Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
Es gäbe vieles anzuprangern an deutscher Kriegstreiberei: Es jährt sich jetzt gerade zum 25. Mal, dass die NATO auf Drängen Deutschlands hin Jugoslawien angegriffen hat, der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr und eine klare Verletzung von Völkerrecht, 2-plus-4-Vertrag und Artikel 26 des Grundgesetzes. Damit wurde eine ganze Serie von Angriffskriegen ohne UN-Mandat eingeläutet, die gerne als „humanitäre Interventionen“ gegen die Machthaber der entsprechenden Länder verharmlost wurden.

Und auch wenn es im Februar 2022 zur Abwechslung Russland war, das ein anderes Land angriff, reagierte die deutsche Regierung ausschließlich innerhalb einer engen Kriegslogik und heizt bis heute mit immer schwereren Waffenlieferungen und einer Absage an alle diplomatischen Bemühungen den Krieg in der Ukraine immer weiter an. Zunehmend soll auch die eigene Bevölkerung auf einen Krieg vorbereitet werden, begleitet auch diesmal wieder von einer Rhetorik von Menschenrechten, Freiheit und „unseren Werten“.

Unterdessen leistet Deutschland Beihilfe zum Völkermord, indem es einerseits seine Waffenexporte nach Israel seit dem 7. Oktober deutlich gesteigert und andererseits die Zahlungen an die UNRWA eingestellt hat, wodurch die ohnehin schon desaströse Versorgungslage der Menschen im Gazastreifen noch katastrophaler wird.

Gleichzeitig wird der akzeptierte Meinungskorridor immer enger, notwendige Debatten werden durch moralische Totschlagargumente ersetzt und abweichende Stimmen diffamiert und unterdrückt. Besonders extrem geschieht dies gerade in Bezug auf Palästina, wo Abweichungen von der deutschen „Staatsräson“ der bedingungslosen Unterstützung Israels mit Diffamierungen, Demoverboten, dem Entzug von Räumen und immer stärkerer Kriminalisierung begegnet wird.

Währenddessen inszenieren sich dieselben Parteien, die „Russland ruinieren“ und im Inneren „Kriegstüchtigkeit“ herstellen wollen, als „Brandmauer“ gegen die AfD und versuchen damit darüber hinwegzutäuschen, dass Kampf gegen rechts untrennbar mit dem Kampf gegen Militarisierung verbunden ist. Schließlich ist Militarismus eine rechte Ideologie, die mit dem Abbau des Sozialstaats einhergeht; er bereitet also direkt und indirekt, ideologisch und materiell, den Nährboden für den Aufstieg der noch extremeren Rechten.

Vieles davon wurde schon von anderen gesagt und wird sicherlich noch gesagt werden. Als Vertreterin einer Studierendenorganisation will ich daher vor allem über die Rolle von Wissenschaft und Hochschulen in Bezug auf Krieg und Frieden sprechen.

Militärische Stärke bedeutet vor allem auch technologische Überlegenheit, also nicht einfach nur über mehr, sondern besseres, moderneres Kriegsgerät und modernere Methoden der Kriegsführung zu verfügen. Folglich kommt militärischer Forschung eine Schlüsselrolle bei der Aufrüstung zu. Um sich der Instrumentalisierung für solche Zwecke entgegenzustellen, haben sich seit den 80er Jahren über 70 Hochschulen in Deutschland eine Zivilklausel gegeben, mit der sie sich verpflichten, nur für zivile Zwecke zu forschen. Wenig überraschend ist das dem Militär und den Kriegstreibern der Regierung ein Dorn im Auge. Bildungsministerin Stark-Watzinger wirft die Frage auf, ob Zivilklauseln noch „zeitgemäß“ seien, und fordert, dass Hochschulen ihre Zivilklauseln „überprüfen“ sollten. Wirtschaftsminister Habeck spricht sich für eine Stärkung der militärischen Forschung in Deutschland aus, um die „Sicherheit und Wehrfähigkeit“ Deutschlands zu verbessern. Bayern will direkt per Gesetz Zivilklauseln verbieten und Schulen und Hochschulen die Kooperation mit der Bundeswehr vorschreiben. Auch die hessische Regierung hegt derartige Pläne zur Abschaffung von Zivilklauseln. Argumentiert wird dabei nicht nur mit einer verschärften Bedrohungslage, sondern auch damit, dass Zivilklauseln angeblich eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit darstellen. Dass die Wissenschaftsfreiheit ausgerechnet durch ein Gebot, nicht entgegen der Interessen der Menschheit zu forschen, gefährdet sein soll, erscheint absurd, wenn man sich die desolate Finanzierungslage und extreme Abhängigkeit öffentlicher Hochschulen von Drittmitteln ansieht. Wissenschaftsfreiheit sollte zuerst einmal bedeuten, frei von Kapitalinteressen forschen zu können!

