Redebeitrag für den Ostermarsch Erlangen am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wenn wir heute zum Ostermarsch zusammenkommen, dann kann es gar nicht anders sein, als dass wir als Friedenskräfte die Situation mehr als ein Jahr nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine in den Blick nehmen. Noch ist kein Ende des Krieges in Sicht. Im Gegenteil. Wir erleben Brutalisierung und Eskalation. Täglich fallen hunderte Soldaten, Städte werden zerstört, gesellschaftliche Werte vernichtet.

Um es am Anfang in aller Deutlichkeit zu sagen:

Natürlich verurteile ich den völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch in die Ukraine, so wie es die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) mit ihrer ersten öffentlichen Erklärung getan hat. Wir haben in dieser Erklärung aber auch nicht die Vorgeschichte dieses Krieges, wie die NATO-Osterweiterung und die Aufkündigung von Rüstungsbegrenzungsabkommen durch die USA, vergessen. Ich möchte euch jetzt nicht mit der Aufzählung aller Eskalationsschritte und verpassten Chancen, diesen Krieg zu verhindern, langweilen. All das ist umfassend dokumentiert und kann nachgelesen werden. Es belegt, dieser Krieg begann nicht am 24. Februar 2022. Wer das behauptet, der möchte die Voraussetzungen und die verantwortlichen Akteure, die nicht nur in Moskau sitzen, ausblenden. Das ist weder in der Geschichte, noch in der Politik zulässig. Wer so etwas tut, ist nicht blauäugig, sondern verantwortungslos, im schlimmeren Fall demagogisch.

Nur wer die Voraussetzung und die verschiedenen Akteure in den Blick nimmt, ist in der Lage, ernsthafte Friedensinitiativen auf den Weg zu bringen. Schon im Herbst letzten Jahres gab es seitens der Zivilgesellschaft ernsthafte Bemühungen, ein Ende des Krieges zu erreichen. Im November fanden in zahlreichen europäischen Städten Großaktionen der Friedenskräfte statt mit den Forderungen

  • sofortiger Waffenstillstand, Stoppt das Töten in der Ukraine,
  • keine weiteren Waffenexporte in das Kriegsgebiet,
  • stattdessen Diplomatie zur Beendigung der Kampfhandlungen.

Das war ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und allen von den Auswirkungen des Krieges betroffenen Völkern.

Ihr erinnert euch, diese Forderungen wurden als „illusionär“ oder „weltfremd“ zurückgewiesen. Stattdessen wurde mit der Zusage der Bundesregierung für verstärkte Waffenexporte in die Ukraine – später dann mit der Lieferung von Leopard 2–Panzern – die Verlängerung der Kämpfe angekündigt. Diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges? Im vergangenen Jahr seitens der Bundesregierung leider Fehlanzeige.

Begründet werden die Waffenlieferungen immer wieder mit dem Hinweis, nur so sei es der Ukraine möglich, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Verhandlungen seien nur möglich, wenn diese nicht aus der Position der militärischen Schwäche stattfänden.

Man – und da tun sich insbesondere unsere Medien hervor – tut so, als bedürfe es nur der Lieferung weiterer Panzer, um der Ukraine zum „Sieg“ zu verhelfen, was ja Präsident Selenskij in seiner Neujahrsbotschaft den ukrainischen Landsleuten versprochen hatte.

Es klang wie ein schlechter Aprilscherz, als der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats Danilow vor wenigen Tagen einen Plan „für die Befreiung der Krim“ – wie es in der Tagesschau hieß – vorlegte. Beim genaueren Hinsehen, erwies sich das Papier als Fantasie-Produkt dessen, was man zu tun gedenke, wenn die Krim nicht mehr zu Russland gehöre. Darin schlägt er eine "De-Okkupation" vor, bei der zuerst die Krim-Brücke mit der Auto- und Eisenbahnverbindung zum russischen Kernland abgerissen werden solle, ein Bauwerk, das Russland in wenigen Jahren erbaute, als die Ukraine nach dem Referendum die Verbindungs- und Versorgungswege zur Halbinsel gekappt hatte. Außerdem solle die Hafenstadt Sewastopol, die seit dem 19. Jahrhundert Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte ist, in "Objekt Nr. 6" umbenannt werden.

