200 Milliarden und mehr jährlich fürs Militär? Nicht mit mir!
Ich protestiere gegen die geplante massive Aufrüstung Deutschlands!
Redebeitrag für die Demonstration "Nie wieder kriegstüchtig!“ in Stuttgart am 3. Oktober 2025
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,
es gibt nur eine Lösung: weniger Waffen, mehr Diplomatie. Und Diplomatie führt nicht zu Kriegstüchtigkeit, sondern zu Friedensfähigkeit.
Diplomatie
Wenn allerdings das Wort Diplomatie schon genügt, um in Misskredit zu geraten, wenn das Wort Diplomatie schon zu dem Reflex führt „Putin will doch gar nicht mit uns reden“, dann merkt man sofort: es gibt eine große Abneigung gegen Diplomatie. Schwerer Fehler.
Mehr Diplomatie wagen - Die Arbeitsgemeinschaft SPD 60 Plus hat den Vorschlag gemacht, in Deutschland eine Friedensplattform zu schaffen, das heißt zunächst mit einzelnen Staaten, mit denen das gut funktioniert, den Dialog zu beginnen und nach und nach immer mehr Staaten dazu einzuladen; vielleicht in Erinnerung an die KSZE, die 1973 begann, mit der Schlussakte von Helsinki 1975 endete und 20 Jahre später in einer Friedensorganisation (OSZE) mündete.
So etwas muss wieder aufgelegt werden, um die Ernsthaftigkeit diplomatischer Bemühungen überhaupt zu beweisen.
Wir brauchen eine Sicherheitsarchitektur in Europa: Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung, Erneuerung des 2026 auslaufenden New-Start-Vertrags zur Verringerung strategischer Waffen – das sind Ziele, die auf diplomatischen Weg zu finden sind.
Kommunikative Störung
Wenn ich sage, der Gaza Krieg ist sofort zu beenden – der Genozid in Gaza ist sofort zu beenden – kommt sofort ein schrecklicher Reflex. Der Reflex heißt: Er unterschlägt den 7. Oktober 2023 und will das, was die Hamas gemacht haben, unterdrücken. Merkt man diesen Reflex? Es geht dabei nicht um Empathie für Menschen, für das Leiden auf beiden Seiten, sondern es geht darum, eine gewisse Kritik sofort abzuwehren und abzuwerten.
Diese Art des Dialogs machen wir nicht mit. Es stimmt: 1.200 Israelis wurden umgebracht, es wurden 249 Geiseln genommen – aber inzwischen sind über 60.000 Tote in Gaza zu beklagen, viele Kinder; wir sehen Totalzerstörung, Kriegseinsatz mit Hunger als strategische Mittel.
Und wir merken: es ist eine zweite Nakba (Katastrophe, Vertreibung) unterwegs und auch deshalb ist auch Genozid aus meiner Sicht der richtige Begriff, auch wenn er gelegentlichen formaljuristisch bestritten wird. Das Ergebnis ist genau das und manche israelischen Regierungsmitglieder machen daraus auch keinen Hehl.
Also fordern wir: keine Waffen für Netanjahu, keine Waffen für Smotrich und Gvir, keine Waffen für die israelische Regierung. Stattdessen: Unterstützung der Friedensbewegung in Israel.
Wir bemerken auch, wie Zynismus um sich greift, wenn in den USA schon überlegt wird, wie man denn die Grundstücke in Gaza vermarkten könnte, um irgendwelche schönen Resorts dort zu schaffen. Da ist etwas grundsätzlich in Schieflage geraten.
Mehr Sicherheit durch Erhöhung des Gefahrenpotentials?
Die USA wollen ab 2026 Kurzstreckenraketen SM-6, Marschflugkörper Tomahawk und Hyperschallwaffen (Dark Eagle, noch in Entwicklung, 2.700 Km Reichweite) in Deutschland installieren.
Sie würden damit Deutschland zum Mittelpunkt des Interesses all derer machen, die möglicherweise angreifen… Jedenfalls würden uns diese Waffen nicht helfen – im Gegenteil: wir wären Angriffsziel Nr. 1.. Absurd – uns dies als Erhöhung unserer Sicherheit zu verkaufen.
Interessant ist, dass in einem Video, das im Regelfall auch für Schülerinnen und Schüler gedacht ist, der Bundeswehr-Brigadegeneral General Maik Keller erklärt: „Wir haben schon heute Waffen (er meint aus der Luft und von der See), die beispielsweise tief ins russische Gebiet eindringen können. Die Fähigkeit, die wir jetzt neu entwickeln - landbasiert, erhöht unsere Flexibilität, d.h. aber die Bedrohungsperzeption der Russen ändert sich nicht signifikant, sondern es wird nur eine neue Facette dort hinzugefügt…“
Die neuen „Fähigkeiten“, die die USA in Deutschland installieren wollen, erhöhen also lediglich unsere „Flexibilität“, wobei sich die Bedrohungsperzeption, (Wahrnehmung) der Russen, dadurch gar nicht wesentlich ändert?
Jetzt frage ich: wenn wir aufgerüstet werden sollen, um die Abschreckung zu erhöhen, die aber gar nicht funktioniert, weil sie nicht wahrgenommen wird – welcher Grund steckt dann eigentlich hinter dieser US-Aufrüstung in Deutschland, wenn das behauptete Ziel durch die geplanten Waffen nicht erreichbar ist? Und das (diesen Unsinn) erklärt uns ein General der Bundeswehr.
Geld für eine Blackbox (nicht BlackRock, BlackRock ist Aktionärin bei Rheinmetall)
Ich möchte noch etwas zum Geld sagen:
Früher galten 2 Prozent des BIP für Rüstung in Deutschland als schon sehr viel, oft kaum erreichbar.
