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Redebeitrag für den Ostermarsch Göttingen am 30. März 2024
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
seit dem Ende des letzten Kalten Krieges 1989/90 wurden Produktionskapazitäten für Rüstungsgüter in Europa deutlich abgebaut.
Auch wenn jede Waffe eine zu viel ist und deutsche Waffen in Konflikten in aller Welt weiter ihre tödliche Wirkung entfalteten, war das erst mal eine gute Nachricht.
Worüber ich heute allerdings reden will ist nichts Geringeres als die aktuelle Änderung der grundlegenden Vorzeichen der Rüstungsproduktion in Deutschland und Europa.
Im Juni 2022 hielt der französische Präsident Emmanuel Macron einer Rede auf einer Rüstungsmesse bei Paris. Dort sprach er von Kriegswirtschaft. Konkreter sagte er:
„Wir begeben uns in eine Kriegswirtschaft, was für viele von uns eine Veränderung bedeutet, machen wir uns nichts vor." „Eine Kriegswirtschaft, in der wir uns meiner Meinung nach auch auf Dauer werden einrichten müssen.“
In Deutschland startete die Debatte dann im November 2022. Die Bildzeitung druckte die Überschrift: „Deutschland braucht die Kriegswirtschaft!“
und bezog sich dabei auf Aussagen des ehemaligen Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger. Weitere Wortmeldungen kamen von Soldatenvertretern und Unionspolitikern.
Plötzlich wurde in deutschen Zeitungen und Fernsehformaten wieder über einen Begriff diskutiert, der zuvor nahezu exklusiv mit den Schrecken und dem Massenmord der beiden Weltkriege verbunden schien.
Kriegswirtschaft! Dieser Begriff gehört in die Geschichtsbücher, um die Erinnerung an deutsche Menschheitsverbrechen wach zu halten:
Angriffskriege, Zwangsarbeit und die Rationierung von Lebensmitteln für den Krieg.
Was aber hat der Begriff der Kriegswirtschaft im aktuellen politischen Diskurs zu suchen?
Laut den Marktschreiern der Aufrüstung soll die Rüstungsindustrie wieder auf Massenproduktion umstellen, um die Bestände der NATO zu füllen und den Krieg in der Ukraine mit Munition und Panzern zu füttern.
Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen – liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Im November 2023 blies Verteidigungsminister Pistorius dann, ohne den Begriff der Kriegswirtschaft selbst zu verwenden, in dasselbe Horn.
Mit Blick auf die sogenannte Zeitenwende sagte er vor Generälen und Offizieren der Bundeswehr in Berlin:
„Eine starke nationale und internationale Rüstungsindustrie ist bei all unseren Vorhaben ein wesentlicher Erfolgsfaktor. […] Eine schnelle Beschaffung setzt vorhandene industrielle Kapazitäten voraus – Kapazitäten, die man skalieren kann.“
Damit war die Frage der Massenproduktion von Rüstungsgütern und das Skalieren, also das Vorbereiten für ein weiteres Hochfahren der Produktion in Zukunft, auch in der deutschen Regierungspolitik angekommen.
Aber was heißt das konkret?
Wenn die Bundeswehr früher meinte, ein Dutzend neue Panzer zu brauchen, bestellte sie – ein Dutzend neue Panzer.
Aktuell schließt die Bundeswehr allerdings massenhaft sogenannte Rahmenverträge ab. Verträge, in denen beispielsweise 18 neuen Kampfpanzern Leopard 2 bestellt werden,
die der Bundeswehr und verbündeten Staaten allerdings zugleich die Produktionskapazitäten für über 100 weitere neue Kampfpanzer, für einen möglichen Kauf in den nächsten Jahren, sichern.
Das ist auch ein deutliches Zeichen der Politik an die Rüstungsindustrie. Baut neue Produktionsstraßen auf. Das nötige Geld werden wir schon organisieren.
Dagegen müssen wir unsere Stimme erheben, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Ein weiteres Beispiel ist der Baubeginn für ein neues Werk für Artilleriegranaten im Februar 2024.
In Unterlüß in der Lüneburger Heide will Rheinmetall – ein Profiteur der aktuellen Aufrüstungswelle – künftig 200.000 Artilleriegranaten im Jahr produzieren.
Bis 2025 will Rheinmetall in der Lage sein an all seinen Standorten weltweit insgesamt bis zu 700.000 Artilleriegranaten im Jahr herstellen zu können.
700.000 Mal Zerstörung und Tod. Ein Irrsinn, den es zu stoppen gilt – liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Zum feierlichen ersten Spatenstich kam auch Bundeskanzler Scholz zu Rheinmetall nach Unterlüß und hielt eine Rede. Darin sagte er:
„Wir müssen weg von der Manufaktur- hin zur Großserienfertigung von Rüstungsgütern.“
Und weiter:
„Die nötigen finanziellen Mittel sind dabei das eine. Eine starke Verteidigung braucht aber eben auch eine solide industrielle Grundlage und die entsteht, wenn wir Europäer unsere Bestellungen bündeln, wenn wir unsere Mittel zusammenführen und der Industrie somit Perspektiven für die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre geben.“
Damit spricht Kanzler Scholz drei entscheidende Punkte an.
- die Finanzierung
- den Zeithorizont
- und die europäische Dimension der aktuellen Aufrüstung
Längst geht es nicht mehr um eine rein deutsche Rüstungsproduktion für die Bundeswehr. Es geht um einen globalen Rüstungsmarkt, in dem sich auch die EU aktuell klar positioniert.
Bereits im letzten Jahr wurde ein 500 Millionen Euro schweres EU-Programm namens ASAP gestartet.
Entgegen dem Verbot der Finanzierung von Rüstungsgütern durch EU-Gelder soll es dem Aufbau von Produktionskapazitäten für Artilleriegranaten und Raketen dienen.
Eine Million Artilleriegranaten für die Ukraine in einem Jahr war die geplante Zielmarke der EU vor einem Jahr. Diese Zielmarke wurde zum Glück krachend verfehlt.
Künftig will die EU allerdings Gelder für die Steigerung auf 2 Millionen Artilleriegranaten Jährlich zur Verfügung stellen.
Hinzu kommen soll jetzt eine eigene Rüstungsindustriestrategie der EU. Das European Defence Industry Programme, kurz EDIP.
Laut einem anonym zitierten EU-Beamten handelt es sich dabei um „das Programm für den Wechsel von der Friedensdividende zur Kriegswirtschaft“.
Nach bisher nicht veröffentlichten Papieren, die in einigen Medien kursieren soll es dort auch um Grundrechtseingriffe zur Vermeidung von Engpässen in der Rüstungsproduktion gehen.
Das heißt im Frühjahr 2024 kursieren EU-Plänen zur möglichen zwangsweisen Umstellung von ziviler auf Rüstungsproduktion. Und auch die Beschlagnahmung von Rüstungsgütern und relevanten Rohstoffen steht aktuell wieder im Raum.
Die EU macht sich so zum Treiber der industrialisierten Aufrüstung in Europa.
Ein Thema, das wir in den kommenden Monaten vor der Europawahl skandalisieren müssen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Diese EU-Programme verweisen auch auf die zweite Kernaussage von Kanzler Scholz:
Perspektiven für die Rüstungsindustrie für die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre
Es geht also offensichtlich nicht allein um den aktuellen Krieg in der Ukraine und die Produktion für die Lieferung von Rüstungsgütern in diesen Krieg.
Es geht darum, jetzt die industriepolitischen Weichen zu stellen um Deutschland und Europa fit für ein neues Wettrüsten zu machen.
Ein Wettrüsten, dass die globale Kriegsgefahr weiter erhöht und nicht enden wird, selbst wenn die Waffen in der Ukraine zum Schweigen kommen sollten.
Ein Wettrüsten, in dem EU und NATO – Russland und China längst als Feinde markiert haben.
Nur um mögliche Missverständnisse auszuschließen. Auch Russland und China drehen aktuell fleißig an der Rüstungs- und Eskalationsspirale.
Wir, die wir heute hier für Frieden und ein Ende aller Krieg einstehen, müssen allerdings dort anfangen, wo wir stehen. Vor der eigenen Haustür. In Deutschland.
Ganz im Sinne der Parole: War starts Here – Lets stop it here!
Einen dritten Punkt erwähnen Scholz und Pistorius fast nebenbei.
Die Finanzierung dieses Rüstungswahnsinns.
Das sogenannte Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro wird 2027 aufgebraucht sein. Wenn Kanzler und Verteidigungsminister der Rüstungsindustrie allerdings indirekte Finanzierungszusagen über die nächsten Jahrzehnte machen, scheint eines klar.
Nach ihren Vorstellungen soll der Verteidigungshaushalt künftig um rund 30 Milliarden Euro im Jahr steigen. Eine Art Sondervermögen Bundeswehr auf Dauer.
Sollten sich diese Pläne verwirklichen bleibt die Frage: Woher die Milliardensummen nehmen, wenn nicht stehlen?
Die Debatte ist längst entbrannt, dass eine solche Steigerung des Rüstungshaushalts nur durch Kürzungen im Bereich Arbeit und Soziales zustande kommen kann. Dem einzigen Haushaltsposten im Bundeshaushalt, der überhaupt groß genug ist, um dort in diesem Umfang hineinzugreifen.
Das heißt, wir steuern nicht nur auf eine Rüstungsspirale zu, sondern auch absehbar auf einen sozialen Kahlschlag.
Das müssen wir verhindern, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Deshalb müssen wir auch all denjenigen, die sich mit einer klaren Positionierung in der Friedensfrage schwertun klarmachen, auf wessen Kosten aufgerüstet werden soll – auch dort wo keine Bomben fallen!
Bereits in den 1980er Jahren, vor dem Ende des letzten Kalten Krieges hieß es daher:
„Schwerter zu Pflugscharen!“
Diese Aussage könnte heute, im Angesicht der neuen Aufrüstungsspirale kaum aktueller sein.
In diesem Sinne:
- Rentenerhöhung statt Rüstungsproduktion
- Kindergärten statt Kampfjets
- Bürgergeld statt Bombenbau
- und last but not least:
- Klimaschutz statt Kriegswirtschaft
Vielen Dank.
Martin Kirsch aktiv bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.