Ohne Konversion keine Abrüstung - ohne Abrüstung keine Konversion

Rüstungsindustrie-Konversion

von Kathrin Vogler Marek Voigt
Hintergrund
Hintergrund

Das Pandemiejahr 2020 war für den Rüstungskonzern Rheinmetall ein Erfolgsjahr. Obwohl der Umsatz leicht zurückging und die Automobilsparte schwächelte, war die Rüstungssparte des Konzerns so erfolgreich, dass das Unternehmen den dritthöchsten Gewinn seiner jüngeren Geschichte einfuhr. Sein operatives Ergebnis stieg um 21 Prozent auf 414 Millionen Euro (1), weshalb das Unternehmen plant, einen noch stärkeren Fokus auf die Kriegswaffenproduktion zu legen. „Verteidigungsbudgets beweisen Robustheit trotz Covid“, jubelt das Unternehmen in einer Handreichung für Aktionäre. (2)

Der größte deutsche Rüstungskonzern ist keine Ausnahme: Heckler & Koch machte 2020 nach Steuern mit 13,5 Millionen Euro mehr als achtmal so viel Gewinn wie im Vorjahr (3) und die Rüstungssparte von Airbus erzielte ein Gewinnplus von 95 Mio. Euro. (4)

Die sprudelnden Gewinne der Rüstungsunternehmen stellen die Friedensbewegung vor ein Dilemma. Wenn wir Aufrüstung bei uns und Rüstungsexporten in andere Länder etwas entgegensetzen wollen, brauchen wir auch Rüstungskonversion als Angebot für die Beschäftigten. Umgekehrt wird aber die Diskussion um Konversion nur Fahrt aufnehmen, wenn Aufrüstung und Rüstungsexporte gestoppt werden.

Das belegt die letzte größere Initiative im Bereich Konversion. Das 2015 von der Bundesregierung mit Industrie und Gewerkschaften entworfene Programm „DIVERS“ sollte „Diversifizierungsstrategien von Unternehmen der Verteidigungsindustrie in zivile Sicherheitstechnologien“ fördern: Ziel war nicht etwa Abrüstung und Friedenspolitik, sondern der „Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien“ (5) in einer Situation, die damals durch sinkende Verteidigungsbudgets geprägt war. Die Unternehmen sollten keine militärische Produktion aufgeben, sondern zusätzlich in den zivilen Sicherheitsbereich investieren.(6) Das Programm war ein Flop, die bereitgestellten Mittel wurden kaum abgerufen.

„Verteidigungsplanungsgesetz“?
Angesichts der Wende bei den Rüstungsausgaben ist das nur logisch. 2014 betrug der Verteidigungshaushalt 32,4 Milliarden Euro, für 2021 sind bereits 46,9 Milliarden Euro eingeplant. Schon 2019 hat die Rüstungsministerin erklärt: „… wir brauchen die Steigerung auf […] 2% bis spätestens 2031“. (7) Damit ökonomische Krisen oder andere politische Mehrheiten der Militarisierung nicht in die Quere kommen können, fordert Kramp-Karrenbauer ein „Verteidigungsplanungsgesetz“, damit die Militärausgaben „weniger Spielball der Konjunktur und kurzfristiger Stimmungsbilder“ werden können. (8) Es geht also um ein Sondergesetz, das die Aufrüstungsdynamik über Jahre fixiert und die Haushaltshoheit des Parlaments untergräbt. Mehrheiten dafür könnte die nächste Bundestagswahl liefern: Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Tobias Lindner, legte im Februar dieses Jahres konkrete Überlegungen für ein solches Gesetz vor. (9)

Auch die Rüstungsexporte bleiben trotz gewisser jährlicher Schwankungen auf Rekordniveau. Die Rekorde von 2019 wurden 2020 zwar nicht erreicht, die genehmigten Lieferungen im Gesamtvolumen von 5,82 Milliarden Euro waren aber immer noch deutlich umfangreicher als etwa 2018. Mehr als die Hälfte davon gingen in Drittstaaten wie Ägypten oder Katar. (10)

All das ist aus Sicht der herrschenden Politik keineswegs eine Fehlentwicklung. Offizielle Dokumente sprechen eine deutliche Sprache: „Der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kommt sowohl unter sicherheits- und verteidigungspolitischen als auch unter technologie- und industriepolitischen Aspekten eine strategische Bedeutung zu“, heißt es in einem Strategiepapier. (11) Angestrebt werde „eine bestmögliche Ausrüstung der zivilen Sicherheitsorgane sowie der Bundeswehr und ihrer Verbündeten“. Strategisches Ziel ist eine starke Kriegsindustrie, um nicht auf Rüstungskäufe aus dem Ausland angewiesen zu sein. Die Profitinteressen der privatwirtschaftlichen Eigentümer*innen der Rüstungskonzerne werden als systemrelevant betrachtet. In dieser Logik sind Rüstungsexporte natürlich wünschenswert. „Die Bundesregierung wird daher Exportaktivitäten in Deutschland ansässiger Unternehmen, insbesondere in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder, nach sorgfältiger Einzelfallprüfung über außenwirtschaftliche und sonstige Instrumente unterstützen.“

Ohne eine friedenspolitische Wende, die NATO-Aufrüstung, Auslandseinsätze und Rüstungsexporte beendet und sich stattdessen auf Entspannung und zivile Konfliktbearbeitung orientiert, werden wir auch bei der Konversion nicht vorankommen.

