Redebeitrag für das Benefizkonzert am Nagasaki-Tag am 9. August 2019 in Berlin

 

- Sperrfrist: 9.8., Redebeginn: ca 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Wie verbannen wir die Gefahr eines Atomkrieges?
Unsere Arbeit: Abrüstung von unten

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Vor 74 Jahren geschah das Unvorstellbare.

Durch die Zerstörung Hiroshimas und drei Tage später Nagasakis haben wir eine Ahnung davon, was Atomwaffen anrichten können.

Nein, eigentlich haben wir nicht die blasseste Ahnung.

Denn die Bomben, die die USA auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben, waren im Vergleich zu heutigen Atombomben sehr klein.

Hinzu kommt, dass die Zielplanung für jede Stadt meistens mehr als eine Bombe vorsieht.

Denn Atomwaffen wurden erfunden, um Terror in uns auszulösen. Ihr Einsatz bedeutet nicht nur Massenmord, sondern Selbstmord.

Atomwaffen sollen so viele Menschen töten und Städte zerstören wie nur möglich. Das meint Donald Trump, wenn er droht, ein Land auszulöschen.

Das ist die sogenannte Abschreckung. Die Vorstellung soll für uns so schrecklich sein, dass wir einen Einsatz nicht riskieren.

Und dennoch riskieren wir diese Katastrophe jeden Tag.

Seit 74 Jahren.

Viele haben dieses Problem vergessen oder verdrängt. Manche versuchen, diesen Terror mit Rechtfertigungen zu begegnen. Über die lange Zeit der atomaren Ära haben wir Mythen aufgebaut:

1. Der Einsatz von Atomwaffen gegen Japan hat den 2. Weltkrieg beendet und abertausenden von Menschen das Leben gerettet.

Das stimmt so nicht. Inzwischen ist bekannt, dass Japan bereits seine Kapitulation gegenüber Stalin signalisiert hatte und dabei war, darüber zu verhandeln. Die Atombomben einzusetzen, war nicht mehr nötig, aber die USA wollten sie unbedingt testen. Und: sie wollten der UdSSR zeigen, über welche Macht sie verfügen.

Auch die Frage, warum die USA noch eine zweite Atombombe auf Nagasaki abgeworfen haben, und ob die Zerstörung Hiroshimas nicht schon gereicht hätte, deutet auf einen Test hin. Denn die 2. Bombe war eine andere, kompliziertere Typ Bombe als die einfache, die auf Hiroshima abgeworfen wurde.

2. Es wird auch behauptet, dass die Atomwaffen den Frieden bewahrt haben.

Das würden die Menschen in Afghanistan, auf dem Balkan, in Jemen, Ruanda, Syrien, Vietnam und zahllosen weiteren Kriegsplätze der letzten 70 Jahre verneinen.

Die Falkland-Inseln wurden von Argentinien überfallen, trotz britischer Atomwaffen. Die israelischen Atomwaffen halfen nicht, den Sechs-Tage-Krieg zu verhindern. Die USA konnten trotz Atomwaffen den Krieg in Vietnam nicht gewinnen und die UdSSR den Krieg in Afghanistan ebenfalls nicht.

Die Menschheit ist während der letzten 70 Jahre zu oft allein durch Glück und Zufall einem Atomkrieg entgangen. So hat der frühere Sowjet-Offizier Stanislaw Petrow beispielsweise in der Nacht vom 25./26. September 1983 möglicherweise den dritten atomar geführten Weltkrieg verhindert. Als er in dem Luftüberwachungszentrum nahe Moskau auf dem Bildschirm den Anflug von fünf US-Raketen in Richtung Sowjetunion bemerkte, meldete er seinen Vorgesetzten keinen Angriffsalarm, sondern einen Fehlalarm.

Atomwaffen schützen uns nicht. Sie bedrohen uns.

3. Es wird behauptet, dass Russland die Krim nie annektiert hätte, wenn die Ukraine die sowjetischen Atomwaffen behalten hätten (was übrigens überhaupt nicht ginge, weil sie der Sowjetunion gehörten).

Aber wer kann ja wissen, ob die Abschreckung funktioniert hätte? Sie hat schon mehrmals versagt.

Die Lage wäre noch viel gefährlicher gewesen, wenn das Land über Atomwaffen verfügt hätte, ja sogar ein Atomwaffeneinsatz wäre dann eventuell denkbar gewesen. In einem Land, das schon durch Tschernobyl so verstrahlt war. Nein, ich bin froh, dass die Ukraine damals entschieden hat, auf Atomwaffen zu verzichten.

Die nukleare Abschreckung ist ein Konstrukt des militärischen-industriellen Komplexes, um Macht auszuüben und Milliardenbeträge zu verdienen.

Was können wir dann tun, um uns von dieser Bedrohung zu befreien?

Die IPPNW – die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – rief 2007 eine Kampagne ins Leben: die International Campaign to Abolish Nuclear weapons – kurz ICAN. Zehn Jahre lang wuchs diese Kampagne, bis sie die beachtliche Größe von 500 Partnerorganisationen und vielen Campaigner*innen auf allen Kontinenten erreicht hatte.

