Redebeitrag für den Ostermarsch Hamburg am 10. April 2023

 

- Sperrfrist: 10. April 2023, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Es gibt zwei existentielle Bedrohungen für die Menschheit

  • Die Gefahr eines großen Krieges, ja sogar eines Atomkrieges – deswegen sind wir heute hier und
  • die Gefahr einer Klimakatastrophe, die große Teile der Erde, wenn nicht sogar den ganzen Planeten, für Menschen unbewohnbar macht

,António Guterres, der UNO-Generalsekretär drückte es auf der letzten Weltklimakonferenz in Ägypten so aus: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“

Übertreibt er? Leider nein. Die südliche Hälfte Pakistans versank in letzten August nahezu vollständig in der Fluten. 33 Millionen betroffene Menschen, ca. 2000 Todesopfer. Eine pakistanische Ministerin forderte von den Ländern, welche die Klimakrise verursacht haben Reparationen. Natürlich wurde über diese berechtigte Forderung hierzulande nicht berichtet.

Schwere Überschwemmungen aufgrund von Starkregen nehmen ebenso zu wie Dürreperioden und Waldbrände. Das passiert zunehmend auch in Europa, auch in Deutschland. Der steigende Meeresspiegel bedroht die Lebensräume von mehreren Hundert Millionen Menschen.

Die Folgen der Klimakrise sind seit Jahrzehnten bekannt. Warum gelingt es bisher nicht, diesen Prozess zu stoppen?
Mit der Förderung, dem Handel und der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas werden jedes Jahr Hunderte Milliarden Gewinne gemacht. Die Energiekonzerne, die Auto- und die Flugzeugindustrie, die Chemie- und Zementindustrie, die Bauwirtschaft und nicht zuletzt die Finanzkonzerne, die überall mit verdienen – sie alle haben ein Interesse daran, diese prächtigen Geschäfte noch möglichst lange treiben zu können.

Allerdings: Flugzeuge sind nur profitabel, wenn sie von vielen Menschen genutzt werden, immer größere und klimaschädlichere Autos müssen gekauft und gefahren werden – sonst funktionieren diese Geschäftsmodelle nicht.

Die Ampelregierung ist mit der Ankündigung angetreten, eine wirksamere Klimaschutzpolitik zu machen. Herausgekommen ist das Gegenteil: Dem Wirtschaftskrieg gegen Russland, der lange vor dem 24.02.22 begann, aber nach Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges erheblich verschärft wurde, werden nahezu alle von der Bundesregierung angekündigten Schritte gegen die Klimakrise geopfert.

Mit Braunkohle und Steinkohle befeuerte Kraftwerke werden länger als bisher geplant laufen oder sogar wieder reaktiviert.

Statt russischem Pipelineerdgas wird jetzt verflüssigtes Erdgas (LNG) importiert. Für die Verflüssigung und Rückverwandlung in Gas ist bis zu 25% des Energiegehaltes erforderlich. Und der Methanschlupf, also Verluste des Hauptbestandteils von Erdgas bei Förderung und Transport, ist bei LNG noch höher als bei Erdgas, das durch Pipelines transportiert wird. Methan ist 84 mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.

LNG aus den USA ist ganz überwiegend Frackinggas. Das wird von vielen Wissenschaftler:innen als nicht weniger klimaschädlich beurteilt als Steinkohle.

LNG ist erheblich teurer als konventionell gefördertes Erdgas. Außerdem führt der Wirtschaftskrieg von Nato und EU zu einer künstlichen Verknappung, was die Preise noch weiter in die Höhe treibt. Steigende Energiekosten führen zu rapide steigende Lebensmittelpreise. Die Folge: Millionen Menschen können ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen und sich und ihre Kinder nicht mehr gesund ernähren.

Für LNG-Terminals werden Milliarden ausgegeben. Die fehlen beim Umbau des Verkehrs und beim Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Weil Regierungen und Konzerne aus der EU große Mengen LNG auf dem Weltmarkt nachfragen, sind dort die Preise rasant gestiegen. Für viele arme Länder insbesondere im globalen Süden wird Erdgas zunehmend unbezahlbar, was dort zu schweren Versorgungs- und Wirtschaftskrisen führt.

Für den Hochrüstungskurs der Bundesregierung sollen in den nächsten 10 Jahren mindestens 300 Milliarden zusätzlich ausgegeben werden: 100 Mrd. im "Sondervermögen" und weitere 200 Mrd. durch die Erhöhung der jährlichen Militärausgaben auf mindestens 2% der BIP. Nicht nur ist das Militär an der Klimazerstörung massiv beteiligt, sondern diese finanziellen Mittel fehlen beim sozial-ökologischen Umbau.

Natürlich hat diese Krise auch Gewinner: Das sind insbesondere die Energiekonzerne, die Rüstungskonzerne und die Finanzkonzerne, die erhebliche Extraprofite erzielen.

Die Klimapolitik der Bundesregierung war schon bisher völlig unzureichend. Ein angemessener Beitrag zu einer Begrenzung der globalen Erwärmung bis 2100 auf deutlich unter 2 Grad kann damit keinesfalls erreicht werden.

Unter Führung von Baerbock und Habeck wird die Begrenzung der Klimakrise nun dem Wirtschaftskrieg gegen Russland und damit den geopolitischen Interessen der USA geopfert.