Dieser Vorschlag, der aus dem Arsenal eines Absurditäten-Kabinetts zu stammen scheint, macht deutlich, dass im Zuge dieses Krieges die Rationalität des Handelns der verantwortlichen Politiker verloren gegangen ist.

Das macht mir große Sorgen, weil damit die politische und militärische Wirklichkeit und die Konsequenzen der Regierungsentscheidungen für die Menschen im eigenen Land nicht mehr wahrgenommen werden.

Sorge macht mir aber auch, wenn unsere Medien mit keinem Wort der Kritik solche Thesen referieren.

Wer nur in den Kategorien der Militarisierung und der Fortsetzung von Waffenlieferungen denkt, ist nicht in der Lage nicht-militärische oder diplomatische Lösungen als Möglichkeit in den Blick zu nehmen.

Wie aber sieht die Wirklichkeit aus?

Die US-Nachrichtenagentur Bloomberg machte bereits Mitte Januar 2023 in einer Zwischenbilanz deutlich, dass die Verbündeten der Ukraine im Jahre 2022 mehr als 4.000 gepanzerte Fahrzeuge, Artilleriegeschütze, Flugzeuge und andere Waffensysteme zur Verfügung gestellt haben. Darunter seien 410 Panzer aus der Sowjetzeit zumeist T 72, die von NATO-Mitgliedern im ehemaligen sozialistischen Lager, darunter Polen, Tschechien und Slowenien, geliefert wurden. Außerdem wurden geliefert: 300 Schützenpanzer, 1.100 gepanzerte Mannschaftstransporter, 925 Minen widerstehende und Hinterhalt-geschützte Fahrzeuge, 1.540 Geländefahrzeuge, 300 bugsierte Haubitzen, über 400 Selbstfahrlafetten, 95 Mehrfachraketenwerfer, 18 Erdkampfflugzeuge vom Typ Su-25, 20 Hubschrauber vom Typ Mi17, weitere elf Hubschrauber sowjetischer Bauart, drei Hubschrauber vom Typ Westland Sea King, sechs Kamow-Hubschrauber, mehr als 30 Drohnen vom Typ Bayraktar TB2 und 415 Aufklärungsdrohnen.

Nein, ich habe diese lange Liste nicht vorgetragen, weil ich ein Waffennarr bin, sondern weil Bloomberg diese Auflistung verbreitete, um die breite militärische Unterstützung der westlichen Staaten für die ukrainische Kriegsführung zu dokumentieren.

Doch haben diese Lieferungen nicht das „Kriegsglück“ für die Ukraine gewendet, sondern scheinen für die ukrainische Regierung vielmehr Ansporn zu weiteren Forderungen zu sein.

Erinnert ihr euch noch an die diesjährige Münchener Sicherheitskonferenz? Peinlich berührt mussten selbst wohlwollende Politiker dort vom ukrainischen Regierungsvertreter dessen Forderung nach Lieferung von Splitterbomben und Streumunition hören – eine Waffenart, die wegen ihrer verhängnisvollen Wirkung auf die Zivilbevölkerung von den Vereinten Nationen seit vielen Jahren geächtet ist. Und jetzt toppt die britische Regierung diese Perversion mit dem Angebot, nuklearangereicherte Munition der ukrainischen Armee zur Verfügung zu stellen. Sollte sie eingesetzt werden, dann wird das Kriegsgebiet langfristig nuklearverseucht – egal, wer nach dem Ende der Kämpfe dort stehen sollte. Betroffen sind in jedem Fall die Menschen dieser Region. Haben unsere Politiker Tschernobyl schon soweit verdrängt, dass man glaubt, die Ukraine erneut nuklear verseuchen zu können?