Die potentielle Instrumentalisierung für militärische Zwecke betrifft nicht nur Naturwissenschaften und Informatik, die für die technologische Aufrüstung nötig sind. Um Kriege führen zu können, braucht es auch eine Militarisierung der Köpfe, um die Unterstützung der Bevölkerung, die schließlich im Fall des Falles den Krieg austragen muss, herzustellen, ebenso wie ihren Gehorsam und ihr Durchhaltevermögen gegen „Kriegsmüdigkeit“. Geforscht werden muss also auch an Propagandatechniken und psychologischen Tricks.

Neben den konkreten Forschungsfeldern der wissenschaftlichen Disziplinen spielen auch Wissenschaftskooperationen eine Rolle in der Frage von Krieg und Frieden. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Deutschland, zusammen mit Großbritannien und den USA, pauschal alle wissenschaftlichen Kooperation mit Russland abgebrochen – eine Reaktion, die bei keinem der Angriffskriege der USA auch nur im Gespräch gewesen wäre. Auch das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, will seine Kooperationen mit Russland nach ihrem Auslaufen im November nicht verlängern. Gleichzeitig erhielt die Max-Planck-Gesellschaft im letzten Dezember zusätzliche Finanzierung für Kooperationen mit Israel.

Diese Unterordnung der Wissenschaft unter die Feindbilder der Regierung kann ebenfalls als Schritt in Richtung Militarisierung und „Kriegstüchtigmachung“ der Wissenschaft gewertet werden, denn der Abbruch von Kooperationen schließt Kanäle der Völkerverständigung und der Diplomatie von unten. Dabei wäre das gegenseitige Vertrauen, das in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern verschiedener Länder aufgebaut wird, gerade umso wichtiger, um die Gräben zu überbrücken, die zwischen dem Westen und Russland aufgerissen werden sollen.

Und natürlich behindert der Abbruch von Wissenschaftskooperationen die Forschung und den Fortschritt in wichtigen Bereichen. Beispielsweise sind durch den Abbruch der Wissenschaftskooperationen mit Russland Projekte zur Erforschung der Permafrostböden zum Erliegen gekommen, denen eine wichtige Rolle bei der Forschung zum Klimawandel zukommt. Dabei sollte klar sein, dass globale Herausforderungen wie der Klimawandel oder auch Künstliche Intelligenz nur gemeinsam gelöst werden können und Wissenschaft daher nicht den geopolitischen Streitigkeiten zwischen Staaten untergeordnet werden darf.

Kein Krieg kann ohne Beteiligung der Wissenschaft geführt werden, doch Wissenschaft im Sinne der Menschheit zu betreiben, bedeutet nicht nur, sich militärischer Forschung zu verweigern. Wissenschaft im Sinne der Menschheit bedeutet, aktiv für die Beendigung und Verhinderung gewaltsamer Konflikte und die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu forschen, kurz, für den Aufbau einer Welt, die ein gutes Leben für alle zu bieten hat. Gegen die Militarisierung der Köpfe müssen Schulen und Hochschulen das kritische Denken und die demokratische Mitgestaltung, die Entwicklung zu mündigen Menschen fördern.

Robert Habeck sprach, in einem Plädoyer für mehr Rüstungsforschung, von der „leider irrigen Hoffnung“ der Deutschen, „der ewige Frieden habe den Kontinent erreicht“. Frieden ist jedoch nicht bloß eine „Hoffnung“, irrig oder nicht, auf die wir keinen Einfluss haben, sondern eine Zukunft, die wir selbst erkämpfen und gestalten können und müssen! Wir müssen uns der Kriegstüchtigmachung entgegenstellen, wir müssen lernen, wie Frieden, nicht wie Krieg geht, für die Entwicklung der Menschheit statt für ihre Zerstörung forschen. Um Albert Einstein zu zitieren: „Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten.“

 

Silvie Strauß ist aktiv beim SDS Leipzig.