Redebeitrag für den Ostermarsch 2024 in Lübeck am 30. März 2024

 

- Sperrfrist: 30.03., Redebeginn: ca. 14.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Mut zum Verhandeln! - Atomwaffen abschaffen!

 

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde!

Ich freue mich, dass ich heute zu Euch, zu Ihnen sprechen darf, dass wir uns hier gemeinsam zum Ostermarsch versammelt haben.

Ein Dankeschön auch an die Veranstalterinnen und die Organisatoren!

Das Kernanliegen der internationalen Organisation von Ärztinnen und Ärzten IPPNW ist die Verhütung eines Atomkrieges.

Und die Aufklärung über die Folgen eines Atombombenabwurfs.

Mit dem Krieg in der Ukraine ist beides wieder hochaktuell geworden.

Der Krieg dauert inzwischen über 2 Jahre. Er verursacht täglich Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag nimmt die Unversöhnlichkeit zu.

Und mit jedem Tag wächst das Risiko, dass sich der Krieg auf andere Staaten ausweitet oder vielleicht bis zum Atomkrieg eskaliert.

Deshalb muss der Krieg so schnell wie möglich beendet werden!

Als IPPNW fordern wir: Mut zum Verhandeln!

Der russische Präsident hat wiederholt indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Im Herbst 2022 schätzte der US-Geheimdienst das Risiko eines russischen Atomschlags auf 50:50 für den Fall, dass die ukrainische Armee zur Krim vorstoßen würde.

Zuletzt wies Putin darauf hin, dass die Gefahr eines Atomkriegs bestehe, wenn von NATO-Ländern Truppen zum Kampf in die Ukraine geschickt würden.

Zu der Eskalationsbereitschaft des französischen Präsidenten Macron sagte er wörtlich: "All das droht wirklich ein Konflikt mit dem Einsatz von Atomwaffen und der Zerstörung der Zivilisation zu werden.

Verstehen sie das nicht?"

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist der Angriff Russlands auf die Ukraine völkerrechtswidrig und zu verurteilen. Darüber hinaus sehen wir als IPPNW aber auch die Staaten der Nato in der Mitverantwortung für die seit den 90er Jahren zunehmenden Spannungen.

Und wir alle sind in der Pflicht mitzuhelfen, diesen Krieg zu beenden!

Was wären die Folgen einer Atombombenexplosion in Lübeck?

Bei der Explosion entstehen Temperaturen heißer als an der Oberfläche der Sonne. Bei einer Detonation über dem Holstentor mit der Sprengkraft von 15 Kilotonnen - das entspricht der Sprengkraft der Bombe, die über Hiroshima gezündet wurde - würden hier in Lübeck sofort 35.000 Menschen zu Tode kommen.

Im Zentrum würde ein Feuerball entstehen, in dem alles verglüht, mit einem Radius von 200 Metern. Dieser Feuerball würde im Westen bis an die Puppen-brücke reichen und im Osten bis an die Sankt Petri-Kirche.

Bei der Explosion kommt es zu einer gewaltige Druckwelle, die unmittelbar zum Tod führt oder Verletzungen an Lungen und inneren Organen verursacht. In einem Radius von 340 Metern käme es zum Einsturz fast aller Gebäude und darauf folgend zu Bränden. Jeder Mensch in dieser Zone würde verletzt, viele würden sterben. Betroffen wären in diesem Bereich unter anderem der Holstenhafen und der Markt.

Die radiaktive Strahlung trifft die Menschen mit einer wahrscheinlich tödlichen Dosis bis in eine Entfernung von 1,2 Kilometern. Der Tod durch die Strahlenkrankheit tritt bis zu einem Monat nach der Explosion auf.

15 % der Überlebenden sterben schließlich an Krebs als Strahlenfolge.

Die gesamte Innenstadt liegt in dieser Zone.

Die Hitzewelle verursacht bis zu einer Entfernung von knapp 2 km schwere, oft tödliche Verbrennungen. Die Stadtteile Sankt Jürgen und Sankt Lorenz Nord und Süd liegen in dieser Zone, im Osten reicht sie bis über die Wakenitz hinaus.

Es wäre mit nahezu 60.000 Verletzten in Lübeck zu rechnen, das wären jeder 3. bis 4. Einwohner. Es stehen in der Stadt aber weniger als 2.000 Krankenhausbetten zur Verfügung - bei knapp 60.000 Verletzten.

Ein großer Teil des Gesundheitspersonals wäre tot oder verletzt.

Die meisten Bombenopfer würden sich selbst überlassen bleiben.

Darum sagen wir:

Wir Ärztinnen und Ärzte werden Euch nicht helfen können!

Ein regional begrenzter Atomkrieg mit 100 Atomexplosionen hätte zusätzlich weltweit katastrophale Auswirkungen auf das Klima und die Landwirtschaft. Massen an Ruß würden in die Atmosphäre befördert.

Sie würden den Planeten in kurzer Zeit abkühlen, und Milliarden von Menschen wären von Hungersnöten bedroht.

Der Einsatz von 1.000 Atombomben würde unseren Planeten unbewohnbar machen. Derzeit gibt es weltweit mehr als das zehnfache an Atomsprengköpfen.

Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden!

Die Militärdoktrinen schließen den Ersteinsatz von Atomwaffen nicht aus, weder die der NATO noch die von Russland. Im Falle einer Eskalation im Ukrainekrieg könnten NATO-Einrichtungen in Deutschland und hier stationierte US-Kernwaffen früh zu möglichen Zielen werden.

Außerdem besteht die Möglichkeit, dass es zu einem Atomkrieg aus Versehen kommt, durch Fehlalarm, durch Unfall, durch technische Fehler, durch Missverständnisse. Diese Gefahr wird zunehmen, wenn – wie geplant – im Jahr 2025 Hyperschallraketen der USA in Deutschland stationiert werden. Ihre kurzen Flugzeiten und minimalen Vorwarnzeiten sind enorm destabilisierend.

Der Königsweg zur Verhütung eines Atomkriegs ist die Abschaffung aller Atomwaffen.

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist das völkerrechtliche Instrument zur Abschaffung von Atomwaffen. Die Mehrheit aller Staaten unterstützt diesen Vertrag, der inzwischen seit Januar 2021 in Kraft ist, und setzt damit auf die nukleare Abrüstung!

Während die geopolitische Lage zunehmend eskaliert, diskutieren nun einige, ob die EU nicht eigene Atomwaffen bräuchte. Doch das wäre der falsche Weg und würde uns nur der Vernichtung näher bringen!

Wir müssen das Ziel eines atomwaffenfreien Deutschlands, wie es auch im Koalitionsvertrag steht, weiter im Blick behalten.

Deutschland muss dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten!

Die Bundesregierung muss den UN-Vertrag unterschreiben!

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit!

 

Ralph Urban ist Mitglied des Vorstandes der IPPNW - Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs/  Ärzt*innen in sozialer Verantwortung.