Aber zurück zu den Waffenlieferungen. Aus meiner Sicht zeigt die Liste von Bloomberg nicht nur die umfassende Unterstützung des Westens für die Ukraine, zwei wichtige Botschaften:

Erstens ist sie ein Beweis für unsere Aussage, dass Waffen niemals Frieden bringen können, sondern nur Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Glauben die kriegsführenden Politiker allen Ernstes, 40 neue Panzer würden die Wende im Krieg bringen? Nein, man fordert bereits 400 – wohl wissend, dass die Lieferung einer solchen Zahl mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen wird. Will man das Töten zulasten aller Menschen in den Kriegsgebieten so viele Monate verlängern?

Zweitens ist sie der Beleg dafür, dass dieser Krieg schon lange kein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist, sondern längst den Charakter eines Stellvertreterkrieges der NATO-Staaten mit Russland auf dem Territorium der Ukraine und dem Rücken der ukrainischen Menschen geworden ist. Wir müssen nicht mehr darüber diskutieren, ob Deutschland eine Kriegspartei ist, sondern darüber, wie unser Land aus dieser Rolle wieder herauskommt.

Diese Debatte wird schwierig, wird doch der öffentliche Diskurs nicht von Überlegungen für eine Friedenslösung bestimmt, sondern von Kriegstreibern. Nicht nur die Mainstream-Medien überziehen jeden Politiker/ jede Politikerin, die vorsichtig Zweifel an Waffenlieferungen äußert, so lange mit einem Shitstorm, bis sich die Person auch öffentlich für Waffenlieferungen ausspricht. Als „Sieg“ verkündeten die Medien vor wenigen Tagen stolz, dass es gelungen sei, unbemerkt bereits 18 Leopard II Panzer in die Ukraine zu schaffen – als würde das nun die „Wende“ im Kriegsgeschehen bringen.

Ich bin weit entfernt von einer pauschalen Medienschelte. Mancher weiß, dass ich selber als freier Journalist tätig bin. Aber jedem interessierten Bürger dürfte in den vergangenen Wochen und Monaten aufgefallen sein, dass der überwiegende Teil der Printmedien, aber auch der – eigentlich zur Vielfalt verpflichtete – öffentlich-rechtliche Rundfunk wenig differenziert über das Kriegsgeschehen und die politischen Antworten darauf berichtet.

Stimmen der Vernunft

Inzwischen mehren sich weltweit die Stimmen der Vernunft. Selbst ehemalige Militärs und Diplomaten fordern einen sofortigen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen und die Aufnahme von Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an den Aufruf des Weltveteranenverbands (WVF) und der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) vom November 2022:

"Waffen werden niemals Frieden bringen, Diplomatie und Verhandlungen sind der einzige Weg. Dies ist vor allem notwendig, um das Leben der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten zu retten.

Darin sehen wir uns auch in Übereinstimmung mit Papst Franziskus, der eindringlich vor der Gefahr eines Atomkrieges gewarnt hat, der nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch für alle europäischen Länder und erst recht für die gesamte Menschheit katastrophale Folgen haben wird."

Die Friedenskräfte appellieren international an Russland und die Ukraine, die Vermittlungs- und Dialogangebote der Vereinten Nationen und weiterer Staaten anzunehmen. Dies ist der einzige Weg, den Krieg zu beenden und Menschenleben zu retten. Wir begrüßen die Position der lateinamerikanischen Staats- und Regierungschefs auf dem CELAC-Gipfel in Argentinien im Februar 2023, die den Grundsatz "Nein zum Krieg und Ja zum Dialog und zur Zusammenarbeit" bekräftigt haben. Wie ernst die lateinamerikanischen Regierungen es meinten, erlebte unser Bundeskanzler, als er den brasilianischen Präsidenten Lula zur Unterstützung der NATO-Position drängen wollte. Bezeichnenderweise las man in der Öffentlichkeit wenig darüber, wie deutlich die Zurückweisung dieser deutschen Anmaßung war.

Jegliche Versuche einer diplomatischen Lösung werden nicht nur abgetan, sondern politisch denunziert. Ein besonders schlechtes Beispiel lieferten unsere Medien im Umgang mit einem chinesischen Friedensvorschlag, der im Umfeld der Münchener Sicherheitskonferenz angekündigt wurde. Ohne dass auch nur ein Satz dieses Plans bekannt war, berichteten „Qualitätsmedien“ bereits von seinem Scheitern. Soll es etwa keine Friedensgespräche geben? Nun liegt dieser Plan vor – und die Hauptkritik lautete, er sei nicht ernst zu nehmen, da China keine neutrale Haltung in diesem Krieg eingenommen habe.

