Redebeitrag für den Ostermarsch in Landshut am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

 

Liebe Leute in Landshut,

schön, dass Ihr heute hier seid. Ich heiße Julian Mühlfellner, ich bin bei der Deutschen Friedensgesellschaft in München aktiv und ich möchte mich ganz herzlich bei Rosa Jaufmann-Keil und der Friedensinitiative Landshut für die Einladung bedanken, heute hier sprechen zu dürfen.

Es gibt so viel zu sagen. Ich bin immer wieder fassungslos, wie sich die Ereignisse überschlagen und ich war heillos überfordert damit, einen kohärenten Text für diese Rede zu schreiben.

Um nur ein paar Beispiele aktueller Krisen zu nennen: die eskalierende Gewalt in Israel, hauptsächlich vonseiten israelischer Sicherheitskräfte gegen Palästinenserinnen und Palästinenser und arabische Israelis. Der türkische Terror gegen die kurdische Zivilbevölkerung in der Türkei, Syrien und Irak. Die Hölle auf Erden, die die Menschen im Stellvertreterkrieg zwischen Saudi Arabien und Iran im Jemen immer noch durchmachen.

In all diese Kriegs- und Krisengebiete liefert Deutschland Waffen (siehe SIPRIs Arms Transfers Database). Wenn also hierzulande Waffenlieferungen in Kriegsgebiete damit entschuldigt werden, dass sie der Verteidigung von Freiheit und Demokratie dienen, dann ist das eine durchschaubare und zynische Lüge. Saudi Arabien fördert nicht die Demokratie, indem es im Jemen wahllos Hochzeiten, Beerdigungen und Schulbusse bombardiert.

Aber auf all das kann ich jetzt nicht näher eingehen. Denn mit dem Schlagwort “Waffenlieferungen” sind wir leider schon wieder bei dem einen, allumfassenden Thema, das allen anderen Themen das Licht raubt. Denn in Deutschland, beziehungsweise in deutschen Medien, existiert kein Krieg, außer dem Krieg in der Ukraine. Es existiert auch kein Klimawandel, kein Artensterben, keine existenzielle Bedrohung mehr, außer dem Krieg in der Ukraine.

Die Militarisierung des Denkens und des öffentlichen Raumes – ganz zu schweigen von der tatsächlichen Aufrüstung – die wir in Deutschland gerade durchmachen, wird fast ausschließlich mit dem Krieg in der Ukraine begründet. An der Frage des Umgangs mit diesem Krieg entscheidet sich momentan die Zukunft der deutschen und europäischen Außen- und “Verteidigungs”politik.

Weil dieses Thema so zentral ist, denke ich, müssen wir nach über einem Jahr darüber reden, was die Friedensbewegung erreicht hat – beziehungsweise was sie nicht erreicht hat. Und was wir vielleicht anders machen können, um mehr zu erreichen.

Wir haben eine leichte Verbesserung gesehen in den Umfragewerten bezüglich Waffenlieferungen, die jetzt weniger Menschen in Deutschland unterstützen als letztes Jahr. Und es bewegen sich jetzt viel mehr Menschen auf die Straße unter dem Slogan “Frieden schaffen ohne Waffen”, auch wenn viele dieser Menschen der traditionellen Friedensbewegung nicht geheuer sind, weil sie oft eng vernetzt sind mit der sogenannten Querdenker-Szene und rechten Kräften (siehe z.B. Melchior Ibing, Organisator der “Macht Frieden”-Demo in München). Aber dazu haben wir schon etwas von Rosa gehört.

Ob diese Ergebnisse irgendwie auf die Aktivitäten der Friedensbewegung zurückzuführen sind, ist schwierig zu bestimmen. So oder so liegt die Vermutung nahe, dass weder der leichte Umschwung in Umfragewerten noch der neue Friedensaktivismus in absehbarer Zeit dazu zu führen werden, dass sich an deutscher Politik tatsächlich etwas ändert.

Da muss sich aber etwas ändern. Wir haben eine lange Liste an Forderungen, nachzulesen im Ostermarsch-Aufruf der Friedensinitiative Landshut, zum Beispiel:

  • Den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine,
  • den Stopp aller Rüstungsexporte, auch in die Ukraine,
  • keine Militarisierung der Gesellschaft und keine Wiedereinführung der Wehrpflicht und
  • die Aufnahme von Geflüchteten und den menschenwürdigen Umgang mit ihnen.