Wachsendes Interesse bei Gewerkschaften
Aktuell gewinnt das Thema auch in den Gewerkschaften wieder an Bedeutung. Verschiedene Strukturen der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG protestierten 2020 gegen die Beteiligung ihrer Unternehmen am NATO-Manöver Defender. (12) Auch international gibt es einige Bewegung: 2019 weigerten sich Hafenarbeiter*innen im italienischen Genua, Kriegsgerät auf ein saudisches Frachtschiff zu laden. Gemeinsam mit Friedensaktivist*innen blockierten sie das Anlegebecken und traten in einen Streik. Hoffnung macht auch der Protest von Google-Beschäftigten, der dazu führte, dass Google aus einem Vertrag über etwa 10 Millionen Dollar ausstieg, in dem das Unternehmen im Rahmen des Projekts "Maven" dem Pentagon helfen sollte, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Drohnenkriegsführung zu verbessern. In monatelangen Protesten hatten allein 4000 Beschäftigte eine Petition unterzeichnet, die forderte, dass Google niemals Kriegstechnologie entwickeln wird. (13)

Die Beschäftigten in der Rüstungsindustrie werden überwiegend von der IG Metall vertreten. Und auch dort wird wieder intensiver über Konversion diskutiert. Im Bündnis „Jena entrüstet sich“, dem es um die Konversion der Rüstungsindustrie in Thüringen geht, ist die IG Metall aktives Mitglied des Trägerkreises. Zum letzten Gewerkschaftstag der IG Metall wurde der Antrag, „eine Konferenz mit Rüstungskonversionsinitiativen, Rüstungsexportkritikern, lokalen Friedensinitiativen und Konfliktforschern“ zu organisieren, immerhin als Material an den Vorstand überwiesen.

Wolfgang Lemb, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, betonte bei seiner Rede auf dem Bundeskongress der DFG-VK im November 2019: „Metallerinnen und Metaller, die heute noch Waffen oder anderes militärisches Gerät bauen, würden lieber heute als morgen zivile Güter herstellen.“ (14) Die Friedensbewegung sollte die Sorge der Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze nicht ignorieren, auch wenn es gesamtgesellschaftlich nicht um sehr viele Arbeitsplätze geht, die Bundesregierung kommt in einer Studie auf 65.000 direkt in der Rüstungsindustrie Beschäftigte. (15)

Diese sind überwiegend hochqualifizierte Fachkräfte, die auch in der zivilen Industrie Arbeit finden könnten, zudem sind viele Rüstungsbetriebe Mischkonzerne, die auch zivile Produkte herstellen. Sicherlich müsste dabei auch beachtet werden, dass sich die Situation regional unterschiedlich darstellt. Im industriell starken Südwesten  ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt besser als in den strukturschwachen Regionen an den Küsten, in denen die Kriegswerften oft weit und breit der einzige nennenswerte industrielle Arbeitgeber sind.

Dass die Steuergelder, mit denen Arbeitsplätze in der Kriegsindustrie subventioniert werden, z.B. im Gesundheits- und Sozialwesen viel dringender gebraucht werden, erleben wir gerade in der Corona-Krise.

Rüstungskonversion ist ethisch betrachtet alternativlos, schließlich lassen sich Menschenleben nicht mit Arbeitsplätzen aufwiegen. Und für konkrete Lösungen kann an Erfahrungen der Vergangenheit angeknüpft werden. Etwa an die in den 1970er Jahren von der Belegschaft des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace entwickelten Produkte, die das Unternehmen statt Waffen herstellen sollte, an die gewerkschaftlichen Arbeitskreise „Alternative Produktion" aus den 1980ern oder das bremische Landesprogramm für die Konversion der Rüstungsindustrie Anfang der 1990er Jahre.

Anmerkungen
1 https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/press/news/latest_news/ind...
2 https://ir.rheinmetall.com/download/companies/rheinmetall/Presentations/...
3 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/waffenhersteller-heck...
4 https://www.airbus.com/content/dam/corporate-topics/publications/press-r...
https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/sicherheit-verteidigungss...
6 Kathrin Vogler: Konversion der Rüstungsindustrie – Kein Thema für die Bundesregierung? In: express 8-9/2018, S.8-9, https://www.kathrin-vogler.de/start/aktuell/details/news/vorabzug-aus-ex...
7 Kramp-Karrenbauer, A. (2019): Rede der Ministerin an der Universität der Bundeswehr München, 7.11.2019, www.bmvg.de
8 Kramp-Karrenbauer, A. (2020b): Zweite Grundsatzrede der Verteidigungsministerin, 17.11.2020, www.bmvg.de.
9 https://www.tobias-lindner.de/2021/02/22/warum-ein-verteidigungsplanungs...
10 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/01/20210107-rue...
11 Bundesregierung (2020): Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Februar 2020.
12 https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/evg-klausur-ost-resolu...
13 https://www.nytimes.com/2018/06/01/technology/google-pentagon-project-ma...
14 https://www.friedenkoeln.de/?p=14350
15 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/sicherheit-verteidigungss...

Kathrin Vogler, MdB, ist friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Obfrau im Unterausschuss Zivile Krisenprävention. Marek Voigt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden.

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