Dann kommt jemand aus den USA, der übrigens schon die Klimakrise abgeschafft und den Ukrainekrieg innerhalb eines Tages beendet hat, der uns erklärt, es müssten 3,5 oder 5 Prozent des BIP sein – ohne Bedrohungsanalyse, ohne zu wissen, was gebraucht wird, ohne Plan – und was machen wir?
Wir folgen einfach diesem Vorschlag, viele andere auch und wir sehen eine Schleimspur in der Welt, auf der viele diesem Mann folgen, sodass mir angst und bange wird, weil die Irrationalität dieser Politik und Politiker zeigt, wie deren Empathie gegenüber allen Menschen dermaßen verkommen ist, dass wir dies keinesfalls mitmachen dürfen. Und auch Deutschland darf diese Dimension der Rüstungsausgaben nicht mitmachen.
Das würde 40% des Bundeshaushalts für Rüstung bzw. den Verteidigungshaushalt bedeuten.
Was wir uns nicht mehr leisten können
Jetzt haben wir ja gehört, dass auch Kanzler Merz gemerkt hat, dass diese Rüstungsausgaben Folgen haben.
Diese Folgen hat er beschrieben, in dem er die Frage gestellt hat, ob wir uns den „Sozialstaat, so wie wir ihn heute haben, mit dem, was wir volkswirtschaftlich erarbeiten“, noch leisten können. Von Kosten für die Kriegstüchtigkeit kein Wort. Er hat auch sinngemäß gesagt, dass die gegenwärtig arbeitende Generation eine faule Generation ist.
Nun will ich sagen, was wir uns tatsächlich nicht mehr leisten können:
Wir können uns keine Manager mehr leisten, die täglich 10, 20 oder 30 Tausend Euro für sich nehmen, wir können uns keine Milliardärserben leisten, die keine Erbschaftsteuer bezahlen, wir können uns keine Minister leisten, die Milliarden für Masken verschwenden, die nicht gebraucht werden, wir können uns keinen Steuerbetrug in ungeahnter Dimension leisten, wir können uns keine wertlose Beratung für die Bundeswehr für hunderte von Millionen Euro leisten, wir können uns kein Privatvermögen von etwa 15 Billionen Euro leisten, ohne es zu besteuern, wir können uns keine Unternehmer leisten, die sich ins Ausland absetzen, während „ihre“ Arbeitnehmer in Deutschland ihre Gewinne erschaffen, wir können uns keine Privatiers leisten, die nur von ihrem ererbten Kapital bzw. den Kapitalerträgen leben, wir können uns keine Verbände leisten, die ausschließlich egoistische Privatinteressen kleiner Gruppen verfolgen und wir können es uns nicht mehr leisten, Vorschläge von fairen Wohlhabenden zu ignorieren, die sich für eine höhere und faire Besteuerung aussprechen: „Tax me now“.
Was wir uns leisten können – reiche Aktionäre
Deshalb will ich noch eine Sache sagen, die mir sehr negativ aufgestoßen ist: Seit wenigen Monaten ist die Aktie von Rheinmetall um 1.900 Prozent gestiegen – das wäre etwa so, als wenn ein Arbeitnehmer 10 Zentimeter (hier der Zollstock) verdient und nach kurzer Zeit eine Lohnsteigerung von zwei Metern in der Tasche hätte. Das ist die Marge, die bestimmte Leute in
Folge der Aufrüstung erwarten – da können wir nur dagegen sein, denn das ist das Geld von uns, von Euch allen – aber vor allem geht es hier nicht um Geld, sondern um Empathie, um Einfühlungsvermögen, um das unermessliche Leid der Menschen und wir sehen das Leiden der Menschen auf beiden, auf allen Seiten und das wollen wir beenden.
Wir sehen, warum unsere Zukunft die Friedensbewegung braucht.
Der Zeit zum Opfer gefallen:
Wir leisten es uns, unsere Zukunft leichtfertig zu verspielen, denn wir leisten uns – auch durch Waffenproduktion – zu viel Kohle, Gas und Öl zu verbrauchen, zu viel klimaschädliche Emissionen zu produzieren, wir leisten uns Arbeitsverbote für Asylbewerber, statt ihnen Arbeit zu ermöglichen, wir leisten uns fehlenden Sprachunterricht für Migranten, wir leisten uns Schulen, in denen die Lehrer fehlen, wir leisten uns mehr als 50.000 Jugendliche, die jährlich eine allgemeinbildende Schule ohne Abschluss verlassen und schließlich im Bürgergeld landen könnten, wir leisten uns Arbeitslosigkeit und schicken Arbeitslose in sinnlose Fortbildungskurse statt ihnen sinnstiftende Arbeit zu geben, wir leisten uns eine riesige Zahl an Schwarzarbeitgeberinnen und Schwarzarbeitgebern, die Arbeiten verrichten lassen, für die weder ein fairer Lohn, noch Einkommensteuer noch Sozialabgaben bezahlt werden, wir leisten uns Selbständige, Beamte und Beamtinnen, die sich nicht an den gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungssystemen beteiligen.
Wie kann man bei all der Erkenntnis, wo die vielen Milliarden aus dem Bruttoinlandsprodukt am Gemeinwohl vorbei versickern, ausgerechnet auf die Idee kommen, bei den 563 Euro Bürgergeld pro Monat oder den häufig mageren Renten zu kürzen?
Und warum kommt der Kanzler nicht auf die Idee, dass Diplomatie preiswerter und sicherer ist als der Rüstungswahnsinn?
Wir sehen, warum unsere Zukunft die Friedensbewegung braucht.
Vielen Dank.
Lothar Binding ist Bundesvorsitzender der AG SPD 60 plus.