Doch eines der vielen Probleme der Friedensbewegung ist, dass wir uns oft nicht konkret vorstellen können, wie wir diese Ziele eigentlich erreichen. Teilweise haben wir nicht einmal die Hoffnung, dass wir sie wirklich erreichen können.

Das geht auch anders.

Denkt zum Beispiel an die Klimabewegung, im Speziellen die Letzte Generation. Die Letzte Generation weiß ganz genau, was sie wollen und wie sie es angehen. Sie lassen sich nicht ignorieren. Sie zwingen die Bevölkerung und die Medien dazu, zuzuhören.

Ob das zum gewünschten Ergebnis führt, ist eine andere Frage. Aber zumindest haben sie einen Plan, nach dem sie vorgehen. Ich würde mir wünschen, dass auch die Friedensbewegung so einen Plan entwickelt. Und daraus wieder Hoffnung schöpfen kann.

Ich habe diesen Plan leider nicht. Aber ich habe ein paar Ideen darüber, wie wir die Positionen der Friedensbewegung besser rüberbringen können. Und ich habe auch Ideen für diejenigen unter Euch, die sich nicht schon zur Friedensbewegung zählen, aber Sympathien für unsere Forderungen haben. Darüber möchte ich heute sprechen.

Für die Friedensbewegung habe ich zwei Ideen:

  1. Lasst uns zu unseren Schwächen stehen
  2. Lasst uns unsere Positionen greifbarer machen

Für unsere Sympathisantinnen und alle anderen Neugierigen habe ich zwei Vorschläge:

  1. Lasst Euch nicht einschüchtern
  2. Tretet Friedensorganisationen bei

Lasst uns zu unseren Schwächen stehen

Es gibt Argumente für Waffenlieferungen, für Atomwaffen und für die NATO, auf die wir keine passende oder abschließende Antwort haben. Um als Friedensbewegung glaubhaft zu sein – und dadurch für Außenstehende überzeugend zu wirken – sollten wir diese Schwächen eingestehen.

Ein Argument für Waffenlieferungen, das wir nicht vollständig entkräften können, ist, dass die Ukraine ohne Waffen Menschenrechte, Demokratie und ihre Selbstbestimmung nicht verteidigen kann.

Wir können sehr wohl entgegnen, dass sie Menschenrechte ebenso wenig mit Waffen verteidigen kann. Dass der Akt der militärischen Verteidigung eben diese Menschenrechte zerstört, die eigentlich verteidigt werden sollen. Dass ukrainische Kräfte im Zuge der militärischen Selbstverteidigung schon seit 2014 Zivilisten foltern und töten. Wer glaubt, das sei russische Propaganda, lese bitte Berichte von Amnesty International, Human Rights Watch oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Wir können auch entgegnen, dass die Ukraine die Demokratie nicht mit Waffen verteidigen kann. Dass es im Kriegszustand und unter militärischen Hierarchien und Zwängen so etwas wie Demokratie kaum geben kann. Dass die Überhöhung militärischer Stärke rechte und anti-demokratische Kräfte stärkt. Wer das nicht glaubt, der bedenke die Heldenverehrung für Kämpfer des Regiments Asow oder des Rechten Sektors. Letztens war sogar die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, die dafür gesorgt hat, dass Finnland in die Nato kommt, in Kiew und hat dort einen getöten Kämpfer des Rechten Sektors geehrt. Der hat einmal Schlagzeilen mit der wohl scherzhaften Behauptung gemacht, sein Wolf kaue gerne auf den Knochen russisch-sprachiger Kinder. Das sind die demokratischen Helden der Ukraine im Kriegszustand.

Und wir können entgegnen, dass die Selbstbestimmung der Ukraine denen geopfert wird, die die Ukraine militärisch aufrüsten. Die Ukraine ist fast restlos auf die finanzielle und militärische Unterstützung des Westens angewiesen. Wer denkt, der Westen wäre ein fairer Gläubiger, der schaue sich einmal die Ausbeutung an, die mit Darlehen des amerikanisch dominierten Internationalen Währungsfonds einhergeht. Ein kurzes Beispiel: überschuldete Staaten, die während der Pandemie auf solche Darlehen angewiesen waren, wurden gezwungen, ihr ohnehin katastrophales Gesundheitssystem noch weiter auszuschlachten. Dazu hat Oxfam einen Bericht geschrieben. Dieses Schicksal der Ausbeutung kennt die Ukraine nur allzu gut (auch die Ukraine hat schon Erfahrungen mit dem IWF, siehe z.B. folgenden Bericht, der die Ukraine für Finanzkonsolidierung lobt, die “hauptsächlich durch die Reduktion des effektiven Wertes von Gehältern und Sozialleistungen erreicht wurde”). Leider sieht auch die Zukunft unter der vollständigen Abhängigkeit vom Westen nicht rosig aus.

