Redebeitrag für den Ostermarsch Ulm am 30. März 2024

 

- Sperrfrist: 30. März 2024, Redebeginn: 10 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

nach mehr als zwei Jahren erbitterten Kämpfen in der Ukraine stehen wir hier. Mehr als zwei Jahre seit dem Überfall Russlands. Und mehr als zwei Jahre, in denen die Auswirkungen und die Begriffe der deutschen Mobilmachung nur so auf uns einprasseln. Das neue Ziel der "Kriegstüchtigkeit", das 100-Mrd.-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, das Ziel, zukünftig 2% des BIP für Krieg und Rüstung auszugeben, die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht,...

Und gleichzeitig wissen wir, was sich hinter diesen kalten Begriffen verbirgt: Jeden Tag sterben in Kriegen Kinder, Frauen und Männer, Zivilist*innen und Soldat*innen, für Nationalismus, Macht und Profitgier. Solches Elend verstecken die Politiker*innen hinter Begriffen wie Selbstverteidigungsrecht und Sicherheit.

Waffen im Wert von immer höheren Milliardenbeträgen werden an die Ukraine geliefert.

Nicht nur die Beträge, auch die Feuerkraft der gelieferten Waffen nimmt ständig zu – man kann förmlich zusehen, wie die Eskalationsleiter immer weiter hochgeklettert wird:

Erst waren es Helme, dann Panzerhaubitzen, dann Flakpanzer (Gepard), dann Schützenpanzer (Marder), dann vor einem Jahr die Leopard-2-Panzer.

Aktuell wird wieder über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern diskutiert, was von russischer Seite immer wieder als rote Linie definiert wurden.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wir lehnen all diese Waffenlieferungen kategorisch ab!

Wir lehnen diese Waffenlieferungen kategorisch ab – und zwar mit guten Gründen. Ich will einmal einige aufzählen:

1. das Eskalationspotenzial

Die Gefahr, dass es zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland kommt, ist real – und sie nimmt zu.

Letztes Jahr wurden in Deutschland ukrainische Soldaten an den Marder-Schützenpanzern und den Leopard-2-Panzern ausgebildet.

Das ist brandgefährlich: Ich erinnere hier nur an das im Mai 2022 erschienene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Lieferung von Kriegsgerät sei noch nicht als Kriegsbeteiligung zu werten, die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Geräten hingegen schon.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

eine deutsche de facto Beteiligung an einem Krieg mit einer Nuklearmacht ist nichts anderes als ein Würfelspiel mit der Katastrophe und ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer!

Das ist aber nur ein Grund, gegen diese Waffenlieferungen zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, was mit ihnen bezweckt werden soll:

Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren, einen Monat nach Beginn des russischen Angriffskriegs standen die Ukraine und Russland kurz vor einer Verhandlungslösung.

Doch dann wurde vom Westen signalisiert, dass eine Verhandlungslösung unerwünscht ist.

Und es war genau zu diesem Zeitpunkt, als Umfang und Feuerkraft der westlichen Waffenlieferungen enorm zunahmen. Das war nichts anderes als die klare Botschaft an die Adresse der Ukraine, den Krieg fortzusetzen.

Doch mit welchem Ziel?

Der Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt:

„Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen!“

Was heißt das? Und vor allem, ist das realistisch?

Wohl kaum! Selbst US-Generalstabschef Mark Milley sagte vor über einem Jahr bereits, er halte es für ausgeschlossen, dass die Ukraine den Sieg auf dem Schlachtfeld davontragen könnte. Sie habe das maximal mögliche erreicht, nun müssten Verhandlungen aufgenommen werden.

Doch genau das wird abgelehnt – wenn aber Waffen im vollen Wissen geliefert werden, dass sie nur zu einem Abnutzungskrieg und weiteren Todesopfern führen, dann ist wohl auch genau das das Ziel.

John Mearsheimer – einer der bekanntesten US-Politikwissenschaftler und bestimmt kein Pazifist – kritisierte vor einer Weile, die NATO habe keinerlei Interesse an einer Verhandlungslösung. Sie wolle stattdessen den Krieg so lange wie nur möglich fortsetzen – bis zum letzten Ukrainer, wie er es formulierte -, um dadurch Russland so weit wie möglich zu schwächen.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

das ist es, was die westlichen Waffenlieferungen eigentlich bezwecken sollen!

Und deshalb bin ich nicht nur schockiert, ich bin auch wütend über all diejenigen, die ohne Sinn und Verstand nach immer mehr Waffen krakeelen! Gerade die Grünen, die 2021 im Wahlkampf noch mit Plakaten gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete für sich warben, sind da ganz vorne mit dabei.

Was mich nach einem Jahr Ukraine-Krieg auch beunruhigt: Die Aufrüstung in Deutschland aktuell.

100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Und das, während das Geld eigentlich dringend in anderen Bereichen benötigt wird – Bereiche, in denen uns gesagt wird, das Geld sei nicht da. Das betrifft den Klimaschutz, das Gesundheitssystem, die Bildung, die Renten – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dieses Geld jetzt für Aufrüstung zu verbrennen, ist eine politische Entscheidung, die wir entschieden ablehnen.

