Redebeitrag für den Ostermarsch Bremen am 16. April 2022

 

- Sperrfrist: 16. April 2022, Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort
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Liebe Freundinen und Freunde,

krieg ist ein Verbrechen und gehört als Mittel der Politik geächtet. Je mehr Rüstungsgüter Deutschland liefert und sich an der Aufrüstung der NATO-Ostflanke beteiligt, desto mehr wird es selbst zur Kriegspartei. Die Gefahr eines Flächenbrands in Europa mit nuklearem Ausgang droht so sehr wie seit Jahrzehnten nicht.

Wir sind uns einig über die Verurteilung des russischen Einmarschs in die Ukraine. Die Entscheidung von Präsident Putin zu diesem Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen.

Allerdings kommt dieser Krieg nicht aus heiterem Himmel. Er kündigte sich seit mehr als 20 Jahren an. Von 1990 - vom Wortbruch gegenüber Gorbatschow in der Frage der NATO-Osterweiterung, über die einseitige Kündigung der Rüstungsbegrenzungsverträge bis zum Aufbau des NATO-Raketenschirms an den Grenzen Russlands - bis heute kennt das Agieren von NATO und EU im Osten Europas nur eine Richtung: Eskalation.

Mittlerweile liegen die Militärausgaben der NATO-Staaten 17-mal über denen Russlands und sollen noch weiter massiv steigen.

Auch Russland rüstet auf, vor allem mit neuartigen Waffensystemen, wie Hyperschallraketen, und formuliert seinerseits eine zunehmend nationalistische außenpolitische Doktrin. Auch das ist der falsche Weg.

Die Bundesrepublik nimmt spätestens seit 2014 aktiv Partei für die Kräfte der Eskalation im Westen, und für die rechts-nationalistische Führung in Kiew. Auf den Ukraine-Krieg reagiert auch die neue Ampel-Regierung ganz in diesem Sinne - mit Waffenlieferungen in ungeahntem Umfang, einem beispiellosen Aufrüstungspaket, Sanktionen und dem möglichst vollständigen Bruch aller Beziehungen nach Russland.

Der einzige Profiteur dieser desaströsen Politik hierzulande ist die Rüstungsindustrie. Seit Kriegsbeginn haben sich die Aktienkurse der Rüstungsunternehmen um ein Vielfaches erhöht.

Doch wer Waffen liefert, will keinen Frieden, wie Bundeskanzler Scholz behauptet, sondern macht sich schuldig an noch mehr Tod und Zerstörung und ist mitverantwortlich dafür, dass der Krieg noch länger und noch blutiger wird, dass eine Verhandlungslösung in noch weitere Ferne rückt.

Keine Frage: Der russische Angriff ist völkerrechtswidrig, ungerechtfertigt und wird mit großer Brutalität geführt.

Doch das Gerede von einer „Zeitenwende“ ist ahistorisch. Es ist bei weitem nicht das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass eine militärische Großmacht ein anderes Land überfällt, um dessen Grenzen im eigenen Interesse zu ändern. Die kriegsbegründende Rhetorik der russischen Regierung nimmt offenkundig Anleihen bei der Rhetorik der NATO-Staaten, als sie 1999 Jugoslawien überfielen: Es gelte, einen „Genozid“ zu verhindern und einem verbrecherischen Regime die Waffen aus der Hand zu schlagen. Dass dabei Zivilisten zu Schaden kommen, wird von kriegführenden Parteien immer in Kauf genommen, das war bei den kriegführenden NATO-Staaten in Jugoslawien nicht anders, und auch nicht bei den kriegführenden NATO-Staaten 2003 im Irak, 2012 in Libyen - oder eben heute in der Ukraine. Nicht zuletzt deswegen muss alle Kraft auf die rasche Beendigung des Krieges statt auf seine Verlängerung gerichtet werden!

Die einzige Haltelinie für die deutsche Kriegspolitik ist im Moment (!) noch ein eigener Kampfeinsatz von Bundeswehrsoldaten. Doch die Logik der militärischen Eskalation ist vorhersehbar. Deutschland beteiligt sich mit eigenen Truppen an der weiteren Verstärkung der NATO-Ostflanke.

Wurde vor Beginn des Krieges noch erörtert, sogenannte Defensivwaffen zu liefern, ist man inzwischen schon bei schwerem Kriegsgerät angekommen. Doch dies provoziert die russische Seite weiter und verlängert nur den Krieg und damit die Opferzahlen und Zerstörung.

Und es riskiert den 3. Weltkrieg: Nicht nur die von Polen ins Gespräch gebrachte sogen. „NATO-Friedenstruppe“ und die von Selenski vehement geforderte Flugverbotszone würde nichts weniger bedeuten, als dass die NATO direkt in einen Krieg gegen Russland eintritt – auch der Tod von NATO-Soldaten bei der Bekämpfung eines solchen Waffentransports z.B. wäre ein solcher worst case. Eine nukleare Eskalation wäre dann sehr wahrscheinlich.

