Redebeitrag für den Ostermarsch Büchel am 1. April 2024

 

- Sperrfrist: 01.04., Redebeginn: ca. 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Aktivisten und Aktivistinnen,
liebe Freundinnen und Freunde im friedlichen Einsatz für eine sichere Welt,

ich bin Nora und ich spreche hier heute im Namen von ICAN Deutschland. ICAN ist ein weltweites Bündnis, mit 682 Partnerorganisationen in 111 Ländern auf der Welt. Unser gemeinsames Ziel ist die Abschaffung aller Atomwaffen - weltweit.

Heute haben wir uns versammelt, um in alter Ostertradition für Frieden und für nukleare Abrüstung zu protestieren. Frieden beschreibt einen „Zustand des inner- oder zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Ruhe und Sicherheit“ (Wikipedia).

Wenn wir über Frieden sprechen, müssen wir also auch über Sicherheit sprechen. In den westlichen Medien wird uns Glauben gemacht, Atomwaffen und die Kraft der nuklearen Abschreckung seien die einzige Möglichkeit, dass wir in Frieden und in Sicherheit leben können. Wir bräuchten ein „nukleares Gleichgewicht“ zur Verhinderung eines Erstschlages. Die ganze Theorie basiert darauf, dass Staaten im Besitz von Atomwaffen davon abgehalten werden diese einzusetzen, da der angegriffene Staat noch vernichtender zurückschlagen würde.

Wie groß ist eine Sicherheit, die von einem Gleichstand des Besitzes von Massenvernichtungswaffen abhängig ist? Wie groß ist eine Sicherheit, die auf der gegenseitigen Androhung mit Massenmord basiert?

In den letzten 10, 20, 30 Jahren wurden zu diesen Fragen immer mehr Erkenntnisse gewonnen.

Es existieren umfassende Studien, die sich mit Simulationen von kleineren und größeren nuklearen Eskalationen auseinandersetzen. Sie kommen alle zu dem Ergebnis, dass die Folgen für die Menschheit und für unseren gesamten Planeten katastrophal wären.1 Atomwaffen werden als eine der existentiellsten Bedrohung der Menschheit gelistet2. Dass Atomwaffen unsere Existenz bedrohen und gleichzeitig für unsere Sicherheit verantwortlich sein sollen ist ein Widerspruch.

Die Geschichte zeigt uns, dass es auch zwischen Atomwaffenstaaten immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen gab. Und auch, dass Atomwaffenstaaten immer wieder von Nichtatomwaffenstaaten konventionell angegriffen wurden. Dass Atomwaffen Kriege verhindern ist faktisch eine Lüge.3

Anders als von AW Befürwortern häufig behauptet wird, stellt die Tatsache, dass es nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki nicht erneut zum Einsatz von Nuklearwaffen kam, keinen Beweis dafür dar, dass die „Abschreckungslogik“ funktioniert. Das Ausbleiben eines Ereignisses kann wissenschaftstheoretisch niemals ein Beweis für eine Theorie sein.

Die Annahme, auf der die Abschreckungslogik beruht, ist, dass Menschen zu 100% wohlüberlegte, rationale Entscheidungen treffen. Das ist eine Behauptung, die die psychologische Forschung schon lange widerlegt hat.4

Das, was uns bisher vor einer nuklearen Katastrophe bewahrt hat, war reines Glück. Dass wir eine Legislaturperiode überlebt haben, in der ein Mann wie Donal Trump die Verfügungsgewalt über schätzungsweise 5.500 Atomwaffen hatte, spricht für sich.

Zusätzlich wurden etliche Geschichten von Beinahe-Unfällen durch Missverständnisse, Fehlkommunikationen und Fehlalarme dokumentiert. Sie verdeutlichen gemeinsam mit den Forschungsergebnissen, das unkalkulierbare Risiko eines „Atomkriegs-Ausversehen“.

Doch nicht nur der Mensch ist Fehleranfällig, sondern auch unsere Technik. Berichte wurden veröffentlicht, die das Risiko von Cyber-Attacken auf Nuklearwaffensysteme untersuchen. Sie kommen zu dem Fazit, dass die Frage nicht ist, ob eine solche Attacke passieren wird, sondern vielmehr wann5.

Darüber hinaus – und das kann nicht oft genug betont werden - steht schon lange fest, dass die Zerstörungskraft von Atomwaffen und die verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt nicht erst bei dessen Einsatz beginnt, sondern schon bereits bei der Herstellung und Testung. Atomwaffentests wurden in Gebieten durchgeführt, in denen Indigene Bevölkerungsgruppen leben. Diese Menschen, kämpfen auch heute, über 50 Jahre später, für eine angemessene Entschädigung und die öffentliche Anerkennung. Auch Menschen, die in der Nähe von Uranabbaugebieten leben, leiden unter den schwerwiegenden Folgen der hohen Strahlenbelastung, und das auch in Deutschland (WISMUT AG der DDR war von 1950-1965 größter Uranlieferant der Sowjetunion). Jede/r einzelne von uns, trägt radioaktive Substanzen im Körper, die vom Fallout der Atomwaffentests stammen und unser Krebsrisiko erhöhen. Atomwaffen bedrohen die Gesundheit, und das nicht erst bei einem Einsatz im Kriegsfall.