Und es ist nichts anderes als Desinformation, wenn uns ständig erzählt wird, die Bundeswehr sei kaputt gespart worden. Das stimmt einfach nicht. In den letzten 10 Jahren haben sich die Militärausgaben mehr als verdoppelt!

2014 waren es nach NATO-Kriterien noch 34,7 Mrd. Euro, im laufenden Jahr sind es fast 86 Mrd. Euro!

Das ist eine Aufrüstung, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig ist!

Und man muss sich einmal vor Augen führen, wie viel Geld das ist, das da jedes Jahr für Aufrüstung verbrannt wird:

86 Mrd. Euro. Bei einem Bundeshaushalt von knapp 477 Mrd. Euro sind das etwa 18% des gesamten Bundeshaushalts. Das heißt es werden für Krieg und Rüstung in Deutschland im Jahr 2024 mehr ausgegeben als für Bildung (21,5 Mrd), Gesundheit (16,7 Mrd), Entwicklung (11,2 Mrd), Wirtschaft, Klima (11,1 Mrd), Wohnen (6,7 Mrd), Auswärtiges (6,7 Mrd) und Umwelt (2,4 Mrd) zusammen!

Und in drei Jahren werden die 100 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen aufgebraucht sein. Der Verteidigungshaushalt soll trotzdem auf demselben Niveau bleiben. Das bedeutet Sozialabbau.

Da ist eine jährliche Lücke von mehr als 30 Mrd. Euro im Bundeshaushalt. Wo zur Hölle soll das herkommen?

Clemens Fuest, der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, warb im Februar mit fragwürdigen Metaphern für Aufrüstung durch Kürzungen im Sozialbereich. Er sagte:
„Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“

Damit befindet sich Fuest in zweifelhafter Gesellschaft. „Kanonen ohne Butter“ forderten die Nazis Rudolf Heß und Josef Goebbels bereits, als für den zweiten Weltkrieg aufgerüstet wurde.

Goebbels sagte 1936: „Wir werden zu Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen.“ Rudolf Heß warb mit der Parole „Kanonen statt Butter“ in einer Rede am 11. Oktober 1936 für Aufrüstung und schwor die Bevölkerung darauf ein, Versorgungsengpässe hinzunehmen.

Bertold Brecht fand bereits damals aus dem Exil eine passende Antwort darauf:

„Sonst aber wäre zu sagen,
dass Kanonen auf den leeren Magen
nicht jedes Volkes Sache sind“

Recht hat er! Wir haben da auch noch was mitzureden, liebe Freundinnen und Freunde!

Lasst uns diesen Kriegstreiber*innen im eigenen Land in den Rücken fallen und ihnen zeigen, dass wir diese unsozialen Machenschaften nicht akzeptieren!

Dieser deutsche Kriegsrausch ist ein Dammbruch. Es hat sich hier über Jahrzehnte schon jede Menge angestaut: Die NATO-Osterweiterungen, das Gelaber über eine neue deutsche "Verantwortung" in der "Sicherheitspolitik", deutsche Kriegseinsätze in Jugoslawien und Afghanistan, usw.

Aber die deutsche Zivilgesellschaft und wir als Bewegungen waren bis jetzt immer eine Stolperfalle für die Kriegstreiber*innen, wir waren immer ein sehr wichtiger Gegenpol.

Darum: lasst uns gemeinsam auf die Straße gehen! Nicht nur heute, sondern das ganze Jahr über, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Gründe und Ansatzpunkte dafür gibt es genug! Es gibt hier jede Menge Rüstungsunternehmen und Militäreinrichtungen, die unseren Protest verdienen!

Auf eines möchte ich kurz genauer eingehen:
das Joint Support and Enabling Command, kurz JSEC. Dieses NATO-Hauptquartier hier in Ulm ist dafür zuständig, die Verlegung von Truppen und Material im gesamten europäischen NATO-Gebiet zu koordinieren. Faktisch geht es vor allem darum, den schnellstmöglichen Aufmarsch des NATO-Kriegsbündnisses Richtung Russland vorzubereiten. Dadurch ist Ulm im Falle eines Kriegs mit Russland ein relevantes Kriegsziel.

Wir sagen zum JSEC klipp und klar: Nein!

Wir fordern stattdessen die Schließung aller Militäreinrichtungen in Ulm! Krieg beginnt hier, lasst ihn uns hier stoppen!

Wir sind gegen Waffenlieferungen!

Wir sind gegen Aufrüstung und die militaristische Zeitenwende!

Wir fordern stattdessen Geld für eine Zeitenwende in der Klimapolitik!

Für eine Zeitenwende im sozialen Bereich!

Für eine Zeitenwende im Gesundheitssystem!

All das ist schon seit Jahren überfällig!

Wir sind für eine solidarische Welt ohne Kriege!

Vielen Dank.

 

Alexander Kleiß ist aktiv bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.