Redebeitrag für den Ostermarsch in Göttingen am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Freundinnen und Freunde - des Friedens und der Gerechtigkeit! Liebe Ostermarschierer,

mein Name ist Andreas Zeddel von der Friedensgruppe der evangelischen Kirchengemeinde in Altenholz. Ich bin für den ehemaligen Gesprächskreis christliche Friedensarbeit im Kieler Friedensforum aktiv und an den Vorbereitungen zum Ostermarsch beteiligt gewesen. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, so habe ich es in den Aufruf hineinformuliert - in Erinnerung an die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 1948 in Amsterdam, die damit jegliche Vereinnahmung der Religionfür den Krieg eine klare Absage erteilten. „Wenn wir Frieden wollen, müssen wir aufhören militärisch zu denken und alles tun, um den Frieden mit Verhandlungen zu erreichen“, so hat es unlängst Margit Bonin, vom Friedensforum Neumünster auf der Synode des Kirchenkreises Altholstein formuliert. „Die Welt braucht Frieden. Das Wichtigste ist, alles für einen schnellen Waffenstillstand zu
tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden.“ So formuliert es der aktuelle Aufruf „Frieden schaffen!“ Oder mit den Worten von Papst Franziskus: „Wir müssen uns alle bemühen, die Herzen zu entmilitarisieren. Wir müssen alle Pazifisten sein. Wir wollen Frieden und nicht bloß einen Waffenstillstand, der vielleicht nur der Wiederaufrüstung dient“.
3 Stimmen, die nach Wegen aus dem Leid suchen. Aber: Sie alle - wir alle - wissen, dass es keine einfachen Antworten gibt!
Die Verurteilung des Kriegs Russland gegen die Ukraine teilen alle.
Das Leid, dass dieser Krieg verursacht, sehen alle.
Den Wunsch, das Grauen zu beenden, haben wir alle.

Dennoch bin ich zerrissen. Ich weiß von vielen Friedensbewegten, dass sie sich ebenso zerrissen fühlen. Letztlich weiß keiner von uns, wie ‚richtig‘ vorzugehen ist, um den Krieg, das Sterben und die Zerstörung zu beenden.

Dem Aufruf „Frieden schaffen!“, fehlt der bekannt Zusatz „ohne Waffen“.
Und auch der Papst nannte es im September letzten Jahres „moralisch akzeptabel“ den ukrainischen Widerstand mit Waffen zu unterstützen, solange die Hilfe nicht durch lukrative Waffengeschäft  motiviert sei oder der Krieg damit eskalieren werden solleWie geht es zusammen: Das Grauen zu beenden und nicht gleichzeitig die ukrainischen Menschen in ihrem Wunsch nach freiem, gerechtem Leben und Selbstbestimmung alleine zu lassen.
Ich bin froh, dass auf allen Ebenen, bei Kirchen, Gewerkschaften und auch bei besonnenen Politikern im militärischen nicht die Lösung gesehen wird!
So wie es UN-Generalsekretär António Guterres im Februar formulierte: „Krieg ist keine Lösung – Krieg ist das Problem. Die Menschen in der Ukraine leiden sehr. Ukrainer, Russen und andere Völker brauchen Frieden. Auch wenn die Aussichten heute düster erscheinen mögen, wissen wir alle, dass ein echter und dauerhafter Frieden auf der Charta der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht beruhen muss. Je länger die Kämpfe andauern, desto schwieriger wird diese Aufgabe. Wir haben keinen Moment zu verlieren.“

Dies ist nicht zynisch, wie der ukrainische Botschafter es unter Bezug auf den Aufruf „Frieden schaffen!“ formulierte, – zynisch wäre es, sich mit dem Krieg, wie er ist, abzufinden, Waffen zu liefern und auf die Abnutzung Russlands ‚zu setzen‘. ‚Abnutzung‘ was für ein unmenschliches Unwort. „In Bachmut hat die ukrainische Armee in den letzten Wochen täglich dreistellige Verluste verzeichnet“ so berichtete der BND es deutschen Sicherheitspolitikern. Beobachter sprechen vom „Fleischwolf Bachmut“.
Es geht um das Sterben von Menschen, um den Tod des eigenen Sohnes oder Ehemannes, gar des eigenen Vaters – täglich über hundert. Gestorben wird an der Front inmitten der Ukraine.

In Deutschland wird nicht gestorben – hier geht es zu oft nur um die „richtige Meinung“, im Meinungskrieg.

