Redebeitrag für den Ostermarsch 2024 in Ingolstadt am 30. März 2024

 

- Sperrfrist: 30.03., Redebeginn: ca. 15 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Dies ist der dritte Ostermarsch in Kriegszeiten. In meinem Beitrag beziehe ich mich nur auf den Krieg in der Ukraine. Die anderen aktuellen Kriege werden in weiteren Beiträgen heute gewürdigt ?

Heute finden an vielen Orten Ostermärsche der Friedensbewegung statt, (an 60 Orten) viele auch unter dem Motto: Friedensfähig statt kriegstüchtig. Darauf will ich noch zurückkommen

Deutschland ist an dem Krieg in der Ukraine auf vielfältige Weise beteiligt, durch Waffenlieferung, Ausbildung von Soldaten, Finanzierung der Kriegsführung.

Zur Klarstellung: Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine! Wir fordern die Kriegsparteien auf, einen Waffenstillstand zu vereinbaren und über eine Friedenslösung zu verhandeln.

Erstens Atomwaffen

Der Ostermarsch heute steht in der Tradition der Ostermärsche der Atomwaffengegner ab ca. 1960.

Wir leben immer noch im Atomzeitalter, es gibt diese Atomraketen mit interkontinentaler und sonstiger Reichweite, Flugkörper mit Atomsprengköpfen drauf. Ist das schon vorbei? Leider nein. Ich habe den Eindruck, viele Menschen merken jetzt gerade wieder, dass wir im Zeitalter der Atomwaffen leben.

Vor ca. 64 Jahren war die sog. Kuba-Krise. Die Sowjetunion hatte angefangen, Mittelstreckenraketen auf Kuba zu stationieren. Entfernung Havanna nach Washington 1.700 km. (zum Vergleich Berlin Moskau 1.600 km) Zuvor hatten die USA aber Mittelstreckenraketen in der Türkei und Italien (und GB?) stationiert. Allgemein bekannt ist: Die Welt stand kurz vor einem Atomkrieg. Die USA konnten nicht akzeptieren dass die feindlichen Vernichtungswaffen so dicht vor ihrem Territorium stationiert wurden. Aber durch Verhandlungen haben beide Seiten vereinbart, dass die Sowjetische Militärmacht die Raketen aus Kuba zurückzieht, und im Gegenzug die USA ihre Mittelstreckenraketen in Europa ab zieht.

Für knapp 20 Jahre galt die stillschweigende Vereinbarung, dass die USA keine Atomwaffen in Europa stationiert haben, die sowjetisches Territorium erreichen können. Mit der sogenannten Nachrüstung mit Pershing 2 Raketen und Marschflugkörpern, in der BRD, Großbritannien und Italien, haben die USA diese Vereinbarung gebrochen. Die Pershing 2 Raketen hätten von Westdeutschland aus in 15 Minuten Moskau erreicht und damit die Reaktionszeit für die sowjetische Militärführung dramatisch verkürzt.

Millionen Menschen in Europa haben verstanden, dass diese Waffensysteme offensiv eingesetzt werden können. Dann kam der INF Vertrag, 1987, Hunderte Raketen und Sprengköpfe wurden verschrottet. Atomraketen mit Reichweiten über 500 km in Europa wurden durch den Vertrag verboten.

Damit wurde das Interesse der Sowjetunion, später Russlands, anerkannt, dass keine US-amerikanischen Atomwaffen von Europa aus russisches Gebiet, oder eben gar die Hauptstadt Moskau, erreichen können.

Die Frontstellung zwischen West und Ost wurde nach 1990 beibehalten, USA und Russland waren immer potentielle Atomkriegsgegner, die sich gegenseitig atomar vernichten können. Sie haben sehr viel weniger Atomwaffen, die aber immer noch gegeneinander gerichtet sind. Immer noch ist ein wesentlicher Faktor, welche Waffen wo stationiert sind und in welcher Zeit sie einen gegebenen geografischen Raum überwinden können um ein Ziel zu erreichen.

