Redebeitrag für den Ostermarsch in Bruchköbel am 18. April 2025

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde, 

ich freue mich, heute bei Euch zu sein beim Auftakt des Ostermarsches in Hessen. Ich finde, gerade in solchen Zeiten, wo alle der Aufrüstung das Wort reden, sind Aktionen für Frieden und Abrüstung sehr wichtig. Schön, mit Euch heute für den Frieden zu demonstrieren, liebe Freundinnen und Freunde.

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde die Zeitenwende vom Kanzler eingeläutet. Die Zeitenwende bedeutet eine Militarisierung nach außen, eine Militarisierung der Außenpolitik, aber auch eine Militarisierung nach innen. Die Zeitenwende bedeutet die Befeuerung von Kriegen und Krisen in dieser Gesellschaft. Die Zeitenwende bedeutet, dass jetzt Milliarden und Abermilliarden für Waffen, für Kampfjets, für Kriegsschiffe ausgegeben werden sollen, während der designierte Kanzler uns gleichzeitig erklärt, dass wir jetzt alle Bereiche der Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland auf den Prüfstand stellen sollen.

Die Zeitenwende bedeutet: Kein Geld für unsere Kinder, kein Geld für unsere Gesundheit, kein Geld für eine bessere Zukunft für die Menschen hier und in Europa und weltweit - dafür aber Milliarden in den Rachen von Rheinmetall und Co.

Und ja, liebe Freundinnen und Freunde, fragen wir die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Menschen in Europa, die zwei Weltkriege erlebt haben, wissen doch, dass diese wahnsinnige Aufrüstung nicht zu mehr Sicherheit, nicht zu mehr Frieden in der Welt beitragen wird.

Und deshalb ist es verdammt wichtig, dass die Tradition der Ostermärsche weiterlebt, egal wie sie in den Medien mittlerweile dargestellt werden. Warum sage ich das?

Auf der Fahrt hierher im Auto habe ich Radio gehört und traditionell - ich komme aus Nordrhein-Westfalen - höre ich WDR2. Und traditionell sind die Ostermärsche in Nordrhein­Westfalen auch groß. Im WDR2 hieß es dann aber, dass diese traditionsreichen Ostermärsche jetzt auch wieder in Nordrhein-Westfalen beginnen, aber dass man nicht so viele Leute erwarten würde, wie es vielleicht in den 80er Jahren der Fall gewesen wäre, dass gar nicht so viele Leute erwarten würden wie damals zu Zeiten des Kalten Krieges.

Doch, liebe Freundinnen und Freunde, es liegt an uns allen, eine starke Friedensbewegung aufzubauen. Es liegt an uns allen, deutlich zu machen, dass die eingeleitete Zeitenwende keine Zeitenwende ist in unser aller Interesse. Ihr habt wahrscheinlich mitbekommen, dass auch in Kindernachrichten Sendungen wie Toggo lange Zeit die Taurus-Rakete als ein liebliches Wesen dargestellt wurde. Ihr habt vielleicht mitbekommen, dass ein Bäcker in Baden-Württemberg jetzt Schokohasen und Zuckerhasen herstellt mit Kanonen und Panzern in der Hand. Ihr habt wahrscheinlich mitbekommen, dass uns allen und vor allem der Jugend nun gesagt wird, sie sollten doch bereit sein, ihr Leben zu opfern für die Freiheit, für das Land. Ihr habt wahrscheinlich mitbekommen, dass das alles eine wahnsinnige Rhetorik ist, dass das alles der Weg hin zum Krieg ist. Und wir müssen heute deutlicher denn je sagen: Wir wollen keinen Krieg, wir wollen Diplomatie, wir wollen die friedliche Beilegung von Konflikten in dieser Welt, egal ob in Gaza, egal ob in der Ukraine oder in den verschiedenen Teilen Afrikas, wo auch mit deutschen Waffen im Moment gemordet wird.

Nein, liebe Freundinnen und Freunde, die Friedensbewegung steht für die Zukunft, für die bessere Zukunft, für die Menschheit.

