Ein Szenario bis zum Jahr 2040

Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik

Hintergrund
Hintergrund

Friedenshandeln hat zwei Dimensionen: Zum einen die Militärkritik durch die persönliche Verweigerung jeglicher Kriegsdienste sowie Problematisierung und Skandalisierung der militärischen Sicherheitspolitik, deren mangelnder Zielführung und Kontraproduktivität und auch humaner Inkompatibilität. Der größte Teil der Aktivitäten der Friedensbewegung ist militärkritischer Art, gegen Rüstungsexporte, gegen Atomwaffen, gegen Drohnen und vieles andere mehr. Die zweite Dimension ist das Engagement für eine konstruktive Alternative. Wie könnte eine Sicherheitspolitik strukturiert sein, die humanen Wertvorstellungen Rechnung trägt, die die Unsicherheitsfaktoren an der Wurzel behandelt, anstelle durch die militärische Bedrohung möglicher Konfliktpartner in untauglicher Weise an Symptomen herumzukurieren?

Beide Formen des Friedenshandelns sind notwendig, sie bedingen sich sogar: Konstruktive Alternativen werden umso dringender, je klarer Militärkritik die Probleme analysiert und vermittelt. Militärkritik wird umso akzeptabler, je plausibler die Möglichkeiten von Alternativen erscheinen. Dieser Zusammenhang zeigte sich auch im Falle des für 2022 gesetzlich beschlossenen Atomausstieges. Der politische Erfolg der „Atomkraft-nein-danke“-Bewegung stieg mit der Entwicklung der Substitution durch die regenerative Energiegewinnung und Energieeinsparungsmaßnahmen.

Dieses Bemühen um eine glaubhafte Alternative zur militärischen Friedenssicherung war auch ein Anliegen der badischen Landessynode, die 2013 im Rahmen ihres wegweisenden Beschlusses, „Kirche des gerechten Friedens“ werden zu wollen, einen entsprechenden Auftrag für die Erstellung eines Militärausstiegsszenario erteilte. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Leitung des badischen Friedensbeauftragten Stefan Maaß beschrieb mithilfe der Szenariotechnik drei Entwicklungen, die einerseits den Trendverlauf, die Fortschreibung des Gegenwärtigen darstellen, zum anderen, als das Negativszenario, den schlimmsten anzunehmenden Fall und als Drittes die bestmögliche Entwicklung aufzeigen. Der Schwerpunkt wurde auf die Darstellung dieses anzustrebenden Positivszenarios gelegt.

Dabei konnten die AutorInnen auf viele wissenschaftliche Vorarbeiten wie beispielsweise die Konzepte der Sozialen Verteidigung, der Friedenslogik, der Zivilen Konfliktbearbeitung und viele Praxisansätze wie die Nonviolent Peaceforce, die Peace Brigades International und ähnliche Organisationen, den Zivilen Friedensdienst, den Aktionsplan der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung aus dem Jahr 2004“ und die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zurückgreifen. Ein erster Szenario-Entwurf wurde 2017 bei Anhörungen von ExpertInnen aus Politikwissenschaft, Militär, Friedensbewegung und Religionen diskutiert und dann weiter überarbeitet. Die öffentliche Vorstellung des Szenario-Buches erfolgte auf einem friedensethischen Studientag des Evangelischen Oberkirchenrates am 28. April 2018 in Karlsruhe.

Da der ursprüngliche Begriff „Ausstieg“ im Sinne von „Aussteiger“ eher negative Assoziationen hervorzurufen vermag, wurde schlussendlich – angeregt durch einen Aufruf für eine neue Ostpolitik – der Titel „Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ gewählt. Zwar ist aus der politikwissenschaftlichen Diskussion das Gegensatzpaar „Friedenslogik versus Sicherheitslogik“ geläufig, womit die Bedeutung des vom Frieden-her-Denkens als politische Leitlinie im Gegensatz zu militärischem Sicherheitsstreben definiert wird. Damit bliebe jedoch der Begriff der Sicherheit dem Militär überlassen und würde der wichtige Wert humaner Sicherheit, im Sinne eines sich Versorgt-Wissens und der Wahrung der Menschenrechte, preisgegeben. Mit „Sicherheit neu denken“ und „ziviler Sicherheitspolitik“ soll der Sicherheitsbegriff aus der Engführung militärischer Logik befreit und rehabilitiert werden. Um den immer wieder zutage tretenden Missverständnissen vorzubeugen, könnte das obengenannte Gegensatzpaar präzisiert werden, indem man von „ziviler Friedenslogik versus militärischer Sicherheitslogik“ spräche. Durch das Adjektiv „zivil“ erschien der Autorengruppe auch „gewaltfrei“ ersetzbar, weil in zivilem Gebaren enthalten, und werde auch rechtsstaatliche Polizeigewalt zur Verbrechensbekämpfung inkludiert.

Die wesentlichen Elemente des Szenarios „Sicherheit neu denken“ (Snd)
War das Konzept der Sozialen Verteidigung bedingt durch seine Entstehung im Ost-West-Gegensatz eine eher am engen Friedensbegriff der Kriegsnegation orientierte Strategie, so bezieht sich das Szenario Snd auf den weiten, positiven Friedensbegriff des Prozesses der Minimierung lebensbehindernder Faktoren und der Maximierung lebensdienlicher Faktoren. Wenn Konflikte und Kriege die Folge ungerechter Verhältnisse sind, dann bedeutet eine wirklich friedenschaffende Sicherheitspolitik das Engagement für die humane Sicherheit aller Menschen. Dies wird an dem Fünf-Säulen-Modell „Zivile Sicherheitspolitik“ aufgezeigt: Faire ökonomische Außenbeziehungen, ökologischer und globalverantwortlicher Lebensstil, gutnachbarliche Verhältnisse zu den EU-Anrainerstaaten, friedenslogische Sicherheitsarchitektur, auch im Sinne der Demokratisierung und „Verpolizeilichung“ der internationalen Beziehungsebene, wesentliche Verstärkung der zivilen Konfliktbearbeitungskultur und Konversion der Bundeswehr für zivile Aufgaben wie Katastrophenschutz, Rettungswesen, Polizei.