Russland war gegen die Expansion der NATO nach Osten, und die Friedensbewegung hat vor 30 Jahren die NATO-Expansion kritisiert und vor der Konfrontation mit Russland gewarnt. Im NATO-Russland-Vertrag von 1997 wurde vereinbart, dass in den neuen NATO-Staaten keine neuen Truppen dauerhaft stationiert werden soll, und auch keine Atomwaffen. Damit wurde das legitime russische Sicherheitsinteresse respektiert, die US-amerikanischen Atomwaffen und die NATO-Truppen auf Abstand zu halten.

Mit der 2008 beschlossenen Aufnahme der Ukraine in die NATO war die Perspektive für Russland: dereinst oder ziemlich bald könnten US-Truppen und Atomwaffen in der Ukraine stationiert werden, direkt vor der Haustüre, 1000 km näher an Moskau. Daher das Beharren von Russland auf Neutralität der Ukraine. Und das ist ein wesentlicher Teil der Vorgeschichte des aktuellen Krieges!!

(Andere Aspekte der Vorgeschichte insbesondere die Entwicklung in der Ukraine muss ich heute außer acht lassen)

Zweitens zur Lage in der Ukraine

wir verurteilen den Einmarsch der russischen Truppen, wie erwähnt, und die Annexion von Regionen im Donbass, beides klar ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung. Das bestreitet niemand. Nun entfaltet sich seit über zwei Jahren ein Bild vor unseren Augen, was die Verteidigung der Souveränität, mit den gegebenen militärischen Mitteln, real und konkret bedeutet.

Wir sehen jetzt täglich die Zerstörungen in den Städten, oder weitgehend zerstörte Städte wie Mariupol, Bachmut, und Trümmerhaufen anderen Namens. Ich verstehe natürlich den Wunsch, die Heimat gegen eine russische Aggression zu verteidigen. Aber -- Wer eine Stadt militärisch verteidigen will, nimmt in Kauf, dass die Stadt zerstört wird. Wer eine Stadt erobern will, muss die Verteidiger herausbomben, so geschehen in Falludja, Aleppo, Mossul, Grosny… Oder, wie im zweiten Weltkrieg, Stalingrad 1943 oder Berlin 1945.

Unser pazifistischer Standpunkt ist: Verteidigung ja, aber mit politischen, zivilen, mit gewaltfreien Mitteln. (Modell der sozialen Verteidigung – kann ich in der begrenzten Zeit nicht ausführen)

Die militärische Verteidigung führt zur Selbstzerstörung. Was soll der legitime Verteidigungskrieg, wenn, auch im Falle eines militärischen Sieges, nachher alles kaputt ist?

Was bedeutet dann die Souveränität der Ukraine? Die Freiheit, eine Generation lang für den Wiederaufbau zu schuften und ausländische Kredite zu bedienen? Ein ruiniertes Land, die Wirtschaft am Boden, der Staat verschuldet, das Geld nix mehr wert. Hunderttausende geflüchtet, Hunderttausende Kriegsinvaliden, Behinderte, traumatisierte Kriegsteilnehmer.

Schon im September 2022 ging eine Meldung durch die Medien, ich zitiere sinngemäß: Der Stabschef der US-Streitkräfte, General Mark Milley, sprach sich für Verhandlungen über einen Waffenstillstand aus. Er warnte vor einem Szenario wie im ersten Weltkrieg, mit jahrelangen Grabenkämpfen, die keine strategische Entscheidung brachten, aber Millionen Soldaten das Leben kosteten.

Er sagte damit auch, dass die Ukraine die russischen Armee militärisch nicht vertreiben kann und die derzeitige- bzw. damalige - Pattsituation akzeptieren muss. D.h. akzeptieren dass die Grenzen der Ukraine jetzt neu definiert werden – sei es auf dem Schlachtfeld, sei es in künftigen Verhandlungen.