Liebe Freundinnen und Freunde, auch haben wir alle mit Verwunderung festgestellt, wie vor einigen Monaten der Kanzler, die Scholz-Administration, mit der Biden-Administration plötzlich erklärt hat, dass in der Bundesrepublik Deutschland Mittelstreckenraketen, US-Raketen stationiert werden sollen. Ich war noch ein Kind in den Achtzigern und lebte damals noch nicht mal in Deutschland. Aber aus den Geschichtsbüchern und aus Erzählungen weiß ich, dass in den 80er Jahren in Bonn beim Hofgarten Hunderttausende bis zu Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind und gesagt haben, dass eine solche NATO-Stationierung in der Bundesrepublik Deutschland nicht wollen.

Die Menschen haben das deshalb damals vor allen Dingen auch gesagt, weil sie wussten, dass die geplanten Stationierungen dieser Raketen nicht zur Verteidigung vorgesehen sind, sondern Angriffswaffen sind. Und heute sagt man: Für unsere Verteidigungsfähigkeit brauche man hier Mittelstreckenraketen-Systeme. Liebe Freundinnen und Freunde, Mittelstreckenraketen-Systeme sind keine Abwehrsysteme. Mittelstreckenraketen-Systeme sind Systeme, die binnen kurzer Zeit große Ziele weit entfernt von hier treffen können.

Mittelstreckenraketen-Systeme sind Angriffsraketen. Und Mittelstreckenraketen-Systeme werden nicht zu mehr Sicherheit für die Bundesrepublik Deutschland, für Wiesbaden oder andere Standorte hier bedeuten, sondern sie werden sie zu einem bevorzugten Ziel bei einer Eskalation im Falle eines offenen, heißen Krieges mit Russland machen. Und deshalb sagen auch wir hier an dieser Stelle ganz unabhängig davon, ob man Pazifist*in ist, ob man Anti-Militarist*in ist oder keins von beiden:

Keiner in der Bundesrepublik Deutschland kann ein Interesse haben an dieser Stationierung. Keiner kann ein Interesse daran haben, dass wir hier zu einem bevorzugten Ziel werden. Und deshalb fordern wir vom zukünftigen Kanzler, dass davon abgesehen wird, dass diese Mittelstreckenraketen hier in der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden.

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, die Wahrheit ist doch, dass die heutige Situation in den USA sich geändert hat. Wir haben es jetzt mit einer Trump-Administration zu tun. Wir wissen gar nicht, ob die Trump-Administration jetzt wirklich weiterhin diese Mittelstreckenraketen Systeme hier stationieren werden will. Aber was wir alle wissen, ist, dass es uns doch nicht nur um die US-Systeme geht.

Auch die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland arbeiten derzeit an der Entwicklung eigener Mittelstreckenraketen-Systeme. Mit Frankreich, mit Italien, mit Deutschland, mit Großbritannien gibt es entsprechende Abkommen. Und deshalb lautet unsere erste Forderung: Stoppt die geplante Stationierung der US-NATO hier. Aber unsere zweite Forderung lautet auch: Stoppt die geplante Erstellung von Mittelstreckenraketen in Europa. Wir wollen dieses Tötungsmaschinen nicht. Wir wollen auch nicht neue Atombomben in Europa oder in der Welt.

Wir wollen endlich ein Zurück zu Abrüstungsverträgen. Wir wollen ein Zurück zur Entspannungspolitik. Denn das ist der einzige Weg zur Sicherheitspolitik hier in Europa und weltweit.

Auf europäischer Ebene wird wahnsinnig aufgerüstet. Frau von der Leyen spricht von der Notwendigkeit dessen, dass wir jetzt eine Europäische Militärunion brauchen. Sie nennt es Verteidigungsunion. Sie spricht davon, dass wir jetzt Milliarden in den Ausbau der Rüstungsindustrie in Europa investieren sollen. Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland wird immer mehr Geld in den Rachen der Rüstungsindustrie geschmissen, sondern europaweit ist es der Fall.

Die Schuldenbremse, die es auf europäischer Ebene gibt, der Stabilitäts- und Wachstumsmechanismus, der eingeführt wurde und den Mitgliedsstaaten Grenzen der Verschuldung gesetzt hat, wird jetzt aufgelöst, ausgehebelt nur für den Fall der Aufrüstung. Die Mitgliedstaaten sollen immer mehr aufrüsten können. Die gleiche Europäische Union, die den Mitgliedstaaten der EU Vorgaben in der Vergangenheit gemacht hat, Krankenhäuser zu schließen, die gleiche Europäische Union macht jetzt den Mitgliedstaaten der EU die Vorgabe aufzurüsten, was das Zeug hält.

