Redebeitrag für den Ostermarsch Frankfurt am 10. April 2023

 

- Sperrfrist: 10. April 2023, Redebeginn: 13 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

europa versinkt immer mehr in einem Krieg, der durch eine Reihe von Handlungen angeheizt wird, die die Aufnahme von Verhandlungen unmöglich machen sollen.

Die vorherrschende Darstellung, wie sie von Medien und Politik kultiviert wird, soll den Eindruck erwecken, dass der Krieg in der Ukraine mit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 begann. Diesem Narrativ zufolge kann es nur Frieden geben, wenn es der Ukraine gelingt, den russischen Aggressor zu vertreiben und das gesamte Gebiet zurückzuerobern. Deshalb, so heißt es, sollten wir der Ukraine helfen, sich mit so vielen Waffen und anderer militärischer Unterstützung wie möglich zu verteidigen.

Diese Darstellung ist aus vielen Gründen problematisch, da sie die Gefahr birgt, dass sich der Krieg in die Länge zieht und zunehmend eskaliert. Außerdem ignoriert sie die Nationalistiche Wurzeln des Krieges und die verheerende Rolle der USA und der NATO bei der Schaffung politischer Spannungen mit Russland. Diese Kriegspolitik kann keinen Frieden bringen.

Es ist unbestreitbar, dass die russische Intervention eine unverantwortliche Verletzung des Völkerrechts und der Souveränität eines Landes darstellt. Deshalb muss sie verurteilt werden. Außerdem hat President Putin mit seiner Aggression die Sicherheitslage in Europa verschlechtert. Politisch gesehen hat die russische Invasion zur Wiedergeburt der NATO und zur Stärkung der strategischen Position der USA in Europa beigetragen. Russland ist auch mit dafür verantwortlich das die bereits laufende Militarisierung in Europa weiter vorangetrieben wird. Russische Nukleardrohungen und die geplante Stationierung neuer Atomwaffen in Belarus gießen nur noch mehr Öl ins Feuer. Wir müssen uns dem entgegenstellen.

Aber Medien und Politiker scheinen zu vergessen, dass der Krieg nicht in 2022, sondern acht Jahre zuvor begann. Der Krieg begann mit einem Aufstand im Donbass im Jahr 2014 durch Nationalisten der russischen Minderheit. Zu dieser Zeit war die Ukraine ein politisch, kulturell und wirtschaftlich geteiltes Land. Daraus entwickelte sich ein Krieg zwischen russischen Nationalisten aus dem Donbass, die von Mosou unterstützt wurden, und der Regierung in Kiew, die eine von ukrainischen Nationalisten vorangetriebene "Anti-Terror-Operation" startete gestützt durch die NATO. Zwischen 2014 und Ende 2021 starben 14.000 Menschen und wurden Hunderttausende vertrieben.

Waffenlieferungen und ein militärischer Sieg bringen keine Lösung für der Nationalitätenfrage in Ukraine und kann deswegen keinen dauerhaften Frieden bringen.

Ein weiteres großes Problem besteht darin, dass die Mainstream-Darstellungen die Verantwortung des Westens ignorieren. Sie betonen, dass der Krieg nicht provoziert wurde. In Wirklichkeit trägt die NATO eine große Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland und so auch für die Gefährliche Sicherheitssituation in Europa.

Das geopolitische Ziel der Vereinigten Staaten nach dem Kalten Krieg - wie in der Wolfowitz-Doktrin (Februar 1992) formuliert - bestand darin, die führende Weltmacht zu bleiben und den Aufstieg rivalisierender Mächte zu verhindern. Im Falle Russlands: Präsident Clinton weigerte sich, die russischen Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen, als er die erste Erweiterung der NATO plante. Die USA setzten ihre imperiale Großmachtpolitik rücksichtslos durch, woraufhin sich die NATO in mehreren Erweiterungsschritten an Russland annäherte. Mit der Aufnahme Finnlands und bald auch Schwedens hat sich die Zahl der NATO-Mitglieder seit dem Ende des Kalten Krieges von 16 auf 32 verdoppelt.

Gleichzeitig verwandelte sich die NATO mit militärischen Interventionen außerhalb ihres Territoriums zur globale Militärmacht. Im Laufe der Jahre haben die USA auch mehrere Abrüstungsabkommen gekündigt und arbeitete es ab 2007 an einem NATO-Raketenschild in Rumänien und Polen. Die Beziehungen zwischen den USA und Russland verschlechterten sich weiter, nachdem die Bush-Regierung der Ukraine und Georgien auf dem NATO-Gipfel in Bukarest gegen den Willen verschiedene Europäische länder den Kandidatenstatus zuerkennen wollte. Eine NATO-Mitgliedschaft würde unter anderem bedeuten, dass Russland seine militärische Präsenz (auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Ukraine) auf der strategisch wichtigen Krim aufgeben und eine lange Grenze mit einem militärischen Rivalen teilen müsste. Die politische Welt in Europa war sich sehr wohl bewusst, dass dies den Beziehungen zu Russland schaden würde, aber sie überließ es Washington. Dennoch. Auf Veranlassung Washingtons wurden die Beziehungen zwischen der NATO und der Ukraine ausgebaut mit gemeinsame Manöver und waffenlieferungen, ins besonders nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014.