Letztes Jahr war wochenlag die Rede von der ukrainischen Sommeroffensive zur Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete. Daraus ist offensichtlich nichts geworden. Aber auch die erfolgreiche Rückeroberung würde nur die Zerstörung weitertreiben und die Kosten des Krieges erhöhen. Deutschland liefert Waffen und Munition und finanziert den Krieg, verlängert dadurch den Krieg, erhöht die Kosten und die Zahl der Opfer.

Position der DFG-VK Bayern: Keine Waffen liefern, keine Finanzierung des Krieges.

Das wäre unser Beitrag zur Beendigung des Krieges, ohne Waffen und Munition wäre die Ukraine gezwungen zu verhandeln.

Die Forderung an Russland bzw. Präsident Putin, die Truppen zurückziehen – das klingt gut, im gleichen Atemzug weiß man dass er das nicht tun wird, sondern so lange Krieg führen wie er dazu in der Lage ist und sich irgendeinen Nutzen davon verspricht. Was könnten wir Putin anbieten?

Drittens zur Stimmung in Deutschland (Bezug zum Motto- Friedensfähig statt kriegstüchtig)

Der Herr Verteidigungsminister Pistorius hat neulich die Parole ausgegeben, Deutschland müsse wieder kriegstüchtig werden!

Er hätte auch sagen können – wir wollen den Krieg beenden, einen Atomkrieg verhindern und gemeinsame Sicherheit in Europa organisieren! Aber mir ist klar, das klingt eher nach Willy Brandt und Egon Bahr. Die SPD hat sich doch sehr verändert…

Hallo Herr Pistorius, wir wollen gar nicht kriegstüchtig werden, wir sind gar nicht mal kriegswillig!

Wer gar nicht will, wird auch nicht tüchtig, das kennt man von der Arbeitswelt, oder vom Sport, wer gar keinen Bock hat zu arbeiten, oder am Barren zu strampeln, der wird auch nie ein guter Turner bzw. irgendwie tüchtig. Ich plädiere für allgemeine Kriegsunwilligkeit!

Herr Pistorius sagt das ja vor dem Hintergrund einer Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung. Noch gibt’s eine Mehrheit für Waffenlieferungen und militärische Unterstützung der Ukraine, jetzt aktuell bei der Frage Lieferung des Marschflugkörpers „Taurus“ gibt’s aber eine Mehrheit gegen die Lieferung dieser Angriffswaffe.

Darüber hinaus, viele kapieren doch, dass die Preissteigerung bei Energie, die Wirtschaftskrise die sich abzeichnet, die Teuerung bei Lebensmitteln etc. eine Folge des Wirtschaftskrieges gegen Russland sind. (und natürlich der Spekulation) Immer mehr kapieren, dass Russland am längeren Hebel sitzt, immer mehr glauben nicht mehr an den Sieg der Ukraine, und viele kapieren also dass die Kohle vergeblich verpulvert (sic!) wird, und finanziert am Ende nur die Profite der Rüstungsindustrie! (und verschmutzt die Umwelt)

Und immer mehr Menschen haben Angst, dass Deutschland direkt in den Krieg hineingezogen werden könnte, und haben berechtigte Angst, dass aus dem Krieg ein Atomkrieg werden könnte.

Die Medien diskutieren über alle möglichen Gründe für die Unzufriedenheit im Volke, aber dass die Angst vor Krieg für viele Menschen eine Rolle spielen könnte, ja eine Ursache für schlaflose Nächte sein könnte, wird konsequent ausgeklammert.

