Redebeitrag für den Ostermarsch in Krefeld am 10. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Weltuntergangsuhr/atomare Bedrohung

Wir haben den Zwischenstopp vor dieser Uhr gewählt als symbolische
Entsprechung zur so genannten Weltuntergangsuhr des renommierten „Bulletin of the Atomic Scientists“. Auf Englisch heißt diese Uhr ‚doomsday clock‘.
Diesem Doomsday, wörtlich übersetzt, Tag des jüngsten Gerichts, sind wir
heute näher denn je. Die Gefahr eines Atomkriegs ist so hoch wie nie zuvor! 1947 wurde die ‚doomsday clock‘ mit der Zeigerstellung sieben Minuten vor 12 gestartet. 1960, als der erste Ostermarsch von Hamburg nach Bergen-Hohne zog, stand die Uhr bereits « auf fünf Minuten vor 12. Schon damals war die Welt nicht weit entfernt von einer globalen Katastrophe durch den Einsatz von Atomwaffen. Seit dem 24. Januar diesen Jahres steht die Uhr auf 90 Sekunden vor 12.
In der Öffentlichkeit bzw. in der veröffentlichten Meinung wird diese Gefahr weitestgehend ignoriert oder verharmlost.

Es gibt verschiedene Gründe für die gestiegene Gefahr eines Atomkriegs:

  • Eine große Rolle spielt die Kündigung  beziehungsweise Aussetzung von Abkommen zur nuklearen Rüstungskontrolle in den letzten 20 Jahren, insbesondere durch die USA, aber auch durch Russland. 2002 Kündigung des ABM-Vertrags zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen durch die USA 2019 Kündigung des INF-Vertrags zunächst durch die USA, dann auch durch Russland. Inhalt des Vertrags: Abbau von nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen und deren Abschussvorrichtungen und Verbot der Herstellung neuer derartiger Waffen.
    Es gibt heute  im Grunde keine wirksamen Abkommen zur nuklearen Rüstungskontrolle mehr.
     
  • Eine Folge des Mangels an Rüstungskontrollabkommen ist die verstärkte Aufrüstung der Atomwaffenstaaten und die Modernisierung ihrer Arsenale, auch der Ausbau so genannter taktischer Atomwaffen. Modernisierung heißt dabei, dass die Waffen „zerstörungsstärker, zielgenauer, und flexibler einsetzbar sind als ihre Vorgänger - und damit gefährlicher und unberechenbarer für den Gegner“1. Der verharmlosende Begriff ‚taktisch‘ heißt, dass Militär-Strategen die Vorstellung haben, mit diesen Waffen einen auf bestimmte Gebiete begrenzten Atomkrieg führen zu können, wobei diese so genannten taktischen Waffen eine bis zu 10-mal so große Sprengkraft wie die Hiroshima-Bombe haben können.
     
  • Zunächst mit der NATO-Osterweiterung, dann mit dem Ukraine-Krieg haben sich die Spannungen zwischen den Atommächten Russland und USA verschärft und damit natürlich ebenfalls die Gefahr eines Atomkrieges. Die massive waffentechnische, nachrichtentechnische und logistische Unterstützung der Ukraine mit dem Ziel, Russland zu besiegen, erhöht ebenfalls die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen. Die russische Militärdoktrin sieht bei der Bedrohung des eigenen Landes den Einsatz von Atomwaffen vor. Dies ist übrigens bei den NATO-Staaten nicht anders.
     
  • Die extrem kurzen Vorwarnzeiten, insbesondere in Europa durch die Stationierung von Mittelstreckenwaffen, erhöhen die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen. Auch durch die Entwicklung von Hyperschallwaffen werden die Vorwarnzeiten extrem verkürzt.

Deutschland ist über die nukleare Teilhabe Teil der nuklearen Rüstungsspirale. Nukleare Teilhabe bedeutet innerhalb der NATO-Strategie, dass Mitgliedsstaaten, die über keine eigenen Atomwaffen verfügen, in die Lagerung, Zeitplanung und den Einsatz von Atomwaffen einbezogen werden. Die deutsche Regierung plant in den nächsten Jahren den Ausbau dieser Teilhabe. Sie ist fest entschlossen, mehr als zehn Milliarden Euro für den Erwerb von 35 Flugzeugen des Typs »F-35« auszugeben. Diese sollen den Tornado in seiner Rolle als Träger für die in Büchel stationierten US-Atombomben ablösen. Mitte Februar wurde bekannt, dass der deutsche Konzern Rheinmetall ein Stück dieses lukrativen Rüstungsgeschäfts abhaben will: Der Mittelrumpf der F-35 für das deutsche Militär soll in Deutschland gefertigt werden. Ein deutsches Unternehmen beteiligt sich an der Fertigung eines Atombombers!
Auch die 15-20 US-Atombomben des Typs B61 sollen ab diesem Jahr durch ein neues Modell – die B61-12 – ersetzt werden. Deren Sprengkraft ist mehr als viermal so hoch wie das Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe. Außerdem ist die B61-12 lenkbar und damit zielgenauer als das alte Modell. Die Militär-Strategen halten die neue Bombe damit für besser einsetzbar. Dabei ignorieren sie: Atomwaffen dürfen nie wieder eingesetzt werden! Der Einsatz von Atomwaffen und auch schon die Drohung mit dem Einsatz widersprechen dem Völkerrecht!