Washington verfolgte ganz bewusst eine konfrontative Politik. Die europäischen Verbündeten akzeptierten, dass sich die Beziehungen zu ihrem großen europäischen Nachbarn verschlechterten, was dazu beitrug, den Kreml auf einen stärker nationalistischen und militaristischen Kurs zu drängen. Der allererste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, erklärte Anfang der 1950er Jahre den Zweck der NATO: "die Russen draußen, die Deutschen unten und die Amerikaner drinnen zu halten". Das ist heute nicht anders. Die NATO muss den amerikanischen Interessen in Europa dienen. Die USA verfolgen seit geraumer Zeit eine Politik gegen russische Gaslieferungen nach Europa, da sie selbst über eine wachsende Gasexportkapazität verfügen. Durch einen Wirtschaftskrieg mit Sanktionen und Gegensanktionen ist es ihnen gelungen, die Gaslieferungen nach Europa zu erhöhen. Die Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline dient - auch wenn die Zuständigkeiten umstritten sind - den künftigen Gasinteressen der Vereinigten Staaten. In Europa fand man es problematisch, dass wir bei der Energieversorgung von Russland abhängig waren. Ist es dann nicht genau so problematisch, dass wir von den US-Energiemultis abhängig geworden sind?

Wie wir im letzten Herbst mit dem Raketenangriff in Polen gesehen haben, handelt es sich um einen Krieg mit großem Potenzial für eine gefährliche Eskalation. Die Politik der USA und einiger NATO-Länder besteht darin, Russland durch die Bereitstellung von Waffen und Geheimdienstinformationen zu schwächen. Doch diese Militärstrategie verlängert den Krieg und vergrößert das menschliche und materielle Leid. Mit jedem Tag, den der Krieg andauert, sterben junge Männer an der Front, erleiden Zivilisten Gewalt und Zerstörung. Wenn Russland in die Enge getrieben wird und dem Kreml kein politischer Ausweg geboten wird, welche Garantie haben wir dann, dass keine Atomwaffen eingesetzt werden? Vor allem eine militärische Demütigung könnte dazu führen, dass die russische Föderation destabilisiert wird und das Atomwaffenarsenal in die falschen Hände gerät.

Dieser Krieg muss beendet werden, das Töten und die Zerstörung müssen aufhören. Der Krieg fordert auch außerhalb der Ukraine seine Opfer. Die wirtschaftliche Kriegsführung und die Kriegsgewinnler unter den multinationalen Energie- und Lebensmittelkonzernen untergraben die Kaufkraft und sind eine Katastrophe für den globalen Süden, wo Zehntausende an Hunger und Armut sterben aufgrund von Preiserhöhungen.

Der Krieg hat auch der Militarisierung in Europa einen enormen Schub gegeben. Die Diplomatie wurde beiseite geschoben, Politiker und Medien verbreiten Kriegspropaganda, damit die Bevölkerung die Kriegspolitik weiterhin unterstützt. Die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren, um die Waffen zu ersetzen, die über den zo genante europäische Friedensfazilität an die Ukraine geliefert wurden. Dieser Friedensfazilität ist in Wirklichkeit ein Kriegsfazilität, von dem hauptsächlich die Rüstungsindustrie profitiert. In Kürze werden die Militärbudgets in Europa jährlich um Dutzende von Milliarden Euro steigen und den NATO-Standards entsprechen.

Die Militarisierung absorbiert die Ressourcen, die für die Sozialpolitik, für nachhaltige Energie, für öffentliche Dienstleistungen benötigt werden. Die Kriegspolitik verhindert die notwendige Zusammenarbeit zur Bekämpfung der planetarischen Bedrohungen durch Atomwaffen und Klimawandel.

Deshalb brauchen wir eine starke Friedensbewegung. Zur Mobilisierung gegen den Krieg, gegen das Blutvergießen, gegen die Eskalation, gegen die Gefahr eines Atomkriegs. Kurz gesagt, zum Schutz von Mensch und Umwelt. Wir müssen weiter informieren und sensibilisieren, damit die Vernunft zurückkehrt. Was wir fordern müssen:

  • Mehr Diplomatie statt mehr Waffen
  • ein Ende des Wirtschaftskrieges
  • Respekt für der Souveränität der Staaten, der Minderheiten- und Flüchtlingsrechte, was sowohl für die Ukraine als auch für andere Staaten gilt
  • die Auflösung von Militärbündnissen. Mitgliedschaft in Militärbündnissen ist kein Ausdruck von Souveränität, wenn sie die Sicherheitsinteressen anderer Länder bedroht
  • Eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa, die die gegenseitigen Sicherheitsinteressen respektiert und auf vertrauensbildende Maßnahmen, Abrüstung und eine atomwaffenfreie Zone in Europa hinarbeitet. Europa wird nur sicher sein, wenn jeder Mensch auf diesem Planeten einen angemessenen Lebensstandard hat.
  • Durch Abrüstung werden die notwendigen Ressourcen für Investitionen in die menschliche Sicherheit verfügbar.

Vielen Dank.

 

Ludo de Brabander ist aktiv bei der belgischen Friedensorganisation "Verde" ( = dt. "Frieden")