Redebeitrag für die Kundgebung "Atomkriegsmanöver 2022 absagen!" am 22.10.2022 in Nörvenich

 

- Sperrfrist: 22.10., Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Anfang August waren wir mit unserer DFG-VK Friedensfahrradtour hier in Nörvenich, um auf die Verlegung der Tornado-Atombomber von Büchel nach hier hinzuweisen und auf die aktuelle Atomkriegsgefahr aufmerksam zu machen. Anschließend führte uns unser Weg in die Niederlande, zum dortigen Atomwaffenstützpunkt Volkel. Auch in Belgien, in Kleine Brogel sind die US-Atombomben vom Typ B-61 stationiert. All diese Stützpunkte rund um NRW, rund um Nörvenich sind jetzt in das Atomkriegsmanöver Steadfast Noon eingebunden, ein Schwerpunkt soll auf Kleine Brogel liegen, knapp 100 km von hier entfernt. Wir sind heute hier, um deutlich nein zu sagen zu diesem Manöver, das den Einsatz von Massenvernichtungswaffen mitten in Europa simuliert.

Die offizielle Sprachregelung der NATO lautet, dass das Staedfast Noon-Manöver zur Abschreckung dient. Es wird auch viel Wert darauf gelegt, zurückzuweisen, dass dieses Manöver etwas mit dem Ukrainekrieg zu tun habe. Das ist in sofern richtig, als dass dieses Manöver ja jedes Jahr stattfindet. Doch es jetzt in dieser brisanten politischen Lage durchzuführen, kann nur als Bestandteil der Eskalation begriffen werden, die wechselseitig von Russland und der NATO ausgehen. Die russische Regierung hat wiederholt mit Maßnahmen im Zuge des Ukraine-Krieges gedroht, die als den möglichen Einsatz von Atomwaffen gewertet werden können. Auch die NATO und die USA brachten schon in der Vergangenheit immer wieder die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen ins Spiel. 2020 verlegte die US-Airforce drei ihrer strategischen Atombomber B-52 nach Großbritannien, zwei davon unternahmen im gleichen Jahr einen Übungsflug über der Ukraine. Auch jetzt nach Beginn des Ukrainekrieges unternahmen dise Atombomber im März Übungsflüge über Rumänien. Auch wenn sie bei diesen Flügen wohl keine Atombomben trugen, sollen sie dem Gegner natürlich signalisieren, das haben wir zur Verfügung, wir können diese Atombomber jederzeit einsetzen. Die Drohung mit Atomwaffen ist unverantwortlich, egal von welcher Seite sie kommen. Wir weisen sie entschieden zurück.

Doch diese Drohung scheint auch die Zielsetzung der diesjährigen Steadfast Noon Übungen zu sein. Auch hierbei nehmen zwei strategische B-52 Bomber teil. Die passen eigentlich nicht in das Konzept von Staedfast Noon, wo es ja um den Umgang mit den B-61 Bomben geht, wie sie auch in Büchel lagern. Im Gegensatz zu den B-61 Atombomben, die als taktische Waffen mit ihren Trägerflugzeugen eher gegen vorrückende russische Truppen auf NATO-Gebiet eingesetzt werden können, erreichen die strategischen B-52 Bomber jeden Punkt in Russland selbst.

Während das NATO-Manöver ja bereits seit Anfang dieser Woche läuft, gibt es Meldungen, dass auch Russland ein Atommanöver vorbereitet. In Kriegszeiten sind solche Manöver doppelt gefährlich, weil für die Gegenseite nicht eindeutig zu unterscheiden ist zwischen Manövertätigkeiten und möglichen Vorbereitungen für einen tatsächlichen Angriff. Nicht nur Greenpeace, auch der renommierte US-Atomwaffenexperte Hans Kristensen vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI warnte daher in diesen Tagen vor diesen Manöver angesichts der angespannten Lage und fordern die Aussetzung. Dieser Forderung schließen wir uns an, wir fordern Steadfast Noon zu stoppen, das russische Manöver Grom gar nicht erst beginnen!.

Die Tatsache, dass die Langenstreckenbomber an dem Manöver teilnehmen und auch die Tatsache, dass die NATO entgegen ihrer sonstigen Praxis offen über das Manöver berichtet, zeigt die Besonderheit der Lage. Der Ukraine Krieg ist ein Krieg, der von der Atommacht Russland begonnen wurde und in der die Atommacht USA und die ganze NATO als Unterstützer der Ukraine in großem Maße beteiligt sind. Ist vor diesem Hintergrund die Anwendung von Atomwaffen denkbar?

Sowohl Russland als auch die USA und die NATO sehen in ihren Militärstrategien den Einsatz von Atomwaffen vor. Zwar wird immer wieder betont, diese Waffen sollen vorrangig der Abschreckung dienen, aber um diese Abschreckung glaubwürdig zu gestalten, sei eben der mögliche Einsatz auch vorzusehen. Beide Seiten behalten sich den Ersteinsatz, also den Einsatz von Atomwaffen auch in einem konventionellen Krieg vor. 2020 hat die russische Regierung die „Grundlagen der staatlichen Politik der Russischen Föderation auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung“ erlassen. Darin wird festgehalten, dass Moskau Nuklearwaffen einsetzen würde als Reaktion auf eine Aggression mit Einsatz von konventionellen Mitteln, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet wäre.

