Redebeitrag für den Ostermarsch in Münster am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Hi! 

Geboren und aufgewachsen bin ich in Kirowograd, einer kleinen Großstadt in der Zentralukraine. In einer Region und in einer Stadt, in der seit Jahrhunderten die friedliche Nachbarschaft von Kirchen verschiedener Konfessionen mit Synagogen und die Verschmelzung von Ethnien und Kulturen nicht nur eine Selbstverständlichkeit war, sondern als wesentlich für den Frieden und das Wohlergehen der Gesellschaft angesehen wurde. Diese grundlegende Bedeutung des Verständnisses füreinander und die bereichernde Wirkung einer solchen Verschmelzung konnte ich schon als Kind in der Schule, im Freundeskreis und in meiner eigenen Familie erleben.
Doch 2021, ein Jahr bevor die Gewalt in der Ukraine ihr heutiges Ausmaß erreichte, verließ ich mein Heimatland und kam als Student nach Köln.

Meine Auswanderung nach Deutschland war nicht spontan und die Richtung war von vornherein festgelegt. Die Länder, die mir als Biochemiestudent gute Studien- und Berufschancen bieten konnten, waren genau die Länder, die auf den Prinzipien der Verständigung, des Respekts und der Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aufgebaut sind, auf der Grundlage all dessen, was in meinem Heimatland immer weniger Platz fand.

Zu meinem Leid, in meinem Heimatland konnte ich auch erleben, wie die vorher unbedeutenden Unterschiede künstlich überbewertet, instrumentalisiert und für politische Zwecke missbraucht werden. Ich konnte sehen, wie die kleinsten kulturellen Eigenheiten als unüberwindbare Brüche, als Ursachen aller gesellschaftlichen Widersprüche und auch als Erklärung für jedes Scheitern der Regierungspolitik hingestellt wurden.

Ich habe erlebt, wie Politiker und Fernsehmoderatoren, aber auch Lehrer an Schulen und Universitäten versuchen, die Mitschüler, Kommilitonen und Familienmitglieder von gestern als „zombifizierte Wilde“ abzustempeln, die nicht in der Lage sind, eigenständige Entscheidungen zu treffen, und deren Beschwerden und Argumente nichts Anderes als Feindpropaganda sind und als solche abgetan werden müssen. Man konnte sehen, dass viele Menschen, die die grundsätzliche Abscheulichkeit dessen, was geschah, erkannten, immer noch glaubten, dass dieser Hass kontrollierbar sei, dass dieser Hass irgendwie zum Wohle der Allgemeinheit kanalisiert werden könnte. Und klar, dieser Hass war im Grunde unkontrollierbar.

Dieser Hass, geschürt durch Ressentiments, vergiftet und zerstört Freundschaften, Familien, ganze Länder und breitet sich über deren Grenzen hinaus. 

Und wenn alle Verantwortung auf die Schultern des Feindes abgewälzt wird, wenn der Feind selbst entmenschlicht wird, wenn selbst der Wunsch nach Frieden und Kompromissen in der Gesellschaft als persönliche Beleidigung empfunden wird, dann dreht sich die Spirale der Gewalt. Und mit jedem neuen Soldaten und jeder neuen Granate dreht sich diese Spirale weiter und weiter. Was schützen soll, gibt falsche Hoffnung auf Frieden durch Gewalt und Zerstörung und führt immer weiter weg von einer Lösung. Nach kurzer Zeit wird sich niemand mehr daran erinnern, wie winzig die anfänglichen Widersprüche waren, und kaum jemand wird innehalten und erkennen, wohin unser Konfliktmodus uns geführt hat.  

Heute sehe ich sehr deutlich, dass bewaffnete Konflikte nicht durch die Radikalisierung breiter Bevölkerungsschichten entstehen. Sie entstehen durch die unverhältnismäßig einflussreiche und laute Minderheit der Kriegsbefürworter, aber auch durch die Apathie und das Schweigen der Mehrheit. (Applaus) Nur durch das Füllen des medialen Raums mit dem monotonen Mantra von „gerechtem Krieg und russischen Orks“ oder von „Menschentieren und dem Recht auf Verteidigung“, nur so kann sich diese kleine Minderheit als Mehrheit darstellen und die gesamte Gesellschaft im Kriegsmodus halten.

Gerade wegen des regierenden Kriegsmodus hat die wahre Mehrheit, die unter den Bombardierungen in den Kriegsgebieten, aber auch unter der Inflation im Westen und einfach dem Hunger im Süden leidet, gerade deshalb hat diese Mehrheit das Recht und die Pflicht, die Politik der Spaltung in "wir" und "die" abzulehnen, die andere Seite nicht als Feind zu brandmarken und die Rückkehr zum Dialog zu fordern. (Applaus)

Zu einem Dialog, der es ermöglicht, den Vormarsch der extremen politischen Kräfte in 

Russland und in der Ukraine, aber auch in Israel, in Europa und in den USA zu stoppen. Die Demokratie ist wirklich weltweit bedroht und nur eine weltweite Ablehnung konfrontativer Politik kann den Radikalen den Wind aus den Segeln nehmen und die Demokratien sichern. (Applaus) Ja. Wir sehen keine nachhaltige Lösung für diesen oder irgendeinen anderen modernen Krieg in den Kanonenrohren. Die Lösung liegt ausschließlich im gegenseitigen Verständnis und in einer Weltordnung, in der das Streben nach gegenseitigem Nutzen und Frieden über dem Egoismus der Gruppen dominiert. (Applaus)

Mit jedem neuen Tag zerstört dieser Krieg die Ukraine weiter. Den offiziellen ukrainischen Daten zufolge ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern seit der Eskalation des Konflikts von 66 auf 57 Jahre gesunken, nach offiziellen Daten. Die Waffenlieferungen, die bravouröse Unterstützung des Krieges durch die Verbündeten, die Kriegstreiberei, die großen PR-Siege an der Front und die all neuen Opfer - all das dient den Bedürfnissen der Politiker und nicht den Bedürfnissen meines Landes. (Applaus)

Und mein Land braucht realistische und durchführbare Friedensinitiativen und einen sofortigen Waffenstillstand. (Applaus)

Der Kriegsmodus hat schon mehrere Länder vor unseren Augen in die Katastrophe geführt, versuchen wir nun überzeugend genug zu sein, um das Gleiche hier zu verhindern und es anderswo zu beheben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

 

Andrii Konovalov ist ukrainischer Kriegsdienstverweigerer und Student und lebt in MÜnster.