Tübinger Frühlingsgeschehen

von Regina Schmitz-Teske

Heiterer Sonnenschein, erwachte bleibende Natur begleiten uns auf dem Weg nach Tübingen. Die Tradition war gebrochen, die Aktionskonferenz der Friedensbewegung sich in der "Zentrale" Bonn/Köln versammeln zu lassen. Ein Stück realisierte Dezentralisierung, die nicht nur eine Änderung in der Zusammensetzung der Teilnehmerinnen erkennen ließ, sondern auch Einfluß in der späteren Diskussion auf die Entscheidungsfindung ausübte. So vernahmen meine Ohren den Anspruch eines Teilnehmers aus. dem "Norden": "Das nächste Treffen findet am besten wieder in Köln/Bonn statt." Meiner Ansicht nach ist es aber nicht mehr als gerecht, die Treffen wandern tu lassen, da so alle einmal in den Genuß des Reisen bzw. Empfangens gelangen können, und was noch wichtiger ist, die regionalen Anliegen können im J ahr-hundertdurchschnitt gleichmäßiger durchgesetzt werden.

Aus der beobachtenden Sicht - dies war meine erste. Aktionskonferenz - meinte ich zu erkennen, daß in Bonn/Köln bei dem Abstimmungpunkt "Linnich - zentrale oder regionale Demo" die Zahl der Handzeichen anders gewichtet gewesen wären. Oder waren doch die nicht regional gefärbten; einen größeren Zusammenhang benennenden Argumente von Eva Michels und Thomas Schmidt entscheidend?

Schon bin ich an einem Diskussionspunkt -angelangt, der uns erst am letzten Tag beschäftigen sollte. Der Sprung von Beschlüssen, der schönen Hinfahrt über das Nachdenken von Sinn und Unsinn beobachteter Gegebenheiten bis zum Berichten von Diskussionen, die Tübingen bewegten, spiegelt die Buntheit des Erlebens in den zweieinhalb Tagen wieder.

Ununterbrochen zu tagen, zuzuhören, konzentriert die Ausführungen anderer mitzuverfolgen, wäre für mich zu anstrengend gewesen.

Eine gelungene Organisation bereits das Mit- und Nebeneinander des Kongresses "Kultur des Friedens" und Konferenzversammlungen. Samstagmorgen bei einem Bummel durch die Tübinger Innenstadt wurden unsere Ohren überrascht von virtuosen Musikspiel im Rahmen des Kongresses. Körper und Geist der Zuhörerinnen wurden verzaubert und wenn die Mehrheit der Vorbeigehenden doch wahrscheinlich nicht den Konferenzversammlungen beiwohnen würden, so war es doch sehr lohnenswert das Programm des "Kultur des Friedens" zu genießen, deren Träger übrigens Karola Bloch, Theodorakis und Aitmatow waren, und sich anstecken zu lassen, eine Kultur des Friedens aufzubauen. Was das heißen kann, sollte ich am Abend erfahren.

Doch zunächst stand eine Podiumsdiskussion in der Mensa bevor, in der Eva Michels als Moderatorin zur Vorstellung von Zielsetzungen und der Arbeit von bestimmten Initiativen geeignete Fragen an deren Vertreterlnnen stellte. Für mich war es schwierig den Ausführungen zu folgen, da ich nicht zu den Insidern der Friedensbewegung gehöre und mir wieder klar wurde, wie wichtig es ist, informiert zu sein und sich der Problematiken bewußt zu werden. Es sind nicht die allgemeinen Tatsachen schwierig zu beurteilen, ob ich z.B, eine deutsch-französische Brigade gut finde oder nicht, aber die Möglichkeit, solche Ansichten mit umfangreichen Diskussionsinhalten zu füllen, versetzt mich in Erstaunen und zugleich in Resignation, denn wo soll ich als Laiin in die Diskussion einsteigen? Zum anderen beschäftigt mich. die Frage, ob nicht die Schwierigkeit des Zuhörens darin lag, daß das' Gesagte vielleicht doch Selbstverständlichkeiten, Bekanntes beinhaltet; das das Gehirn in dem Vielgesagten nicht mehr als Einzelnes herauskristallisieren konnte. Nun kann. ich dem entgegenhalten, daß das Wenigste selbstverständlich ist und allein das Aussprechen von Gedanken, wenn vielleicht für die Zuhörerinnen wenig wertvoll, dann aber doch für die Rednerinnen ein wichtiges Moment der Reflexion birgt.

In der anschließenden Gruppenarbeit überraschte mich positiv das Engagement, das die Teilnehmerinnen in ihren Redebeiträgen zeigten. Unter anderem tröstete mich der Redebeitrag einer Frau, die die Problematik von Leuten aufzeigte, die als sogenannte Anfängerinnen in die Friedensarbeit einsteigen wollen und vor lauter Angst vor einer Entblößung von "Wissenslücken" gehemmt sind, sich einzubringen. Besinnung auf rücksichtsvolles statt konkurrierendem Verhalten wurde gefordert. Gegenstand der Arbeitsgruppe war das Utopie Papier von Mechtild Jansen, welches der befürwortenden als auch der verbissenen Kritik ausgeliefert wurde.     
Nach wortreicher Diskussion könnten sich die rauchenden Köpfe in die Aula der Uni begeben, um sich in der erfrischenden Sphäre der sinnlichen oder auch temperamentvollen Musik des Theodorakis-Chores, des Thomas Fritz und des am Vormittag gehörten Trios versetzen lassen, der dramatischen Erzählkunst Walter Jens und der ernsthaft, einfühlsamen Lesung Christa Wolfs aus Kassandra lauschen, die revoluzzerhaften - Aufrufe von Robert Jungk und das Anliegen Tschingis Aitmatows an die westliche junge Generation anhören. Meine Gefühle an diesem Abend lassen sich treffend mit Worten aus Aitmatows Buch "Dshamilha" beschreiben: "Damals fühlte ich ... , wie etwas Neues in mir erwachte, daß ich noch nicht zu benennen wußte. Es war ein unüberwindliches Bedürfnis, mich auszudrücken, die Welt zu sehen und zu empfinden und anderen meine Gedanken und Empfindungen mitzuteilen, den Menschen so 'begeistert von der Schönheit (des Erlebnisses) zu erzählen ... "
Am Sonntagmorgen sollte auf der Aktionskonferenz die Herbstkampagne verabschiedet werden. Dafür hätten wir uns mehr Zeit nehmen sollen. Denn trotz der Arbeit einer Kommission, die die Anträge aus dem Plenung bearbeitete, so daß nur die umstrittenen Vorschläge von den Antragstellern vorgestellt wurden, ging es äußerst hektisch zu. Wer eine Anlage zu Magengeschwüren hat, braucht gar nicht lange auf sie zu warten, wenn er nur genügend solcher Sitzungen mitmacht und sich genauso in Unruhe versetzen läßt wie ich. Ein früheres Aufstehen und pünktlicheres Anfangen, hätte manch hohen Adrenalinspiegel und den Kampf ums Mikrophon er-spart. Es gelang immerhin so manche Einwände zu Wort kommen zu lassen und in die Gestaltung der Kampagne mitaufzunehmen. Gut gefiel mir die Offenheit für Spontanität in der Durchführung der Tagesordnung.
Auf der Heimfahrt nach Bonn hörten wir im Radio eine Nachricht über die Tagung, die Gutes verlauten ließ und wir nahmen insgesamt einen zufriedenen Eindruck mit zurück.

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