Ich habe einige Einblicke in die Sozialstruktur Euer Stadt bekommen, die mich tief beeindruckt hat.

Nun stehe ich heute hier als Vertreter einer beruflichen Friedensorganisation, der IPPNW, den Ärzten und Ärztinnen zur Verhütung eines Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung.

Dieses ist mein dritter Ostermarsch in diesem Jahr und ich blicke ein wenig hoffnungsvoller wieder in die Zukunft als vor Ostern, denn die Friedensbewegung hat angesichts von Krieg und Gewalt, die uns in diesen Tagen mit der militärischen Eskalation in der Ukraine zunächst stark überwältigt und uns eher stumm hat, ihre Sprache, ihre Stimme wiedergefunden und sie auf der Straße hörbar gemacht. Dafür danke ich auch jeden von Euch, der heute hier am Ostermarsch mitgemacht hat.

Wir befinden uns in Kriegszeiten, nicht erst mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine. Diesen wie jeden kriegerischen Angriff ist ohne wenn und aber zu verurteilen. Es gibt keinen gerechten Krieg, keinen entschuldigenden Anlass, militärisch an- oder einzugreifen. Trotzdem kommen wir nicht umhin, die Dynamik dieser kriegerischen Gewalt nüchtern zu analysieren und zu benennen, und hier müssen wir feststellen: Dieser Krieg hat seine Blaupause in den völkerrechtswidrigen kriegerischen Eingriffen in Jugoslawien, Libyen, Afghanistan, Jemen und Irak, wo die NATO bis heute furchtbare Hinterlassenschaften gelassen hat.

Es zeigt sich wie im Ukraine-Krieg jetzt, dass es nur eins gibt: Prävention,Bekämpfung der Kriegsursachen und kluges Durchbrechen der Kriegsdynamiken. Auch dafür hat die Friedensbewegung Instrumente entwickelt, sie müssten nur von den Machthabenden auch angenommen werden.

In Kriegszeiten hat die Friedensbewegung es besonders schwer. Lügen, Faktenverdrehung, Instrumentalisierung öffentlicher Meinungen, gegenseitige Schuldzuweisungen, Repression, Aufbau von Feindbildern, Emotionalisierung durch manipuliertes Bildmaterial auf allen Kriegsseiten lässt eine faktengestützte, rationale und an Tatsachen orientierte Informationsbeschaffung und Berichterstattung kaum zu. Als Friedensbewegung brauchen wir aber diese kritischen Instrumente, um sich ein rationales Bild zu machen, um nicht noch Öl statt Wasser und Sand ins Kriegsfeuer zu werfen.Das erleben wir gerade sehr schmerzlich.

Wie schnell aus einem konventionellen regional geführten Krieg die Atomkriegsgefahr unmittelbar bedrohlich wird, lehrt uns gerade der hochgefährliche Ukraine-Krieg. Hier stehen sich mehr als 95% des weltweiten atomaren Zerstörungspotentials feindlich gegenüber, durch immer kürzere Vorwarnzeiten, künstlicher Intelligenz und Umgehung des menschlichen Verstandes kaum noch kontrollierbar. Besonders gefährlich ist die zur Zeit fehlende Kommunikation zwischen den Atommächten.Ein Atomkrieg aus Versehen (wobei das kein Versehen ist, sondern ein mutwilliges Zusteuern) rückt real immer näher. Darauf verweisen schon seit einiger Zeit Atomwissenschaftler wie die Atomic Scientists mit ihrer symbolischen Domsday Uhr , vorgerückt auf 100 Sekunden vor der atomaren Katastrophe oder in Deutschland hier die Forschergruppe um Prof. Bläsius aus Trier. Um dieser Gefahr zu begegnen, gibt es nur eins für unsere Sicherheit: Atomwaffen bedingungslos abschaffen, statt aufrüsten.

In Kriegszeiten wie heute zu versuchen, durch immer mehr Aufrüstung und Stärke den jeweiligen Gegner vor weiteren Kriegshandlungen abzuschrecken, sind geradezu Brandbeschleuniger in der im lodernden Kriegsfeuer. Im Falle eines Atomkrieges ist das tödlich für unseren gesamten Planeten. Ich möchte nur erinnern: Ein Atomkrieg ist die höchste Form einer entgrenzten Kriegsgewalt, nur 1% des jetzt vorhandenen atomaren Zerstörungspotentials, irgendwo auf der Welt zum Einsatz kommen, würde durch den atomaren Winter eine planetarische Hungersnot auslösen. Trotzdem rüsten alle Atommächte eskalierend seit einigen Jahren auf, erfinden Waffen und immer rafiniertere Trägersysteme, um uns Glauben machen zu wollen, ein Atomwaffenkrieg ist führbar und wir können uns damit verteidigen. Selbst mit konventionellen militärischen Mitteln sind unsere so vulnerablen Gesellschaften nicht zu verteidigen,sondern können nur zerstört werden, mit dem Einsatz von Atomwaffen wäre es das Ende unseres Planeten. Trotzdem üben jeden Tag, auch deutsche Soldaten, diesen Atomkrieg. In Zukunft sollen sie neue, selbstlenkende, flexibler handhabbare B-12 Atomwaffen mit teuren Tarnkappenkampfbombern F-35 in ihr Ziegebiet bringen. In Europa sollen mehr als 120 solcher atomaren Lenkwaffen, die alle ein vielfaches Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe in sich tragen, in Kürze stationiert werden. Auch in Deutschland. Der Militärstützpunkt Büchel in der Eifel wird gerade dazu mit Millionen Euro hergerichtet.

