Redebeitrag für den Ostermarsch in Offenburg am 08. April 2023

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Zeiten sind’s, da wird mir flau (von Niels Dettloff, Sichelschmiede, Brandenburg)

Zeiten sind's, da wird mir flau.
Leute wissen ganz genau:
Frieden gibt es nimmermehr.
Nur Sieg gibt's oder Niederlage.
Sicher ist man ohne Frage
nur mit einem Schießgewehr.

Und wieder wird es ein Jahrhundert,
in dem sich kaum noch einer wundert,
dass es sich füllt mit Kriegsgeschrei.
Wie bald die Erde es erlebt,
dass im Atomkrieg sie erbebt -
das Risiko scheint einerlei.

Stattdessen wird in diesen Wochen
hin und her sich widersprochen,
denn es gibt nur Schwarz und Weiß.
Pro und contra, für und gegen,
unsrer hehren Werte wegen!
Bekommt, wer Recht hat, einen Preis?

Wir haben den Verstand verlorn.
Wer richtet denn den Blick nach vorn,
wie man die Zukunft retten kann?
Weder weiße Flaggen hissen
noch ewig in Gewalt verbissen!
Bietet sich was Bessres an?

Jenen, die die Lösung wissen,
lasst sie ruhig auf ihren Kissen
träumen ihren falschen Traum.
Lasst uns auf die Suche gehn!
Die Menschen werden bald verstehn
und klüger sein, denn Zeit bleibt kaum.

Unsrer Freiheit letzter Rest
zwischen Cholera und Pest
zu wählen - das kann es nicht sein.
Zeit, eine neue Zeit zu schaffen
für ein Wehrhaft ohne Waffen!
Damit sind wir nicht allein.

Ja, liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind nicht allein und haben uns auf den Weg gemacht.

Mein Name ist Stephan Brües, ich wohne in Wiesloch bei Heidelberg und arbeite 10 Stunden die Woche für die Kampagne „Wehrhaft ohne Waffen am Oberrhein“. (Von der berichtet gleich Stefan Walther von Friedenswege e.V. und dem hiesigen Liebfrauenhof.)
Ehrenamtlich bin ich Ko-Vorsitzender des Bund für Soziale Verteidigung, der eine (nicht die einzige!) Organisation ist, die diese Kampagne trägt.

Im Frühjahr 2022 kamen einige Aktive, die sich bereits seit Jahrzehnten mit Sozialer Verteidigung befasst hatten, mit jüngeren Menschen zusammen, die sich für gewaltfreie Formen der Verteidigung interessiert haben. Zu letzteren gehört z.B. der Niels, dessen Gedicht ich zu Anfang rezitiert habe.

Die Soziale Verteidigung ist in Deutschland eng mit dem Namen des Politikwissenschafters Theodor Ebert verbunden und mit dem Bund für Soziale Verteidigung, die Ebert mit Petra Kelly mitgegründet hat. Zugleich aber atmet manches aus Ebert’s Schriften noch einen ge-wissen Geist des Kalten Krieges (auch wenn der zurückzukommen droht). So stellte sich uns die Frage, wie die neuen politischen Konstellationen nach Ende des einen Blockes (Warschauer Pakt) in der Idee der Sozialen Verteidigung berücksichtigt werden können.

Aber entschuldigt, ich habe noch gar nicht gesagt, was Soziale Verteidigung ist: Sie ist eine gewaltfreie Verteidigung oder ziviler Widerstand gegen illegitime Versuche, Menschen militärisch zu beherrschen, richtet sich also gegen militärische Aggressionen aller Art oder auch gegen Putsch-Versuche von innen. Oder auch die Aushöhlung der Demokratie, wie sie aktuell praktiziert werden in Ungarn, Polen oder Israel.

Soziale Verteidigung verteidigt soziale Errungenschaften, Menschenrechte, demokratische Strukturen und die Selbstbestimmung der Gesellschaft an sich, nicht (notwendigerweise) territoriale Grenzen. Ziel der SV ist es, die Integrität einer Gesellschaft zu bewahren und das Leben vieler Menschen sowie die bestehende soziale und Versorgungs-Infrastruktur zu erhalten.

SV treibt die politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Kosten für Aggressoren durch Widerstand, Nicht-Zusammenarbeit, Streiks usw. so hoch, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht werden können. Davon kann und soll zugleich eine Abschreckung ausgehen: Auch wenn Ihr uns beherrschen wollt, wir werden widerstehen und Ihr werdet Eure Ziele nicht erreichen.

Verbunden mit einer friedenslogischen Außen- und Sicherheitspolitik ist der Präventionsgedanke der Plan A, der Widerstand Plan B. Letzterer muss eingeübt werden.

Deshalb wollen wir mit der Kampagne diese Alternative zur militärisch gestützten Art der Verteidigung in den Alltag tragen – in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger, in den Alltag der Verwaltung. In aller Alltag.

