Redebeitrag für den Ostermarsch Hamburg am 18. April 2022

 

- Sperrfrist: 18. April 2022, Redebeginn: 13 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist insgesamt eine riesige Tragödie, für die Ukraine, für Russland und auch für den Rest der Welt. Die Zerstörungen, das Leid, welches unter der ukrainischen Bevölkerung angerichtet wird, die Fluchtbewegungen – schon mehr als jeder vierte Einwohner ist auf der Flucht - sind immens. Schätzungen gehen dahin, dass die Ukraine die Hälfte ihrer Wirtschaftsleistung in diesem Jahr einbüßen wird. Der Krieg ist nicht zu Ende. Es droht ein großer Angriff Russlands im Donbass und es drohen Lieferungen schwerer Waffen aus NATO-Ländern an die Ukraine.

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

es muss alles an Diplomatie aufgebracht werden, was möglich ist, um diesen Krieg, so schnell es geht, zu stoppen! Wir brauchen einen Waffenstillstand! Waffenlieferungen an die Ukraine sind der falsche Weg! Sie verlängern den Krieg und erhöhen das Leiden.

Russland wird nicht erst seit dem 24. Februar, dem ersten Tag des Überfalls, massiv sanktioniert. Der Westen will es nun in die Knie zwingen. Die wirtschaftlichen Schäden werden auch Russland nachhaltig treffen. Das Vertrauen im Westen in Putin und die russische Führung ist schwer gestört, wenn nicht sogar gänzlich zerstört.

Man konnte seit Ende Februar ahnen, dass das alles genau so verläuft. Die Frage stellt sich: warum hat sich Russland, trotz dieser sehr schlechten Aussichten, entschlossen, die Ukraine anzugreifen? Weshalb geht Russland dieses große Risiko ein? Es kann dafür nur einen elementaren, ganz grundsätzlichen Grund geben, der, wie ich finde, hierzulande kaum wahrgenommen wird. Russland ist durch die NATO bedroht. Die Angst ist berechtigt. Gegenüber der NATO ist Russland in einer schwächeren Position. Woran kann man das festmachen? An Zahlen: Russland gab 2014, dem Jahr der Krise um die Krim und den Krieg um den Donbass, knapp 85 Milliarden Dollar für Rüstung aus, im letzten Jahr nur noch 62 Mrd., die NATO 2014 elfmal so viel, im letzten Jahr sogar das 19fache wie Russland. Die NATO hat allein 2 Millionen Soldaten in Europa, Russland nur 540.000. Also Russland ist gegenüber der NATO in der Defensive. Doch nicht nur an Zahlen kann man die NATO-Überlegenheit sehen: Putin stellt in seiner Rede an die Nation am 21. Februar, drei Tage vor Kriegsbeginn, fest, dass die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO im Zusammenhang mit der Kündigung des INF-Vertrages es den USA ermögliche, Raketen in die Ukraine zu stellen. Er sprach von sich in der Entwicklung befindlichen Hyperschall-Schlagmitteln. Sie benötigten von Charkiw bis Moskau nur eine Flugzeit von 4 bis 5 Minuten. Und wörtlich: „Das bezeichnet man als ‚das Messer am Hals‘“. Ich kann das nachvollziehen.

Was ging dem voraus? USA und NATO waren auf die von Russland immer wieder erbetenen Sicherheitsgarantien nicht eingegangen. Eine neutrale Ukraine kam für die NATO nicht in Frage. Mitte Februar schien es, dass Bundeskanzler Scholz bei Selenski Erfolg hatte, endlich Minsk II zur Lösung des Donbass-Problems umsetzen zu wollen. Selenski hatte zugesagt, die nötigen Gesetze ins Kiewer Parlament einzubringen, somit den Verhandlungsweg zu beschreiten. Das war alles in Russlands Sinn. Scholz sah sich am 15.2. auf dem Rückflug von Moskau nach Berlin schon als derjenige, der die Kuh vom Eis geholt hat. Zugleich jedoch eskalierte der Krieg an der Kontaktlinie im Donbass. Selenski und die USA machten Russland dafür verantwortlich, denn, so sagten beide, Putin wolle einen Vorwand schaffen, um die Ukraine zu überfallen. Eine Analyse der OSZE-Berichte für diesen Zeitraum macht jedoch deutlich, dass es genau umgekehrt war: die Kiewer Seite forcierte den Krieg an der Kontaktlinie, um Russland die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hätte Blinken am 18. und Selenski am 19.2., wie wenige Tage zuvor versprochen, den Weg über Minsk II offiziell angehen können. Sie hätten klar sagen können, Leute, wir wollen Verhandlungen, wir wollen keinen Krieg. Sie taten es nicht! Im Gegenteil: Mit dem Hinweis auf die angebliche Eskalation im Donbass durch die Russen forderte Selenski vom Westen Waffen und die NATO-Mitgliedschaft. Beide pfiffen auf den Verhandlungsweg.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die USA und Selenski den Angriff Russlands bewusst provoziert haben, um Russland dafür zu verurteilen, Russland zu isolieren und Russland durch gnadenlose Sanktionen in den Ruin treiben zu können.