Dabei ist der Einsatz, aber auch die Drohung mit Atomwaffen völkerrechtswidrig, wie schon 1996 der Internationale Gerichtshof festgestellt hat. Die Beihilfe, die atomare Teilhabe, die Deutschland praktiziert, ebenfalls. Sie verstößt auch gegen internationale Verträge wie den NPT-Vertrag un die Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung, Atomwaffen zerstören unterschiedslos.

Das erschütternste ist, dass unsere Regierungen immer noch an das System der nuklearen Abschreckung und militärischen Stärke krampfhaft festhält, obwohl schon in der Vergangenheit die nukleare Abschreckung mehrmals an den Rand des Abgrundes geführt hat, und das unter weit aus stabileren gesellschaftlichen Verhältnissen als heute, wo uns jetzt schon der Wind auftürmender politischer, ökologischer, sozialer und gesellschaftlicher Probleme mächtig ins Gesicht bläst und alle unsere Ressourcen darauf konzentrieren müssen unseren Planeten ganz zu zerstören. Mit dem 100 Milliarden Aufrüstungsfond der jetzigen Bundesregierung wandert die jetzige Bundesregierung in genau entgegengesetzter Richtung. Sie ist ein verschwenderischer Raub an den zukünftigen Generationen.

Wir als planetarische Zivilgesellschaft können allerdings ein zukunftsträchtiges Heilungsinstrumentarium anbieten: Kommunikation und Kooperation statt Aufbau von Feindbildern, Zivile Konfliktlösungen und diplomatische Verhandlungen, Angebote, die auf win-win Situation für alle gegnerischen Seiten hinauslaufen, statt Stärke, Konkurrenz und Überlegenheit durch Waffen zu demonstrieren, gemeinsame Stärke zur Überwindung kriegs- und konflikttreibender Ursachen entwickeln. Laßt uns die Bürgerdiplomatie wieder aufleben. Wir als IPPNW haben in den 80iger Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges eine Menge positive Erfahrungen dazu sammeln können.

Wir haben als Zivilgesellschaft im Atomwaffenbereich ein ganz konkretes Angebot entwickelt: nämlich den Atomwaffenverbotsvertrag. Dieser UN-Vertrag ist seit über 1 Jahr in Kraft, er ist unterschrieben von 86 Staaten dieser Erde und von 60 schon ratifiziert. Er ist vAusdruck des Willens eines großen Teils der Menschheit, endlich sich aus der atomaren Geiselhaft ganz weniger mächtiger Eliten in den Atomwaffenländern zu befreien. Leider ist Deutschland bisher nicht dabei, im Gegenteil, die gegenwärtige Politik blockiert mit der Anschaffung der neuen atomwaffentragenden Kampfbomber über Jahrzehnte diesen Beitritt und hält so an der völkerrechtswidrigen atomaren Teilhabe fest. Hier gilt es weiter Druck von unten auszuüben, ICAN hat dazu einen Städteappell mit Verpflichtungscharakter entwickelt, der in jede Stadt, in jede Ortschaft, in jedes Parlament reingetragen werden kann. in Rheinland Pfalz und in Hamburg ist es der Friedensbewegung gelungen, ihn auch in Landesparlamente bescvhließen zu lassen. Warum es nicht hier in Brandenburg versuchen?

In Büchel leisten immer mehr Gruppen Widerstand unde organisieren an diesem symbolischen Ort Proteste, bis hin zu Zivilen Ungehorsam. Laßt uns das verstärken!!! Jeder der sich einsetzt, drückt diese Stärke der Zivilgesellschaft zur Umkehr dieser atomaren Krankheit, die, wenn sie einmal ausgebrochen ist, wir als Ärzte und Ärztinnen nur feststellen können: Wir können Euch nicht mehr helfen. Kriege, besonders mit drohenden Atomwaffeneinsätzen, können nur präventiv und nicht kurativ verhindert werden. Leider geht die gegenwärtige Politik in die entgegengesetzte Richtung und bewirkt noch Brandbeschleunigung. Hier müssen wir ihnen in den Arm fallen, den demokratischen Druck von unten verstärken, auf der Strasse, im Gespräch, mit Aktionen, mit Zivilen Ungehorsam Heute seid Ihr dafür ein leuchtendes Beispiel.

Vielen Dank für geduldige Zuhören.

 

Ernst-Ludwig Iskenius ist aktiv bei der IPPNW.