Ein Friedensbeitrag Deutschland wäre es, diesen Meinungskrieg zu befrieden!
Unter dem Titel „Im Krieg für den Zweifel“ hat Elsa Koester im Januar ihre Meinung in der Wochenzeitung ‚der Freitag‘ veröffentlicht. Sie erstaunt es, dass viele bei diesem Krieg ganz genau zu wissen scheinen, was zu tun ist.

Dies gilt für den - insbesondere in den Leitmedien - transportierten Wunsch immer schneller mehr Waffen zu liefern – aber auch für den Ruf aus der Friedensbewegung keine Waffen zuliefern. Woher nehmen bloß alle ihre Überzeugung, fragt sie und hält ein Plädoyer für mehr Mut – Mut, die eigene Ungewissheit zu zeigen und damit den Weg zum Frieden zu ebnen!
Denn was wissen wir von diesem Krieg?

Ich höre Informationen zur militärischen Lage und über viele Einzelschicksale. Meldungen appellieren an meine Gefühle – ich habe die Warnung immer im Ohr: Meldungen in Zeiten des Krieges lassen sich nicht überprüfen. Und gleichzeitig sehe ich die Not und das Grauen.
Ich sage Ihnen: mir geht es wie Elsa Koester: Ich zweifle.
Ich zweifle an den Waffenlieferungen, und ich zweifle am waffenfreien Weg zum Frieden. Dann ja – ich habe mich gefreut über die Erfolge der ukrainischen Armee im Raum Kiew und bei Charkiw. Ich sehe Putins Politik, der Menschen verfolgt, weil sie Menschen lieben, und Menschen festnehmen lässt, die ihre Gedanken äußern und Angst und Gewalt verbreitet. Und fast scheint es so, als gäbe es doch keine andere Möglichkeit als den Krieg mit allen Mitteln zu unterstützen.

Aber dann frage ich mich mit Elsa Koester:
Was für eine politische Kultur entsteht denn im Krieg? Wie ist denn Liebe zwischen Menschen möglich, wenn der der Eine den Anderen, den Vater, den Sohn, den Bruder, den Freund umgebracht hat? Wenn jemand auf dich zielt, wie kannst du dich dann je wiede röffnen? Was für eine Politik etabliert sich denn in einem Land, in dem nationalistisches
Kriegsheldentum jede Weichheit, Zärtlichkeit und jeden Zweifel platt walzt? Ich zweifle mit Elsa Koester:
Ich zweifle an einer Weltsicht, die einen aggressiven Westen von einem defensiven Osten unterscheidet, und ich bezweifle, dass die gegenteilige Aufteilung in einen aggressiven Osten und einen defensiven Westen die Realität besser trifft.
Ich bezweifle, dass ein Mensch Frieden finden kann, der einen anderen Menschen getötet hat, und ich bezweifle, dass es dabei einen Unterschied macht, ob er in einer Angriffsarmee kämpft oder in einer Verteidigungsarmee.

Ich bezweifle, dass es eine Abkürzung zum Frieden gibt.
Ich glaube, Frieden muss gewünscht werden.

Und ich glaube, um Frieden zu wünschen, muss zuerst der Zweifel wachsen. Denn Kriege werden aus Gewissheit begonnen: aus der Gewissheit, überlegen zu sein. Erst wenn diese Gewissheit bröckelt, kann der Frieden sich durch den Zweifel am Krieg einen Weg bahnen. Das weiß ich nicht, aber das hoffe ich. Diese Einschätzung von Elsa Koester hat mich bewegt – dass, wer Frieden will, zweifeln muss.
Denn Zweifel ist die Schwester des Kompromisses.

Warum sind viele so vehement – ohne Zweifel?

Vielleicht auch darum: Weil auch wir unsere Frieden wollen. Wir alle sind ‚gestört‘, verstört, verunsichert - und auch mitfühlend.
Man findet auch seinen Frieden, wenn man Waffenlieferungen gutheißt und meint, es ist Ausdruck des Mitgefühls .Ich finde auch meinen Frieden, wenn ich mit Blick auf das dadurch verursachte Leid Waffenlieferungen ablehne und Forderungen an die Bundesregierung stelle. Ich glaube, dass es nicht darauf ankommt Waffenlieferungen gutheißen oder ablehnen um einen wirklichen realistischen Beitrag für einen Weg aus dem ukrainisch-russischen-Drama leisten.

Ein Unglück ist doch, dass sich die Bundesrepublik und Europa mit einer 100%-Unterstützungspolitik der Ukraine der Vermittlerrolle fast beraubt hat.
Und auch die Friedensbewegung ist bei einer radikalen Ablehnung der Unterstützung der Ukraine und der Nato ohne Einfluss und mit geringen Chancen wirklich friedensfördern zu wirken.