Diesen Ruin verhindern soll der am 4. Februar geschlossene historische Freundschaftsvertrag zwischen Russland und China, der festschreibt, dass diese Freundschaft keine Grenzen kenne. China hat kein Interesse daran, dass es in Russland zu einem Regime-Change kommt und USA und NATO als Folge dessen an der Nordgrenze Chinas auftauchen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

was wir brauchen, sind Verhandlungen, die am Ende Russland und der Ukraine Sicherheitsgarantien geben und der Ukraine einen neutralen Status.

Ich hatte erwähnt, dass Russland im Falle der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, Angst vor der Stationierung von Hyperschall-Raketen dort hat. Ich muss diese Raketen hier nochmal ansprechen, weil sie Deutschland direkt betreffen.

Die Hyperschall-Waffen mit der kurzen Flugzeit von 4 bis 5 Minuten von der Ukraine nach Moskau heißen „Dark-Eagle“, also Dunkler Adler. Die US-Regierung lässt mit „oberster Priorität“ diese präzisen Hyperschallwaffen von Lockheed Martin entwickeln.

Das ist die Firma, die früher auch die Pershing II als Enthauptungsschlagwaffe gegen die Sowjetunion entwickelt hat. „Dark Eagle“ sollen auch nach Europa kommen. Tatsächlich zu rechnen ist damit im Jahr 2024. Das Kommando und die Zielplanung soll von einer „Multi Domain Task Force“ ausgeführt werden, die bereits in Wiesbaden, wo das US-Heereskommando Europa ist, eingetroffen ist. Das ist dieselbe Einheit, die in den 80er Jahren die Pershing II führte. Auch die Kanoniereinheit ist die von damals und sie ist wieder in Grafenwöhr. Deshalb ist es gut möglich, dass „Dark Eagle“ nach Grafenwöhr kommen. Aber es ist durchaus auch möglich, dass sie woanders in Europa aufgestellt werden. Von Grafenwöhr benötigt „Dark Eagle“ 10 Minuten bis Moskau.

Vor diesen Waffen muss sich Russland fürchten. Ihr Sprengkopf ist konventionell. Durch abrupte Kursänderungen überwindet er jede Abwehrtechnik und lässt kein erfolgreiches Weglaufen mehr zu, weil die Vorwarnzeit dafür zu kurz ist. Der Preis nur einer „Dark Eagle“ liegt bei über 40 Millionen Dollar. Das heißt, das Ziel muss wertvoller sein als die Rakete. Das Ziel ist ein bewegliches Ziel, dass sich kurzzeitig in einem oberirdischen Gebäude aufhält. Es kann nur mit rasend schnell anfliegenden Sprengkörpern getroffen werden. Es ist als Mordinstrument gegen Putin und die russische Regierung konzipiert. Die „Dark Eagle“ taugen nur als Angriffswaffe zur Enthauptung eines Staates.

Egal wo die Waffen, die auf LKW und in Flugzeugen transportiert werden können, in Europa stationiert werden, ihre Kommandozentrale ist in Wiesbaden. Kann jemand ermessen, in welcher Gefahr diese Stadt ist, sollte es zu einer Stationierung der „Dark Eagle“ kommen? Putin sagte, er verspüre das Messer am Hals. Würde Wiesbaden von Russland angegriffen werden? Würde die übergeordnete US-Zentrale EUCOM in Stuttgart angegriffen? Wie sehr ist unser Leben in Gefahr, wenn „Dark Eagle“ nach Europa kommen? Die Antworten kennen wir nicht. Allein die Fragen sind beängstigend genug.

Was folgt als Schlussfolgerung für die Friedensbewegung daraus?

Es muss verhindert werden, dass „Dark Eagle“ nach Europa kommen! Die Öffentlichkeit muss von „Dark Eagle“ erfahren, nur so ist dieser extrem lebensgefährliche Wahnsinn zu verhindern!

Hinzu kommt der gewaltige Aufrüstungskurs der Bundesregierung. Wir haben als Friedensbewegung seit Jahren gegen die Aufrüstung der Bundeswehr gekämpft. Seit Jahren gehen wir für die Forderungen „Abrüsten statt Aufrüsten“ auf die Straße und sammeln Unterschriften. Seit Jahren verlangen wir den Abzug der US-Atombomben aus Büchel und wollen die Nukleare Teilhabe abschaffen. Seit Jahren fordern wir von den Bundesregierungen Entspannung statt Konfrontation mit Russland.