Aber welches Land hat sich denn bei allen Beschlüssen zur Ukraine in der UNO enthalten, statt der russischen Haltung oder den westlichen Forderung nach Verurteilung zu folgen? Ist also derjenige, der nicht dem westlichen Narrativ folgt, nicht neutral? Was für eine absurde Logik!

Während selbst die Ukraine mit China Kontakt hält, um die Möglichkeiten dieses Planes auszuloten, glauben unsere Politiker festlegen zu können, dass alle Initiativen, die nicht dem NATO-Narrativ folgen, als unglaubwürdig abzulehnen seien.

Sanktionspolitik und die Folgen

Es zeichnet uns als Friedensbewegung aus, dass wir bei Kriegen nicht nur die militärische und diplomatische Dimension betrachten, sondern insbesondere die Menschen in den betroffenen Regionen in den Blick nehmen. Ist euch bei der Berichterstattung auch aufgefallen, dass die Medien dabei eine eigenartige Verengung der Perspektive an den Tag legen? Wir lesen, hören und sehen vielfältige Berichte vom Schicksal der Menschen in der Ukraine oder der ukrainischen Flüchtlinge in unserem Land – dass darunter auch Propaganda-Erzählungen sind, kann niemanden überraschen, denn bekanntlich ist das erste Opfer eines Krieges die Wahrheit. Aber man muss schon internationale Medien verfolgen, um über das Leid der Kriegsopfer im Donbass zu lesen, darüber, dass auch in der russischen Föderation fast eine Millionen Menschen aus den Kriegsgebieten Zuflucht gefunden haben.

Um nicht missverstanden zu werden. Ich will überhaupt nichts relativieren oder kleinreden. Nein, mir kommt es darauf an, dass wir tatsächlich im Blick behalten, dass in diesem Krieg alle Menschen in den Kriegsregionen betroffen sind – und in ihrem Sinne ein sofortiger Waffenstillstand und der Beginn von Friedensverhandlungen dringend sind.

Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass durch die von der EU und anderen westlichen Staaten verhängten Sanktionen auch zahllose Menschen außerhalb der Kriegsgebiete massiv von den Auswirkungen betroffen sind.

Euch muss ich nichts von den massiven Preissteigerungen erzählen, die ihr alle selber in euren Geldbeuteln spürt. Dass es dabei – wie schon in früheren Kriegen – große Kriegsgewinnler gibt – insbesondere die Energiekonzerne, die Milliardenprofite machten, und die Rüstungsunternehmen, die auf zukünftige Profite hoffen – ist für euch auch keine Neuigkeit.

Dass die „Zeitenwende“ und der „Doppel-Wumms“ – verkündet von der Bundesregierung – dazu führen werden, dass die staatlichen Leistungen der Grundversorgung insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen weiter gekürzt werden, ist schon jetzt für jeden erkennbar.

Unsere Losung muss es deshalb sein, sich gegen die zunehmende Aufrüstung der Bundeswehr, die Verschleuderung der 100 Mrd. für die Profite der Rüstungsindustrie einzusetzen – wir benötigen dieses Geld dringend für die Finanzierung der sozialen Herausforderungen unserer gesellschaftlichen Entwicklung, für Bildung, Gesundheit und Klimaschutz, alles Themen, mit denen die heutige Bundesregierung als Regierungsprogramm angetreten ist.

Am 1. Mai, auf den Kundgebungen des DGB, haben wir alle die Möglichkeit, diese friedenspolitische Botschaft deutlich zu Gehör zu bringen, und außerdem sollten wir die Kolleg*innen von ver.di und anderen Gewerkschaften mit ihren vollkommen berechtigten Tarifforderungen unterstützen. Auch dafür werden Haushaltmittel benötigt, die nicht für Aufrüstung und Krieg verpulvert werden dürfen.