Wir sagen Nein. Wir wollen lieber die Krankenhäuser. In der Pandemie haben wir gesehen, was diese Politik tatsächlich bedeutet. Und das wollen wir nicht mehr ertragen.

Liebe Freundinnen und Freunde, seit drei Jahren schon läuft der Krieg in der Ukraine. Seit drei Jahren höre ich als Europaabgeordnete Reden im Europäischen Parlament von anderen Parteien und von Kommissionsvertretern. In diesen Reden wird die ganze Zeit Richtung Ukraine gerufen:

Kämpft Jungs, kämpft weiter, Ihr kämpft für unsere Freiheit. Dieser Satz, liebe Freundinnen und Freunde, ist so zynisch wie kaum ein anderer Satz, den ich in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gehört habe.

Warum bitte sollen die Menschen in der Ukraine für unsere Freiheit kämpfen? Was bitte steckt dahinter? Während sie der Friedensbewegung - die seit drei Jahren sagt: Verhandelt endlich, findet endlich ein politisches Ende dieses Krieges, sorgt für eine l.ösungl - die ganze Zeit diffamieren, sie wären nicht solidarisch mit den Ukrainer*inen, rufen Sie den Ukrainern zu, dass Sie für ihre Freiheit sterben sollen.

Nein, liebe Freundinnen und Freunde, die Friedensbewegung ist solidarisch mit den Menschen in der Ukraine. Sie ist solidarisch und sagt deshalb: Wir wollen nicht, dass junge Männer zum Kanonenfutter gemacht werden. Wir wollen nicht, dass junge Männer, egal ob Russen oder Ukrainer oder andere Nationalitäten, zu Tode geschickt werden, damit Großmächte ihre Freiheiten, nämlich ihren freien Zugang zu den Märkten in dieser Welt, abfeiern können.

Wir wollen nicht, dass Menschen sterben und sagen deshalb auch erneut an die EU: Hört auf mit diesem Kriegsgeschreil Ihr seid nur noch zynisch.

Aber es ist nicht nur das. Jetzt erklärt auch Dänemark, dass überlegt wird, dänische Soldaten in die Ukraine zu schicken, um ukrainische Soldaten an der Drone auszubilden. Liebe Freundinnen und Freunde, wie viele ukrainische Soldaten wurden in den vergangenen Jahren durch europäische Staaten ausgebildet, auch von der Bundesrepublik Deutschland? Wie viele Waffen, Waffensysteme und Tötungsgeräte, Panzer und Munitionen wurden von europäischen Staaten an die Ukraine geschickt?

Mit welchem Ziel, fragt man sich, mit welchem Ziel wurde das gemacht? Ging es darum, wirklich die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine zu verteidigen? Oder ging es um eigene geopolitische Interessen? Und ja, liebe Freundinnen und Freunde, es ging die ganze Zeit um eigene geopolitische Interessen. Es ging darum, den Preis für den eigenen imperialen Rivalen Russland in die Höhe zu treiben. Es ging darum, die Verunsicherung in der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und in der EU auszunutzen, um eine massive Militarisierung voranzubringen, die so vor fünf Jahren weder hier noch in ganz Europa möglich gewesen wäre.

Und deshalb sagen wir auch an dieser Stelle: Ihr seid nicht solidarisch mit dem angegriffenen Volk in der Ukraine. Ihr tretet nicht für irgendwelche Werte ein, wie Ihr es uns erklärt. Sondern Ihr betreibt knallharte, brutale Geopolitik auf dem Rücken der Völker. Die Menschen in der Ukraine bluten, die Menschen in der Ukraine sterben und wir hier in ganz Europa sollen den Preis dafür zahlen.

Das machen wir nicht mit. Beendet endlich diesen Krieg!

Und dass es nicht um irgendwelche Werte geht, wird ganz deutlich, wenn man die Politik der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Union im Nahen Osten betrachtet. Liebe Freundinnen und Freunde, es gab nicht nur für die Ukraine unzählige UN-Resolutionen und Initiativen vom UN-Generalsekretär Guterres, sondern das gab es auch für Gaza. Doch egal welche Initiative hier vorangetrieben wurde, die EU hat diese Initiativen beiseite gewischt.

