OM 2013

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01.04.2013


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Ostermärsche und -aktionen 2013

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2013 in Büchel am 1. April

Atomwaffenfrei jetzt!

Martin Hinrichs (in Dortmund)



- Sperrfrist: 1. April, Redebeginn: ca. 16 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Atomwaffen abschaffen, das ist schon immer unsere Forderung beim Ostermarsch. Fünfundfünzig Jahre ist es her, dass die britische Kampagne für Atomare Abrüstung zum ersten Mal dazu aufgerufen hat, beim Marsch von London zur Atomwaffenfabrik in Aldermaston. In Deutschland haben die Ostermärsche seit 1960 jährlich stattgefunden.

Auf der Tagesordnung standen viele Themen: der Vietnamkrieg, der Nachrüstungs-beschluss, Kosovo, Afghanistan, Irak. Aber wir, die Friedensbewegung, wir sind immer noch da. Und die Atomwaffen, auch die sind noch da.

Während ich hier spreche, marschieren Englands Atomwaffengegner wieder in Aldermaston; und auch in Deutschland, nur 90 Kilometer von uns entfernt, wehren sich in Büchel in der Eifel heute Ostermarschierer gegen die dort stationierten Atombomben.

Tausende Menschen haben in den letzten drei Tagen überall in Deutschland für eine Friedenspolitik demonstriert, die diesen Namen verdient. Das ist heute so wichtig wie gestern. Wenn wir schweigen zur Kriegspolitik unseres Landes, dann wird das als Zustimmung gezählt. Darum erheben wir heute unsere Stimmen.

Wir sind nicht einverstanden mit den Kriegen der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo.

Wir wehren uns gegen die Meinungsmache, Deutschland müsse militärisch intervenieren, um "Verantwortung" in der Welt zu übernehmen. Krieg ist immer verantwortungslos!

An Schulen und Universitäten hat das Militär nichts verloren.

Die Anschaffung von Kampfdrohnen ist gefährlicher Unsinn!

Und als drittgrößter Waffenexporteur gefährden wir den Frieden auf der ganzen Welt!

Das muss gesagt werden, wieder und wieder, wenn wir die Diskussion nicht den Kriegstreibern überlassen wollen.

Ich höre aber auch diejenigen, die sagen, dass das alles nichts nützt, die den Ostermarsch nur noch als leere Tradition wahrnehmen. Auch in der Friedensbewegung gibt es fragende Stimmen. Sind wir müde geworden? Sind wir gescheitert? Haben wir uns heiser gerufen? Verhallt unsere Stimme im Nichts?

Diese Fragen brennen besonders beim Thema Atomwaffen. Seit fünfundfünzig Jahren arbeiten wir daran. Hunderttausende in Deutschland, Millionen weltweit, waren in den achtziger Jahren auf der Straße. Dagegen sehen die paar hundert oder tausend, die sich heute noch zu Ostern versammeln, oft verloren aus.

Es gibt diejenigen, die seit Anfang an dabeigeblieben sind, die noch erzählen können von der Stationierung der Pershing II - Atomraketen. Die die ihren Kampf nie aufgegeben haben.

Aber wie viele haben wir unterwegs verloren? Wie viele sind enttäuscht, haben aufgegeben? Wie viele haben sich ins Private zurückgezogen, oder sind zu anderen Kämpfen weitergegangen, vermeintlich einfacheren, erfolgversprechenderen?

Meine Botschaft heute ist einfach: Es kommt auf uns an!

Dass man uns gerne kleinreden oder totsagen will, das ändert nichts an unserer Bedeutung. Dass man uns auslacht als Hippies, Spinner oder Gutmenschen, dass ändert nichts daran, dass wir diejenigen sind, die auf Dauer den großen Unterschied machen.

Der Historiker Arnold Toynbee schrieb: "Es sind die langsamen Bewegungen, die unter der Oberfläche arbeiten und in die Tiefe gehen, die am Ende Geschichte machen; sie erscheinen in der Rückschau gewaltig, während die sensationellen, vergänglichen Ereignisse des Tages, nüchtern betrachtet, wieder auf ihr wahres Maß geschrumpft sind".

Die wahre Macht ist nicht immer da, wo es scheint. Politikerinnen und Politiker sind oft so verstrickt in einem Netz aus Abhängigkeiten, dass es für große Veränderungen keinen Raum gibt. Abgeordnete und Minister, auch die Bundeskanzlerin, sie surfen auf und ab auf den Stimmungen des Tages.

Wir setzen die Agenda. Wir halten die Diskussion am laufen. Wir lassen mit unserem Druck nicht nach. Wir ziehen die Verantwortlichen zur Rechenschaft.

Gerne lassen die sich dann am Ende Erfolge anrechnen, die Bewegungen von unten erstritten haben. Merkels erstaunliche Wendigkeit zum Atomausstieg nach Fukushima ist ein Beispiel dafür. Der Atomausstieg ist aber nicht ihr Verdienst, sondern durch die große, langatmige Bewegung zu erkären, die sich in Deutschland seit Jahrzehnten gegen die Atomkraft eingesetzt hat. In anderen Ländern, wo es keine solche Bewegung gab, hat es trotz Fukushima auch keine "Energiewende" gegeben.

