Redebeitrag für den Ostermarsch in Würzburg am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Die Alternative zur militärischen Sicherheitslogik am Beispiel Naher Osten: Eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit unter Einbeziehung lokaler Organisationen, die Friedens- und Versöhnungsarbeit leisten

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

krieg, Tod und Zerstörung in der Ukraine und im Nahen Osten. Ich bin sehr erschüttert über so viel Elend, ich habe tiefes Mitgefühl für die Waisenkinder, die Obdachlosen, Traumatisierten, Geschundenen, Sterbenden, Toten. Aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit weiß ich – und am Jahrestag der Zerstörung Würzburgs wurde es vielen von uns wieder bewusst – welch tiefe innere Verletzungen aus dem Krieg Menschen noch nach Jahrzehnten oft bis zum Lebensende in sich tragen.

Über Jahrtausende hat die Menschheit Gewalt als Konfliktlösung angewandt, als Mittel, Ziele welcher Art auch immer durchzusetzen.

Vor einigen Jahren ist ausgehend von der Evangelischen Badischen Landeskirche ein weitreichendes Friedens-Szenario entstanden, das den Zeitraum bis in das Jahr 2040 in den Blick nimmt. Es trägt den Titel: „Sicherheit NEU denken“.

Kurz zusammengefasst: Weg von einer Politik, die auf militärische Stärke und Intervention als „Lösung“ setzt. Hin zu einer zivilen Außen- und Sicherheitspolitik - und das ist das Entscheidende - der Gewaltprävention und Kooperation.

Ich möchte Ihnen auf diesem Hintergrund einige Gedanken anbieten, wie es im Nahen Osten jenseits militärischer Gewalt einen Lösungsweg geben kann.

Ich habe vor einigen Jahren mit einer Gruppe von Mitgliedern unserer Friedensbewegung pax christi Israel und Palästina besucht. Kein touristisches Programm, keine Pilgerreise. Wir haben uns mit Friedensinitiativen in Israel und Palästina getroffen und ausgetauscht, überlegt was es braucht, damit Frieden eine Chance bekommt.

Was ich damals verstanden habe, habe ich kürzlich in einem Vortrag von Nikodemus Schnabel, der seit Jahrzehnten in Jerusalem lebt, wieder entdeckt. Es scheint mir, dass es in beiden Völkern eine tiefe Grundsehnsucht gibt. (Nikodemus Claudius Schnabel OSB, Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem, in: Brennpunkt Naher Osten, Katholische Akademie Bayern, 8. März 2024, Youtube Video 1)

"Für die jüdischen Israelis (ist es die) Sehnsucht nach Sicherheit gerade durch die traumatisierende Erfahrung der Shoa, was im kollektiven Gedächtnis dieses Staates steckt: Nie mehr Opfer sein, nie mehr ausgeliefert sein, nie mehr wehrlos sein, und das heißt: diese ganz tiefe Sehnsucht nach einem sicheren Hafen…“ Und: „Bei den Palästinensern die ganz große Sehnsucht nach Freiheit, einen eigenen Staat zu haben, sich selbst regieren zu können, eine eigene Währung zu haben, damit sozusagen ökonomisch politisch im Sinn des Selbstbestimmungsrechts der Völker auch agieren zu können und nicht immer sozusagen abhängig zu sein von Israel…“ Die  unverarbeitete traumatisierende Erfahrung der Shoa im kollektiven Gedächtnis Israels auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite die unverarbeiteten traumatisierenden Erfahrung der Nakba, der ‚Katastrophe' der Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina. Diese unverarbeiteten Traumata von Shoa und Nakba werden immer wieder wach und tragen zur wiederkehrenden Eskalation der Gewalt bei. (Sicherheits-Strategien neu denken 2, S. 10:)

„Als Deutsche sind wir mit dem Trauma der Gewalt im Nahen Osten historisch verbunden. Wir werden unserer historischen Verantwortung für dieses fortbestehende Trauma der Gewalt gerecht, wenn wir gegenüber allen Beteiligten klar und eindeutig für das Stoppen und die Überwindung der Gewalt eintreten.“ So die Überlegungen von Sicherheit NEU denken der Ev. Landeskirche Baden. „Die Gewaltverbrechen der Hamas lassen sich nur mittels einer gemeinsamen regionalen Bekämpfung verbrecherischer Gewalt unter Beteiligung der arabischen Staaten überwinden,“ nicht an ihnen vorbei. Die arabischen Staaten werden sich an einem Prozess einer nachhaltigen Friedenspolitik nur beteiligen, wenn es eine eindeutige Perspektive für die Selbstbestimmung der Palästinenser:innen gibt.