Was es braucht, ist doch Gesprächsfähigkeit! Und dann endlich Gespräche!
„Es braucht endlich eine diplomatische Offensive für Verhandlungen. Russland muss den militärischen Angriff stoppen. Russland, die Ukraine und alle anderen Beteiligten müssen sich diplomatischen Lösungen öffnen. Wir als Teil der NATO können und müssen darauf hinwirken, dass Signale der Entspannung gesendet werden.“ So steht es im Ostermarschaufruf der Kooperation für den Frieden!
Dafür stehen wir hier, dass von Deutschland Friedenssignale ausgehen! Noch sehe ich eine Chance, dass Deutschland diese Rolle einnehmen kann. Wurde doch durch das Vortasten des Kanzlers bei den Waffenlieferungen deutlich, dass er sich nicht dem Zeitdruck der Presse beugt. Diesem dauernden Wortfeuer des „Jetzt muss“, „Sofort“, diesem „Es gibt keine Alternative“. Doch!

Herr Scholz, nehmen sie sich Papst Franziskus als Vorbild!
Den Papst, der schon früher keine Gelegenheit ausgelassen hat, den Anstieg der Militärausgaben zu geißeln. Der es ausspricht, dass auf dem Rücken der Menschen auf den ferngesteuerten Schlachtfeldern, die Großmächte sich bekämpfen. Franziskus, der an gerechten Kriegen zweifelt. Franziskus, der die russische Invasion verurteilt, jedoch den Kontakt zu Putin und dem Patriarchen Kyrill sucht. Er stellt den Dialog in den Vordergrund – mit dem Blick auf alle Akteure: Er bittet Putin, die Gewaltspirale zu beenden.
Und er spricht uns an: „Fragen wir uns: Wurde alles getan, um den Krieg zu stoppen? Ich appelliere an alle, die in den Nationen Autorität haben, dass sie sich konkret für ein Ende des Konflikts einsetzen, für eine Waffenruhe und für Friedensverhandlungen. Möge der leidgeprüften Ukraine, die durch die Gewalt und die Zerstörung des grausamen und sinnlosen Krieges, in den sie hineingezogen wurde, so sehr gelitten hat, Frieden widerfahren. Möge bald eine neue Morgendämmerung der Hoffnung über diese schreckliche Nacht des Leidens und des Todes hereinbrechen! Möge man den Frieden wählen. Man möge aufhören, die Muskeln spielen zu lassen, während die Menschen leiden. Bitte, bitte: Gewöhnen wir uns nicht an den Krieg, setzen wir uns alle dafür ein, von unseren Balkonen und auf den Straßen mit lauter Stimme den Frieden zu verlangen! Frieden!
Diejenigen, die für die Nationen Verantwortung tragen, mögen auf den Schrei der Menschen nach Frieden hören.“
Ja, die Satzmelodie solcher Bitten ist eine andere als die Forderungen hier auf der Straße. Aber gemeint ist genau das, was im Ostermarschaufruf der Kooperation für den Frieden
steht: „Die Beteiligten müssen von Maximalforderungen abrücken und einen vorläufigen Kompromiss über die umstrittenen Gebiete finden. Auf die Verhandlungsparteien kommen schwierige Fragen zu um das Souveränitätsrecht von Staaten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die individuellen Menschenrechte. Langfristig könnten unter UN-
Aufsicht durchgeführte Referenden Lösungswege eröffnen.“ Wir müssen konkret werden und - mutig hoffen: dass die Politik die Vorschläge zur Deeskalation aufgreift. Der Westen hätte Russland viel an Sicherheit anzubieten! Z. B. wenn für einen gemeinsamen Vertrag der Abzug der Atomsprengköpfe aus Europa und der Türkei in Aussicht gestellt würde. Wenn wir erkennbar bereit wären, nicht institutionelle Feindschaft, sondern Ausgleich und Sicherheit anzustreben. Diese Strategie wird „Altercasting“ genannt – das diese Strategie funktioniert, hat uns - - der Russe - - Gorbatschow vorgemacht.
Ich glaube an die Würde und Unersetzlichkeit eines jeden Menschen. Eines jeden ukrainischen, russischen, deutschen, syrischen, israelischen, palästinensischen und afghanischen Menschen. Mit jedem getöteten Menschen, stirbt ein einmaliges Universum. Der Ostermarsch trägt das ‚Ostern‘ im Namen.

Ostern ist die Hoffnung, die nicht stirbt, die - sogar im Angesicht von Leid, Willkür, Hass und dem gewaltsamen Tod Unschuldiger - nicht stirbt.
Ich wünsche Ihnen ein stärkendes Osterfest!

 

 

Andreas Zeddel tätig bei der christliche Friedensinitative Altenholz.