Dringend erforderlich sind stattdessen Verhandlungen mit Russland über die Wiederaufnahme der Erdgaslieferungen. Das wäre durchaus realistisch – wenn sich die Bundesregierung für einen Waffenstillstand in der Ukraine und Friedensverhandlungen unter Aufsicht der UNO einsetzen würde.

Verbrennung von Erdgas ist immer klimaschädlich, aber Pipelinegas ist das kleinere Übel, ökologisch und sozial. Gleichwohl muss auch dann der Verbrauch rasch zurück gefahren werden.

Zum Scheitern verurteilt ist die Strategie von EU und Bundesregierung, die Klimakrise mit ein paar technischen Neuerungen und riesigen Subventionen abzuwenden und ansonsten die Ausbeutung von Mensch und Natur fröhlich weiter zu betreiben. Das nennen sie: Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die hemmungslose Ausbeutung der begrenzten Ressourcen ist aber gerade die Ursache für die Klimakrise, für das Artensterben und anderen Entwicklungen ist, die die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören.

Mit dem Elektroauto, um nur ein Beispiel zu nennen, lässt sich die Klimazerstörung durch den Verkehr eben nicht beenden. Der Energieverbrauch und der gesamte Ressourcenverbrauch muss in den reichen Industrieländern sinken. Das verlangt eine umfassender Verringerung von Produktion und Verbrauch.

Übrigens ist die Senatspolitik in Hamburg – wo die FDP nicht mitregiert – nicht weniger Klima zerstörend.

Das Kraftwerk Tiefstack soll weitgehend auf Holz umgerüstet werden. Prima, werden Viele denken, Holz wächst ja nach. Aber es dauert 50 bis 100 Jahre, bis neue Bäume soviel CO2 gespeichert haben, wie bei der Verbrennung freigesetzt wird.

Die Produktion von Beton und Stahl ist sehr energieintensiv und führt folglich zu hohen CO2-Emissionen. Für den Bau der U5 werden riesige Mengen Beton und Stahl benötigt. Das ist deshalb das Gegenteil einer Wende zu mehr Klimaverträglichkeit des Verkehrs. Richtig wäre, stattdessen eine moderne Straßenbahn zu bauen. Dafür wird nur ein Bruchteil energieintensiver Rohstoffe benötigt. Es ginge viel schneller, vielen Menschen
eine Alternative zum täglichen Stau im eigenen Auto anzubieten und die Kosten betragen pro Kilometer etwa 1/10 zu denen einer U-Bahn.

Müllverbrennung für Fernwärme erklärt der grüne Umweltsenator zu CO2-neutral. Mehr Plastik verbrennen ist also gut für das Klima. Absurd!

Es gibt leider viele weitere Beispiele. Der Hamburger Energietisch, bei dem ich mitarbeite, hat sie auf seiner Homepage dokumentiert.

Was ist am dringendsten, um eine Klimakatastrophe zu verhindern? Ich nenne nur einige wichtige Punkte:

Natürlich wäre es schon ein guter Schritt, wenn die Produktion von Kriegswaffen komplett eingestellt würde – und deren Einsatz natürlich auch. Rüstung verursacht weltweit etwa so viele Emissionen wie der Flugverkehr.

Die reichsten 10% der Bevölkerung verursachen etwa 40% der Treibhausgasemissionen. Eine Einschränkung des hemmungslosen Luxuskonsums der Superreichen um sagen wir 25% würde die THG -Emissionen um 10% senken.

Der Verkehr hat in den letzten 30 Jahren die Emissionen nicht gesenkt, sondern sie steigen immer weiter. Immer mehr und immer größere Autos, immer mehr Flugverkehr - wobei die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung nie fliegt.
Statt Fake - Lösungen wie das E-Auto braucht es einen sehr schnellen Ausbau des öffentlichen Verkehrs und eine sehr schnelle Begrenzung des motorisierten Individualverkehrs und auch des LKW-Verkehrs.

Generell muss der Energie- und Ressourcenverbrauch in den reichen Ländern deutlich gesenkt werden, damit die Emissionen sinken und die armen Länder des globalen Südens noch eine Chance haben, aus ihrer Armut heraus zu kommen.

Die Folgen der Klimakrise werden umso schlimmer sein, je mehr Treibhausgase sich in der Atmosphäre anreichern. Dieser Prozess gehorcht Naturgesetzen. Mit denen kann nicht verhandelt werden. Sie können auch nicht verschoben werden. Entweder werden die Emissionen rasch begrenzt, oder die Klimaentwicklung gerät außer Kontrolle. Das Zeitfenster schließt sich in diesem, spätestens im nächsten Jahrzehnt.

Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Friedensbewegung und die Klimabewegung gegenseitig unterstützen.

„Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“
stellte der UNO Generalsekretär fest.

Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Wenn aber die Klimakrise nicht mehr kontrollierbar ist – zu einer Klimakatastrophe wird, - dann werden weite Teile der Erde für Menschen unbewohnbar. Konflikte ungeahnter Dimensionen werden entstehen. Es bleiben wenige Jahre, das zu verhindern. Klimaschutz ist nicht alles, aber ohne ohne radikale Maßnahmen zur Begrenzung der Klimakrise ist ebenfalls alles nichts.

 

Gilbert Siegler ist aktiv in der Klimabewegung in Hamburg.