Wichtig erscheint mir aber auch, den Blick dafür zu öffnen, dass die Sanktionspolitik weltweit wirtschaftliche Konsequenzen für die ärmsten Staaten hat. Das betrifft nicht nur die Behinderung der Getreideexporte aus der Ukraine und Russland, die selbst zu deutlichen Preiserhöhungen der italienischen Pasta-Produkte geführt hat. Das betrifft ebenfalls die fehlende Lieferung von Düngemitteln aus Russland, die langfristige Folgen für die Ernährungssicherheit in den ärmeren Ländern des globalen Südens hat.

Verheerend wirkt sich schon jetzt die wirtschaftliche Dominanz der reichen Staaten aus, die auf dem Weltmarkt mit ihrer Einkaufspolitik von Energieträgern die Versorgung der ärmeren Staaten massiv beeinträchtigen. Und wer sich dann wundert, warum unsere preiswerten Gemüseimporte deutlich teurer werden, dem muss man erklären, wieso das ökonomische Dominanzverhalten auch unseres „grünen“ Wirtschaftsministers, der vollkommen unbelastet von der dortigen politischen Wirklichkeit mit Katar Geschäfte einfädelt, in der Konsequenz zur Verteuerung von Lebensmitteln in unseren Supermärkten führt. Soviel zum Thema „Solidarität“.

Friedensinitiativen

Aber ich möchte in dieser Ansprache nicht nur die Probleme thematisieren. Aus meiner Sicht gibt es durchaus hoffnungsvolle Zeichen. Seit vielen Wochen gehen Menschen in Deutschland, in Europa und weltweit auf die Straße mit der Forderung „Waffenstillstand sofort, Nein zum Krieg, Ja zum Dialog“. Und sie sagen: „Lasst uns den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!“

Am 25. Februar zeigten mehrere 10.000 Menschen in Berlin bei einer breiten Friedenskundgebung, zu der offiziell initiiert von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, eine Gruppe von etwa 60 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, deren Sachverstand und analytische Klarsicht nicht zu bezweifeln ist, aufgerufen hat. Dass dieser Aufruf auf eine breite Zustimmung stieß, zeigen die über 800.000 Unterzeichner des Aufrufes innerhalb von wenigen Wochen in einer online-Petition.

Da es sich um eine breite Bündnisaktion gehandelt hat, stand in dem Aufruf nicht alles drin, was Kritiker der Aktion – darunter selbst die Vorsitzenden der LINKEN – meinten als „Eintrittskarte“ für eine „glaubwürdige“ Friedensaktion fordern zu müssen.

Statt sich jedoch mit dem Aufruf und den Initiatoren inhaltlich zu beschäftigen, spekulierte man über Statements aus dem extrem rechten Spektrum, um die eigentliche Aktion denunzieren zu können. Vorwürfe kamen dabei nicht nur von Anhängern der Regierungsparteien, sie kamen auch aus sektiererischen Kreisen im linken Spektrum, die sich nicht scheuten, Aussagen der extremen Rechten den Veranstaltern zuzuschreiben oder – wie eine sich links verstehende Wochenzeitung – ausgewiesene NATO-Befürworter in der Linkspartei gegen diese Kundgebung in Stellung zu bringen.

Bezeichnend ist, dass die Medien ausführlicher über diese Vorwürfe berichteten als über die politische Botschaft dieser Friedenskundgebung. Ich empfehle allen, die nicht in Berlin sein konnten, einen Blick in die Videos, die noch bei youtube zu finden sind.

Ein ähnliches Schicksal soll offenkundig ein Aufruf von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern erleiden, eine „Friedensinitiative aus der Mitte der Gesellschaft“. Die Botschaft lautet: Waffenstillstand, Verhandlungen und gemeinsame Sicherheit – die Initiative fordert aus den positiven Erfahrungen der europäischen Entspannungspolitik ihre Fortsetzung, damit es schnell zu einem Ende des Krieges und zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Europa kommt.“

Zuerst wurde dazu der ukrainische Botschafter in Berlin in Stellung gebracht, der den Aufruf als „Verharmlosung des russischen Krieges“ glaubte zurückweisen zu können. Da man ahnte, wie die Medien damit umgehen würden, war der Text selber als bezahlte Anzeigen in zwei überregionalen Zeitungen veröffentlicht worden.