Dass die Regierung sich heute für jeden Auslandseinsatz rechtfertigen muss, dass die Bevölkerung Militär und Rüstung so kritisch gegenübersteht, das ist auch der Verdienst der Friedensbewegung. Und so schlecht kann unser Ruf ja nicht sein, wenn jetzt sogar die Bundeswehr, wie Herr MaiziŠre sagt, "Teil der Friedensbewegung" sein will. Es tut mir leid, Herr Kriegsminister, dass wir Sie da ausschließen müssen!

Vergessen wir nicht die großen Fortschritte, die Bewegungen von unten erkämpft haben: ob Demokratie, das Ende der Sklaverei, Arbeiterrechte oder die Gleichstellung von Frau und Mann: es waren nicht Generäle und Präsidenten, die all das erkämpft haben, es waren normale Menschen, Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht abhalten haben lassen davon, dass man sie auslacht, kleinredet, totsagt, und bekämpft.

Auch bei Atomwaffen müssen wir uns unserer eigenen Erfolge bewusst werden. Wir haben den Abzug und die Abschaffung der Mittelstreckenraketen erreicht. Die Weltgemeinschaft hat auf Druck der Bevölkerung internationale Verträge geschaffen, die die Zahl und Verbreitung von Atomwaffen beschränken. Auch wenn es noch mehr als genug Atomwaffen gibt, um die Menschheit auszulöschen, so sind die Arsenale aus dem kalten Krieg doch auf ein Drittel zusammengeschrumpft.

Das Ende der Atomtests ist von einer weltweiten Kampagne erreicht worden. Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, dass den Einsatz von Atomwaffen für illegal erklärt, geht auf das Konto der Zivilgesellschaft.

Die gesamte Südhälfte des Erdkugel ist von atomwaffenfreien Zonen bedeckt. Die große Mehrheit der Staaten hat freiwillig auf Atomwaffen verzichtet. Und Politikwissenschaftler meinen, dass der Nichteinsatz von Atomwaffen über all diese Jahre nicht etwa an der "Abschreckung" liegt, sondern an der Stigmatisierung dieser Waffen durch die Öffentlichkeit.

Wenn wir Atomwaffen abschaffen wollen, dann brauchen wir weiter den Druck der Straße! Es muss nicht unbedingt eine Massenbewegung sein. Wichtiger ist, dass wir hartnäckig bleiben, dass wir keine Ruhe geben, wie eine kleine lästige Mücke, die die Verantwortlichen am Einschlafen hindert!

Diese Woche vor drei Jahren hat selbst unser Außenminister über die amerikanischen Atomwaffen in Europa gesagt: "Diese Waffen sind Relikte des Kalten Krieges, sie haben keinen militärischen Sinn mehr, sie schaffen keine Sicherheit, und sie haben deshalb nach Auffassung der Bundesregierung auch keine Zukunft".

Alle Parteien sind sich darüber einig. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass Deutschland sich für den Abzug der Atomwaffen "einsetzen" will.

Aber welcher Abstand klafft zwischen Worten und Taten!

Die Position der Regierungsparteien und der SPD scheint zu sein: "Ja, wir sind gegen Atomwaffen. Ja, wir wollen eine atomwaffenfreie Welt. Aber uns sind die Hände gebunden. Für Abrüstung sind die Atommächte zuständig. Wenn die nicht wollen, können wir auch nichts machen."

So tut man denn, als sei die Stationierung von Massenvernichtungswaffen auf unserem Territorium eine Entscheidung anderer: der USA vielleicht, der NATO, oder der paar NATO-Mitgliedsstaaten, die meinen, amerikanische Atomwaffen hätten hier noch irgendeine Rolle zu spielen.

Während wir andere Länder von der Abrüstung und dem Verzicht auf Atomwaffen überzeugen wollen, lagern bei uns in Büchel, und nebenan in Volkel in den Niederlanden und Kleine Brogel in Belgien, immer noch amerikanische B61-Atombomben.

Während man nur über Iran, Nordkorea, oder die Gefahr, das "Terroristen" Atomwaffen erwerben könnten, spricht, werden die Atomwaffen hier bei uns für Millionen von Euro modernisiert. "Lebenslaufzeitverlängerung" nennen sie das.

Während Politiker Sonntagsreden über die "Vision" einer atomwaffenfreien Welt halten, investieren hier deutsche Banken Milliardensummen in Unternehmen, die Atomwaffen herstellen. Nicht nur die Allianz und die Deutsche Bank sind mit dabei, sondern auch Landesbanken und die KFW.

Gleichzeitig wird versucht, die eigene Rolle kleinzureden. Wenn man manche Politikerinnen und Politiker hört, könnte man meinen, Deutschand wäre ein unbedeutender Zwergstaat: Der Abzug würde ja sowieso nichts für die Abrüstung bringen, weil sich keiner darum schert, was wir sagen oder tun.