Charakteristisch für ein Szenario ist neben der klaren Zieldefinition – hier die mittelfristige Entmilitarisierung durch Konversion von Bundeswehr und Rüstungsproduktion –, dass auch eine zeitliche Abfolge der erforderlichen Schritte als Meilensteine mit einem realisierbaren Zieldatum – hier das Jahr 2040 – benannt wird. Während dies bei der Klimaproblematik erfolgt ist, traut sich bezüglich der Kriegsproblematik so gut wie niemand in Politik, Wissenschaft, Kirchen oder Friedensbewegung, die Ablösung der Bundeswehr zu fordern, geschweige denn eine Jahreszahl hierfür zu benennen. Diese perspektivische Lähmung soll mit dem Szenario überwunden werden: Nach der Vorstellung des Szenarios in diesem Frühjahr ist nun an die Bildung einer Kooperation von ähnlich orientierten Organisationen für eine gemeinsame zivilgesellschaftliche Informationskampagne in den Jahren 2019 und 2020 gedacht. Anschließen soll eine Diskussion auf der politischen Ebene, die dann 2021 Bundestagsbeschlüsse für die Beendigung der Rüstungsexporte absichernden Hermesbürgschaften und den Atomwaffenabzug aus Deutschland zur Folge haben. Nach einer 2024 veröffentlichten offiziellen Studie soll der Wechsel zu einer ausschließlich zivilen Sicherheitspolitik im Jahr 2025 vom Bundestag beschlossen werden, im Jahr 2035 ein Bundestagsbeschluss zur Konversion der Bundeswehr, so dass dieses Ziel im Jahr 2040 erreicht sein wird. Möglicherweise kann dieser Prozess aber auch länger dauern, würde er jedoch gar nicht in Angriff genommen, würde das Ziel mit Sicherheit nie erreicht. Umgekehrt sind jedoch auch Entwicklungen vorstellbar, die den Entmilitarisierungsprozess erheblich beschleunigen.

Die nächsten Schritte
Auch und gerade angesichts der drastischen Steigerung der Nato-Rüstungsausgaben sowie der in Politik und Medien vorgetragenen quasireligiösen „Bekenntnisse“ zum Militärbündnis und zur Aufrüstung der Bundeswehr, haben zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Organisationen der Friedens-, Umwelt- und Solidaritätsbewegung, die Gewerkschaften und die Kirchen eine große Verantwortung, Auswege aus dieser Sackgasse aufzuzeigen und an deren Realisierung mitzuwirken. Von diesem Ansatz her wurde das Szenario Snd entwickelt. Aufgrund einer ersten Vorsondierung mit VertreterInnen verschiedener Friedensorganisationen am 27. Juni in Karlsruhe soll nun ebenda für 12. Dezember zu einem Sondierungstreffen aller mitwirkungsbereiten Organisationen eingeladen werden. Das Szenario Snd kann hierzu erste Impulse liefern, die von den sich zusammenfindenden Kampagnenmitgliedern weiter beraten und entwickelt werden sollen.

Schlussbemerkungen
In Demokratien entscheiden parlamentarische Mehrheiten. Dass diese weiterhin für Aufrüstung zustande kommen, obwohl die Demoskopie zu vielen Details wie Atomwaffen, Rüstungsexporten und Auslandseinsätzen große Bevölkerungsmehrheiten dagegen ausmacht, ist ein noch genauer zu erforschender Widerspruch. Möglicherweise hängt die bei Bundestagswahlen trotzdem erfolgende Zustimmung zu den das Militär stützenden Parteien damit zusammen, dass die vorhergehenden Diskurse sich mit anderen Themen befassen, aber auch mit der bislang fehlenden sicherheitspolitischen Alternative. Diesem Mangel abzuhelfen könnte mit der anvisierten Kampagne für eine zivile Sicherheitspolitik erreicht werden. Dabei sollte die Kommunikationsstrategie zur Vermeidung von Dialogblockaden ausschließlich auf objekt-sachliche Sprache angelegt sein, weil es nicht darum geht, recht zu haben, sondern heute noch andersdenkende Menschen zu gewinnen. Die Methode der Gewaltfreien Kommunikation, die Andersdenkende bzw. Konfliktpartner auf ihre Bedürfnisse anspricht, diese ernst nimmt und gemeinsam nach zielführenden Lösungen sucht, könnte sich hierbei in besondere Weise bewähren. Das heißt, wesentliche Elemente der angestrebten zivilen Konfliktkultur sollten schon beim Engagement für deren politische Realisierung Anwendung finden.

Das Buch „Sicherheit neu denken. Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik. Ein Szenario bis zum Jahr 2040“ (166 S.) kann für 9,95 € inkl. Porto bestellt werden bei <Elisabeth [dot] Russy [at] ekiba [dot] de>  Interessierte Organisationen können sich wegen näherer Informationen und der Einladung an Stefan Maaß, den Friedensbeauftragten der Evang. Landeskirche in Baden, wenden: <stefan [dot] maass [at] ekiba [dot] de>

Weitere Informationen:  https://www.ekiba.de/html/content/szenario_sicherheit_neu_denken.html

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Theo Ziegler vom Forum Friedensethik in der badischen Landeskirche