Es geht um die Reflexion darüber, was wir genau verteidigen wollen, und mit welchen Mitteln das am besten geht. Am besten heißt hier:
Was trägt zum Schutz des Lebens der Menschen bei(und auch der Soldaten → siehe der derzeitige ukrainisch-russische Abnutzungskrieg mit zehntausenden Toten)?
Was trägt die Art der Verteidigung zur Erhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung bei?
Was zu ihrer Handlungs- und, ja auch, Widerstandsfähigkeit bei? Denn: Tote Menschen können keinen Widerstand gegen Aggressoren leisten.

Wir haben als bundesweite Kampagne - dank der Großzügigkeit eines privaten Mäzens aus Essen namens Reinhard Wiesemann (er soll ruhig einmal genannt werden) – zwei halbe Stellen zur Koordination der Kampagne finanzieren können.

Wir haben als Kernbereich der Kampagne einige Modellregionen und Initiativen in anderen Städten zusammengeführt, um dieses Ziel, Soziale Verteidigung in den Alltag der Menschen zu bringen, sichtbar umzusetzen – im durch die Anti-Atom-Proteste politisierten Wendland und im Berliner Kiez Moabit, in der Friedensstadt Augsburg, auf der Schwäbischen Alb, in der Friedensstadt Freiburg, und eben in der Region Oberrhein – zu der Stefan Walther gleich noch kurz etwas sagen wird.

Was machen die anderen konkret, dazu zwei Beispiele:

  • Jochen Neumann, der die Region Wendland betreut, geht zu zivilgesellschaftlichen Gruppen, aber auch zur Landrätin, um diese auf die Frage der Verteidigung anzusprechen. Die Landrätin berichtete ihm davon, dass sie gerade ein Leitbild entwickele, wie der Kreis Lüchow-Dannenberg in den nächsten Jahrzehnten sozial, politisch, wirtschaftlich und ökologisch aufgestellt sein soll. Nachdem Jochen ihr von Sozialer Verteidigung erzählt hatte, sagte die Landrätin spontan, dass dieser Punkt ja in dem Leitbild integriert werden könnte. Ja, so stelle ich mir das vor.
  • In Moabit arbeitet die REFO, eine reformierte evangelische Gemeinschaft, an der Resilienz und Dezentralisierung der Energieversorgung. Denn dezentrale Strukturen bei Energie, Digitalisierung oder auch Ernährung lassen sich nicht so einfach zerstören oder übernehmen wie zentralisierte (z.B. einmal den Digitalen Knotenpunkt in Frankfurt/Main ausschalten, und alles steht still).

Ich wollte damit einen kleinen Eindruck vermitteln, was in der Kampagne „Wehrhaft ohne Waffen“ in anderen Regionen geschieht. Stefan wird im Anschluss erzählen, was am Oberrhein diesbezüglich gerade läuft.
Ich persönlich schließe mit zwei eigenen Gedichten, die ich im vergangenen Jahr geschrieben habe.

 

Wie der Erich Fried schreiben I

Wer den Krieg haben will,
der muss Kriege vorbereiten,
Waffen horten, Menschen drillen,
Medien mundtöten, Kriegsgründe erfinden
und durch alle Kanäle jagen.
Und dann die Kriege führen.
Wer den Frieden haben will,
der muss Frieden vorbereiten.
Waffen verweigern, Menschen bilden,
Wahrheit sprechen, Dialoge öffnen, Wege aufzeigen
und über alle Kanäle verbreiten.
Und dann den Frieden führen.

Was heißt das? Hier eine Konkretion angesichts dessen, was mit der Zeitenwende so verbunden wird.

 

Wie der Erich Fried schreiben II

Wer eine starke Bundeswehr haben will,
Der muss 100 Milliarden Schulden, nein Sondervermögen, aufnehmen.
Der muss die Verfassung ändern, damit er Schulden machen darf.
Der muss Waffen grunderneuern.
Der muss nukleare Teilhabe weiterführen.
Der muss vernetzte Waffensysteme entwickeln
Und über alle Kanäle verbreiten, dass das alternativlos ist.
Und damit die Feinde abschrecken
Und damit - womöglich - Kriege führen.

Wer den Frieden haben will,
Der muss Frieden vorbereiten.
Milliarden für Konfliktprävention geben.
Milliarden für einen soziale, faire, ökologische Weltwirtschaft
Milliarden für deine reformierte UN, für die OSZE
Milliarden für Friedensbildung geben.
Der muss Dialoge öffnen, Gewaltfreie Wege aufzeigen
Und über alle Kanäle verbreiten.
Und dann den Frieden führen.

 

Stephen Brües arbeitet für die Kampagne "Wehrhaft ohne Waffen am Oberrhein" und ist Ko-Vorsitzender des Bund für Soziale Verteidigung.