Redebeitrag für den Ostermarsch in Freiburg am 28. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
der Krieg in Europa ist zur alltäglichen Realität geworden. Wir haben uns fast schon daran gewöhnt. Nach dem 2. Weltkrieg waren sich alle einig: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Beides bedroht uns nun erneut. Während in den letzten Wochen und Monaten viele in Deutschland mit der Parole „Nie wieder ist jetzt“ auf die Straße gehen und – zu Recht – gegen immer lauter werdende Rechte und Nazis protestieren, fragen wir uns: Wo bleiben die Massen, um den uns alle bedrohenden Militarismus zurückzuweisen?

Der Krieg, der seit über 2 Jahren in der Ukraine Tod, Leid und Zerstörung bringt – darüber sind wir uns einig – ist völkerrechtswidrig und – wie jeder Krieg – ein Verbrechen an seinen Opfern.

Von allen, die dafür Verantwortung tragen, fordern wir, für einen sofortigen Waffenstillstand zu sorgen. Von Präsident Putin, aber ebenso von Präsident Selenskyj, von Präsiden Biden und all den anderen. Werden Sie endlich ihrer Verantwortung gerecht und beenden Sie diesen Krieg !

Wie in jedem Krieg, in jedem Konflikt gibt es auch hier mindestens 2 Seiten.

Wenn ich behaupte, dass auch der Westen, dass die NATO und somit auch die deutsche Regierung mitverantwortlich sind für diesen Krieg, wird mir das schnell als Putinpropaganda ausgelegt.

Aber die Weigerung, die eigenen Anteile an dieser sich abspielenden Katastrophe zu sehen, beraubt uns der Chance, einen wichtigen Beitrag zu ihrer Beendigung zu leisten.

Ich will hier nur zwei Aspekte anführen, der es offensichtlich macht, dass der Westen aktiv dazu beigetragen hat, den Krieg zu eskalieren und Chancen für eine friedliche Beilegung hintertrieben hat.

Nachdem im März und April 2022, schon bald nach dem Einmarsch Russlands, Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sowohl unter Vermittlung der Türkei als auch des damaligen Israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett weit fortgeschritten waren und sich eine Einigung abzeichnete, die weitreichende Sicherheitsgarantien für Russland und im Gegenzug den Rückzug russischer Truppen hinter die Grenzen vor dem 24. Februar beinhaltenden, wurde die Einigung von westlichen Regierungen unterbunden. Das ist inzwischen hinreichend belegt und nicht mehr zu leugnen. Das Ende des Krieges wurde von westlichen Regierungen zu diesem Zeitpunkt nicht gewollt, stattdessen sollte die Ukraine mit westlicher Unterstützung dafür sorgen, dass Russland dauerhaft militärisch, wirtschaftlich und politisch geschwächt wird. Dafür bezahlen die Ukrainerinnen und Ukrainer einen unerträglich hohen Preis.

Die umfangreichen Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine tragen seit Beginn zur Eskalation des Krieges bei. Dabei wurden mehrfach zuvor festgelegte Grenzen überschritten. Aktuell wird über die Lieferung von Taurus Marschflugkörpern diskutiert und die Kriegstreiber werden nicht aufhören, bevor auch diese Grenze fällt. Die Taurus haben eine Reichweite von über 500 km. Damit sind sie in der Lage, vom Ukrainischen Luftraum aus Moskau zu erreichen. Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn damit der Kreml angegriffen wird. Spätestens dann ist Deutschland aus russischer Sicht unmittelbar am Krieg beteiligt.

Bevor ich weiter auf die Gefahr einer Ausweitung des Krieges bis hin zum Atomkrieg eingehe, will ich auch über den zweiten Krieg sprechen, der nun tobt.

Seit fast einem halben Jahr ist der Konflikt in Palästina zu einem mörderischen Krieg eskalierten mit inzwischen über 100.000 Opfern, davon über 30.000 Toten. Dazu kommen über 2 Millionen interne Flüchtlinge, die nun vor unseren Augen zu verhungern drohen.

Während nun denen, die das brutale und unbarmherzige Vorgehen der palästinensischen Hamas kritisieren, vorgeworfen wird, das jahrzehntelange Leid der Palästinenser zu ignorieren; und während denen, die eine teilweise rechtsradikale israelische Regierung kritisieren, die einen mörderischen Krieg gegen das palästinensische Volk führt, Antisemitismus vorgeworfen wird, währenddessen tobt dieser Krieg, sterben weiter Kinder- Mütter und Väter.

Während wir hier darüber debattieren, wer die Verantwortung trägt, droht dieser Krieg weiter zu eskalieren. Es ist nicht absehbar was geschieht, wenn sich daraus ein Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten entwickelt.

Auch dieser Krieg wird unter anderem mit Waffen aus Deutschland geführt. Seit Oktober sind die deutschen Rüstungsexporte nach Israel steil in die Höhe gegangen. Deutschland macht sich damit mitverantwortlich für einen Krieg, unter dem vorrangig die Zivilbevölkerung leidet und den nun auch die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, als Völkermord bezeichnet hat.