Aber – nach all diesen Entgegnungen – können wir eben nicht garantieren, dass die Ukraine, wenn sie ihre Waffen niederlegt und auf gewaltfreien Widerstand und Verhandlungen setzt, ihre Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung gegen die russische Aggression schützen kann. Wir können höchstens sagen, dass zumindest die Hoffnung besteht, dass Menschenrechte, Demokratie und Selbstbestimmung gewaltfrei erkämpft werden können. Wir können es nicht garantieren. Damit müssen wir offen umgehen, sonst werden wir unglaubwürdig.

Darüber hinaus gibt es ein Argument für die NATO und ihren atomaren Schutzschirm, auf das wir keine adäquate Antwort haben; nämlich, dass die Mitgliedschaft in der NATO zweifelsohne vor militärischer Aggression schützt.

Wir können entgegnen, dass dieser Schutz zu einem schrecklichen Preis erkauft wird.

Die militärische Unantastbarkeit der NATO erzeugt nämlich eine Arroganz, die zu militärischer Aggression mit verheerenden Auswirkungen führt, so geschehen beispielsweise in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Außerdem macht die Unantastbarkeit blind gegenüber den Sicherheitsinteressen anderer – egal wie berechtigt oder unberechtigt sie sind. Das führt zu Konflikten und Kriegen in Drittstaaten, momentan eben in der Ukraine und in der Zukunft wahrscheinlich in Taiwan.

Der Preis für den atomaren Schutzschirm ist auch unvorstellbar hoch, denn er bedeutet ein ständiges Brinkmanship – also ein Spiel mit dem Risiko der atomaren Vernichtung der Menschheit – derzeit zwischen der NATO und Russland und in der Zukunft wahrscheinlich zwischen der NATO und China.

Trotzdem müssen wir zugeben, dass die NATO und ihr atomarer Schutzschirm, ganz konkret in diesem Moment, die Mitglieder der NATO vor Angriffen schützen. Alle anderen haben eben Pech gehabt, aber wir sind sicher… solange die Atomraketen nicht fliegen.

Wir müssen also eingestehen, dass wir nicht auf jede Frage die perfekte Antwort haben. Ich denke, das macht es glaubhafter, im Anschluss zu argumentieren, warum die Antworten der Militaristinnen noch viel schlechter sind.

Lasst uns unsere Positionen greifbarer machen

Ich habe das Gefühl, Menschen in der Friedensbewegung neigen von Natur aus dazu, ihre Ideen in abstrakten Thesen zu formulieren und diese Thesen mit obskuren historischen Beispielen zu belegen: “Ja, im hundertjährigen Krieg war das so-und-so.”

Ich denke, um unsere Forderungen für eher desinteressierte und uninformierte Menschen greifbarer zu machen – und somit viel mehr Leute für unsere Sache zu begeistern – sollten wir mehr über Einzelschicksale sprechen.

Ich möchte ein Erfolgsbeispiel nennen:

Ich empfinde den Stopp der Waffenlieferungen im Jahr 2018 von Deutschland an Saudi Arabien als einen der größten Erfolge der letzten Jahre für die deutsche Friedensbewegung.

Zur Erinnerung: Deutschland liefert gerne Waffen an Saudi-Arabien. Saudi-Arabien führt mit diesen Waffen im verarmten Nachbarland Jemen seit 2015 einen extrem brutalen Stellvertreterkrieg. Von Anfang an ging Saudi-Arabien mit unverhohlener Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung vor. Die UN nennt Jemen die schlimmste menschengemachte humanitäre Katastrophe der Welt. Dort sind nachweislich auch deutsche Waffen zum Einsatz gekommen, darüber hat die Deutsche Welle berichtet. Der deutschen Bundesregierung war das ganze eher wurscht. Sie lieferte munter weiter Waffen an Saudi Arabien.

Doch Ende 2018 war die Bundesregierung gezwungen, die Waffenlieferungen einzustellen. Nicht, weil die Bundesregierung angesichts des Massenmordes in Jemen plötzlich Gewissensbisse bekommen hätte. Sondern, weil der saudi-arabische Kronprinz, Mohammed bin Salman, in Istanbul einen Journalisten namens Jamal Kashoggi ermorden und seine Leiche zerstückeln ließ. Dieser Mord erweckte solch einen großen Aufschrei in Deutschland, dass die Bundesregierung gezwungen war, die Waffenlieferungen zu stoppen.

