Redebeitrag für die Veranstaltung zum Antikriegstag in Freiburg am 1. September 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freudinnen und Freunde,

Ich stehe heute hier  im Jahre 2018 und frage mich, wie es meinen  Großeltern und Eltern an jenem 1. September 1939 ging.

Ich frage, mich ob sie geahnt, vielleicht sogar gewusst haben, was auf sie zukommen würde, zum Beispiel mein Vater, ein Pole, der kurze Zeit darauf als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert wurde.

Er blieb, gründete eine Familie und starb auch hier,

Zeit seines Lebens hat er die Furcht und den Groll gegenüber den Nazis nicht verloren, würde er die heutige Entwicklung in Deutschland und Europa sehen, er wäre entsetzt.

Ich frage mich, ob sie damals vor der Zeitung, dem Radio gesessen und Furcht empfunden haben – so wie ich manchen Tagen, wenn ich die Zeitung aufschlage. Ich frage mich, ob sie sich gewünscht haben, dieses unerbittliche Grauen aufhalten zu können, das sie vor sich gesehen haben.

An diesem ersten September, dem 79sten Jahrestag des Ausbruchs des 2. Weltkrieges, denke ich viel  an diesen Punkt, an die Frage, „wie konnte das passieren?“

Ich erinnere mich an Diskussionen mit Familie, mit Freunden, in meiner kleinen privaten Welt, wo wir ratlos vor dieser Frage standen und keine Antwort hatten.

Heute weiß ich, wie so was kommt, denn ich erlebe es täglich.

Ich erlebe es wenn ein Innenminister Seehofer sich über 69 abgeschobene Geflüchtete zu seinem Geburtstag freut,  
Ich erlebe es wenn ein italienischer Innenminister Salvini Flüchtlinge als Menschenfleisch bezeichnet und ihnen damit das Menschsein nimmt,

Ich erlebe es, wenn 1.000 pöbelnde Neo-Nazis laut: "absaufen, absaufen“ grölen und niemand einschreitet,

Ich erlebe es jeden Tag wenn ich die Gleichgültigkeit gegenüber dem Sterben der Menschen auf der Flucht sehe und die Verteidigung des eigenen Reichtums wichtiger ist, als ein Menschenleben,

Ich erlebe es, wenn Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen, wie die Lifeline, Seawatch, Seaeye, Juventa gehindert werden Geflüchtete an Land zu bringen, nicht auslaufen dürfen,

Aufklärungsflugzeuge wie die Moonbird und Kolibri nicht abheben dürfen, um nach in Seenot geratenen Geflüchteten zu suchen,

Ich habe es hautnah miterlebt, als ich im Juni diesen Jahres als Crewmitglied für zwei Wochen auf dem Mittelmeer mit der Lifeline ( ein Rettungsschiff von Mission Lifeline / Dresden ) war und Europa den 234 Geretteten und uns 18 Crewmitgliedern 6 Tage lang verweigerte einen europäischen Hafen anzulaufen.

Ich habe miterlebt, dass der Kapitän unter fadenscheinigen Gründen zu einem Kriminellen abgestempelt wurde, obwohl er diese Menschen gerettet und sie nicht an die lybische Küstenwache übergeben hatte.

Das Mittelmeer ist heute ein Massengrab,  offiziell bekannt sind über 17.000 Tote seit 2014, über 1600 allein in diesem Jahr. Wie viele es wirklich waren, weiß keiner. 17000 Tote bedeuten 17000 zerstörte Hoffnungen, 17000 zerstörte Träume 17000 zerstörte Geschichten. Diese Menschen waren auf der Flucht vor Hunger, Elend, Sexueller Gewalt, Sklaverei und Krieg.

All dieser Schrecken wird zum größten Teil im reichen Norden produziert. Waffen für 6,24 Milliarden Euro wurden nur in 2017 von Deutschland  in Krisengebiete exportiert, so viel wie nie zuvor.

Wir wissen alle, dass Waffen nicht für mehr Sicherheit sorgen, sondern nur die Anzahl der Flüchtenden und der Toten erhöht.

Und was tun wir?

Nachdem wir den Menschen des globalen Südens erst unsere Waffen verkauft haben, verstärken wir anschließend unsere Mauern um die Festung Europa, um nur keine Verantwortung für unseren Reichtum übernehmen zu müssen.

Großeltern, Eltern, was habt ihr gemacht?

Natürlich weiß ich, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht das gleiche sind, wie die Verbrechen heute. Aber die Akteure heute sind Fleisch vom Fleische des Nationalsozialismus. Sie stehen in dieser Tradition und sie – auch wenn sie sich gerne als „besorgte Bürger bezeichnen“ – Streben nach dem gleichen Ziel, nämlich der grenzenlosen Macht und Herrschaft des weißen Mannes. 

Ob in 80 Jahren wieder jemand hier stehen wird und ähnliche Fragen stellen wird? Ich weiß es nicht.

Aber ich weiß sicher, dass ich alles dafür tun will, dass nach mir niemand mehr hier stehen muss und Angst und Schuld empfinden muss, weil wir heute als Menschen in diesem Land und in dieser Welt versagt haben.

Versagt haben, dem Treiben von Verbrechern Einhalt zu gebieten, versagt haben, Menschenleben zu schützen, versagt haben, Farbe zu bekennen.

Das ist es, was aus diesem Tag erwachsen wird.

  • Die Verpflichtung hinzusehen, wenn Verbrechen geschehen,
  • Die Verpflichtung hinzusehen, wenn Menschenwürde verletzt wird
  • Die Verpflichtung Widerstand zu leisten, wenn Menschenleben geopfert werden.

Ich danke ihnen!

 

Karola Malek Ist aktv bei Seebrücke-Bündnis in Freiburg.