Und darin war Erstaunliches zu lesen.

„Die Vereinten Nationen haben mit dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit den Weg in eine friedliche Welt aufgezeigt. … In diesem Geist kam es zur Schlussakte von Helsinki und zur Charta von Paris für ein neues Europa. Daran knüpfen wir an. Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden.“

Weiter erklären sie:

„Unsere Welt ist auf Gegenseitigkeit angewiesen, nur so sind die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Entscheidend ist es, die Eskalation des Krieges zu stoppen. Wir ermutigen den Bundeskanzler, zusammen mit Frankreich insbesondere Brasilien, China, Indien und Indonesien für eine Vermittlung zu gewinnen, um schnell einen Waffenstillstand zu erreichen. Das wäre ein notwendiger Schritt, um das Töten zu beenden und Friedensmöglichkeiten auszuloten. Nur dann kann der Weg zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa geebnet werden.“

Solch Vorgehen wäre eine Perspektive, die versucht aus der Kriegslogik auszusteigen und eine europäische Friedenslösung vorzubereiten.

Umso erschreckender ist die Ignoranz und politische Reaktion der Bundesregierung und leider auch von Teilen der Gewerkschaften (obwohl zu den Unterzeichnern viele ehemalige hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre gehören), die diese Erklärung eher mit einer „Kneifzange“ anfassten, Im Gegensatz dazu hat der IG Metall-Vorstand einen Leitantrag für den kommenden Gewerkschaftstag vorbereitet haben, der Waffenexporte und weitere Aufrüstung seitens der Gewerkschaft unterstützen soll. Ich hoffe, dass es in der IG Metall genügend engagierte Delegierte auf dem Gewerkschaftstag gibt, die eine Änderung dieser Orientierung erreichen können.

Das aktuellste Friedenssignal sind die etwa 120 Ostermärsche im ganzen Bundesgebiet, die in diesen Tagen stattfinden werden. Dabei ist es mir egal, wie viele Menschen an diesen Aktionen in den jeweiligen Städten teilnehmen – wir machen keinen Überbietungswettbewerb – wichtig ist es, dass es diese öffentlichen Signale gibt, selbst wenn manche Medien sie klein schreiben wollen. Es gibt aber auch positive Beispiele von gutem Journalismus. So konnte man am letzten Samstag in der nordhessischen Monopolzeitung HNA – sie gehört zur Ippen-Gruppe – nicht nur als bezahlte Anzeige den Ostermarsch-Aufruf finden, sondern Anfang der Woche ein Interview mit einem Hauptredner, einem katholischen Priester, der ausführlich seine Perspektive auf den Krieg, aber vor allem auf eine mögliche diplomatische Lösung im Interesse der Menschen erläutern konnte. Man möchte sagt: Seht hin, es geht doch!

In anderen Regionen stürzte sich die Berichterstattung auf politische Konflikte, die sich aus einer vorgeblichen Offenheit gegenüber rechten Kräften in einzelnen Ostermarsch-Initiativen ergeben haben. Dabei konnte man heute auf Tagesschau.de lesen, es gehe ein „Riss durch die Friedensbewegung“. Dass solche Streitpunkte – ausgetragen über die Medien – nichts zur Klärung, sondern vor allem zur Demobilisierung beitragen, muss ich euch nicht erklären.

Ja, auch ich bin für klare Haltungen innerhalb der Friedensbewegung. Auch ich sage, die Tür nach rechts muss geschlossen bleiben, weil die extrem rechten Protagonisten viele Interessen haben, nur keine, die mit den Zielen der Friedensbewegung verbunden sind. Es ist keine Stärkung der Friedensbewegung, wenn man Vertretern von Verschwörungs-Thesen eine Plattform bietet. Aber solche Debatten führt man innerhalb der Initiativen, und nicht über Medien. Wer heute mit der Parole „Nazis raus aus der Friedensbewegung“ suggeriert, Ostermärsche würden von extremen Rechten gekapert, konstruieren ein nicht vorhandenes Problem, was als politisches Manöver von den eigentlichen Botschaften unserer Aktionen ablenkt.

