Redebeitrag für den Ostermarsch in Würzburg am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Berauscht von ‚Kriegstüchtigkeit‘? Nie wieder!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wie hätte sie ihr politisches Vermächtnis wohl heute formuliert, – hätte sie noch miterleben müssen, wie der Präsident des Europarats, Charles Michel, kurz vor den EU-Wahlen erklärt: „Wenn die EU nicht richtig reagiert und die Ukraine nicht ausreichend unterstützt, um Russland aufzuhalten, sind wir die Nächsten. Wir müssen daher verteidigungsbereit sein und in einen ‚Kriegswirtschafts‘-Modus übergehen“ – hätte sie ferner ertragen müssen, wie die Bundesbildungsministerin fordert, die Schule solle mehr über Kriege, Bundeswehr und Zivilschutzmaßnahmen vermitteln und der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes sekundiert, es sei „ein neues Bewusstsein für militärische Bedrohung“ zu entwickeln; dieses müsse künftig „auch an Schulen vermittelt werden“. – hätte sie mit ansehen müssen, wie Hochschulen angeordnet wird, stärker als bisher in die Rüstungsforschung einzusteigen und somit das Ende, in Bayern gar das Verbot der Zivilklausel eingeläutet wird.

Statt kritischem Denken und Friedensbildung, statt Erlernen und Erforschen von Wegen zur überlebensnotwendigen Völkerverständigung, ist also wieder dem Fetisch der Militarisierung, der ‚Kriegstüchtigkeit‘ zu huldigen. Wieder die rigorose, politisch und medial als alternativlos konstruierte Zurichtung der ganzen Gesellschaft auf den Krieg hin! Berauscht vor ‚Kriegstüchtigkeit‘ – schon wieder? Erinnern wir uns wirklich nicht mehr?

Ihr ist das Erleben dieser wahnwitzigen Eskalationsspirale erspart geblieben – doch ihre Stimme einer überzeugten Pazifistin fehlt umso mehr:

Antje Vollmer bleibt unvergessen als eine integre Grünen-Politikerin der ersten Stunde, langjährige Bundestagsabgeordnete und zeitweise Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Sie ließ sich nicht verbiegen und widersetzte sich der obsessiven bellizistischen Kehrtwende ihrer Partei. Bis zuletzt wurde sie nicht müde, für Diplomatie und Interessenausgleich zu werben und ihre Stimme gegen die grassierende Dominanz militärischer Antworten auf globale Fragen zu erheben.

Kurz vor ihrem Tod im März 2023 veröffentlichte die Berliner Zeitung ihr politisches Vermächtnis, verfasst vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. „Den Hass und den Krieg gründlich verlernen“, dieser Appell von Antje Vollmer richtet sich mit jedem Tag des Kriegsgeschreis dringlicher an alle, die unser aller Zukunft noch nicht ganz aufgegeben haben. Das Vermächtnis dieser aufrechten Politikerin ist es wert, nicht vergessen zu werden. Hier daher ein Auszug daraus:

„Es ist üblich geworden, zu Beginn jeder Erwähnung der ungeheuren Tragödie um den Ukraine-Krieg wie eine Schwurformel vom völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Putins bei feststehender Alleinschuld der russischen Seite zu reden und demütig zu bekennen, wie sehr man sich geirrt habe im Vertrauen auf eine Phase der Entspannung und der Versöhnung mit Russland nach der großen Wende 1989/90.

[Doch] wann und wie entstand aus einer der glücklichsten Phasen in der Geschichte des eurasischen Kontinents, nach dem nahezu gewaltfreien Ende des Kalten Krieges, diese erneute tödliche Eskalation von Krieg, Gewalt und Blockkonfrontation? Wer hatte Interesse daran, dass die damals mögliche friedliche Koexistenz zwischen Ost und West nicht zustande kam, sondern einem erneuten weltweitem Antagonismus anheim fiel? Und
dann die Frage aller Fragen: Warum nur fand ausgerechnet Europa, dieser Kontinent mit all seinen historischen Tragödien und machtpolitischen Irrwegen, nicht die Kraft, zum Zentrum einer friedlichen Vision für den bedrohten Planeten zu werden?

Für die Deutung historischer Ereignisse ist es immer entscheidend, mit welchen Aspekten man beginnt, eine Geschichte zu erzählen. 1989 ist eine Ordnung zerbrochen, ohne dass eine neue Friedensordnung an ihre Stelle
trat, ...das haltbare Konzept einer stabilen europäischen Friedensordnung..., das allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion einen Platz verlässlicher Sicherheit und Zukunftshoffnungen anzubieten vermocht hätte.

Die wichtigsten Fragen, die heute zwischen Ost und West verhandelt werden müssten, lauten: Was bedeutet es eigentlich, eine europäische Nation zu sein? Was sind die Lehren aus unserer Geschichte? Welche Ideale prägen uns? Welche Irrtümer und Verbrechen?

Jahrhundertelang haben nationale Exzesse die Geschichte unseres Kontinents geprägt. Keine Nation war frei davon. Es ist ein fataler Irrtum, zu meinen, durch den Widerstand gegen die anderen imperialen Mächte gewinne der eigene Nationalismus so etwas wie eine historische Unschuld.

Was Europa endlich verlernen muss, ist das ständige Verteilen von Ketzerhüten, das Ausmachen von Achsen des Bösen und von immer neuen Schurkenstaaten. Der so selbstgewisse Westen muss einfach lernen, dass die übrige Welt unser Selbstbild nicht teilt. Meine Hoffnung besteht darin, dass sich aus all dem eine neue Blockfreienbewegung ergeben wird, die nach der Zeit der vielen Völkerrechtsbrüche wieder am alleinigen Recht der UNO arbeiten wird, dem Frieden und dem Überleben des ganzen Planeten zu dienen.

Ich erinnere mich an meine großen Vorbilder: Die härtesten Bewährungsproben hatten die großen Repräsentanten gewaltfreier Strategien immer in den eigenen Reihen zu bestehen. Gandhi hat mit zwei Hungerstreiks versucht, den Rückfall der Hindus und Moslems in die nationalen Chauvinismen zu stoppen, Martin Luther King musste sich von den Black Panthers als zahnloser Onkel Tom verhöhnen lassen. Ihnen wurde nichts geschenkt. Und das gilt auch heute für uns letzte Pazifisten. Wer... den Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung sucht, gilt als schwach und deswegen als irrelevant, ja als verachtenswert. ...[Gorbatschows] große Vorleistung des Gewaltverzichts… wurde als Schwäche gedeutet.

Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste.

Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“

 

Eva Peteler ist aktiv beim Florakreis in Würzburg.

 

Anmerkungen: