Redebeitrag für den Ostermarsch in Aschaffenburg am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde
liebe Bürger*innen,

Das Osterfest, die wichigsten Tage im christlichen Jahreskalender, ist seit langem auch ein herausragendes Datum für unsere Friedensbewegung in Deutschland – heute mehr denn je. Vor mehr als 2.000 Jahren wurde am Karfreitag Jesus Christus festgenommen, grausam mißhandelt und von den Hohen Priestern zum Tode verurteilt – Pontius Pilatus, der Statthalter der damals vorherrschenden Supermacht, des römischen Imperiums, gab – offensichtlich mit schlechtem Gewissen – sein Plazet zu diesem Justizmord. Beseitigt werden sollte eine neue religiöse Botschaft – der Liebe sogar zu Feinden, des Verzichts auf Gewalt, der Solidarität mit den Armen und Ausgegrenzten, das radikale Hinterfragen starrer Hierarchien - Elemente, die eben auch für unsere Friedensbewegungen bis heute konstituierend sind.

Immer noch, wie seit Jahrhunderten, ist das jüdisch-arabische Jerusalem ein zentraler Ort der abrahamitischen Weltreligionen - der Jüdinnen, der Christen und der Muslima, mit so vielen gemeinsamen Wurzeln und geschichtlichen Schnittstellen. Aber immer wieder wurden und werden sie nicht als Chance des Austauschs und der Gemeinsamkeit, sondern als Instrument sehr irdischer Machtkämpfe und grausamer Kriege genutzt. Der sogenannte Zusammenprall der Zivilisationen und der Krieg gegen den Terror sind die Stichworte einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die jetzt in Israel, in Westbank und Gaza grausam umgesetzt wird.

Die Lage in Gaza wurde schon seit langem von den UN-Organisationen als untragbar geschildert: auf 360 qkm leben 2,2 Millionen Einwohner; zum Vergleich: in der Hansestadt Bremen leben auf 419 qkm 684.000 Einwohner. Trinkwasser, Nahrungsmittel, Treibstoff, Medikamente müssen nach Gaza importiert werden, die Zufuhr wird komplett von Israel kontrolliert, aktuell auf etwa 85 Lastwagenladungen reduziert, von benötigten 500 LKWs pro Tag. Der Gaza-Streifen war schon lange komplett abgeriegelt, Aus- und Einreise nur mit spezieller Genehmigung Israels möglich. Kenner verglichen die Lage mit einem „Freiluftgefängnis“. Immer wieder gab es schon vor dem palästinensischen Ausbruch vom 7.Oktober Luftangriffe auf Gaza, allerdings auch Angriffe mit primitiven, vor Ort fabrizierten Raketen der Palästinenser gegen Israel.

Der gewaltsame Ausbruch vom 7.Oktober, offenbar ein Überraschungs-Coup, wurde begleitet von exzessiver Gewalt von Seiten der Hamas, aber auch anderer palästinensischer Milizen. Ca. 800 israelische Zivilisten wurden nach plausiblen Angaben umgebracht, zusätzlich über 300 israelische Bewaffnete. Auch 200 Palästinensische Militante verloren ihr Leben. Über 230 Israelis wurden beim Rückzug der Hamas nach Gaza als Geiseln verschleppt - mit dem Plan, sie gegen palästinensische Gefangene in Israel auszutauschen, was zum Teil auch bereits umgesetzt wurde.

Der israelische Gegenangriff und Einmarsch in Gaza Wochen nach dem 7.Oktober wurde von Erklärungen begleitet, welche die südafrikanische Regierung bei ihrer Klage vor dem internationalen Gerichtshof als Belege für den israelischen Völkermord-Plan zitierte. So etwa Präsident Isaac Herzog am 12.Oktober: (Zitat)„Eine ganze Nation da draussen ist dafür verantwortlich. Es ist nicht wahr, dass die Zivilisten nichts davon wissen, nicht involviert sind. Es ist absolut nicht wahr…und wir werden kämpfen, bis wir ihnen das Rückgrat brechen.“ Verteidigungsminister Joaw Gallant teilte am 9.Oktober mit, dass Israel „eine vollständige Belagerung des Gaza-Streifens verhängt hat. Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Treibstoff. Alles wird geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln dementsprechend.“ Er informierte die Truppen, dass er „alle Fesseln gelöst“ habe. Weiter: Gaza werde nicht mehr so sein wie vorher;(Zitat) „wir werden alles eliminieren“.

Der Israelische Minister für kulturelles Erbe Amichai Elijahu stellte sogar einen nuklearen Angriff auf den Gaza-Streifen in Aussicht.

Inzwischen, fast 6 Monate nach Beginn des neuen Gaza-Kriegs, sind mindestens 35.000 Bewohner des Streifens getötet, zwei Drittel davon Frauen und Kinder. 70 Prozent der Gebäude sind zerstört, die Mehrheit der Krankenhäuser nicht mehr nutzbar. Sogar Ministerin Baerbock, eine treue Gefolgsfrau der US-Politik, sprach von einer Hölle für die Menschen in Gaza, verband damit aber nicht die Forderung, die stark erhöhten deutschen Lieferungen an Waffen und Munition nach Israel zu stoppen! In der Stadt Rafah, an der Grenze zu Ägypten, haben sich über 1,2 Millionen Geflüchtete aus den schon zerstörten Regionen der Enklave in Notunterkünften eingefunden. Die US-Regierung warnt vor dem geplanten israelischen Einmarsch dort, hat aber ihre über Ramstein antransportierten Waffenlieferungen ebenfalls nicht eingestellt. Dagegen haben die wichtigsten Geldgeber ihre Zahlungen an UNRWA, die wichtigste UN-Hilfsorganisation für Gaza, eingestellt, da die israelische Regierung fünf der 13.000 Mitarbeiter beschuldigte, an dem Ausbruch vom 7.Oktober beteiligt gewesen zu sein.

Noch eine Bewertung des Geschehens in Gaza hat in dieser Woche die Öffentlichkeit beschäftigt: die Berichterstatterin des UN-Menschenrechtsrates Francesca Albanese hatte in ihrem aktuellen Bericht massive Verletzungen der UN-Völkerrechts-Konventionen durch Israel festgestellt, und hatte neben Schadenersatzzahlungen an die Palästinenser auch ein Verbot von Waffenlieferungen nach Israel gefordert.
International sind die USA und Israel, gemeinsam mit einigen NATO-Partnern, darunter besonders der deutschen Bundesregierung, in Bezug auf den Gaza-Krieg weitgehend isoliert.
Besonders empörend finde ich folgendes Detail: in Berlin soll Mitte April ein Kongress zur Solidarität mit den Palästinensern stattfinden, Mitorganisatorin ist die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Deren hierfür eingerichtetes Konto bei der Berliner Sparkasse wurde nun gesperrt, und eine Liste der Mitglieder des Vereins „Jüdische Stimme“ verlangt!

Wir können etwas Wichtiges daraus lernen: unsere bedeutendste Aufgabe ist es aktuell, die von Kriegstreibern regelmäßig betriebene systematische Spaltung der Friedenskräfte zu erkennen und aktiv zu widerstehen - ebenso, wie es die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in bewundernswert mutiger Weise tut.

 

Matthias Jochheim ist aktiv ebei der IPPNW Gruppe in Frankfurt.