Das ist fatal in einer Situation, wo die Stimme der Friedensbewegung noch viel deutlicher gehört werden muss.

Die Regierenden reden lauthals einer Kriegsverlängerung das Wort, selbst wenn Herr Habeck bei seinem jüngsten Besuch in Kiew von der „Friedenssehnsucht der Ukrainer“ gesprochen hat. Jedoch fragte kein Journalist in dem Moment nach, wie man mit Panzern dieser Friedenssehnsucht näher kommen wolle.

Anfang dieser Woche verurteilte Außenministerin Baerbock den Einsatz von Antipersonenminen als menschenfeindlich. Ich hätte ihr gerne beigepflichtet, wenn sie nicht einäugig diese Kritik nur gegenüber der russischen Föderation geäußert hätte, den vielfach dokumentierten Einsatz seitens der ukrainischen Armee aber mit Stillschweigen überging.

Es bleibt dabei. Initiativen für Frieden und Waffenstillstand im Ukraine-Krieg sind von der gegenwärtigen Bundesregierung nicht zu erwarten. Wenn die Außenministerin öffentlich verkündet, wir seien im Krieg mit Russland, dann wird sichtbar, wie wenig Bereitschaft zu nichtmilitärischen Konfliktlösungen hier vorhanden ist.

Demgegenüber brauchen wir Signale des Friedens. Signale, die sich gegen weitere Waffenlieferungen richten, die alle Schritte zu einem sofortigen Waffenstillstand unterstützen, die den Beginn von Dialog und Gesprächen zwischen den Kriegsparteien ermöglichen. Das sind Signale für die Menschen in der Ukraine und allen Kriegsgebieten, Signale für die Kriegsverweigerer, dass ihnen keine Verfolgung mehr droht, Signale für die Geflohenen, wenn sie denn in ihre Heimat zurückkehren wollen.

Wenn die Stimmen der Völker lauter werden, müssen die Regierungen darauf reagieren.

In diesem Sinne: Lasst uns lautstark für Frieden eintreten!

Ich möchte zum Abschluss noch einen kurzen Gedanken anschließen:

Zwar reden wir heute von der Ukraine – wir dürfen aber auch nicht die Kriege vergessen, die im Schatten dieses Konfliktes weltweit stattfinden. Im Weimarer Ostermarsch-Aufruf 2023 heißt es in einer beeindruckenden Kürze und Klarheit:

„Nicht nur in der Ukraine wütet gerade Krieg, auch im Jemen, im Sudan, in Äthiopien; auch in Afghanistan, in Syrien, in Mali, in der Westsahara schwelen Kriege, mit immer dem gleichen Szenario: Kriege werden angefangen, obwohl sie vermeidbar gewesen wären, und dauern oft Jahre oder gar Jahrzehnte. Gewinner sind die Rüstungsindustrie, die an Mord und Zerstörung verdient, skrupellose Politiker und Warlords. Verlierer sind die Zivilbevölkerung, vor allem Frauen und Kinder, aber auch die Soldaten auf beiden Seiten, sowie die Armen der Ärmsten der ganzen Welt, die unter den Kriegsfolgen leiden. Das ist zynisch.

Dieser irrationalen Kriegslogik muss eine zeitgemäße Friedenslogik entgegengesetzt werden. Wir brauchen, gerade angesichts des furchtbaren Krieges in der Ukraine, ein neues, außermilitärisches, also ziviles Verständnis von Sicherheit.“

Aus diesem Grunde bleiben die Ostermärsche notwendig – in diesem Jahr und leider auch in den kommenden Jahren. Ich rufe euch dazu auf, bleibt mutig und aktiv für den Frieden.

Vielen Dank.

 

Dr. Ulrich Schneider ist Generalsekretär der FIR, einer der Bundessprecher der VVN-BdA.