Eine Druckkampagne der Klimabewegung

„End Cement“ – Anatomie einer Kampagne

von Ulrich Wohland
Initiativen
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Die Klimabewegung entdeckt das Thema Zement und Bauwende. In Heidelberg hat dazu ein Protestcamp im Rahmen einer Kampagne stattgefunden. 

So ein Protestcamp ist gelebte Utopie: vegane Küchen - dreimal täglich warm mit gerettetem und geschenktem Essen, Strom aus Sonnenkollektoren, Mülltrennung sowieso und „heimelige“ Komposttoiletten, ein eigenes WLAN-Netz, eine Aufladestation für Handys und ein echt wokes Awarenesskonzept. Täglich mehrere Workshops zu Themen wie „Bauwende gestalten“, „Kapitalismus überwinden“, zu den Verwüstungen der Betonindustrie im globalen Süden (Westsahara, Togo, Westbank und Indonesien) und natürlich Zement, Zement, Zement und Aktionen, Aktionen, Aktionen. Vom 4.4. bis zum 11.04.2025 fand in Heidelberg am Neckar ein Protestcamp gegen die Zementindustrie und ihren verheerenden Beitrag zur Klima-Katastrophe statt.

Der Beitrag der Zementindustrie zu den weltweiten CO2-Emissionen wird auf 8-9 % geschätzt und wird bislang kaum thematisiert. Anders als die CO2-Emissionen der Autoindustrie, der Luft- und Schifffahrt und neuerdings auch der Rüstungsindustrie. Nimmt man den Beitrag der Bauindustrie als Ganze und berücksichtigt den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden - vom Bau bis zum Abriss - kommen wir weltweit sogar auf ca. 40 % der globalen CO2-Emissionen. Ohne globale Bauwende, ohne Umstieg auf alternative Baustoffe haben wir keine Chance, klimaneutral zu werden und den Anstieg der Temperatur zu begrenzen. Die Physik ist da gnadenlos. 

Eine regionale zyklische Druckkampagne
Seit einem Jahr trifft sich die Kampagne https://end-cement.earth/ in Heidelberg und organisiert und plant eine regionale Druckkampagne. Oder genauer gesagt, eine regionale zyklische Druckkampagne. Wie schon früher zu den Castortransporten (Anti-AKW-Bewegung) oder zu Garzweiler (Klima-Bewegung) oder in Büchel (Friedensbewegung), sollen auch beim Thema Zement im jährlichen Rhythmus Tage des Widerstandes stattfinden. Zunächst regional, weil wir mit „Heidelberg Materials“ einen regionalen Gegner angreifen, zyklisch, weil wir nächstes Jahr, im Frühjahr 2026, wieder ein Camp durchführen werden. Mittels Druckkampagne werden wir auf verschiedene Akteure in Heidelberg Druck ausüben und strukturelle Veränderungen einfordern. Wir wollen mehr als nur protestieren. Wir wollen reale Veränderungen. Wir, das sind „Fridays for Future-Heidelberg“, die „Letzte Generation Rhein-Neckar“ (seit März „Widerstand Kollektiv“ WK), „Extinction Rebellion – Heidelberg“ sowie die „Werkstatt für Gewaltfreie Aktion“. Wir, das ist der Kampagnenrat. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Arbeitsgruppen zur Bauwende, Öffentlichkeitsarbeit, Mobilisierung regional und überregional, Fundraising, Social Media u.v.a.m. und natürlich Aktionsgruppen. Denn ohne Aktionen kein Druck und ohne Druck keine Druckkampagne.  

Soziale Bewegungen mit ihren Zielen mögen sehr unterschiedlich sein, mit ihren Themen, den Forderungen, den Betroffenen und Aktivist*innen, den Gegner*innen und Gegenüber usw.. Jedoch bei ihren Aktionen, in ihren Strukturen, ihrem Aufbau gleichen sie sich. Und so können verschiedene soziale Bewegungen, was das Organizing und Campaigning angeht, direkt voneinander lernen.

Ideal ist es, wenn innerhalb von sozialen Bewegungen möglichst viele größere und kleinere Kampagnen mit möglichst vielfältigen Handlungsangeboten für möglichst differente Akteur*innengruppen entwickelt werden. Die Handlungsangebote sollten Alltagsbezug besitzen, Wirkmächtigkeit und Nachhaltigkeit anstreben. Die Menschen müssen in ihrem Alltag etwas anpacken können und darin perspektivisch konkrete Veränderungen erwarten können. Deshalb dürfen die Forderungen von Kampagnen auch eher pragmatisch und im Prinzip realisierbar sein. Während Forderungen von sozialen Bewegungen oft utopische Elemente und Vorstellungen von einem System-Change enthalten. 

Soziale Bewegungen und Kampagnen
Eine soziale Bewegung ist mehr als eine Demonstration und auch mehr als viele Demonstrationen. Schnell werden aus Demonstrationen ritualisierte Latsch-Demos. Ohne Kampagnen, die regional oder überregional verankert sind, geht Bewegungen rasch die Luft aus. Das war und ist immer wieder zu beobachten, z.B. bei Occupy oder auch Black Lives Matter - zumindest in Deutschland. Ohne Alltagsverankerung der Themen wird Widerstand kraftlos. Denn die Bewegung muss am Tag nach einer großen Demonstration weitergehen, in den Regionen, in der Uni und in der Schule, in der Fabrik, im Gemeinderat, am Küchentisch und überhaupt. Demonstrationen sind der Anschub für den Alltagswiderstand. Nur wenn es gelingt, ein Thema auch „am Montag danach“ heiß zu halten, besteht die Möglichkeit, Veränderungen anzustoßen. Eine Demo macht noch keinen Frühling, und selbst viele Demos sind keine Garantie für Veränderungen. Wenn es aber gelingt, überregionale Themen mit regionalen Hotspots zu verknüpfen, ist Nachhaltigkeit gewährleistet. Regional können das Firmen sein oder neue Bauvorhaben oder Kongresse oder Entscheidung im Gemeinderat oder eine Unterschriftenaktion etc. Gerade das Thema Klima bietet unendlich viele regionale Anknüpfungspunkte. 

Fokussierung der Themen
Gleichzeitig darf die Bewegung aber nicht in der Unendlichkeit ihrer Themen versinken. Dies geschieht seit vielen Jahren in der Friedensbewegung. Neben der Themenvielfalt braucht es Fokussierungen, die symbolisch den Widerstand bündeln. Mit den Castortransporten und Protesten zu Garzweiler ist dies gut gelungen. Nach Hambach und Lützerath hat es aber auch in der Klimabewegung keine eindeutige Fokussierung mehr gegeben. Ohne Fokussierung kein Druck, ohne Druck, kein Erfolg. Mit dem Thema Zement versuchen wir ein Angebot für eine Fokussierung der Klimabewegung.

Seit dem Camp im April sind mittlerweile einige Wochen vergangen. Seitdem haben wir die Aktionärsversammlung von „Heidelberg Materials“ digital und öffentlich kritisch begleitet, wir hatten erste Gespräche mit dem Umweltbürgermeister, mit den Initiator*innen des „Heidelberger Frühlings“, mit Parteien aus dem Gemeinderat, und wir hatten sogar ein erstes Gespräch mit der Geschäftsleitung. Das Ziel von Druckkampagnen ist es, Gespräche zu führen, Gespräche auf Augenhöhe. Und irgendwann wollen wir in der Lage sein, Druck auszuüben, um Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen. Das war, ganz nebenbei, immer der Ansatz von M.L. King und von M. Gandhi. Apropos Gandhi: Einer seiner Lehren war es, neben dem Protest gegen etwas, auch gleichzeitig etwas Positives, eine konkrete Utopie zu fordern.  Neben dem Protest gegen den CO2-Klimazerstörer „Heidelberg Materials“ fordern wir konstruktiv die Bauwende. Bauen mit anderen Materialien. Ein Blick in das kleine Video (s.u.) bietet verblüffende Einsichten. 

Dieses Jahr waren wir 300 Menschen auf dem Camp und viele Besucher*innen bei den Veranstaltungen, Workshops, Poetry- und Musikveranstaltungen. Nächstes Jahr sind wir mindestens doppelt so viele. Versprochen. Eine Woche lang zelten, lernen, protestieren und Aktionen machen. Von „Heidelberg Materials“ fordern wir z.B. einen unabhängigen (!) Menschenrechtsbericht zum globalen Süden. Vom „Heidelberger Frühling“, einem großen klassischen Musikevent, gesponsert von „Heidelberg Materials“, fordern wir, den Sponsoringvertrag mit „Heidelberg Materials“ zu überdenken. Von der Stadt Heidelberg, immerhin „europäische Modellstadt für Klimaneutralität“, fordern wir die Einrichtung eines Bürger*innenrates zur Bauwende. Ach ja - wer mitarbeiten möchte, gerne melden. Alle unsere Treffen laufen hybrid. Zement ist überall und hoffentlich auch bald die Kampagne „End Cement“.

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Ulrich Wohland arbeitet ehrenamtlich bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden und ist Initiator der Ausbildung "Campapeace". Er ist Moderator, Coach, Campaigner und Kommunikationstrainer.