Redebeitrag für den Ostermarsch in Mannheim am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Menschen in Mannheim und aus der Umgebung,

heute Morgen bin ich vor Euch hier beim Ostermarsch gewarnt worden, vor den naiven Friedensforderungen, die bei 70 Veranstaltungen durch das Land getragen werden. Die Smartphoneapp der Tagessschau hatte es als ersten Aufmacher: „Warnung vor naiven Friedensforderungen!“, stand da zu lesen. Ohne Anführungszeichen. „Mit Friedensforderungen allein sei es nicht getan“, sagten mehrere Spitzenpolitiker.

Aber was soll ich sagen? – Ich lasse mich nicht vor Euch warnen und natürlich bin ich hier. Schließlich werden wir beim Ostermarsch von vielen auf den Social Media Plattformen und in öffentlichen Verlautbarungen schon lange diffamiert als naive Gestrige, die es einfach noch nicht verstanden haben, wie die neue Welt funktioniert, werden Putinversteher genannt, weil wir vielleicht die Einlassungen von Rolf Mützenich über das Einfrieren des Krieges in der Ukraine nachvollziehen können, oder werden gar Antisemiten genannt, weil uns das Sterben der Menschen in Gaza genauso bewegt wie die Ermordeten des Terrors vom 7. Oktober.

Jetzt aber frage ich Euch: Was ist falsch daran zu sagen, was wir denken über den Krieg? Was ist falsch daran zu sagen, dass wir ohne Wenn und Aber für den Frieden stehen? Was ist falsch daran zu sagen, dass wir das Leben mehr lieben als den Tod? Was ist falsch daran, das zu sagen, solange es noch immer kein Ende des Tötens in der Welt gibt, solange noch jeden Morgen Mütter und Väter und Geschwister aufstehen, die ihre getöteten Töchter und Söhne beweinen? Naive Forderungen?

Nichts ist falsch daran. Vor uns und unseren Friedensforderungen muss nicht gewarnt werden. Für uns muss geworben werden!

Genau deswegen geht das von hier aus auch heute mit aller Klarheit und allem Nachdruck in diese Welt hinein: Das Töten muss aufhören. Jetzt! Das ist die allererste Forderung und Ziel aller Anstrengungen. Frieden beginnt, wo man mit dem Töten aufhört.

Deswegen lasse ich mich auch nicht in die naive Ecke stellen. Erst das Ende des Tötens schafft nämlich den Raum für das Leben und so einen Raum für die Zukunft, dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.

Wir sind hier, weil wir dem Vergessen der Kriege in allen Teilen der Welt und besonders dem Vergessen, was Kriege an Tod, Zerstörung und Traumatisierung bedeuten, entgegentreten.

Dagegen erleben wir derzeit, wie das Militär, der Krieg und alle seine Folgen mehr und mehr zur Normalität werden. Diese Normalität des Todes kann doch aber nicht wirklich unsere Zukunft sein:

Genau deswegen hat die Bundeswehr in unseren Schulen nichts zu suchen.

Genau deswegen braucht es das gesprochene Wort und nicht die abgeschossene Waffe.

Genau deswegen braucht es die Investitionen in Infrastruktur, in Schulen, Universitäten, Straßen, Eisenbahn und Menschen und nicht in Munitionsfabriken. Wir wollen das Leben und nicht den Tod.

Dabei lassen mich die Einlassungen vieler unserer Politikerinnen und Politiker verstört und ratlos zurück, wenn Leute wie Boris Pistorius von Kriegstüchtigkeit reden oder wie Robert Habeck die Vorbereitung eines Landkriegs fordern. Das diene auch der Wirtschaft. Wir würden ja nichts riskieren.

Wie oft soll uns das denn noch in die Köpfe gehämmert werden? Doch, sage ich nämlich: Wir riskieren nicht nur den Frieden in unserem Land, sondern den Fortbestand des Lebens in Europa und auf der ganzen Welt. Wer ist denn hier naiv?

Die Verteidiger der Kriegstüchtigkeit behaupten immer, schon die alten Römer hätten gewusst: Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor. Das ist natürlich schlimme Propaganda; denn wer den Krieg vorbereitet, der wird ihn auch führen und der will ihn auch führen.

Also treten wir den Demagogen des Krieges und des Militarismus entschieden entgegen. Wir wollen keine Anstrengungen zur Aufrüstung, sondern alle Anstrengungen für eine friedliche und bessere Welt. Nur damit entziehen wir den Kriegsbefürwortern in Moskau, in Washington, in Gaza, in Kiew, in Jerusalem und hier bei uns den Nährboden, auf dem sie ihre menschenverachtende und lebensfeindliche Ideologie des Todes durchsetzen können. Wenn du den Frieden willst, dann bereite den Frieden. Das ist unsere Losung. Die allein führt zum Leben.

Zugleich bedeutet dieses offensichtlich so einsichtige Wort von der Kriegstüchtigkeit, dass wir die Bemühungen um eine andere, eine bessere, eine gerechtere und dann auch friedliche Welt einfach einstellen, die Gegenwart als unveränderlich und die Zukunft als Schicksal begreifen. Aber es ist kein Schicksal. Die bessere Welt liegt auch in unserer Hand.

Darauf hat übrigens der Philosoph Omri Böhm neulich erst hingewiesen, als er, angesprochen auf die Situation im Nahen Osten, nach der Verleihung des Buchpreis für Europäische Verständigung bei der Leipziger Buchmesse sagte: Frieden gibt es nicht ohne Gleichheit. Es wird also keinen Frieden in dieser Welt geben ohne gleiche Rechte für alle Menschen. Es reicht nicht, wenn die einfach nur für ein paar gelten, die besonders reich an Geld und Einfluss sind oder die sich im Besitz einer höheren Moral wähnen.

Wissend, wahrscheinlich nicht zufällig begegnet Omri Böhm da einer alten biblischen Wahrheit, in der es schon im 85. Psalm heißt: In der Welt wohnt nur dann Ehre, wenn Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.

Deswegen sind wir auch dazu gerufen, und das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen, den kleinen Kriegen in unserer eigenen Umgebung, den Herabwürdigungen, der Ausbeutung und der Ausnutzung von Menschen entgegenzutreten und klarzustellen: Ohne Gleichheit aller Menschen, ohne Gerechtigkeit gibt es in dieser Welt keinen Frieden. Wir stehen beim Ostermarsch auf der Seite derjenigen, deren Leben bedroht und zum Spielball anderer Interessen gemacht werden, die kleingehalten werden an ihren Arbeitsstellen, durch gesellschaftliche Ausgrenzung, durch das Schließen der Grenzen Europas. Und wer den Armen auch noch das Existenzminimum nehmen will und den Reichtum dieser Gesellschaft immer noch weiter nach oben verteilt, der muss mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen.

Diese Gesellschaft hat über die letzten fast 40 Jahre gelernt und gelehrt bekommen, immer kräftig nach unten auf diejenigen zu treten, die am wenigsten haben. Nichts anderes sind die schäbigen Diskussionen um härtere Sanktionierungen von Bürgergeldempfängern oder um das Sparen bei sozialstaatlichen Zuwendungen oder um Bezahlkarten für Geflüchtete. Diese Diskussionen bauen eine Drohkulisse auf, um Menschen zu disziplinieren und gefügig zu machen. Schluss damit. Das entzieht dem Frieden die Grundlage. Wer aber Gerechtigkeit und Ausgleich auf der Welt und auch hier schafft, legt eine neue Grundlage für den Frieden und steht allein so auch dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegen.

Noch einmal kehre ich an den Anfang zurück: Wer uns wie heute Morgen vor naiven Friedensforderungen warnt, der warnt uns also zugleich vor Gerechtigkeit, vor Verständigung und vor dem Schließen von Kompromissen, der will allein seine Interessen durchsetzen und herrschen. Aber das, liebe Menschen hier, wird mit uns nicht zu machen sein. Wir treten ein für die Freiheit des Lebens, für die Gleichheit aller Menschen und dafür in jedem Menschen Schwester oder Bruder zu sehen. Kurzum: Wir treten dafür ein, dass das Licht des Friedens über der ganzen Welt scheint.

Heute ist Karsamstag, in alter christlicher Tradition Tag der Grabesstille. Machen wir uns auf, dass es die Grabesstille nicht bleibt und in der Welt auch nicht wird, sondern morgen Ostern ist und das Leben siegt. So ist es uns versprochen. Die Christenleute unter uns feiern die Auferstehung Jesu. Allen anderen mag es ein gemeinsames Fest des Lebens sein. Dieses Fest des Lebens brauchen wir und es braucht es für die Welt.

Frohe Ostern. Gottes Segen sei mit Euch.

 

Maximilian Heßlein ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer im kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Ev. Landeskirche in Baden.