Deutschland war damit das erste Land unter seinen EU und NATO-Partnern, das diesen Schritt machte. In der Folge bereitete das deutsche Waffenembargo auch anderen Waffenexporteuren Probleme. Großbritannien hatte große Probleme mit der Lieferung von Eurofighter-Kampfjets an Saudi Arabien, weil die Eurofighter auch deutsche Bauteile enthielten, die ursprünglich vom Lieferstopp betroffen waren.

Das heißt, das ganze unfassbare Elend von ca. 30 Millionen Jemeniten hat in Deutschland nicht so viel Mitgefühl ausgelöst, wie der Mord und die Leichenschändung an einem einzigen Journalisten. Und dieses Mitgefühl hat dafür gesorgt, dass nicht nur deutsche Waffenlieferungen eingestellt wurden, sondern auch Waffenlieferungen aus anderen Ländern behindert wurden.

Man kann das zynisch und grausam finden. Doch wenn wir die Chance maximieren wollen, dass unser Aktivismus wirklich positive Ergebnisse hervorbringt, dann lehrt uns diese Studie, dass wir uns viel mehr auf Einzelschicksale konzentrieren sollten. Dass wir einzelne Fälle finden und publizieren sollten, anhand derer die schrecklichen Auswirkungen von Waffenlieferungen für jede noch so uninformierte Bürgerin verständlich werden.

Zurück zum Ukraine-Krieg: Nur einen Monat nach Beginn der Invasion der Ukraine, im April 2022, wurde ein Video von der BBC veröffentlicht, in dem ukrainische Soldaten einen verletzten russischen Soldaten brutal ermorden und dabei “Slava Ukraini,” also “Ruhm der Ukraine”, rufen.

Es gibt sie also, die Einzelschicksale, auf Kamera, die zeigen, wie grausam und sinnlos der Krieg auf allen Seiten ist – und wie deutsche Waffen diese Grausamkeit ermöglichen. Ich denke, wir müssen noch mehr auf solche Einzelfälle aufmerksam machen, um unsere Position noch greifbarer zu machen.

Also, um das ganze zusammenzufassen: Ich denke, es wäre hilfreich, wenn wir erstens ehrlicher zu unseren Schwächen stehen und zweitens, unsere Positionen greifbarer und einfacher zu verstehen machen.

Jetzt noch zwei kurze Tipps für diejenigen, die sich nicht zur Friedensbewegung zählen, aber Interesse an unseren Positionen haben und Gewaltfreiheit gut finden.

Lasst Euch nicht einschüchtern

In den Medien wirkt es so, als gäbe es keine vernünftigen Menschen, die für Gewaltfreiheit einstehen. Nur Rechtsextremist*innen, Putin-Fans und Verschwörungstheoretiker*innen. Zu denen will man nicht gehören.

Aber das stimmt nicht. Wahrscheinlich denk jeder und jede zweite in Deutschland ähnlich wie Ihr, hat Zweifel an Waffenlieferungen, Zweifel an der Weisheit von Scholz, Baerbock und Pistorius.

Und zu recht! Erinnert Euch an das Versagen der Bundesregierung und der Bundeswehr im Krieg in Afghanistan. Die haben über zwanzig Jahre in Afghanistan nur Scheiße gebaut und plötzlich sind sie die Authorität in Sachen Krieg und Frieden?

Also, lasst Euch Eure Zweifel nicht ausreden. Lasst Euch nicht einschüchtern und sagt offen Eure Meinung!

Tretet Friedensorganisationen bei

Das ist natürlich schamlose Eigenwerbung, aber das ist wichtig. Wir in der Friedensbewegung wirken vielleicht alle ein bisschen verrückt, aber eigentlich sind wir nur besorgt über die Gegenwart und die Zukunft und versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Dabei brauchen wir Eure Hilfe.

Und wenn Ihr Euch macht- und hoffnungslos fühlt, dann kann ich Euch aus eigener Erfahrung versprechen: aktiv sein hilft. Werdet aktiv in Flüchtlingsvereinen, in der Klimaschutzbewegung oder in der Friedensbewegung. Zum Beispiel in der Deutschen Friedensgesellschaft oder in der Friedensinitiative Landshut – aber egal wo. Es hilft.

Vielen Dank und frohe Ostern!

 

Julian Mühlfellner ist aktiv bei der Deutschen Friedengesellschaft München.