Redebeitrag für den Ostermarsch in Nürnberg am 1. April 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreund*Innen und Besucher dieses Ostermarsches!

Atomwaffen standen im Zentrum der Ostermärsche, seit es Ostermärsche gibt: seit 1958 in England und 1960 in Deutschland. Deutschland war damals der Frontstaat der Blockkonfrontation zwischen Ost = Warschauer Pakt und West = NATO. Ein Krieg zwischen Ost und West hätte mit Sicherheit das Schlachtfeld Deutschland in eine unbewohnbare, radioaktive Wüste verwandelt.

Die Ostermarschierer damals lehnten deshalb jegliche Atomwaffen in Ost und West kategorisch ab. Sie wussten: es gibt keinen Schutzschirm gegen Atomwaffen, auch nicht durch Atomwaffen der eigenen Seite, es gibt nur Zerstörung - und die ständige, reale Drohung damit, unter der Tarnbezeichnung: "Atomare Abschreckung". Der Ruf der "Kampf dem Atomtod"-Bewegung war: "Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unser Volk bedroht!"

Sprung ins heute, 65 Jahre später. Wir erleben eine unerträgliche Diskussion über Atomwaffen hier in Deutschland. Ich will versuchen, das Durcheinander etwas zu entwirren: Da ist die "Befürchtung", ein US-Präsident, z.B. Trump, könnte zögern, mit der US-amerikanischen Atom-Macht in einen eskalierenden Krieg in Europa einzugreifen. Meine Angst wäre nicht, dass da "unser Verbündeter" sich raushält, sondern eher, dass der Krieg von dort nuklear eskaliert - und wir vernichtet werden. Oder brauchen wir sogar deutsche Atomwaffen, oder europäische? Kurzfristig geht das gar nicht. Aber langfristig, sei es unter europäischem oder französischem Dach? Oder gleich eigene deutsche Atomwaffen? Das wäre eine gefährliche Entwicklung, in völligem Gegensatz zu von Deutschland angenommenen internationalen Verträgen, die das verbieten, nämlich dem Atomwaffen-Sperrvertrag sowie dem 2+4-
 Vertrag, der die deutsche Einheit ermöglichte. Deutschland / Europa als Atom-Supermacht, das wollen wir nicht!

Oft wird verwiesen auf Russlands "verantwortungslose" Drohungen. Dabei wird meist verschwiegen, dass "auch" die USA und die NATO die Drohung mit einem Ersteinsatz der Atomwaffen in ihrer Strategie verankert haben.

Die Atomwaffen-Befürworter nennen Russlands Drohungen aber nicht nur unverantwortlich, sie erklären diese sogar zum unglaubwürdigen Bluff. Diese öffentliche Verharmlosung der realen Atomkriegsgefahr ist verantwortungslos! Unsere berechtigte Sorge wird als fehlgeleitet verunglimpft: "Alles nicht so schlimm! Nur nicht bange machen lassen!" Doch, sage ich, die russischen Drohungen müssen ernst genommen werden, der katastrophale Abgrund vor uns ist real! "Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unsere Welt bedroht!"

Mir scheint, die Westentaschen-Strategen haben keine Ahnung, was eine Atom-Explosion wirklich ist. In Hiroshima und Nagasaki hat man die Wirkung einer - nach heutigen Begriffen - "kleinen" Atomwaffe gesehen. Ein paar Quadratkilometer verstrahltes Land, 100.000 Menschen getötet! Kann sowas je gerechtfertigt werden? Das ist reinster MASSENMORD!

Leider würde es nicht bei einer Atombombe bleiben. Beide Seiten wollen ihre "Eskalations-Dominanz" demonstrieren. Es gibt dann kein Halten mehr, bis Millionen von Opfern zu beklagen sind! Und wenn viele Atomwaffen explodiert sind,dann wird auch der Rest der Menschheit, da, wo der Atomkrieg nicht stattfand und die radioaktiven Wolken nicht hinkamen, durch den "Nuklearen Winter" und die
globale Hungersnot umgebracht. Deshalb: "Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unsere Welt bedroht!"

Wie kommen wir raus aus der lebensgefährlichen Situation?

Zum einen ist es höchste Zeit, dass der Ukraine-Krieg beendet wird, und zwar durch Verhandlungen. Unabhängig davon, wie er begann: er muss dringend beendet werden. Dieser Krieg liefert die ständige Eskalationsmöglichkeit zum Atomkrieg. Zweitens wird die Gefahr der atomaren Eskalation bleiben, solange Atomwaffen da sind. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass atomare "Abschreckung" eben nicht das Mittel ist, Kriege in Europa zuverlässig zu verhindern - wie uns oft gesagt wurde.
Es ist eher richtig, dass die Atomwaffen Russlands diesem ermöglicht haben, den Krieg so zu führen - und die Atomwaffen der NATO haben ermöglicht, dass ein mörderischer Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Ukrainer stattfinden kann, bei dem nur die Rüstungsindustrie beider Seiten profitiert.

Der Ausweg kann nur sein, aus der Atomwaffenlogik auszusteigen. Zwei Drittel der UN-Mitglieder haben deshalb den Atomwaffen-Verbotsvertrag in der Vollversammlung 2017 angenommen, die weltweite "Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen" ICAN hat dafür den Friedensnobelpreis erhalten.

Deutschland muss den Atomwaffen-Verbotsvertrag unterschreiben und ratifizieren. Damit verliert Deutschland nichts, außer dieser katastrophalen Gefahrenquelle. Die US- Atomwaffen müssen abgezogen werden, die "atomare Teilhabe", dieses gefährliche Konstrukt, dass Bundeswehr-Bombenflugzeuge für den Einsatz amerikanischer Atomwaffen bereit stehen, obwohl Deutschland auf Atomwaffen verzichtet hat, das muss endlich aufhören. Das reduziert das Gefahrenpotenzial. Wir wären nicht mehr ein so prioritäres Ziel angreifender Atomraketen. Ganz Europa muss atomwaffenfrei werden - das muss unser Ziel sein! "Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unsere Welt bedroht!"

Vielen Dank.

 

Wolfgang Nick ist aktiv beim Friedensmuseum Nürnberg.