Redebeitrag für den Ostermarsch in Berlin am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Moin liebe Friedensaktive,

ich freue mich, dass wir heute so zahlreich zusammengekommen sind, um die Aufgabe unserer Zeit gemeinsam wahrzunehmen.

Die dringliche und erfreuliche, weil menschliche Aufgabe in der aktuell historischen Situation ist: Radikaler Pazifismus – im wahrsten Sinne des Wortes. Pazifismus kommt vom lateinischen Wort für Frieden – pax und für machen – facere: den Frieden schaffen – ohne Waffen. Jeder Mensch hat das Recht auf ein würdiges Leben rund um den Globus, der gesellschaftliche Reichtum ist dafür ausreichend von uns 99 Prozent entwickelt. Deswegen kommt es darauf an, dass wir mit der zügigen Beendigung des Ukraine-Kriegs durch Verhandlungen den Anfang für eine Weltfriedensordnung machen, die auf der UN-Charta, auf Gleichheit und Gerechtigkeit basiert.

Pazifismus – Das ist doch gescheitert und bequem, nicht möglich? Ja, das soll uns eingeredet werden. Doch diese Aufgabe ist möglich, weil wir sie uns stellen. So wie es Marx 1859 im Vorwort von „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ herausarbeitet: „Die Menschheit [stellt] sich immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.“ Und genau dazu, wie es möglich ist, möchte ich in den nächsten Minuten einige Thesen und Ausblicke schaffen.

Mit dem Ende der verheerende Sanktionspolitik und der dadurch Erleichterung des Getreideexports aus der Ukraine läuten wir die gerechte Verteilung der vorhandenen Ressourcen ein, um die Hungerkrise weltweit zu beenden. Mit Gebrauch des Gases aus Russland als Brückentechnologie, statt dem schmutzigen Fracking-Gas aus den USA, eröffnen wir den technologisch längst entwickelten Umstieg auf erneuerbare Energien, welche in öffentlicher Hand demokratisch sein müssen. Mit der Deeskalation der Atomkriegsgefahr und akuter Abrüstung, verbreiten wir den errungenen Atomwaffenverbotsvertrag.

Diese realen und damit realistischen Möglichkeiten bringen uns weltweit zusammen, gegen die interessierte Seite, die diese Möglichkeiten mit Aufrüstung, Krieg und Umverteilung nach Oben brutal zu hemmen versucht.

Diese Möglichkeiten bringen uns zusammen, um im besten Kant’schen Sinne den Mut für die eigene Vernunft zu entfalten, unsere Welt menschlich zu gestalten. Dieser Mut bestimmt den Aufbruch gerade im Globalen Süden, wo sich die Bevölkerungen aus dem bisherigen Hinterhof der USA aufmachen, mit wachsendem Selbstbewusstsein für Frieden, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf der Weltbühne einzugreifen. Die klare Nicht-Beteiligung am westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland und China, sowie die zahlreichen Friedensinitiativen zeugen davon.

Darauf fußt auch der kürzlich vorgelegte Friedensplan von China, abgestimmt mit 90 weiteren Staaten. Die Stärke dieses klugen Plans ist die Entwicklungsperspektive – mit grundlegenden Maßstäben zur Diplomatie und Allgemeinwohlentwicklung: Die Souveränität eines jeden Landes ist zu respektieren, die Weltwirtschaft darf nicht zu politischen Zwecken missbraucht werden und humanitäre Krisen müssen sofort beigelegt werden. Putin und Selensky haben sich schon offen gezeigt. Die Regierungschefs Spaniens und Frankreichs begrüßen ihn. Und hierzulande? Die deutsche EU-Kommissionschefin Von der Leyen lehnt nicht nur den Friedensplan ab, sondern kündigte an, den Kurs gegenüber China verschärfen und die Beziehung neu ausrichten zu wollen, zusammen mit den USA. Ganz schön irre und zynisch, wo doch mehr Kooperation weltweit nötig ist. Wir brauchen eine soziale und zivile Zeitenwende.

