200 Milliarden und mehr jährlich fürs Militär? Nicht mit mir!
Ich protestiere gegen die geplante massive Aufrüstung Deutschlands!
Redebeitrag für den Ostermarsch in Stuttgart am 19.04.2025
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Freundinnen und Freunde,
unsere Politikerinnen und Politiker haben sich zu einem Würfelspiel mit der Katastrophe entschieden: nämlich die Konfrontation mit Russland immer weiter zu verschärfen. Und ein zentraler Baustein dabei ist die geplante Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland im kommenden Jahr, also von Tomahawk-Marschflugkörpern, Standard-Missile-6-Raketen und den Hyperschallraketen Dark Eagle.
Lassen wir einmal beiseite, dass diese Pläne verboten wären, hätten die USA nicht 2019 den INF-Vertrag mit Russland aufgekündigt; und vergessen wir einmal, dass diese Entscheidung in Deutschland von einem sehr kleinen Zirkel ohne vorherige parlamentarische oder gar öffentliche Debatte ausgekocht wurde.
Schauen wir uns nur einmal die offizielle Begründung an, weshalb es dieser Waffensysteme bedürfe: Es müsse eine Fähigkeitslücke – also eine russische Überlegenheit – bei Kurz- und Mittelstrecken ausgeglichen werden, heißt es.
Liebe Freundinnen und Freunde,
es gibt tatsächlich eine Fähigkeitslücke: nämlich 1800 zu 3000. Das ist laut Oberst a.D. Wolfgang Richter die Zahl der in Europa stationierten Waffen – aber zugunsten der NATO.
Die bisherigen luft- und seegestützten Waffensysteme haben aber den „Nachteil“, dass sie zu langsam für Überraschungsangriffe auf strategische Ziele tief im russischen Raum sind. Und das ist die Fähigkeitslücke, die nun behoben werden soll.
Um es klar zu sagen: diese Waffen haben mit „Abschreckung“ oder „Verteidigung“ rein gar nichts zu tun – und Stationierungsbefürworter geben das auch offen zu. Oberstleutnant i. G. Torben Arnold gibt etwa an: „Die Dark Eagle ist mit bis zu 17-facher Schallgeschwindigkeit kaum zu stoppen. Mit dieser hohen Eindringfähigkeit [ist sie] ideal, um auch solche russischen Hochwertziele auszuschalten, die gezielt geschützt werden.“
Sollte an diesen Plänen festgehalten werden, hat Russland die flächendeckende Stationierung weitreichender Mittelstreckenraketen angekündigt. Und Russland hat am 19. November 2024 eine neue Nukleardoktrin verabschiedet, in der u.a. auch konventionelle Angriffe auf strategische Ziele als mögliche Auslöser für nukleare Vergeltungsschläge identifiziert werden.
Und was tut unser Bundeskanzler in spe – noch nicht einmal im Amt bringt er erneut die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ins Spiel.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das alles macht uns nicht sicherer – im Gegenteil.
Denn die relevanten Einrichtungen rücken in den russischen Zielplanungen ganz nach oben: Die Waffen werden wahrscheinlich in Grafenwöhr stationiert; die zugeordneten Armeeeinheiten befinden sich in Wiesbaden; und das Oberkommando ist direkt hier in der Gegend, im EUCOM in Stuttgart Vaihingen, wo der diesjährige Ostermarsch begonnen hat.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wenn ich mir das alles so anschaue, dann gibt es vor allem eine Fähigkeitslücke: Nämlich die Unfähigkeit (oder der Unwille) unserer Politikinnen und Politiker, Auswege aus der Eskalationsspirale zu finden.
Das ist die Fähigkeitslücke, die dringend behoben werden muss!
Und deshalb sagen wir nein – wir wollen nicht zu Hochwertzielen im neuen Raketenschach werden!
Wir wollen friedensfähig statt erstschlagfähig sein!
Liebe Freundinnen und Freunde,
Deutschland will im EU-Verbund als hochmilitarisierter Akteur seinen Hut in den Ring der immer schärfer werdenden Großmachtkonflikte werfen.
Für das Geld dafür, haben sie mit der weitreichenden Aussetzung der Schuldenbremse für Militärausgaben gesorgt, das Material werden sie beschaffen – woran es vor allem hapert ist das Personal.
Die Bundeswehr will von aktuell 180.000 auf 200.000 evtl. 230.000 bis 270.000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen und die Reserve soll von derzeit 40.000 auf 260.000 ausgebaut werden. Aktuell hat die Bundeswehr aber ihre Müh und Not den Bestand auch nur auf dem jetzigen Stand zu halten.
Uns stehen also eine massive Werbe- und Rekrutierungskampagnen bevor. Das heißt mehr Bundeswehr-Auftritte in den Schulen, mehr Werbeserien im Internet, mehr Kino-Werbung, mehr Plakatwerbung an allen möglichen Orten usw.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir müssen dieser Militarisierung des öffentlichen Raums entgegentreten.
Und deshalb möchte ich hier vom Ostermarsch in Stuttgart auch herzliche Grüße an die drei Münchner Tramfahrer senden, die sich weigern, mit einer Flecktarnbahn zu fahren. Das ist ein großartiges Beispiel, das hoffentlich bald Schule macht.
Im Zusammenhang mit dem Personalmangel ist natürlich auch die für dieses Jahr geplante Einführung eines neuen Wehrdienstes zu sehen. Dabei sollen Fragebögen an einen gesamten Jahrgang geschickt werden, die für männliche Jugendliche verpflichtend zu beantworten sind. Als Ziel wurde ausgegeben, zuerst 5.000 dann 10.000 Wehrdienstleistende für 6-23 Monate zu gewinnen.
Der Wehrdienst solle „zunächst auf Freiwilligkeit“ basieren, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Es hat aber nichts mit Freiwilligkeit zu tun, wenn verpflichtend Angaben gemacht werden müssen, auf deren Basis am Ende dann im Spannungs- oder Verteidigungsfall doch ein Einzug in die Armee stehen könnte.
Außerdem lautet „zunächst“ das Zauberwort im Koalitionsvertrag. Denn wenn die Rekrutierungsziele nicht erreicht werden – was wahrscheinlich ist – dann ist sehr bald mit einer wie auch immer gearteten Wiedereinführung der Wehrpflicht zu rechnen.
Und das wird dann auch die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht und die Erweiterung auf Frauen bedeuten – Wehrgerechtigkeit nennen sie das dann.
Apropos Gerechtigkeit: Umfragen belegen in allen Altersgruppen eine Mehrheit der Bevölkerung für die Wiedereinführung der Wehrpflicht – außer einer Altersgruppe: den 18-29jährigen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Mehrheit der Jugendlichen will nicht kriegstüchtig werden!
Und deshalb fordern wir auch hier: wir wollen friedensfähig nicht kriegstüchtig werden!
Vielen Dank!
Jürgen Wagner arbeitet für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen.