Kampagne "Kürzt den Rüstungsetat"

50.000 Unterschriften an Frau Süssmuth

von Heinz Wagner

Im vergangenen Jahr führte Pax Christi zusammen mit anderen Organisationen eine Kampagne mit dem Ziel durch, den Rüstungsetat deutlich zu vermindern. Elemente dieser Kampagne waren bewußtseinsbildende Basisaktionen, eine Unterschriftensammlung zu einer Petition an den Deutschen Bundestag und politische Gespräche mit Parteien und Volksvertreterinnen. Am 15. Dezember wurden die gesammelten Unterschriften in Bonn vom Präsidenten und Vizepräsidenten der Pax Christi, Bischof Spital und Karlheinz Koppe der Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Süssmuth, überbracht.

 

Es regnet in Strömen. Die Szene hat etwas Symbolisches. Bonn am Freitagnachmittag. Mit vier Taschen voll Unterschriften hüpfe ich von Vordach zu Vordach, um nicht naß zu werden. Nur noch wenige Abgeordnete sind im Regierungsviertel anzutreffen. Es ist der 15. Dezember '89, das Jahr scheint bereits zu Ende zu sein. Schon vor 14 Tagen wurde der Rüstungsetat mit den Stimmen der Regierungskoalitionen allen internationalen Entwicklungen zum Trotz um 1 Milliarde auf 54,2 Mrd. DM angehoben.

Damit die Unterschriften zur Petition "Kürzt den Rüstungsetat" nicht völlig durchweichen, stelle ich sie in den Eingang des Präsidentinnen-Bürohauses. Sofort nähert sich einer jener Türwächter, von denen es in Bonn so viele gibt: "Das können Sie aber nicht einfach hier abstellen. Und überhaupt. Was haben Sie denn da drin?" Kurze Erklärung: Frau Präsidentin, Bischof Spital, Petition zum Rüstungsetat, Gespräch in 15 Minuten, alles klar. Hochgezogene Augenbrauen, dann ein kurzes Nicken. Die Taschen dürfen stehen bleiben, die Ware ist nicht so heiß. Es regnet in Strömen, das Jahr ist fast zu Ende, Presse und Abgeordnete sind im verdienten Wochenende, wir kommen mal wieder zu spät.

Und trotzdem auch wieder zu früh. Denn die Politik war noch nicht so weit. Frau Süssmuth verspätete sich, hatte dann aber·über unsere Erwartungen hinaus Zeit zu einem intensiven Gespräch. Kurze Erläuterung unserer Petition, Fototermin, Übergabe der mehr als 50.000 Unterschriften, Hinweis auf ihre öffentlichen Äußerungen, den Rüstungsetat zu kürzen. Frau Süssmuth versprach, unsere Forderungen noch einmal an die Abgeordneten weiterzuleiten. Karlheinz Koppe wies auf die Möglichkeiten hin, auch im laufenden Haushalt Einsparungen und Kürzungen vorzunehmen. Das war's dann auch schon zum eigentlichen Anlaß unseres Besuchs.

Der größere Teil des Gesprächs blieb grundsätzlichen Fragen vorbehalten, konkretes Thema: Gewaltfreiheit. Auf dem Prüfstand: Positionen und Begründungen von Pax Christi in der Frage der Gewaltfreiheit, Präsident und Vizepräsident im Examen, befragt von einer Politikerin, deren Sympathie für eine gewaltüberwindende Strategie nicht zu übersehen war, der jedoch die tägliche Auseinandersetzung mit "realpolitischen" Denkmustern und Argumenten gebot, präzise und ohne Zugeständnisse nachzuhaken und zu bohren. Ein intensives, produktives und angenehmes Gespräch entwickelte sich, in dem es möglich war, viele Hinweise und Einwände (Asylpolitik, Blockadeprozesse, Westgrenze Polens, Unterstützung für Gorbatschow) zu konkreten politischen Vorgängen vorzubringen.