Sie setzte die gleiche Strategie ein, wie beim Verbot von Landminen: Wir klärten über die humanitären Folgen auf. Doch wir wählten Politik und Diplomatie als Zielgruppen, denn die Bevölkerung ist weltweit schon auf unserer Seite. Das zeigen Umfragen nach wie vor.

Mit Hilfe von sechs mutigen Staaten richteten wir die Debatte über Atomwaffen neu aus. Eine „humanitäre Initiative“ gründete sich mit rund 160 Staaten, die dazu aufriefen, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen.

Nie wieder Hiroshima. Nie wieder Nagasaki.

Daraus entstand der „humanitäre Imperativ“, der wie folgt lautet: Wenn die humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes so katastrophal sind, muss ihr Einsatz unbedingt verhindert werden und das geht nur über ein Verbot von Atomwaffen“.

2017 wurde der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen verhandelt und von 122 Staaten beschlossen.

Das ist unser Verdienst. Dafür wurde ICAN 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Aber das war nur der erste Schritt. Jetzt müssen wir erreichen, dass mehr Staaten den Vertrag unterzeichnen und das Abkommen bald in Kraft tritt.

Am Hiroshima-Tag, dem 6. August, ratifizierte Bolivien als 25. Staat den Vertrag. Wir sind damit auf dem halben Weg zum Verbot, denn bei 50 Ratifizierungen tritt der Vertrag in Kraft.

So gut der Vertrag auch ist, bedeutet er noch keine Abrüstung. Denn die Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner lehnen ihn ab und halten an den Atomwaffen fest.

Deutschland hält auch an den 20 US-Atombomben in Büchel fest. Deutschland stellt Piloten und Flugzeuge für den Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen zur Verfügung, die den Einsatz auch üben.

Ja, Sie haben richtig gehört. Das ist das Land, dessen Außenminister sich überall als Verfechter der Abrüstung ausgibt. Er boykottiert den Verbotsvertrag. Er setzt sich nicht dafür ein, die Stationierung von Raketen in Europa vertraglich zu verbieten. Er lässt die Aufrüstung der US-tombomben in Büchel zu und sucht einen Nachfolger für den Tornado, der im Ernstfall die Atomwaffen abwerfen kann. Wo wird in Deutschland also abgerüstet?

Es ist ganz wichtig, dass die Bündnispartner der Atomwaffenstaaten von der nuklearen Abschreckung Abstand nehmen und sich nicht zu Komplizen eines Menschheitsverbrechens machen.

Abrüstung tut Not. Denn die Welt wird immer gefährlicher.

Kaschmir. Die Straße von Hormuz. Die koreanische Halbinsel.

Und hier in Europa: Nach dem Ende des INF-Vertrages droht ein neues Wettrüsten.

Wir setzen auf die Vernunft der Menschen. Laut einer Greenpeace-Umfrage wollen über 90% der Deutschen, dass die Bundesregierung den Verbotsvertrag beitritt. Wir brauchen die Stimmen dieser Menschen, um für unser globales Überleben zu kämpfen.

Abrüstung von unten ist dafür der Weg:

  • Schreiben Sie Herrn Maas, dass er sich für ein Verbot der Stationierung von Atomraketen in Europa einsetzen muss und die Stationierung in Deutschland verbindlich ausschließt.
  • Finanzieren Sie die Herstellung von Atomwaffen und atomaren Trägersystemen nicht mit Ihrem Geld. Schauen Sie, ob Ihre Bank in Atomwaffensysteme investiert.
  • Kämpfen Sie mit uns, den Kauf eines neuen Atombombers für Deutschland zu verhindern.
  • Schon 43 Städte in Deutschland fordern den Beitritt zum Verbotsvertrag durch den ICAN-Städteappell – Berlin ist schon dabei. Wenn Sie aus einer anderen Stadt kommen: Fordern Sie Ihren Stadtrat auf, sich dieser städtischen Bewegung anzuschließen.
  • Über 500 Abgeordnete im Bundestag, Landtagen und Europaparlament unterstützen ein Atomwaffenverbot – hat Ihr gesetzlicher Vertreter schon die ICAN-Abgeordnetenerklärung unterschrieben?
  • Und: Über 80.000 Menschen haben unsere Unterschriftenaktion an die Bundesregierung unterzeichnet. Wir brauchen viel, viel mehr Unterstützer. Haben Sie schon unterschrieben?

Wenn ja, fragen Sie Ihre Bekannten. Wenn nicht, tun Sie es heute Abend. Bitte.

Jetzt haben Sie einen kleinen Eindruck unserer Arbeit für eine Welt ohne Atomwaffen. Wenn Sie uns unterstützen, helfen Sie der IPPNW und damit auch ICAN, diese Arbeit weiter zu machen.

Vielen Dank fürs Zuhören.

 

Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW und Vorstandsmitglied von ICAN Deutschland.