Wie krass steht dem unsere Außenwahrnehmung entgegen: In der Eurokrise haben sich die Augen Europas auf die Bundesrepubik gerichtet. Wir sind Bevölkerungs- und wirtschaftsstärkster Staat der EU, viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Und wir genießen weltweit immer noch hohes Ansehen.

Ob wir menschenwidrige Massenvernichtungswaffen bei uns dulden oder nicht, das macht einen Unterschied. Indem wir sie hier tolerieren, verschaffen wir den Atomwaffenstaaten Legitimität. Der einseitige Abzug wäre ein starkes Signal, das zeigen würde: Atomwaffen sind nicht nur, wie Westerwelle sagt, "Relikte des kalten Krieges" ohne jeden Sinn. Sie sind auch für einen Staat, der sich als höchstes Ziel die Achtung der Menschenwürde gegeben hat, nicht tragbar!

Jetzt, in diesem Jahr, wäre der perfekte Zeitpunkt, so ein Zeichen zu setzen!

In den sechs Jahren, seit denen ich mich im europäischen Jugendnetzwerk "Ban All Nukes generation" für eine atomwaffenfreie Welt engagiere, habe ich einen erstaunlichen Wandel in den internationalen Abrüstungsforen erlebt.

Ban All Nukes Generation, kurz BANG, ist 2005 von Jugendlichen nach dem katastrophalen Scheitern der Konferenz des Atomwaffensperrvertrags gegründet worden. Es war der Frust über den Stillstand, der uns damals angetrieben hat. Die amerikanische Regierung unter Präsident Bush hatte alle Versuche, Fortschritte zu machen, blockiert.

Heute ist es anders. Heute zieht uns die Hoffnung voran. Vor vier Wochen war ich mit einer internationalen Jugendgruppe in Oslo. Dort haben sich Vertreter von 128 Staaten getreffen, um über die konkreten humanitären Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen zu sprechen. Ich habe vor Ort mit vielen Diplomaten und Regierungsvertretern sprechen können, und ich glaube tatsächlich: Es gibt Hoffnung. Ein Umdenken ist im Gang.

Statt sich hinter Abschreckungsdoktrinen und Gerede von der "nationalen Sicherheit" zu verstecken, haben die anwesenden Regierungsvertreter den Tatsachen ins Auge geblickt.

Wenn eine Atombombe explodiert, kommt jede Hilfe zu spät. Und schon ein regional "begrenzter" Atomkrieg, wie etwa zwischen Indien und Pakistan, hätte aufgrund der immensen Rauchwolken, die in die Atmosphäre aufsteigen, weltweit dramatische Konsequenzen für das Klima. Ernteausfälle und Hungersnöte wären die Folge. Das einzige Mittel, das gegen Atomwaffen hilft, ist Prävention.

Auch hier gilt: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Und die meisten Diplomaten, die in Oslo waren, haben das Problem erkannt. Sie haben darum eine Nachfolgekonferenz für Ende diesen Jahres in Mexiko beschlossen.

Das könnte der Anfang einer Initiative sein für einen internationalen Vertrag, der den Besitz von Atomwaffen verbietet und einen Rahmen für ihre schrittweise Abrüstung bietet.

Es sagt viel aus, dass die im Atomwaffensperrvertrag "offiziell" anerkannten Atommächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China diese wichtige Konferenz boykottiert haben. Auch der deutschen Regierung sollte das klar machen: Nur mit gut zureden ist es nicht getan. Von alleine bewegen sich die Kernwaffenstaaten nicht - die anderen, die Nichtatomwaffenstaaten, die müssen ihnen den Weg weisen.

Deutschland, als Mittelmacht, könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Unser Gewicht kann die Waage umschwenken. Aber von alleine wird das nicht passieren. Es braucht den Druck der Bürgerinnen und Bürger.

Unsere Aufgabe ist es darum, unserer Regierung den Weg zu weisen. Darum laden wir alle ein: Kommt im August nach Büchel, zu Demonstrationen, Konzerten und Blockaden! Am 11. und 12. August, kurz vor der Bundestagswahl, organisieren wir bunten und lauten Protest! Kommt mit, ladet Freunde ein, wenn ihr wollt, bringt Musik und Instrumente mit. Wir machen Büchel zusammen dicht!

Zeigen wir der Regierung, dass sie mit leeren Worten nicht durchkommen.

Es reicht! Es ist genug! Wir wollen endlich Ergebnisse sehen!

Es ist Zeit, Atomwaffen abzuschaffen.

Es ist Zeit, dass wir die Verzögerungstaktik der Atommächte nicht mehr mitspielen !

Es ist Zeit, die Atomwaffen aus Büchel, Volkel und Kleine Brogel abzuziehen!

Es ist Zeit, die Anreicherungsanlage von Urenco stillzulegen.

Atomwaffenfrei - jetzt!



Frohes Feiern und auf Wiedersehen in Büchel!



Martin Hinrichs ist aktiv bei "Ban All Nukes Generation" (bang)

E-Mail: martin (at) vcp-bretten (Punkt) de

Website: www.bang-europe.org
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