Auf diesen Grundlagen wird von ICAN Organisationen und anderen Atomwaffen Gegner*Innen immer wieder darauf hingewiesen, dass das Sicherheitskonzept, welches der nuklearen Abschreckung zugrunde liegt, absolut gar nichts mit der Sicherheit der menschlichen Bevölkerung zu tun hat.

Doch obwohl wir all dies Wissen und die Friedensforschung zeigt, dass tatsächlich Diplomatie und Kooperation die Mittel sind, die am wahrscheinlichsten zur Beseitigung von Konflikten und Kriegsgeschehen führen, wird weiterhin an dieser Logik festgehalten.

Wenn man sich vor dem Hintergrund unseres Wissens die jüngsten Entwicklungen ansieht, dann bleibt nicht viel zu sagen, als dass es ein Skandal ist. Es ist ein Skandal, dass von lediglich 9 Staaten auf der Welt weiterhin an der Doktrin der nuklearen Abschreckung festgehalten wird und damit die Sicherheit der gesamten Weltbevölkerung und unseres Planeten aufs Spiel gesetzt wird. Es ist ein Skandal, dass für AW Milliardenbeträge ausgegeben werden, anstatt mehr in den Arten- und Klimaschutz zu investieren. Es ist ein Skandal, dass auch 35 Jahre nach dem „Ende“ des kalten Krieges kein wirkliches Ende in Sicht ist und die Bedrohung weiterhin real ist. Es ist ein Skandal, dass auch Deutschland als Land der nuklearen Teilhabe an dem ganzen Schrecken beteiligt ist und mit den großen Investitionen in neue Trägersysteme diese Kooperation noch einmal verfestigt. Es ist ein Skandal, dass wir in Europa über eine EU-Bombe diskutieren, anstatt über das längst überfällige Ende der nuklearen Teilhabe.

Ich nenne es einen Skandal, weil es ein auf Macht basiertes, ungerechtes System aufrechterhält, was einige wenige stärkt und schützt, jedoch in Wahrheit uns alle bedroht und uns allen schadet. Ich nenne es einen Skandal, weil es die Sicherheit von uns allen gefährdet, unseres Planeten und allen Lebens auf dieser Erde und dabei die größte Lüge verbreitet, nämlich, dass es bei all dem um Sicherheit geht!!

Doch der Ostermarsch findet nicht grundlos zu Ostern statt. Die Osterbotschaft ist Nächstenliebe, Versöhnung. Und auch Hoffnung. Darum will ich an dieser Stelle auch ein paar Worte der Ermutigung und der Hoffnung an euch richten:

2017 wurde aus der Zivilbevölkerung heraus der Atomwaffenverbotsvertrag ins Leben gerufen. Dieser Vertrag, der seit Januar 2021 in Kraft ist und von einer wachsenden Zahl an Staaten unterstützt wird, ist ein Hoffnungsschimmer in unserem Streben nach einer atomwaffenfreien Welt. Der AVV verkörpert die Bestrebungen der Weltgemeinschaft für einen sichereren und friedlicheren Planeten. Er bietet einen rechtlichen Rahmen für das vollständige Verbot und die Abschaffung von Kernwaffen. Zudem ist dieser Vertrag eine eindringliche Erinnerung daran, dass die überwältigende Mehrheit der Nationen den Besitz und den Einsatz von Atomwaffen strikt ablehnt.

Der AVV wurde aktuell von 93 Staaten unterzeichnet und von 70 Staaten ratifiziert. In 2023 unterzeichneten weitere 80 Parlamentarier aus Australien, Belgien, Luxemburg, Deutschland, Italien, Spanien und Schweden die Abgeordnetenerklärung des AVV. Die Gesamtzahl der amtierenden Abgeordneten, die den AVV unterstützen, beläuft sich damit derzeit auf 1043 (2119 Unterzeichner*innen insgesamt).

Für den Beitritt Deutschlands zum AVV wurden am 06.11.2023 in Summe 121.626 Unterschriften (von IPPNW, ICAN Deutschland und der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“) an das Auswärtige Amt übergeben.

Wir fordern alle Politiker*Innen dazu auf, sich klar gegen das erneute nukleare Wettrüsten zu positionieren und sich damit für echten Frieden und humanitäre Sicherheit einzusetzen. Wir fordern Deutschland dazu auf, ein wichtiges Zeichen zu setzen und dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, die nukleare Teilhabe zu beenden und sich für die Anerkennung und Entschädigung von Betroffenen einzusetzen.