Aber ich komme auf einen entscheidenden Faktor bei der Kriegsunwilligkeit zu sprechen: Die Bundeswehr hat notorisch zu wenig freiwillige BewerberInnen, so dass sie nicht in der Lage ist, ihre Sollstärke von 200 000 SoldatInnen zu erreichen. Tja die jungen Leute im Lande haben keinen Bock auf Bundeswehr, das finde ich ja ein gutes Zeichen. Vielleicht glauben sie, dass sich die Ukraine verteidigen muss, aber selbstverständlich haben sie keine Lust, selber was dafür zu riskieren. Wo bleiben denn die Grünen, die könnten doch freiwillig zur Bundeswehr gehen? Der Herr Hofreiter von den Grünen, der sich zum obersten Leopard- Panzer- Lieferanten entwickelt hat, sollte doch erst mal Mühe drauf verwenden, die Grüne Jugend zu überzeugen, dass sie sich freiwillig bei der Bundeswehr verpflichten müssen.

Jetzt sollen Modelle zur Wiedereinführung der Wehrpflicht geprüft werden. Na Prima, es gilt der Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz – „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“. Wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt wird, dann werden wir zur allgemeinen Kriegsdienstverweigerung aufrufen; und diejenigen die kein Bock haben auf Bundeswehr, müssen sich dann wieder mit dem Prüfungsverfahren und mit ihrem Gewissen beschäftigen.

Die Wehrpflicht wieder einführen, okay, dann haben wir wieder eine Bundeswehr mit 500.000 SoldatInnen, werden wir dann den Krieg gegen Russland gewinnen? Und was wird das kosten? 5 oder 10 oder 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts? Und egal ob das in 5 oder in 10 oder in fünfzehn Jahren ist, ein Krieg gegen die Atommacht Russland ist nicht zu gewinnen! Und die ganze Aufrüstung ist eine gigantische Fehlinvestition!

Hallo Herr Pistorius, gerade weil wir zu dieser einfachen Überlegung fähig sind, sage ich, wir wollen gar nicht kriegstüchtig werden!! Das ist der völlig falsche Ansatz!

Viertens: Perspektive Friedensfähigkeit

Lb F u F Friedensfähig statt kriegstüchtig, ja das wärs!

Wir stehen hier weil wir für Frieden und Sicherheit für alle Menschen eintreten!

Wir treten ein für eine Außenpolitik der Kooperation und des Dialogs, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten berücksichtigt! Die gegebene internationale Struktur dafür ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen.

Wir treten ein für Rüstungskontrolle und Schritte zur Abrüstung, für die Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen!

Wir wenden uns gegen das 100-Milliarden-Euro-Waffenprogramm der BRD und die Erhöhung der Rüstungsausgaben.

Wir bräuchten ein 100-Milliarden-Programm zur Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung. Weitere Aufrüstung wird den Konflikt mit Russland nicht lösen, sondern nur die Konfrontation verschärfen und zu einem weiteren Krieg mit Russland führen.

Wir lehnen jeden Krieg ab! Es gibt keinen gerechten Krieg! Wir müssen jeder Art von Kriegspropaganda entgegentreten, jede Art von Rechtfertigung von Kriegen entlarven und die Argumente zerpflücken.

Wir müssen gegen den Militarismus in Deutschland argumentieren und für zivile Bearbeitung von Konflikten eintreten.

Lb F und F

Eine Welt ohne Krieg wird es erst dann geben, wenn wir Militär in Frage stellen und Militär abschaffen wollen, den Mut haben, die Abschaffung des Militärs zu fordern. Wenn wir wirklich jeden Krieg ablehnen, und auf gewaltfreie Methoden vertrauen, dann ist Militär nicht nur überflüssig, sondern ein Hindernis für Frieden.

Pazifismus heißt, gegen jeden Krieg, gegen Militär, für Gewaltfreiheit und zivile Konfliktbearbeitung einzutreten!

Mir ist wohl bewußt, diese radikale pazifistische Position überfordert jetzt viele, auch in der Friedensbewegung.

Der Militarismus hat Deutschland im 20. Jahrhundert zweimal ruiniert, versuchen wirs im 21. Jahrhundert mal mit Pazifismus, um den atomaren Ruin zu vermeiden.

Vielen Danke.

 

Thomas Rödl ist Sprecher der DFG-VK Bayern.