Hat sich die Mühe eigentlich gelohnt? Die Kampagne für den Rüstungsetat war mit diesem letzten politischen Gespräch vorerst am Ende. Ergebnis: über 50.000 Unterschriften, eine Erhöhung des Rüstungsetats um 2,5% auf 54,2 Mrd.DM und ein zunehmendes Auseinanderdriften von Abrüstungsrhetorik und Abrüstungshandeln. Nicht gerade überwältigend, gemessen an den sozialen, ökologischen und friedenspolitischen Problemen, die eigentlich zu lösen wären. "Hat sich die Mühe, die in unzählige kleine und große Basisaktionen investiert wurde, eigentlich ausgezahlt?", höre ich immer wieder fragen. Ich meine ja, aus folgenden Gründen:

  • Die Forderung "Kürzt den Rüstungsetat" ist inzwischen politisches Allgemeingut geworden. Vieles, was heute passiert, war vor zwei Jahren noch undenkbar: Bundestagspräsidentin und Bildungsminister äußern sich öffentlich und deutlich gegen die Regierungspolitik in Sachen Rüstung. Sogar die Junge Union will den Jäger '90 kippen.

Die immer noch politisch herrschende Hochrüstungspolitik ist im Bewußtsein der Menschen und der meisten Politiker nicht mehr legitimierbar. Es ist deutlich geworden:

Sie trägt nicht zur Lösung von Problemen bei, sondern sie ist ein Problem. Die sie stützenden Politiker und Fraktionen befinden sich auf dem Rückzug. Ähnlich wie in der DDR müssen sie Positionen scheibchenweise aufgeben, mit dem Unterschied, daß unsere Bevölkerung weniger Druck auf das Tempo dieses Prozesses ausübt als die DDR-Bevölkerung.

  • Jeder Versuch, die alte Politik ohne das KommunismusFeindbild doch noch einmal zu legitimieren, offenbart die eigentlichen Motive und Triebkräfte für unsere Rüstungspolitik (Wirtschaftsinteressen, Hochtechnologie). Solche Versuche wirken lächerlich oder zynisch und entlarven die Perspektivlosigkeit der Hochrüstungspolitiker.
  • Ohne Frage, diese Situation ist nicht das Ergebnis unserer Kampagne. Vielfältige Einflußfaktoren und Initiativen haben zur gegenwärtigen Situation geführt. Aber man kann sagen, daß die Kampagne mit ihren bewußtseinsbildenen Aktionen zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Wir haben in den zurückliegenden Jahren wichtige Probleme aufgegriffen, die richtigen Fragen gestellt und darauf bestanden, daß eine Abrüstungsantwort ablesbar sein muß an den nackten Zahlen des Bundeshaushaltes.
  • Und schließlich: Die Auseinandersetzungen in den Gemeinden und Gruppen, die Gespräche und Diskussionen, der Streit und die fantasievollen Aktionen, all dies hat natürlich für die daran Beteiligten einen Wert an sich. Nicht allein das Ergebnis, das Erreichen eines großen Ziels rechtfertigt den Einsatz. Auch und gerade die Weiterentwicklung einer dialogischen Streitkultur vor Ort, das Einüben, in die vielen Formen der gewaltfreien Aktion und die Bedeutung von neuen Sichtweisen und Erfahrungen, müssen berücksichtigt werden bei der Beantwortung der Frage: Hat es sich gelohnt? Und wir übersehen auch zu leicht, daß viele Aktionen in dieser Kampagne nicht von hartgesottenen Friedensaktivisten, sondern von Leuten mitgetragen wurden, die sich das erste Mal in dieser Form exponierten.
  • Und noch ein leicht zu übersehender und schwer zu gewichtender Punkt ist auf der Plusseite zu bedenken (bevor wir dann die Minuspunkte unserer Kampagne diskutieren): Die politischen Gespräche auf Bundesebene. Natürlich kann man sagen, da ist nichts bei rausgekommen, nichts Meßbares jedenfalls. Andererseits wurden wir sehr aufmerksam von allen im Bundestag vertretenen Parteien angehört. Wir waren eine Stimme im Konzert, deren Gewicht eher von den Argumenten als von der Zahl der vorgelegten Unterschriften oder der vertretenen Mitglieder herrührte. Ähnliches gilt auch für die vielen politischen Gespräche, die im kommunalen oder regionalen Rahmen geführt wurden, mit Parteivertretern, MdL's der MdB's. Was liegt näher, als die Wahlen dieses Jahres zur Fortsetzung dieser Lobbyarbeit zu nutzen?

