Redebeitrag für den Ostermarsch in Würzburg am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Nie wieder ist jetzt - in Gaza!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Das Thema ist Gaza. Nicht, weil ich dazu gerne reden wollte. Sondern weil ich fand, dass es thematisiert werden muss und es bei den anderen Vorschlägen nicht dabei war.

Es gibt Ansprüche an die Rede (teilweise von mir selbst):

  • ausgewogen
  • verständlich
  • die wichtigsten Fakten
  • nicht strafbar
  • maximal 7 Minuten
  • Hoffnung/Perspektive bieten

sorry, das sind ein paar Wünsche zu viel auf einmal, da werden wir Abstriche machen müssen.

Jeder halbwegs ernsthafte Versuch, den sogenannten Nahostkonflikt historisch zu erklären und rechtlich einzuordnen, braucht wahrscheinlich die doppelte Zeit – für die Vorbemerkungen.

Ich will auch gar nicht behaupten, dass ich den Konflikt inklusive israelischer Innenpolitik und interner Belange der Palästinenser in und auswendig kennen würde.

Das ist auch gar nicht nötig, weil hier jetzt nicht der Ort und die Zeit für solche Ausführungen ist.

Eine Vorbemerkung muss ich machen:

Mir ist sehr bewusst dass es auf israelischer Seite Opfer, Trauer und traumatisierende Erlebnisse gibt und es liegt mir fern, das negieren oder verharmlosen zu wollen.

Ich gehe darauf nur deshalb nicht weiter ein, weil ich nicht den Eindruck habe, dass das in der deutschen Öffentlichkeit in Relation zu wenig Raum bekommen hätte.

Aber es gibt Dinge, die gesagt werden müssen:

In Israel/Palästina geschehen ungeheuerliche Verbrechen und das nicht erst seit dem 9. Oktober letzten Jahres.

An diesem Tag sagte der israelische Verteidigungsminister:

„Ich habe eine vollständige Blockade des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Nahrung, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir bekämpfen menschliche Tiere und handeln entsprechend.“

Das kam auch so in der Tagesschau. Was mir dazu einfällt: Nie wieder ist jetzt in Gaza!

Unter diesem Motto (ohne Gaza) ist in den letzten Monaten öffentlichkeitswirksam viel gesagt worden. Die bittere Ironie darin ist bestimmt nicht nur mir aufgefallen.

Ja, wir haben hier Probleme mit Antisemitismus, das steht außer Frage.

Der Umgang mit dem Begriff ist eines davon. Ich möchte an dieser Stelle die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus empfehlen (zu finden unter https://jerusalemdeclaration.org/).

Bei der Berlinale gab es einen „großen Antisemitismus-Skandal“.

Was war da eigentlich los?

Ein palästinensischer Dokumentarfilmer fordert die BRD auf, keine Waffen an Israel zu liefern und ein israelischer Journalist sagt, dass das System der Ungleichheit enden müsse.

Zum eigentlichen Skandal schrieb Yuval Abraham auf Twitter:

(Zitat)

„Ein rechtsgerichteter israelischer Mob kam gestern in das Haus meiner Familie, um nach mir zu suchen, und bedrohte enge Familienmitglieder, die mitten in der Nacht in eine andere Stadt flohen. Ich erhalte immer noch Morddrohungen und musste meinen Heimflug stornieren.

Dies geschah, nachdem israelische Medien und deutsche Politiker meine Preisverleihungsrede auf der Berlinale - in der ich die Gleichberechtigung zwischen Israelis und Palästinensern, einen Waffenstillstand und ein Ende der Apartheid forderte - absurderweise als "antisemitisch" bezeichneten.

Der entsetzliche Missbrauch dieses Wortes durch Deutsche, nicht nur um palästinensische Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen, sondern auch um Israelis wie mich zum Schweigen zu bringen, die einen Waffenstillstand unterstützen, der das Töten in Gaza beenden und die Freilassung der israelischen Geiseln ermöglichen würde, entleert das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung und gefährdet damit Juden in der ganzen Welt.

Da meine Großmutter in einem Konzentrationslager in Libyen geboren wurde und der größte Teil der Familie meines Großvaters von Deutschen im Holocaust ermordet wurde, finde ich es besonders empörend, dass deutsche Politiker im Jahr 2024 die Dreistigkeit besitzen, diesen Begriff in einer Weise gegen mich zu verwenden, die meine Familie gefährdet.

Vor allem aber bringt dieses Verhalten das Leben des palästinensischen Co-Regisseurs Basel Adra in Gefahr, der unter einer militärischen Besatzung umgeben von gewalttätigen Siedlungen in Masafer Yatta lebt. Er ist in weitaus größerer Gefahr als ich.

Ich freue mich, dass unser preisgekrönter Film "No Other Land" eine wichtige internationale Debatte zu diesem Thema auslöst, und ich hoffe, dass Millionen von Menschen den Film sehen werden, wenn er in die Kinos kommt. Wir haben den Film gemacht, um eine Diskussion anzustoßen. Man kann harte Kritik an dem üben, was ich und Basel auf der Bühne gesagt haben, ohne uns zu verteufeln.

Wenn es das ist, was ihr mit eurer Schuld am Holocaust macht – ich will eure Schuld nicht.“ (Zitat Ende)

Es gibt eine ausführlich begründete Klage Südafrikas beim Internationalen Gerichtshof, die Israel vorwirft, in Gaza einen Völkermord zu begehen.

Das Gericht hat zunächst einmal eingeräumt, dass die Ereignisse in Gaza durchaus einen plausiblen Verdachtsfall von Genozid darstellen und bestimmte Maßnahmen, wie humanitäre Hilfe eingefordert. Außerdem gab es die Aufforderung an Israel, bis zu einem bestimmten Termin zu belegen, welche Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermordes ergriffen wurden.

Was passierte unmittelbar danach?

Es wurden Anschuldigungen veröffentlicht, dass einzelne Mitarbeiter des UN Hilfswerks an Greueltaten am 7. Oktober beteiligt gewesen seien. Daraufhin haben unter anderem die USA und die BRD Zahlungen eingestellt.

Wegen 12 Mitarbeitern, denen etwas vorgeworfen wurde, 12 von 13.000!

Die humanitäre Lage im Gazastreifen - die ja auch lange vor der Eskalation letztes Jahr schon katastrophal war – hat sich dadurch natürlich nicht verbessert und inzwischen hat sogar der UN Sicherheitsrat eine Resolution mit der Forderung einer sofortigen Waffenruhe beschlossen.

Vorgestern erst hat der Internationale Gerichtshof einstimmig festgestellt, dass sich die Lage in Gaza weiter verschlechtert und Israel noch einmal ausdrücklich zur Gewährung mehr humanitärer Hilfe aufgefordert.

Hoffen wir, dass die Waffenruhe eingehalten wird, die Geiseln freigelassen werden und endlich Gespräche hin zu einem gerechten Frieden stattfinden können.

Im Rahmen der Münchner Friedenskonferenz durfte ich im Februar Menschen aus Israel und Palästina erleben, die an bewaffneten Kämpfen beteiligt waren und sich inzwischen für Frieden und Verständigung einsetzen.

Die beiden Freunde von den Combatants for Peace haben Ihre bewegenden Geschichten erzählt und besonders betont, wie wichtig es ist, einander als Menschen zu sehen und einander zuzuhören. Davon können wir alle lernen.

 

Christian Weber ist aktiv bei der DFG-VK Würzburg und attac Würzburg.