In der Nuclear Posture Review von 2018 halten die USA ihre Nuklear-Strategie fest: „Die Vereinigten Staaten würden den Einsatz nuklearer Waffen nur unter extremen Umständen erwägen, um die vitalen Interessen der USA, ihrer Verbündeten und Partner zu verteidigen. Zu diesen extremen Umständen können signifikante nicht-nukleare strategische Angriffe gehören.“ Diese signifikanten nicht-nuklearen Angriffe werden im Folgenden noch beschrieben und sind relativ breit gestreut, weiter als in der russischen Strategie. Auch die NATO hat 2020 ein Dokument beschlossen, in dem der Einsatz von Atomwaffen auch in nicht-nuklearen Konflikten festgehalten wird. All das trägt zu einer großen Verunsicherung bei, weil keine Seite sicher sein kann, ob ein Atomschlag kommt oder nicht. Daher fordert die Friedensbewegung seit langem, den Ersteinsatz von Atomwaffen deutlich auszuschließen.

Um den genannten Strategien eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, wird nicht mehr zwangsläufig von den umfassenden Atomkriegszenarien des Kalten Krieges ausgegangen, sondern es wird die Möglichkeit von aus militärischer Sicht begrenzten Atomschlägen ins Auge gefasst. Die russische Armee verfügt über eine große Anzahl sogenannter taktischer Atomwaffen, die auf Grund ihrer geringeren Reichweite auf dem Schlachtfeld in Europa zur Anwendung kommen sollen und nicht etwa das US-amerikanische Festland erreichen können. Auch die Sprengköpfe sind in der Regel kleiner, wobei das immer noch die mehrfache Sprengkraft einer Hiroshima-Bombe bedeutet. Auf Seiten der NATO sind es eben die B-61 Bomben, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe gegen Ziele in Europa eingesetzt werden können. Auch sie haben die Sprengkraft von einigen Hiroshima-Bomben. Sie sollen demnächst durch neue Bomben ersetzt werden, die lenkbar und damit zielgenauer einsetzbar sind. Neu sind auch Entwicklungen in den USA, die auf Trident-U-Booten, die nicht der NATO unterstellt sind, kleine Sprengköpfe installiert haben, die ebenfalls auf dem Schlachtfeld in Europa eingesetzt werden könnten. Auch neue Mittelstreckenraketen für Europa sind im Gespräch

Es werden also Waffen entwickelt oder sind schon vorhanden, um einen aus Sicht der Militärs begrenzten Atomkrieg in Europa beginnen zu können. Und es gibt Politiker und Militärs in den USA und wohl auch in Russland, die mit einem solchen Krieg spekulieren und davon träumen, ihn zu gewinnen. Es sind Hasardeure, die mit dem Leben von Hunderttausenden spielen. Experten halten eine Begrenzung eines Atomkriegs für relativ unwahrscheinlich. So oder so wären die Folgen verheerend, hunderttausende oder gar Millionen Tote, zerstörte und verstrahlte Landschaften: ein Horrorszenario.

Im Rahmen des Ukraine-Konflikts erlebt die Idee eines solchen begrenzbaren Atomkriegs jedoch einen Aufschwung. In Talkshows wie jetzt bei Anne Will wird schon mal behauptet, dass ein taktischer Atomschlag gar nicht soviel Zerstörung anrichte. Auch die Gefahr, dass Russland im Extremfall überhaupt Atomwaffen anwende, wird kleingeredet. Während man Russland ja sonst Wortbrüchigkeit unterstellt, ist zum Beispiel der FDP-Außenpolitiker Graf Lambsdorf fest überzeugt, der Kreml werde sich getreu an seine Doktrin halten und nur bei ernsthafter Bedrohung des Staates zu Atomwaffen greifen. Die Gefahr eines Atomkrieges ist jedoch real und wir sagen nein zu allen Versuchen, diese Gefahr kleinzureden!

All diese Verharmlosungen dienen dem Zweck, die Kritik an weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine sowie die aufkommenden Forderungen nach einer Verhandlungslösung klein zu halten. Die Gefahr eines Atomkrieges ist ja ein wesentliches Argument, alles zu versuchen, den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden, bevor er weiter eskaliert. Wer diese Gefahr leugnet, kennt sich entweder mit den Dynamiken von solchen Kriegen nicht aus oder will bewusst einen Atomkrieg in Kauf nehmen, egal was er für Folgen hat. Beides ist verantwortungslos und spielt mit dem Leben hunderttausender Menschen in Europa. Deshalb demonstrieren wir heute hier in Nörvenich und fordern die Aussetzung von Atomkriegsmanövern auf beiden Seiten, fordern wir den Stopp des laufenden NATO-Manövers Steadfast Noon. Und wir fordern ein schnellstmögliches Ende des Ukraine-Krieges, fordern auch gerade von Deutschland und den anderen NATO-Staaten eine Initiative zur Aufnahme von Friedensverhandlungen. Stoppt diesen Krieg bevor er zum Atomkrieg wird!

Vielen Dank.

 

Joachim Schramm ist Geschäftsführer der DFG-VK NRW.