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die erkennen, dass Diplomatie, Kontrollen und kontinuierliche Abrüstungsbemühungen das sind, was uns zu Frieden und Sicherheit führen wird. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die daran glauben, dass ihr Handeln eine Wirkung hat und einen Unterschied macht. Menschen, die daran glauben, dass eine Welt ohne Atomwaffen und in Frieden möglich ist.

Ich möchte euch dazu ermutigen diese Hoffnung nicht zu verlieren. Denn solange wir diese Hoffnung in uns tragen gibt es auch eine realistische Chance, dass wir unser Ziel erreichen!

Lasst uns entschlossen voranschreiten, in dem Wissen, dass unsere Stimmen, vereint in Solidarität, den Lauf der Geschichte beeinflussen und eine sicherere, gerechtere Zukunft für kommende Generationen schaffen können!

Ich danke Euch.

 

Nora Anickner ist Mitglied des Vorstandes von ICAN-Deutschland.

 

Quellen

(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, nur als Überblick)

  • 1 Nuclear Famine: Two Billion at Risk: https://www.ippnw.org/wp-content/uploads/2022/09/ENGLISH-Nuclear-Famine-... & Owen B. Toon et al., Rapidly expanding nuclear arsenals in Pakistan and India portend regional and global catastrophe. Sci. Adv.5,eaay5478(2019). DOI:10.1126/sciadv.aay5478
  • 2 Global Risks Report 2022, 2023 „Ein eskalierender Rüstungswettlauf könnte die Länder dazu veranlassen, das Prinzip des Nicht-Ersteinsatzes aufzugeben, um die Abschreckung zu verbessern.“ (2023)
  • 3 China entsandt 1950 während des Koreakriegs – bevor es selbst Atomwaffen hatte – 300.000 Soldaten gegen die verbündeten Truppen Südkoreas und den Atomwaffenstaats USA. Ägypten verstaatlichte 1962 trotz Drohungen des nuklear bewaffneten Großbritanniens den Suezkanal. Argentinien marschierte 1982 auf den britisch kontrollierten Falkland-Inseln ein und der Irak feuerte nach der US-amerikanischen Invasion von 1991 Scud-Missiles auf den Atomwaffenstaat Israel.
  • 4 Pfister, H.-R., Jungermann, H., Fischer, K. (2016). Die Psychologie der Entscheidung: Eine Einführung. Springerverlag, 4. Auflage. ISBN: 3662530376.
  • 5 https://www.boell.de/de/2019/01/21/cyberattacken-auf-nuklearwaffensystem..., „Das wohl prominenteste Beispiel ist STUXNET, ein raffinierter Computerwurm, der 2010 um die 15 iranische Nuklearanlagen attackierte und 984 Zentrifugen zur Urananreicherung zerstörte.  Wenngleich der hoch invasive Wurm nicht auf ein Waffenprogramm abzielte, so handelt es sich dennoch um die größte Cyber-Attacke im nuklearen Bereich, die zudem Auswirkungen auf das iranische Atomwaffenprogramm hatte. Die Attacke könnte als Blaupause für künftige Angriffe auf nuklear-sensitive Einrichtungen dienen.“
  • ICAN Broschüre „Lasst uns realistisch sein“: https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2022/06/Lets_be_realists_2022_FI...
  • CHAT GPT Motivation (für mich):
    • You: Is it effective to give a speech on behalf of ICAN at an Easter march in Büchel as part of anti-nuclear weapons activism? Does it make sense, is it important? Or is it a waste of energy?
      • ChatGPT: Giving a speech on behalf of ICAN at an Easter march in Büchel as part of anti-nuclear weapons activism can be highly effective and meaningful. Here's why:
      • Visibility and Awareness: Speaking at a public event like an Easter march increases visibility for the cause and raises awareness about the issue of nuclear weapons. It helps educate attendees and the wider community about the dangers of nuclear proliferation and the work being done by organizations like ICAN.
      • Community Engagement: Events like these bring together like-minded individuals who are passionate about peace and disarmament. Your speech can help galvanize the community, inspire activism, and foster a sense of solidarity among attendees.
      • Political Pressure: Public demonstrations and speeches can exert pressure on political leaders and decision-makers to take action on nuclear disarmament. It sends a clear message that there is grassroots support for peace initiatives and encourages policymakers to prioritize nuclear non-proliferation efforts.
      • Symbolic Importance: Choosing to speak at an Easter march holds symbolic significance. Easter is a time of renewal and hope, making it an opportune moment to reaffirm our commitment to peace and advocate for a world free from the threat of nuclear weapons.
    • While it's true that anti-nuclear weapons activism requires sustained effort and energy, every action – no matter how small – contributes to the broader movement for peace. Therefore, speaking at an Easter march in Büchel as part of anti-nuclear weapons activism is not a waste of energy; rather, it is an important opportunity to amplify the message of peace and promote meaningful change.