Was können wir als Friedensbewegung tun, um der atomaren Bedrohung entgegenzuwirken?

Unsere Forderungen müssen sich zunächst mal an unsere eigene Regierung richten, aber natürlich müssen wir auch die internationalen Akteure einbeziehen.

Die Abrüstung der Atomwaffen ist ein Ziel, zu dem sich Deutschland mit dem Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag vor fast 50 Jahren verpflichtet hat. Wir müssen die Bundesregierung in die Pflicht nehmen und uns gegen die nukleare Aufrüstung in Deutschland wenden! Wir fordern: Stopp der deutschen Beteiligung an der nuklearen Rüstungsspirale! Keine neuen F-35 Atombomber, keine neuen B61-12-Atombomben!
Die Bundesregierung sollte außerdem eine Initiative zur Beendigung der nuklearen Teilhabe starten und auf die anderen Teilhabestaaten (Italien, Niederlande, Belgien, Türkei) entsprechend einwirken. Dies könnte verbunden werden mit der Aufforderung an Russland, auf die Stationierung von Atomwaffen in Belarus zu verzichten, eine Art nuklearer Teilhabe auf russisch.
Dass eine solche Forderung zumindest in der Vergangenheit nicht völlig unrealistisch war, zeigt ein weitgehend vergessenes Ereignis.
Am 26. März 2010 stimmte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit einem Antrag der Fraktionen von CDU / CSU, SPD, FDP und Bündnis 90 / Die Grünen zu, in dem es heißt: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auch bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen“. Dieser Beschluss wurde bekanntlich nie umgesetzt. Neben massivem diplomatischen Druck der USA gilt als Grund dafür insbesondere, dass das Bundeskanzleramt den Abzug ausdrücklich ablehnte und den damaligen Außenminister Guido Westerwelle auflaufen ließ. Kanzlerin war damals Angela Merkel. US-Präsident war Barak-Obama, der 2009 noch die Abschaffung aller Atomwaffen als angebliches Ziel verkündet und u.a. deshalb den Friedensnobelpreis erhalten hatte.
Derzeit kann man von einer Außenministerin, die sich für den Abzug von Atomwaffen einsetzt, nur noch träumen. So was gehört wohl nicht zur feministischen Außenpolitik.

Weiterhin sollte perspektivisch ein neues Abkommen zwischen Russland und den USA verbindlich festlegen, dass beide Länder generell und dauerhaft darauf verzichten, Atombomben in anderen Staaten zu stationieren.

Deutschland sollte schleunigst dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten, der bereits von 86 Staaten unterzeichnet wurde.

Die Beendigung des Ukraine-Kriegs mit allen diplomatischen Mitteln anzustreben, ist das Gebot der Stunde. Es muss Schluss sein mit Waffenlieferungen, die die Spannungen erhöhen, den Krieg verlängern und die atomaren Gefahren verschärfen. Auch wenn es vielen schwerfällt, dies zu akzeptieren: alle Kräfte müssen darauf gerichtet werden, schnellstmöglich einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen herzustellen. Nur so kann weiteres Töten und weitere Vernichtung und eine Erhöhung der Atomkriegsgefahr verhindert werden. Natürlich sind mit einem Waffenstill-stand die Probleme nicht gelöst, aber er ist die Voraussetzung, um über Verhandlungen überhaupt zu Lösungen kommen zu können.

Es muss Schluss sein mit dem nuklearen Säbelrasseln! Wir verurteilen die Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen von allen Seiten. Von der Bundesregierung fordern wir, sich innerhalb der NATO dafür einzusetzen, dass USA und die NATO verbindlich erklären, im Ukrainekrieg und darüber hinaus keine Atomwaffen einzusetzen. Gleiches fordern wir selbstverständlich von Russland.

Außerdem fordern wir von den USA und Russland wieder in Verhandlungen über nukleare Abrüstung einzutreten. Nie war dies dringlicher als jetzt!

 

 

Wolfgang Bluhm ist aktiv beim Krefelder Friedensbündnis.