Wer auf eine „Abnutzung“ der russischen Militärmacht hofft oder gar auf ein Szenario wie in Afghanistan setzt, nur „damit Putin nicht gewinnt“, muss sich klar machen: Sie hilft der Ukraine nichts. Etwas anderes zu behaupten, wäre zynisch, wie ein Blick auf Afghanistan zeigt, das nach 40 Jahren Krieg ein vollständig zerstörtes Land ist. Es ist nicht im Interesse der ukrainischen – wie auch der gesamteuropäischen – Bevölkerung, mit noch mehr Waffen einen noch längeren Krieg zu provozieren, sondern alle Kraft in eine Verhandlungslösung zu investieren. Hierbei müsste die Bundesregierung – schon angesichts unserer deutschen Verantwortung für den faschistischen Vernichtungskrieg gegen beide Länder - eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Doch mit jedem Waffenexport aus Deutschland wird diese Chance geringer, weil Deutschland sich damit praktisch zur Kriegspartei macht.

Die militärische Eskalation wird vom Westen flankiert durch einen bislang beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Russland „ruinieren“ zu wollen, wie Außenministerin Baerbock verkündete, ist im Vergleich zu den Rüstungslieferungen sogar noch eine weit drastischere Kampfansage an Moskau. Man muss in die schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte zurückgehen, um eine ähnlich martialische Äußerung eines deutschen Außenministers gegen irgendein Land zu finden. Wer die russische Wirtschaft zerstören will, hat sich von der Legende „gezielter“ Sanktionen gegen die wirtschaftliche und politische Elite des Landes verabschiedet. Zum Kriegsgegner wird so unversehens die gesamte russische Bevölkerung. Dass Wirtschaftssanktionen nicht weniger tödliche Folgen haben können als Bombardements, dürfte heute bekannt sein.

Ob die Sanktionen gegen den Irak oder gegen Syrien – Hunderttausenden Menschen fehlten dadurch Medikamente und der Zugang zu Lebensmitteln. Die Sanktionen gegen das afghanische Taliban-Regime verschärfen die humanitäre Lage in dem Land noch mehr. Sanktionen töten.

Sie haben aber weder im Iran, noch im Irak, noch in Syrien zu einer Schwächung der jeweiligen Regierung geführt. Warum sollte das jetzt gegenüber Russland funktionieren?

Dieser Wirtschaftskrieg gegen Russland muss auch von den eigenen, europäischen Gesellschaften bezahlt werden und neben der ukrainischen und russischen Bevölkerung wird auch die Bevölkerung in der Europäischen Union zu den Verlierern gehören. Gewinner werden die USA sein, die dadurch ihr umweltschädliches Fracking-Gas nach Europa verkaufen können.

Insbesondere für Deutschland gilt: Wenn es die russische Wirtschaft ruinieren will, schneidet es sich unweigerlich selbst ins Fleisch. Absatzmärkte fallen weg und gefährden Arbeitsplätze auch hierzulande, und die Energie- und Lebensmittelpreise galoppieren jetzt schon nach oben. Ein sofortiger Stopp russischer Energielieferungen würde nicht nur Millionen Russen, sondern auch Millionen von EU-Bürgern in wirtschaftliche Not stürzen – in eine beispiellose Rezession, in Arbeitslosigkeit, und buchstäblich in die Kälte. Die finanziellen Schäden – und in ihrer Folge auch die politisch-sozialen - würden diejenigen durch die Corona-Lockdowns um ein Vielfaches übertreffen.

Die Logik der militärischen, aber auch wirtschaftlichen Eskalation gegen Russland läuft darauf hinaus, Europa in eine langfristige Auseinandersetzung mit Russland zu treiben und unterminiert damit jede Perspektive auf eine Zusammenarbeit in Europa.

Nötig ist jetzt, im Gegensatz zu dieser Politik, eine sofortige Waffenruhe, und eine von der deutschen Regierung angestoßene Vermittlungsoffensive: Berlin muss anbieten, die Schirmherrschaft über Verhandlungen zwischen beiden Seiten zu übernehmen, um die Ergebnisse von Istanbul zu sichern, und diese zu einer belastbaren Verhandlungslösung aufzubauen.

Die Sicherheitsinteressen der Ukraine ernst zu nehmen, heißt nicht, sie mit Waffen aufzurüsten, sondern alle Anstrengungen dafür zu unternehmen, dass die Waffen schweigen. Für Frieden steht Rationalität. Alles andere mündet nur in eine Verlängerung des Tötens, in schwere wirtschaftliche Rezession und in irreparable politische Schäden sowohl zwischen den europäischen Staaten als auch innerhalb ihrer Gesellschaften.

Kalte Krieger wie Graf Lambsdorff, die meinen, nun auch noch einen innerdeutschen psychologischen Krieg mit innenpolitischer Feindmarkierung und Säuberungsideologie gegen FriedensdemonstrantInnen ausrufen zu müssen, gehören geächtet. Dialog und Interessensausgleich sind alternativlos.