Dafür die profane und doch so aufklärerische Frage: Wem nützt eigentlich der Krieg? Rheinmetall, der knapp 125 Jahre alte, deutsche Rüstungskonzern, (Wir erinnern uns, der Erste der zwei von deutschem Boden aus begonnenen Weltkriegen liegt 109 Jahre zurück) fährt aktuell Rekordgewinne und damit in die Riege der DAX-40-Unternehmen ein. BlackRock, dem 8 Prozent an Rheinmetall gehört, steht schon in den Startlöchern, um nach der Zerstörung der Ukraine am Wiederaufbau ein zweites Mal massiv Profite einzufahren. Die Energiekonzerne verdienen sich durch ihre mit dem Wirtschaftskrieg geschürte Preispolitik eine goldene Nase. Während der Armutsstand in der BRD auf dem Höchststand ist. Es ist diese Freiheit, die Freiheit des Kapitals und Marktes, die in der Ukraine verteidigt werden soll. Es ist kapitalbegünstigende Politik zum Schaden des Allergrößten Teils der Weltbevölkerung, die mit Angst und Einschüchterung arbeitet, dass die Gefahr in zum Feind erklärten Ländern und nicht in den Chefetagen liegen würde und die Welt nur schlechter werden könne.

Doch: Die humane Alternative ist mit dem Völkerrecht längst errungen und kann mit dem geschaffenen Reichtum weltweit realisiert werden. Was macht das Völkerrecht aus? Die UN-Charta ist ein Arbeitsprogramm für die gemeinsame Humanisierung der Welt, um durch sozialen Fortschritt, die Menschheit vor der Geißel des Kriegs zu bewahren. Sie ist, geschaffen als Schlussfolgerungen aus dem deutschen Faschismus, zwei Weltkriegen und dem Abwurf von Atombomben für das Nie Wieder!, das, was wir brauchen: Die Friedensordnung für eine multipolare Welt.

Der Michael von Schulenburg, ehemals hochrangiger UN-Diplomat in vielen Kriegs- und Kriesenregionen der Welt, arbeitet in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag heraus: „Denn im Kern ist die UN-Charta eine gegenseitige Verpflichtung aller Mitgliedsländer, Konflikte friedlich zu lösen; nur darauf beruht der allgemeine Bann der Anwendung militärischer Gewalt zu politischen Zielen – und nicht umgekehrt. Die UN-Charta ist eben kein globales Waffenstillstandsabkommen, sondern eine Aufforderung an alle Mitgliedsländer, durch friedliche Mittel einen weltumspannenden Frieden zu garantieren. Die Charta ist zuerst ein Friedensgebot und erst dann ein Kriegsverbot!“

Das bedeutet, dass die aggressive NATO-Osterweiterung dieses Friedensgebot ausdrücklich missachtet, und das Völkerrecht zutiefst verletzt hat. Dass Russland darauf ebenfalls mit Völkerrechtsbruch reagiert, ist grundfalsch und nicht alternativlos: Wo das Völkerrecht angegriffen ist, müssen wir es erst Recht wahrnehmen. Auch gegen die Behauptungen von Regierenden in der BRD, man dürfe der Ukraine doch nicht vorschreiben, wie es zu Frieden kommt, nur um diesen Krieg von hieraus weiter zu eskalieren, und damit – um es in den Worten der Außenministerin zu sagen – „Russland zu ruinieren“.

Nein, das Friedensgebot gilt. Es ist an uns, die UN-Charta zu beleben. Sie ist die zu Völkerrecht geronnene Erkenntnis aus zahlreichen Emanzipationskämpfen auf dem Weg der Menschwerdung: Eine global geeinte Menschheit ist möglich. Denn sprechen erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein. Sie ist der Horizont unserer gemeinsamen Entwicklung, den wir vom heutigen Standpunkt aus sehen können. Die UN-Charta gibt uns einen positiven Begriff des Friedens: Frieden ist die Überwindung jeglicher Form von Gewalt zur bewussten, planvollen, demokratischen und solidarischen Gestaltung global menschenwürdiger Lebensverhältnisse.

