Redebeitrag für die Kundgebung "Atomkriegsmanöver 2022 absagen!" am 22.10.2022 in Nörvenich

 

- Sperrfrist: 22.10., Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

die ersten Atombomben in einem atomaren Krieg Deutschlands fallen auf Nörvenich und Büchel. Die Abwehr der BW mit ihren Patriot-Raketen hat gegen die hyperschallschnellen Raketen Russlands keine Chance. Mittelbar betroffen wäre auch der gesamte Großraum Köln. Warum setzen sich die Bewohner nicht gegen die nukleare Teilhabe zur Wehr?

Ich spreche hier über das geltende Recht. Politiker neigen dazu es zu missachten, weil es ihrem Handeln Grenzen setzt.

Jeder Einsatz von Atombomben und die Drohung damit sind völkerrechtswidrig. Das humanitäre Völkerrecht beschränkt in Art. 35 des Zusatzprotokolls von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 den Einsatz von Waffen (ich zitiere): „In einem bewaffneten Konflikt haben die am Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung.“ Die Staaten dürfen nur Waffen einsetzen, die das humanitäre Völkerrecht nicht verbietet. Das gilt auch für die Verteidigung.

Verboten sind Waffen,

  • die unterschiedslos Soldaten und Zivilisten treffen,
  • die durch radioaktive Strahlung unnötige Qualen verursachen,
  • die die Umwelt und damit alle Lebensgrundlagen dauerhaft schädigen und die unbeteiligte Staaten grenzüberschreitend in Mitleidenschaft ziehen. Damit ist der Einsatz von Atomwaffen und seine Androhung völkerrechtlich verboten. Dieses Verbot gilt gewohnheitsrechtlich, also für alle Staaten der Welt – unabhängig davon, ob sie das Zusatzprotokoll unterzeichnet haben.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat 1996 das Verbot bekräftigt. Er hat den Atommächten damit auch die Verteidigung mit Atomwaffen untersagt. Wiederholt betont der IGH, dass ein Staat sich nur mit Waffen verteidigen darf, die die Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfüllen.

Die Atomwaffenstaaten hatten 1996 vor Gericht behauptet, sie würden kleine, nicht strahlende Atomwaffen entwickeln. Heute wissen wir, dass das unmöglich ist. Der Gerichtshof hat das aber 1996 nicht ausschließen können. Er hat deswegen über die Verteidigung mit Atomwaffen in Fällen, in denen das Überleben des Staates auf dem Spiel steht, nicht entschieden. „Nicht entschieden“ heißt aber nicht, dass er diese Einsätze genehmigt hat, wie die Atomwaffenstaaten behaupten. Stattdessen betont der IGH das Verbot von Waffen, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen, also auch der Atomwaffen.

Wichtig für uns: Völkerrecht verliert seine Verbindlichkeit nicht, weil permanent dagegen verstoßen wird. Das ist nicht anders als in unserem Strafgesetzbuch.

Der Einsatz von Atomwaffen und die Drohung damit verstoßen auch gegen Art. 6 des UN-Zivilpaktes. Dieser ist 1976 in Kraft getreten und auch in bewaffneten Konflikten anzuwenden. Ich zitiere Art. 6: „Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetzlich zu schützen. Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.“ Deutschland ist diesem Pakt beigetreten und hat sich daran zu halten.

Soweit das humanitäre Völkerrecht.

Die Stationierung von Atomwaffen ist aus einem weiteren Grund illegal: Der Nichtverbreitungsvertrag NPT verbietet Deutschland die Verfügung oder Mitverfügung über Atomwaffen. Ohne diese Verfügung ist die nukleare Teilhabe jedoch nicht denkbar. BW-Soldaten sollen die Atombomben in BW-Tornados zu den Einsatzorten fliegen. Dabei bleiben die Soldaten deutsche Hoheitsträger. Deutschland hätte dann zumindest zeitweilig die verbotene Verfügungsgewalt über Atomwaffen.

Die Bundesregierung behauptet mit wechselnden Begründungen, dass die nukleare Teilhabe rechtmäßig sei. Unwahr ist ihre Behauptung, Deutschland habe zur Fortdauer der nuklearen Teilhabe völkerrechtliche Vorbehalte erklärt. Die erklärten Vorbehalte betreffen jedoch nur die Fortdauer der kollektiven NATO-Verteidigung. Daraus folgt nicht die Verteidigung mit Atomwaffen. Denn der NATO-Vertrag sieht keine Atomwaffen vor. Auch ohne Atomwaffen ist die Verteidigung der Mitgliedsstaaten möglich. Ein völkerrechtlicher Vertrag über die Nuklearstrategie der NATO ist niemals vereinbart worden.

Die Vorbehalte zur Fortsetzung der nuklearen Teilhabe verstoßen gegen die Wiener Vertrags-Konvention (WVK). Vorbehalte sind völkerrechtlich unwirksam, wenn sie mit dem Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind. Ziel und Zweck des NPT besteht darin, dass Atomwaffenstaaten keine Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten übergeben dürfen und Nicht-Atomwaffenstaaten keine Verfügungsgewalt über Atomwaffen ausüben dürfen. Die Übergabe der Atomwaffen würde den gesamten NPT praktisch aushebeln. Sie ist illegal.

Die von der BReg behauptete „Zwei-Schlüssel-Verfügung“ über die Atomwaffen ist Augenwischerei und bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Deutschland und die USA entscheiden nicht gemeinsam über den Einsatz von Atomwaffen. Dieses Recht hat allein der US-Präsident. Die BReg wird konsultiert, wenn die Zeit dazu bleibt. Das ist aber fraglich. Denn der US-Präsident hat wegen der schnell zu entscheidenden atomaren Reaktion noch nicht einmal die Zeit, sein Kabinett und den Kongress zu beteiligen. So die “Washington Post“ vom 13.1.2021. Und auch bei dem behaupteten Zwei-Schlüssel-Modell hätte die BW im Einsatzfall zeitweilig die völkerrechtswidrige Verfügungsgewalt über Atomwaffen.

Ergebnis: Jeder Einsatz von Atomwaffen und die Drohung damit sind völkerrechtswidrig. Wenn Putin völkerrechtswidrig mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, berechtigt das die NATO-Staaten nicht, dasselbe zu tun oder die Atomwaffen sogar einzusetzen. Ein Unrecht darf niemals mit einem anderen Unrecht gerechtfertigt werden.

Wie die Verantwortlichen es auch drehen und wenden – ihre militärischen Handlungsmöglichkeiten sind durch das Völkerrecht eingeschränkt. Unsere Politiker realisieren nicht, dass sie nach einem Einsatz vor Gericht gestellt und wegen Völkerrechtsverbrechen verurteilt werden müssen.

Atomwaffen haben in den Verteidigungsstrategien nichts zu suchen!

Laut BVerfG beruht die NATO-Nuklearstrategie nur auf Regierungsabsprachen der beteiligten Staaten. Die Bundesregierung könnte die nukleare Teilhabe durch bloße Erklärung gegenüber den NATO-Verbündeten beenden. Auch der Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag würde Deutschland verpflichten, die nukleare Teilhabe zu beenden.

Unser Ziel ist die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren.

Vielen Dank.

 

Bernd Hahnfeld ist Richter im Ruhe Stand (iR) und aktive bei der IALANA (Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen - International Association of Lawyers against Nuclear Arms).