Die NATO-Osterweiterung, die Manöver an der NATO-Ostgrenze und die Umsetzung des Zwei-Prozentziels der NATO, sind genau die Konfrontation, vor der wir gewarnt haben. Russland fühlt sich in die Enge getrieben und wir sehen, was daraus folgt.

Grotesk ist, dass die Bundesregierung als ersten Akt nach dem Angriffsbeginn auf die Ukraine nichts Besseres zu tun hat, als diesen seit 2014 betriebenen Aufrüstungskurs massiv zu beschleunigen. Nicht erst 2031 sollen zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr ausgegeben werden, sondern bereits in diesem Jahr. Das Ziel eines Zwölf-Jahresplans der Aufrüstung, der 2019 begann, die Feuerkraft der Bundeswehr zu verdoppeln, soll so schon vorher erreicht werden. Das Ausgabenniveau für die Bundeswehr wird so von 53 Milliarden (nach Kriterien der NATO) im letzten Jahr auf rund 80 Milliarden Euro jährlich hochkatapultiert. Und die Hochrüstung soll dauerhaft sein. Deutschland will sich so nicht nur zur wirtschaftlichen, sondern auch zur militärischen Führungsmacht in Westeuropa machen.

Ein kurzer Blick auf die teuersten Waffen, die mit den Zig-Milliarden angeschafft werden sollen, macht die Dimensionen deutscher Aufrüstung deutlich:

35 F-35-„Tarnkappenbomber“ sollen in den USA für 9 bis 15 Milliarden Euro gekauft werden. Sie sind auf dem Radar schlecht zu erkennen und sollen die in Büchel gelagerten 15 bis 20 US-Atombomben gegen gebunkerte Kommandozentralen in Russland tragen können. Die USA lassen die Atombomben so modernisieren, dass sie unterirdisch detonieren können. Diese Waffen eignen sich für Überraschungsangriffe.

Oberste Priorität für Kanzler Scholz hat das neue Kampfflugzeugprojekt FCAS, das mit Frankreich und Spanien zusammen bis 2040 entwickelt sein soll. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz soll es Drohnenschwärme autonom steuern. FCAS soll atomar bewaffnet werden können. Das Projekt ist so gigantisch, dass es fünfmal teurer wird als das bisher teuerste europäische Projekt, der Eurofighter. Die Kosten allein des deutschen Anteils dürften zwischen 120 und 150 Milliarden Euro liegen. Das Ziel ist, der EU damit eine weltweite Luftüberlegenheit zu verschaffen.

Ebenfalls oberste Priorität für Scholz hat das mit Frankreich zusammen beabsichtigte Projekt einer neuen Kampfpanzergeneration. Bis 2035 soll ein Hightech-System entwickelt werden, bei dem Robotik und Hochgeschwindigkeitsraketen eine entscheidende Rolle spielen. Man beabsichtigt damit, einen militärischen „Gamechanger“ auf dem Schlachtfeld zu haben. Die Hersteller gehen in Europa von einem Bedarf von 5.000 Kampfpanzern im Wert von 75 Milliarden Euro aus.

Von dem 100 Milliarden Sondervermögen, die in Wirklichkeit Schulden sind, will Scholz allein 20 Milliarden Euro für Munition ausgeben.

Das sind nur die dicksten Brocken. Weitere erspare ich uns.

Was ist zu tun?

Erstens: Es geht darum den Ukraine-Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Die Bundesregierung soll aufhören, weiter durch Waffenlieferungen Öl ins Feuer zu gießen. Sie soll deeskalierend wirken.

Zweitens: Wir müssen „Dark Eagle“ in Europa verhindern. Sie drohen die Lage total zu destabilisieren.
Drittens: Wir müssen eine breite Bewegung werden, die den Aufrüstungswahn hierzulande verhindert.

Kriegen wir das hin? Wir müssen!

Wie ist es mit der Idee, in den Stadtteilen, Universitäten, Betrieben und Kirchengemeinden Friedensinitiativen ins Leben zu rufen? Das haben wir vor über 40 Jahren aus Not schon mal gemacht. Damals ging es gegen die Pershing II und Cruise Missiles. Heute ist die Not größer als damals. Packen wir’s an!

Danke.
 

Lühr Henken ist Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag (www.Friedensratschlag.de), Herausgeber der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik (https://jenior.de/produkt-kategorie/kasseler-schriften-zur-friedenspolitik/) und arbeitet mit in der Berliner Friedenskoordination (http://www.frikoberlin.de/).