Redebeitrag für den Ostermarsch Nürnberg am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
Der Bundeskanzler nennt den Ukraine-Krieg eine „Zeitenwende“. Ja, es gibt einen schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine. Und ja, Krieg ist immer falsch.

Aber eine solche Zeitenwende darf nicht sein. Wir wollen nicht: 2 Prozent BIP für Aufrüstung - ein Sondervermögen, tatsächlich Verschuldung von 100 Mrd. für die Bundeswehr Deutschland würde mit dieser Explosion der Rüstungsausgaben in der unheilvollen Rangliste der Militärausgaben von Platz 7 auf Platz 4 aufsteigen nach den USA,China und Indien. Wer will das? Deutschland als Spitzenreiter der Aufrüstung?

Es ist einfach verrückt: Auf nur 10 Länder entfallen 75 Prozent der globalen Rüstungsausgaben, 10 von mehr als 200 Ländern. Hinzu kommt das neue Konzept NATO 2030, die NATO soll künftig weltweit eingesetzt werden, auch gegen China. Wo wurde das debattiert? Demokratisch entschieden wurde es nirgendwo.

Das ist nicht unser Verständnis von Zeitenwende. Vielmehr erleben wir eine Zeit der medialen Gleichschaltung, eine Zeit neuer Militanz und Aufrüstung, eine Zeit der Abgrenzung und Konfrontation. Das perverse Beispiel ist selbst die ARD, die eine Sendung macht mit dem Titel „Können wir Krieg?“. So hat sich die Wirklichkeit gedreht, denn heißen müsste es „Können wir Frieden?“

Wir erleben eine Zeitenwende, in der 50 Jahre Entspannungspolitik zerstört und beendet wurde, also die mühsamen Erfolge der Abrüstung, Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung – alles vorbei.
Wir erleben einen neuen Nationalismus – in Ost wie in West. Auch die Friedensbewegung diffamiert man nach „rechts offen“. Doch wir lassen uns unseren Protest nicht in eine rechte Ecke drängen. Auf diese plumpe Stimmungsmache, besser Ablenkung vom eigenen Versagen fallen wir nicht herein.

Völkisches Denken hat im letzten Jahrhundert in die beiden Weltkriege geführt. Unsere Vorgänger haben dagegen gekämpft. Die Geschichte hat gezeigt: Nationalismus und Frieden sind unvereinbar. Das gilt auch heute, wir haben mit Nationalismus nichts gemein. Im Gegenteil.

Doch was ist das für eine Zeit, in der jeder, der für Waffenstillstand und Frieden eintritt, verächtlich und niedergemacht wird?
Was ist das für eine Zeit, in der jeder, der „zu den Waffen“ ruft, von den Medien gefeiert wird? Das ist nichts anderes als eine Krise des Denkens.

Damit meine ich nicht nur die beiden Botschafter der Ukraine, deren Dreistigkeit kaum zu überbieten ist. Ich meine auch die Experten in den Talkshows wie Herrn Masala, der auf unseren Friedensappell nur dümmlich anmerkte: „Kinners, habt ihr den Schuss nicht gehört?“ Umgekehrt ist richtig: Ja, weil wir die Schüsse hören, weil wir das Leid, die Zerstörung und das Töten sehen, gerade deshalb fordern wir einen Waffenstillstand und Frieden jetzt! Das ist Vernunft und Verantwortung. Was denn sonst?

Ich meine auch Alexander Graf Lambsdorff, Außenpolitischer Sprecher der FDP, der die Friedensbewegung als Helfershelfer von Putin und als 5. Kolonne Moskaus diffamiert.
Wenn der frühere Außenminister Hans Dietrich Genscher noch leben würde, der „Zusammenarbeit“ und „gesamteuropäische Sicherheitsordnung“ als Gebote der Zeit bezeichnet hat, müsste Lambsdorff einen Ausschlussantrag stellen. Genschers Ziele sind für Herrn Lambsdorff und Frau Strack-Zimmermann offenbar realitätsferne Naivität.
Wir sind hier, weil wir diesen Unsinn stoppen wollen. Wir brauchen keine Feldherren, die nur Krieg führen wollen. Feldherrn stehen für Aufrüstung, Waffenlieferungen und Konfrontation. Wir brauchen Diplomatie und Frieden.

Unsere Zeit ist zu ernst, um sie diesen Blinden zu überlassen. Auch deshalb sind wir hier. Für uns heißt Zeitenwende: Gemeinsame Sicherheit, Abrüsten, soziale und ökologische Gestaltung der Welt. Was wir brauchen sind Aufklärung, Vernunft und Verantwortung.

Wir müssen die Eskalationsdynamik des Krieges stoppen. Krieg kennt keine Grenzen in sich.

Der Krieg ist zu einem blutigen Stellungskrieg geworden. Die schreckliche Alternative zu Frieden und Waffenstillstand in der Ukraine ist entweder ein Ausblutendes Landes und viele ermordete Soldaten auf beiden Seiten oder es ist, weil die Ukraine allein nicht gewinnen kann, eine Eskalation durch eine immer stärkere Beteiligung der NATO-Länder. Dann aber droht ein großer Krieg, sogar ein Atomkrieg.

Gerade die Menschen in der Ukraine brauchen alle Möglichkeiten für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen. Darum geht es. Alles andere heißt:
Die Ukraine zum Opfer eines geostrategischen Krieges zu machen, zum Opfer eines Weltordnungskrieges. Mehr noch: Wir leben im gefährlichsten Jahrzehnt seitdem Ende des Zweiten Weltkrieg. Die Summe und Parallelität der Krisen unserer Zeit sind beängstigend. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass unser Jahrzehnt ähnlich dramatisch enden kann. Deshalb:

Wir dürfen nicht das Verständnis dafür verlieren, dass es um globale Menschheitsgefahren geht, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Was haben wir bloß für eine Außenministerin, die das nicht begreift?

Klimakrise, die Verknappung von Rohstoffen und Lebensmitteln, die Bekämpfung von Armut und Hunger können auf der zusammengewachsenen und überlasteten Welt zu erbitterten Verteilungskämpfen führen. In einer hochgerüsteten Welt der Konfrontation droht daraus Krieg und brutale Gewalt zu werden. Auch das scheint die Außenministerin nicht zu verstehen.

Wir brauchen eine starke Friedensbewegung, das hat nichts mit naivem Pazifismus zu tun. Unsere Welt braucht Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Gemeinsame Sicherheit. Das ist die Zeitenwende, die wir brauchen für ein starkes und friedliches Europa. Und nicht die Aufrüstung und Militarisierung der Welt.
Willy Brandt forderte die Europäisierung Europas. Ein Europa, in dem die Bürger und Bürgerinnen selbst bestimmen, was für ein gemeinsames und friedliches Europa notwendig ist, und nicht die Ideologie des Militärs.
Lasst uns dafür kämpfen!

 

Michael Müller.