Wir fordern von der Bundesregierung, die Waffenlieferungen einzustellen und sich mit aller Kraft für einen bedingungslosen, sofortigen Waffenstillstand einzusetzen.

Eines darf man dabei nicht vergessen: Auch hier ist – mit Israel – eine Atommacht beteiligt. Seit vielen Jahren patrouillieren israelische U-Boote der Dolphin-Klasse, die Deutschland an Israel geliefert hat, mit Atomwaffen an Bord in den Meeren der Region. Wenn sie zum Einsatz kommen sollten, ist Deutschland also auch hier beteiligt.

Seit 40 Jahren beschäftige ich mich nun mit den Gefahren eines Atomkrieges. Das erschien mit immer notwendig und wichtig, anfangs auch spürbar real. Aber immer auch ein bisschen – weit weg.

Nun lebe ich unter der durchaus bedrückenden Vorstellung, dass es diesmal wirklich ernst ist. Die Propaganda versucht diese Gedanken als Ängstlichkeit zu etikettieren. Dagegen sage ich: Wer jetzt keine Angst hat, der verschenkt sich und uns allen die Chance, die sich aus diesem uns warnenden Gefühl ergibt. Und ich meine eben nicht Ängstlichkeit. Aus der wächst kein Mut, aus der Angst sehr wohl.

Ich wünsche niemandem Angst. Aber Mut, den brauchen wir jetzt.

Wir müssen wieder herausfinden aus dieser Sackgasse. Es mag ja Uneinigkeit darüber geben, wie wir da hineingeraten sind. Aber es ist in unser aller vitalem Interesse, dass wir da lebend wieder herauskommen. Mit dem derzeit vorherrschenden Gut/Böse-Schema wird uns das nicht gelingen. Ich wünsche uns allen den Mut, das zu überwinden.

Uns wird vorgeworfen, wie seien naiv. Torsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und zufällig der CDU-Abgeordnete des Schwarzwald-Baar-Kreises, aus dem ich komme, hat uns im vergangenen Jahr nach dem Ostermarsch so tituliert. Aus der Perspektive der Kriegsbegeisterten mag das so erscheinen.

Ich sage Euch, was ich für naiv halte.

Wer im Zeitalter von Atomwaffen glaubt, einen Atomkrieg riskieren zu können (geschweige denn gewinnen, und selbst diese Vorstellung existiert. Es gibt in den USA Politiker, interessanter Weise mehr als Militärs, die auch heute glauben, einen Atomkrieg auf Europa begrenzen zu können und siegreich daraus hervor gehen zu können.) Wer das glaubt, ist nach meiner Überzeugung auf gefährliche Weise naiv.

Das Prinzip der Abschreckung ist, anders als uns erzählt wird, extrem instabil. Die Tatsache, dass wir heute noch leben, so hat es ein US-General und Oberbefehlshaber der US-Luftstreitkräfte mal gesagt, verdanken wir drei Dingen: Militärischer Disziplin, göttlicher Vorsehung und Glück. Bei den beiden ersten könnte man sich streiten, aber das Glück ist mit Sicherheit bisher auf unserer Seite gewesen. Wir sollten uns nicht darauf verlassen.

Mir wird regelmäßig übel, wenn ich sogenannte Experten in Diskussionsrunden sagen höre, dass sie den Einsatz von Atomwaffen durch Russland für „wenig wahrscheinlich“ halten. Abgesehen davon, dass sie das Prinzip der Nuklearen Abschreckung offenbar nicht verstanden haben, das nämlich die tatsächliche Bereitschaft bedeutet, Atomwaffen einzusetzen, übersehen sie eines: Risiko ist das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der Größe des Ereignisses. Ein Atomkrieg ist ein dermaßen großes Ereignis, das auch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit zu einem inakzeptablen Risiko werden lässt.

Und lasst Euch nichts vormachen: Das Gerede von Zivilschutz und Atombunkern ist gefährlicher Unsinn. Im Atomkrieg gibt es keinen Schutz. Wir stehen hier auf einem der wenigen noch betriebsbereiten Atombunker. Zuletzt wurde immer wieder gefordert, den Zivilschutz wieder auszubauen und Atombunker bereit zu halten. Das ist naiv.

Deshalb fordern wir eine verantwortungsvolle Politik.

An die Adresse von Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Boris Pistorius rufe ich deshalb von hier aus nach Berlin: Hören sie auf, von Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit zu fantasieren. Überlegen Sie sich stattdessen Schritte, die zur Deeskalation führen. Überlegen Sie sich, ob die Worte, die Sie sprechen, die Waffen, die Sie liefern, ob die Destabilisierung Russlands mithilfe von Wirtschaftssanktionen, ob die bedingungslose Unterstützung Israels im Krieg gegen das palästinensische Volk diese für uns alle gefährlichen Kriege nicht immer weiter anheizen.

Und denken sie darüber nach, dass wir, anstatt kriegstüchtig, endlich friedensfähig werden.

Vielen Dank.

 

Dr. Helmut Lohrer ist Allgemein Arzt und aktiv bei der IPPNW.