Dafür und deswegen: Friedensbewegung! Sie ist links und internationalistisch – also parteilich für das Leben, gleich für alle – oder sie ist nicht. Sie ist eine pur rationale Bewegung, weil sie das Menschheitsinteresse am stärksten vertritt, und damit wirkt über Jahrtausende und tagtäglich zum Fortschritt. Es ist die Friedensbewegung, die nicht nur einen weiteren Einsatz der Atombombe bisher verhindert, sondern das Verbot der Atomwaffen errungen hat. Es ist die Friedensbewegung, die eine EU-Armee abgewendet und weitreichende Abrüstungsverträge durchgesetzt hat. Es ist die Friedensbewegung, die Menschheitsgeschichte macht, wenn wir mit einer Volksinitiative die Rüstungsexporte über den Hamburger Hafen stoppen, im Verbund mit den Kollegen in Genua, die die Rüstungsverschiffung bestreiken, und in Le Havre, wo der Betrieb in den zurückliegenden Woche im Rahmen des Generalstreiks komplett lahm gelegt wurde. Das ist die gemeinsame Sprache der Humanität.

Liebe Friedensaktive, wir sind die positive Entscheidung der tiefen Krise des Kapitalismus, wenn wir gemeinsam wirken für bessere Arbeitsbedingungen überall, für emanzipatorische und erschwingliche Bildung und Kultur, für gesund- und nicht profit-machende Krankenhäuser, für soziale Klimapolitik, für demokratische Teilhabe in allen Bereichen, und für internationale Solidarität, Frieden und Antifaschismus! Das ist der gemeinsame und unteilbare Kampf, damit der Umbruch in eine multipolare Welt nicht zu überkommener neuer Blockkonfrontation führt, sondern zivil und sozial von uns gestaltet wird.

Wenn die schweigende, übergroße Mehrzahl dazu kommt, ihr global eigenes Interesse am Frieden begründet zu artikulieren, entfaltet sie eine entwaffnende Kraft, der sich auf Dauer niemand entziehen kann. Deswegen: Trauen wir uns mehr zu! Auf das wir uns alsbald wiedersehen, hier in Berlin zu einer bundesweiten Friedensdemo für Abrüstung und Wohlentwicklung im Sommer.

Wofür wir damit kämpfen? Dafür möchte ich zum Schluss den Hamburger Jung Wolfgang Borchert zu Wort kommen lassen. Der antifaschistische und friedensbewegte Schriftsteller, schrieb 1947:

„Und alle Lokomotiven fahren nach der neuen Stadt. Und die neue Stadt, das ist die Stadt, in der die weisen Männer, die Lehrer und die Minister, nicht lügen, in der die Dichter sich von nichts anderem verführen lassen, als von der Vernunft ihres Herzens, das ist die Stadt, in der die Mütter nicht sterben und die Mädchen keine Syphilis haben, die Stadt, in der es keine Werkstätten für Prothesen und keine Rollstühle gibt, das ist die Stadt, in der der Regen Regen genannt wird und die Sonne Sonne, die Stadt, in der es keine Keller gibt, in denen blaßgesichtige Kinder nachts von Ratten angefressen werden, und in der es keine Dachböden gibt, in denen sich die Väter erhängen, weil die Frauen kein Brot auf den Tisch stellen können, das ist die Stadt, in der die Jünglinge nicht blind und nicht einarmig sind und in der es keine Generäle gibt. Das ist die neue, die großartige Stadt, in der sich alle hören und sehn und in der alle verstehn: mon coeur, the night, your heart, the day, der Tag, die Nacht, das Herz.“

(Wolfgang Borchert, „Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck“, 1947.)

 

Franziska Hildebrandt ist aktiv im SDS Hamburg.