Aus der Aktion lernen: Offene Fragen und eine Liste unerledigter Probleme
Aber auch wir haben von diesen Gesprächen profitiert. In der Auseinandersetzung mit den PolitikerInnen wurden eine Reihe von offenen Fragen oder auch altehrwürdigen Positionen deutlich, die noch nicht ausreichend aufgearbeitet sind oder mit denen die (sicherheitspolitische) Wende noch länger hinausgeschoben werden kann/soll, unter anderem:

  • Abrüstung koste Geld, es sei eine Illusion zu glauben, mittelfristig würden durch Abrüstung Gelder für andere Aufgaben frei.
  • Abrüstung erfordere Know how, er brauche Zeit, bis qualifizierte Expertenteams und Methoden zur Verfügung ständen.
  • Abrüstung mache dort Angst, wo die persönliche Existenz an das Vorhandensein von Waffen und Militär gebunden ist (Rüstungsindustrie, Standorte).
  • Abrüstung mache Angst vor einem noch mächtigeren bundesdeutschen Wirtschaftspotential (vgl. Japan).
  • Abrüstung nehme dem Staat einen Teil seiner Souveränität, allein aus diesem Grund sei es unsinnig, die Existenz des Militärs infrage zu stellen,
  • Abrüstung sei jetzt dumm, da man dann keine Verhandlungsmasse mehr für z.B. die Wiener Verhandlungen habe.
  • Abrüstung sei gefährlich, da man ja nicht wisse, ob der Demokratisierungsprozeß im Osten dauerhaft sei.

Nicht alles, was möglich und wünschenswert war, haben wir also schon in diesem Anlauf erreicht. Auf der hilfreichen Liste der unerledigten Punkte stehen:

  1. Die drastische Kürzung des Rüstungsetats und ein damit verbundenes endgültiges Umdenken in der Sicherheitspolitik.
  2. Eine stärkere Beachtung der Fragen weltweiter Gerechtigkeit (Nord-Süd), innergesellschaftliche Solidarität und ökologischer Rettungsmaßnahmen in den sicherheitspolitischen Überlegungen.
  3. Eine Kontrolle der angekündigten Abrüstungs- und Umbaumaßnahmen.
  4. Die Erinnerung der Kirchen (oberen) an ihre Verantwortung und die Einforderung ihrer bislang fehlenden Stellungnahme in der Frage der Rüstungsausgaben.

Weiterdenken und Weiternerven: Es gibt noch viel abzurüsten ...

Wenn ich von Weiterarbeit rede, denke ich nicht an eine Fortsetzung der Unterschriftensammlung. Andere Formen für Basisaktionen, die weniger zeitintensiv sind, können vielleicht gefunden werden, z.B.

  • Aufrechterhaltung der Forderung, den Rüstungsetat drastisch zu kürzen; und Ergänzung dieser Forderung durch präzisierte Teilforderungen, z.B. Truppenreduzierungen, Forschungsmoratorien, Verzicht auf Großprojekte ...
  • Aufarbeitung der bisherigen Ergebnisse der Konversionsforschung und Unterstützung der politischen Bemühungen, diesen Bereich vorrangig auszubauen.
  • Die politische Diskussion um die Möglichkeit einer Friedenssteuer erneut beginnen und Initiativen ergreifen, mit dem Ziel einer Gesetzesinitiative in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages.
  • Fortsetzung der LobbyArbeit auf allen politischen Entscheidungsebenen. Wahljahr 1990! (Aber auch als Kontroll- und Wächterfunktion: Was wird von radikalen Ankündigungen tatsächlich umgesetzt?)
  • Fortsetzung der Basisarbeit, d.h. Entwicklung einer Aktionsidee, die es ermöglicht, die vor Ort begonnenen Diskussionen über Abrüstung und Umgestaltung der Sicherheitspolitik fortzuführen.
  • Weiterführende Perspektiven der Abrüstungspolitik diskutieren und Schritte der Bildungs, der Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit darauf abstimmen: Soziale Verteidigung, Bundesrepublik ohne Armee.

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