Redebeitrag für den Ostermarsch in Hamburg am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde,

seit mehr als einem Jahr ist ein brutaler Krieg in Europa wieder schreckliche Realität. Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, insbesondere auch die Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur. Seit Februar 2022 sind schon viel zu viele Zivilisten gestorben und weit mehr als 200 000 ukrainische und russische Soldaten. Aber längst nicht alle von ihnen kämpfen freiwillig, sondern werden in beiden Ländern zwangsrekrutiert. Weder in Russland, noch in der Ukraine gilt aktuell das von der UNO verbriefte Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung.

Es ist verstörend, dass das humanitäre Leid dieses Krieges in der öffentlichen Diskussion einen so kleinen Raum einnimmt, während militärstrategische Debatten um Waffenlieferungen absolut im Vordergrund stehen. „Waffen sind zum Töten da und nicht zum Retten von Leben“, sagt dazu der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche Deutschlands, Friedrich Kramer.

Vergessen werden in der öffentlichen Debatte die vielen indirekten zivilen Opfer des Krieges, die Verwundeten und Verstümmelten, die durch mangelnde medizinische Versorgung und zerstörte Infrastruktur keine ausreichende Hilfe erhalten. Nicht gezählt sind auch die Menschen, die physische und psychische Gewalt erfahren, die Opfer von Folter Vergewaltigung und Misshandlungen werden und ihr Leben lang an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden werden. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg wird dadurch die Versöhnungsarbeit erschwert und es wird erneut mindestens eine Generation dauern, bis diese Wunden verheilt sind.

In jedem Krieg wird das elementare Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit grundlegend verletzt. In jedem Krieg werden Kriegsverbrechen auf beiden Seiten verübt, wie ein UNO-Bericht auch zum Ukraine-Krieg kürzlich feststellte. Häufig dienen diese Verbrechen als Ventil für selbst erlittene Gewalt. Der Krieg selbst ist die eklatanteste Menschenrechtsverletzung!

Die Ukraine ist inzwischen ein zunehmend zerstörtes Land. Große Teile der Landfläche der Ukraine sind vermint, davon stammen viele Minen noch aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, sowie aus dem seit 2014 andauernden Bürgerkrieg. Jeder Tag, den der Krieg weiter andauert, ist ein verlorener Tag! Es gilt jetzt, die Schraube der Gewalt zu durchbrechen! Wir Europäer stehen trotz der Erfahrung mit zwei verheerenden Weltkriegen erneut vor einem friedenspolitischen Scherbenhaufen. Antje Vollmer stellt in ihrem wenige Wochen vor ihrem Tode erschienenen „Vermächtnis einer Pazifistin“ die Frage:

„Wann und wie entstand aus einer der glücklichsten Phasen des eurasischen Kontinents, nach dem nahezu gewaltfreien Ende des Kalten Krieges, diese erneute tödliche Eskalation von Krieg, Gewalt und Blockkonfrontation? Wer hatte Interesse daran, dass die damals mögliche friedliche Koexistenz zwischen Ost und West nicht zustande kam, sondern einem erneuten weltweiten Antagonismus anheimfiel?“

Wir müssen uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, warum es uns in den Wendejahren nicht gelungen ist, eine belastbare gesamteuropäische Friedensordnung zu schaffen. Mit diesem europäischen Versäumnis hat letztendlich auch die Kriegsprävention versagt.

Trotz zahlreicher Vermittlungsvorschläge insbesondere seitens des globalen Südens ist im Ukraine-Krieg noch nicht einmal ein Waffenstillstand in Sicht. Statt dessen dreht sich die Spirale der Eskalation und der Gewalt weiter nach oben. Russland und Belarus haben kürzlich vereinbart, in Belarus russische Atomwaffen zu stationieren. England bewilligte die Lieferung von Uranmunition in die Ukraine. Polen liefert Kampfflugzeuge. Die Kämpfe rings um das Atomkraftwerk Saporischschja sind eine gefährliches Vabanque-Spiel, das jederzeit in einer nuklearen Katastrophe enden kann.

Die IPPNW fordert als ersten Schritt die sofortige Einrichtung einer demilitarisierten Zone rings um das Atomkraftwerk. Wir fordern außerdem die Bundesregierung auf, sich mit dem allem dafür notwendigen diplomatischen Einsatz für ein Ende dieses Krieges einzusetzen.Es gibt keine vernünftige Alternative zu einem sofortigen Waffenstillstand! Auch weltweit dürfen Konflikte im Interesse unserer Zukunft nicht mehr militärisch ausgetragen werden.Jeder Krieg bedeutet eine massive Umweltzerstörung. Das derzeitige Aufrüsten verschlingt laut SIPRI weltweit ca. 2100 Milliarden US-Dollar, die dringend für die Bewältigung des weltweiten Hungers und der Klimakrise gebraucht würden.

Die damit verbundene Ressourcenvernichtung und der gigantische CO2-Fussabdruck des Militärs, der in allen Berechnungen bei den Klimaverhandlungen ausgeklammert wird, stehen einer Bewältigung der Klimakrise diametral entgegen. Zudem kann die Klimakrise nur in Kooperation mit der gesamten Staatengemeinschaft und der UNO gelöst werden. Noch nie, selbst nicht zu Zeiten der Kubakrise hat die Welt so nah an einem Atomkrieg gestanden wie jetzt. Der Philosoph Günther Anders beschrieb den Abwurf einer Atombombe über Hiroshima als historische Zäsur, die eigentliche „Zeitenwende“:

„Der 6. August 1945 war der Tag Null. Dieser Tag, an dem bewiesen wurde, dass die Weltgeschichte vielleicht nicht mehr weitergeht, dass wir jedenfalls fähig sind, den Faden der Weltgeschichte durchzuschneiden, der hat ein neues Zeitalter der Weltgeschichte eingeleitet.“

 

Ute Rippel-Lau ist Mitglied des Vorstandes der deutschen IPPNW.