„Deutschland sollte daher seine ganze Kraft für den sofortigen Stopp der Gewalt auf beiden Seiten und zur nachhaltigen Überwindung der Gewalt durch die Gründung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO) nach dem Vorbild der KSZE einsetzen. 2020 wurde die Idee einer KSZMNO u.a. von António Guterres im UN-Sicherheitsrat befürwortet.“

Ein solcher politischer Dialog müsste von Deutschland aktiv gefordert und dann auch gefördert werden. Damit werden wir unserer Verantwortung aus unserer Geschichte gerecht. Gleichzeitig muss es einen Erfahrungsaustausch der Menschen geben. Was wissen die Menschen in Palästina vom Trauma des anderen Volkes, von der Shoa? Was wissen die Menschen in Israel vom Trauma des anderen Volkes, von der Nakba? Wir alle wissen aus der französisch-deutschen Aussöhnung, dass politische Rahmenbedingungen begleitet werden müssen auf der menschlichen Ebene durch Austausch und Begegnung. In Israel und Palästina schon heute erste Ansätze, ich nenne von den vielen, die ich kenne nur zwei:

Der „Parents Circle“ ist eine israelisch-palästinensische Organisation, die Familien, die ein Kind verloren haben, miteinander ins Gespräch bringt. Im Austausch der persönlichen und familiären Geschichten der Teilnehmer spüren die Menschen, dass es Menschen auf der „anderen Seite“ gibt, die den Schmerz über den Verlust eines Kindes genauso spüren wie sie selbst.

Oder die Organisation der „Combatants for Peace“, Kämpfer für den Frieden: pax christi hatte Anfang des Jahres einen israelischen und einen palästinensischen Vertreter zu Gast. Beide erzählten von ihrer Kindheit und Jugend und wie sie gelernt hatten, die jeweils andere Bevölkerungsgruppe zu hassen. Der Israeli Rotem Levin hörte in der Begegnung mit Palästinensern zum ersten Mal von den palästinensischen Flüchtlingslagern und von der großen Vertreibung dieser Menschen. Das habe ihn wütend auf seine Eltern und seine Lehrer gemacht, die ihn falsch informiert hatten. Der Palästinenser Osama Iliwat machte die Erfahrung, dass es Juden gibt, die an einem Frieden mit den Palästinensern interessiert sind und die ihre eigene Regierung wegen deren Politik der eisernen Faust kritisierten. Die Menschen in Palästina und Israel leiden unter demselben System, leiden alle
gleich. Es gebe keinen Wettbewerb, wer mehr leidet, keinen Wettbewerb welches Blut wertvoller ist, so die beiden.

Aus meiner sicher begrenzten Sicht gibt es eine Alternative zur militärischen Gewalt: Deutschland muss die bestehenden zivilen Organisationen, die im Nahen Osten für Versöhnung und Verständigung arbeiten, wahrnehmen und fördern. Und auf politischer Ebene eine Konferenz ähnlich der KSZE für den Mittleren und Nahen Osten ins Gespräch bringen und fordern. Sicher, es wird lange dauern, das ist mir klar. Aber auch die Gewalt, die bislang keine Lösung gebracht hat, sie dauert jetzt schon Jahrzehnte. Es gibt keinen Wettbewerb, wer mehr leidet, keinen Wettbewerb welches Blut wertvoller ist. Die Menschen in Palästina und Israel leiden unter demselben System. Genug ist genug, jetzt ist die Zeit für eine nicht militärische Lösung.

 

Jürgen Herberich ist Vorsitzender des pax christi Diözesanverband Würzburg.

 

Anmerkungen: