Redebeitrag für den Ostermarsch in Limburg am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

"ich bin in Gedanken bei euch. Ich musste 1944 in Frankfurt mit meiner Familie aus Trümmern
herausgeholt werden. Alles ist besser als Krieg. Auch ein Landverlust muss verschmerzt werden
können. Über alles kann gesprochen werden, wenn erst mal die Waffen ruhen."

Das schrieb mir eine langjährige Mitstreiterin für eine bessere Welt. Sie ist nach verbreiteter Definition eine „Lumpenpazifistin“, läuft mit in „Putins 5. Kolonne“, mithin eine Verräterin. Waffenstillstand, keine deutschen Waffenlieferungen, schon gar nicht in Krisengebiete, gemeinsame Sicherheit, gerade mit dem Gegner, allgemeine Abrüstung - das waren jahrzehntelang die Forderungen der Friedensbewegung: Frieden schaffen OHNE Waffen.
Aber die Friedensbewegung hat schon lange vor 2022 oder 2014 verloren. Der Kalte Krieg ging nach 1989 weiter. Michail Gorbatschows „Gemeinsames europäisches Haus“ blieb seine Bauruine. Die Bush, Clinton, Blair, Bush, Schröder, Fischer, Scharping hatten anderes im Sinn. Schon vor der Jahrtausendwende folgte ein heißer Krieg auf den anderen. Die Friedensbewegung hat immer gesagt, laßt uns aus der Geschichte lernen. Noch jede Aufrüstungspolitik hat in den Krieg geführt und wird es wieder tun. Alles eingetroffen, zuletzt mit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine. Die Friedensbewegung ist demnach der gescheiterte Arzt am Krankenbett der Welt: Unsere Diagnose ist schlüssig und unsere Prognose ist eingetreten. Aber unsere Therapie, die keiner befolgen will, die sollen wir jetzt über den Haufen werfen? Also jetzt, Frieden schaffen MIT Waffen? Waffenlieferungen bis zum Sieg? Leoparden auf dem Roten Platz oder in Stalingrad. Da komme ich nicht mit.
Es heißt dann, nur für die Ukraine, nicht aber für andere angegriffene Länder, und auch danach nicht wieder.
Harald Schmidt sagt dazu: „Kaum ist man MAL für Waffenlieferungen und Kriegseinsätze, wird man in so eine grüne Ecke gedrängt“. Ich frage mich: Wie soll eine Friedensbewegung, die jetzt ihre Prinzipien aufgibt, dann nicht wieder hochhalten, wenn der nächste Krieg vom vom Zaun gebrochen wird?
Die „neue Rolle als Führungsmacht wird Deutschland harte Entscheidungen abverlangen“ und wir sollen „auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“ - sagt ein Nachfolger von Willy Brandt im SPD-Vorsitz, Herr Klingbeil. Eine Münchner Grüne Jugend, gibt die „Operation Barbarossa“ als Expansionspolitik Stalinsaus. Wissen Leute, die so daherreden, denn noch, wie Deutschlands Kampf um die Führungsrolle im letzten Jahrhundert ausging?
Geschichte wiederholt sich nicht, aber in die Katastrophe führen viele Wege. Wenn wir denn wenigstens eine faire, plurale, öffentliche Diskussion um diese Fragen hätten!
Soll Deutschland - wieder - eine Führungsmacht sein? Wenn ja: auf militärischen Gebiet, auf wirtschaftlichem oder welchem? Ist für dieses Ziel „militärische Gewalt [wirklich] ein legitimes Mittel“? Was würde es bedeuten, im Sinne der KSZE von gemeinsamer Sicherheit in Europa zu sprechen?
Aber von einer pluralen Diskussion darüber kann keine Rede sein. Die ARD fragt vor ein paar Tagen, ganz auf Klingbeil gestimmt: „Können wir Krieg?“ Mit unheilvoll dräuender Musik untermalt, spulen Rüstungslobbyisten im Dutzend ihre Stehsätze herunter. Für alle, denen auch das zu kompliziert ist, schüttet ein ARD-ZDF-Jugendkanal plumpe, sexistische Jauche über Wagenknecht und Schwarzer: Sie würden sich für Putin die „Schamhaare rasieren“. Und auch die selbsternannten klugen Köpfe aus Frankfurt berichten nicht ernsthaft über den jüngsten Aufruf von Peter Brandt, ja Sohn von Willy Brandt, zusammen mit Gewerkschaftern, Künstlern und Wissenschaftlern. Darunter ( ... ... ... ... ) Weil die FAZ es nicht ganz verschweigen kann, hofiert sie den Faschistenfreund Melnyk „Schert euch zum Teufel mit eurer senilen Idee ... “ usw. Das ist keine öffentliche Debatte , das ist Propaganda von ARD+FAZ+DF.
Als am 24. Februar ein rechter Covidiant (ich bin vorsichtig mit der Einordnung, unser Freispruch ist noch nicht rechtskräftig) bei unserer Mahnwache auftauchte, blieb das eine Fußnote. Als in Berlin eine Handvoll Faschisten unter Zigtausenden auftraten, ... ihr kennt das Medienecho. Ich denke, da wird ein Zweck verfolgt. Ich muß jetzt mal sagen, daß wir hier im Limburger Ostermarschkreis eine sehr solidarische, offene Atmosphäre haben, durchaus streitbar, aber immer auf das friedliche Ziel gerichtet. AUCH darüber, ob nicht doch Pazisten einmal Ausnahmen machen können, ohne ihre Prinzipien zu verraten. Aber eine solche, solidarische Diskussion bringt unsere Regierenden in Bedrängnis. Deswegen wird nun die Rechts-Keule gegen die Friedensbewegung geschwungen. Boris Romantschenko hat im Jahre 2015 noch einmal den Buchenwald-Schwur von 1945, auf russisch, vorgetragen „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einerneuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Boris Romantschenko  wurde im März 2022 beim russischen Angriff auf Charkiw  getötet. Er wurde 96 Jahre alt. Für mich haben die Häftlinge von Buchenwald, nachdem sie die SS-Wachen vertrieben haben, mit ihrem Schwur Antifaschismus und Antimilitarismus unauflöslich verbunden.
Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Nie wieder und nirgendwo.

 

Harff-Dieter Salm ist aktiv im Bündnis Courge Limburg.