Und in Gaza bei dem brutalen Völkermord an den Palästinenser*innen wird doch deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland, der ehemalige Kanzler und der zukünftige Kanzler immer noch sagen: Nein, wir schicken da Waffen hin.

Nein, liebe Freundinnen, Freunde, ich finde die Doppelmoral des Westens an dieser Stelle unerträglich. Was Netanyahu in Palästina macht, ist nichts weiter als ein Völkermord, ist nichts weiter als eine Annexionspolitik, ist nichts weiter als eine Vertreibungspolitik. Und jetzt arbeiten sie gemeinsam mit Großbritannien und den USA an einer kompletten Neutrukturierung des Nahen Ostens. Auch da sagen wir an dieser Stelle: Hände weg vom Nahen Osten: Die Völker im Nahen Osten haben die Schnauze voll von eurer Kriegstreiberei.

Die größte Lüge, die ich gehört habe in den letzten drei Jahren, liebe Freundinnen und Freunde, ist, es ginge um die Demokratie vs. Autokratie. Ich habe familiäre Wurzeln in der Türkei, komme aus einer kurdischen Familie. Ich habe niemals Sympathie für autoritäre Systeme in dieser Welt gehabt und werde sie auch nicht haben. Ich verteidige auch kein einziges autoritäres System - aber die Lüge, es ginge um die Verteidigung der Demokratie, die glaube ich denen niemals.

Und wisst Ihr, warum ich das nicht glaube? Weil die EU im Moment an dem Ausbau der eigenen militärischen Kapazitäten arbeitet. Weil die EU im Moment auch im Konflikt mit Donald Trump ist und deshalb versucht, hier noch mal eigenständige Bündnisse zu entwickeln. Und wisst Ihr, wer diese Bündnispartner sind? Wie groß die Koalition der Freiwilligen, der Willigen in Europa reichen soll? Von Großbritannien bis Norwegen und bis in die Türkei.

Aktuell wird mit der Türkei daran gearbeitet, die militärische Zusammenarbeit der EU mit der Türkei voranzutreiben, mehr Waffensysteme aus der Türkei zu kaufen, neue Waffensysteme in die Türkei zu schicken. Und wahrscheinlich habt Ihr mitbekommen, dass die Türkei gerade in Aufruhr ist. Die ganze Opposition - Demokrat*innen, Liberale, Linke, Sozialist*innen - alle gehen auf die Straße, weil das Erdogan-Regime das eigene Land umbaut und offen, ganz offen in eine Autokratie führen möchte.

Ja, was denn nun? Autokratie vs. Demokratie oder knallharte Geopolitik? Nein, liebe Freundinnen und Freunde, was ich erlebe, ist, dass Narrative gebildet werden, uns Geschichten erzählt werden, warum dieser oder jener Krieg so wichtig wäre oder warum man da Waffen hinschicken müsste oder warum man gegenhalten müsste. Was ich erlebe, ist, dass man uns erzählt, dass es um Sicherheit, Demokratie oder Freiheit ginge, für die man jetzt Milliarden in den Rachen der Rüstungsindustrie schmeißen sollte. Und, liebe Freundinnen und Freunde, was ich erlebe, ist, dass die Bevölkerung verunsichert ist. Da ist es jetzt an der Zeit für uns, eben all diese Narrative auseinanderzunehmen und deutlich zu machen. Die Werte, über die sie reden, sind nicht Werte, für die sie eintreten. Die Werte, über die sie reden, wie Demokratie, Freiheit, das sind Werte, für die die Friedensbewegung einsteht.

Denn im Krieg, in Zeiten von Militarismus, gibt es keine Demokratie, gibt es keine Freiheit. Nur das Gegenteil ist die Realität. Und es ist unsere Aufgabe, die Mehrheit der Bevölkerung genau davon zu überzeugen, dass es in unserem Interesse ist, eine starke Friedensbewegung aufzubauen. Es ist in unserem Interesse, weil Kriege nur dann unmöglich werden, wenn die Bevölkerungen sich diesen Kriegen widersetzen.

Das hat Rosa Luxemburg schon 1914 vor dem Frankfurter Strafgericht gesagt. Liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns den Geist von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wieder aufleben lassen. Danke schön.

 

Özlem Alev Demirel ist Abgeordnete im Europäischen Parlament der Fraktion die Linke.