Es bleibt dabei: Wir brauchen ein System gemeinsamer Sicherheit in Europa inklusive der Ukraine und Russlands, für umfassende humanitäre Hilfe und für die Abschaffung der Atomwaffen, um die Drohung der atomaren Vernichtung ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.

Ich freue mich, heute viele von Euch hier zu sehen.

Denn, nur wenn viele Gesicht zeigen gegen diesen Krieg, gibt es wieder eine Chance, eine deutsche Friedenspolitik zu erreichen.

Nunmehr plant die Ampel-Regierung eine Militärinvestition in Höhe von 100 Milliarden? Ein bisher nie da gewesener Aufrüstungsetat.

Wir haben mal aufgezählt was von diesem vielen Geld besser zu machen wäre.

DIE LINKE lehnt die abermalige Erhöhung des Militärhaushalts und die zusätzliche Einrichtung eines 100 Mrd. Euro-Sonderfonds für Rüstungsbeschaffungen ab.

Der Umstand, dass Pläne für ein solches Sondervermögen und eine entsprechende Projekteliste bereits im Oktober vorlagen, entzieht der Argumentation, diese Entscheidung sei eine Konsequenz aus dem russischen Einmarsch in der Ukraine, den Boden.

Ohnehin ist das immer wieder gepushte Szenario einer nur konventionellen Auseinandersetzung zwischen NATO und Russland gefährlich wirklichkeitsfremd, denn ein solcher Konflikt würde im Endeffekt immer auf eine atomare Auseinandersetzung hinauslaufen. Im Gegensatz zu über 20 Jahren ständiger wechselseitiger Verschärfung der politischen und militärischen Konfrontation braucht Europa wieder einen Paradigmenwechsel hin zu Vertrauensbildung, Entspannung und Abrüstung. Die Rüstungsspirale anzufeuern ist der sicherste Weg, um auf Jahrzehnte festzulegen, dass dies nicht stattfindet. Die Bundesregierung leistet so ihren Beitrag, die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen in Osteuropa zu verewigen.

Wenn die Bundeswehr ein reales Problem mit ihrem Material hat, dann ist es eines des internen Managements, und kein finanzielles. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass (bei einem ähnlich hohen Militärhaushalt) dort Finanz-Skandale im Zusammenhang mit Rüstungsprojekten eine Seltenheit sind. In der Bundesrepublik wird überdies schon seit 2014 versucht, dieses Problem mit Geld zuzuschütten: Seit 2013 sind die Militärausgaben um 44% gestiegen – aber geändert hat sich an der Rüstungsbeschaffungsmisere nichts, wie ein Blick in den jüngsten Rüstungsbericht zeigt: momentan sind insgesamt 13,8 Mrd. Euro Teuerung bei den größten 20 Rüstungsbeschaffungsprojekten der Bundeswehr aufgelaufen.

Die Zuspitzung durch den russischen Einmarsch in der Ukraine hat gezeigt, wie schnell die Gefahr des Umschlagens in einen nuklearen Konflikt gegeben sein kann. Gerade vor diesem Hintergrund ist die Sinnhaftigkeit der nuklearen Teilhabe der NATO durch Deutschland massiv in Frage zu stellen: Im Ernstfall macht uns diese Stationierung, wie alle möglichen Stationierungen von Nuklearwaffen in Deutschland, zum Ziel von nuklearen Raketenangriffen.

Anrede, wir verteidigen das Prinzip des Friedens als Modus internationaler Politik. Wir setzen weiterhin auf Entspannungspolitik und gerechte Wirtschaftsstrukturen. Die Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar. Wir wollen auch weiterhin einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik und stehen für gewaltfreie Konfliktlösung und grenzübergreifende Kooperation, statt Rüstungsexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Eine immer noch aktuelle Forderung: Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden und darf nicht in neue entsendet werden.

Gerade bei den Grünen, die mal meinten, eine Friedenspartei zu sein, zeigt sich, dass sie bei all diesen Einsätzen zustimmen. Wenn ich mir die Aussagen von Habeck, Baerbock, Hofreiter u.a. anhöre bleibt nur zu sagen: Ihr seid schon lange keine Friedenspartei mehr. In der Kriegsrhetorik steht ihr konservativen Kräften in nichts mehr nach.

In der öffentlichen Wahrnehmung kommt heute kaum mehr vor, dass es in den Reihen der Bundeswehr rechtsextreme und rassistische Vorfälle gab und gibt. Diese müssen weiter aufgedeckt und bekämpft werden.

Seit geraumer Zeit wird über den Einsatz von bewaffneten Drohnen diskutiert. Offenbar wird dies unter der neuen Ampelregierung weiter vorangetrieben. Wir sagen klar: Die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen muss verhindert werden. Nein zu Kampfdrohnen!

Abschließend: Frieden ist ein Menschenrecht.

Jean Jaures sagte einmal: „Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen.“

Nein zum Krieg. Die Waffen nieder!

Vielen Dank.

 

Sören Pellmann ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Partei Die Linke.