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BRD ohne Armee - auf der Zielgeraden ins Jahr 2001
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Am 26. November 1989, dem Tag der Abstimmung über die Abschaffung der Armee in der Schweiz, feierte die Initiative BRD ohne Armee die symbolische Schließung des deutschen Verteidigungsministeriums in Bonn. Dies zum einen, um Solidarität mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) zu demonstrieren, zum anderen aber auch, um zu zeigen, "daß der Bestand des Militärs in breiten Kreisen nicht mehr unwidersprochen hingenommen wird." (Uli Stadtmann in Friedensforum 7/89).
Mit der Frage "Alles spricht von ihr, aber wer macht sie?" lud die damals seit etwa einem halben Jahr aktive AG BoA im Bund für Soziale Verteidigung im März 1990 alle an einer BoA-Kampagne Interessierten zu einem Bundestreffen nach Minden ein. Inzwischen hatten sich Anti-Wehrpflicht-Engagierte, GraswurzlerInnen, DFG-VK-Leute und andere im Netzwerk Friedenskooperative organisierte Gruppen zu einem Aufruf zusammengerauft, der am 9. Februar 1990 in der Frankfurter Rundschau im Wortlaut abgedruckt war. Er beginnt folgendermaßen: "Durch die Umwälzungen in Osteuropa ist auch der beliebteste Vorwand für Rüstung und Militär entfallen. Wir haben jetzt die Chance, frei von ideologischen Schranken die tatsächlichen Notwendigkeiten der Zeit zu erkennen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Überwindung von Krieg, Abschreckung und Militär möglich ist." War sie's? Ist sie's noch?
Seit Zusammenbruch der Fronten des Kalten Krieges wird in NATO-, WEU- und Bundeswehr-Think-Tanks fieberhaft nach einer neuen Definition für die "Internationale Sicherheit" gefahndet, um die Aufträge dieser Institutionen der neuen Lage anpassen zu können. Zu Beginn der 90er Jahre waren die "vitalen Interessen" der Industriestaaten die alles (und nichts) umschreibende Formel für die neue Auftrags-Bestimmung. Inzwischen hat sich das Bild auch der Militär-Strategen etwas ausdifferenziert und historischen Entwicklungen angepaßt. Als Bedrohung für die "Sicherheit" werden hauptsächlich genannt:
- Konflikte geschichtlichen/ethnischen Ursprungs und Unwägbarkeiten bei der Neuordnung von Staaten insb. des ehemaligen Warschauer-Pakts,
- Konflikte um Ressourcen (Öl usw., aber auch Wasser, Klima...),
- Konflikte zwischen "Arm" und "Reich" (Nord-Ost-Süd-Gefälle, innergesellschaftliche Ungerechtigkeiten), wobei der letzte Punkt in offiziellen Verlautbarungen am wenigsten Raum findet.
Eine Profilierungschance für FriedenspolitikerInnen besteht heute darin, bei der Behandlung der oben genannten "wunden Punkte" der Sicherheit sehr viel überzeugendere Alternativ-Methoden ins Spiel zu bringen. Zwist zwischen verschiedenen Volksgruppen ist nun mal nicht durch Bombardements zu regeln, das Ozonloch kann nicht mit Raketen gestopft werden, und Flüchtlingsströme vor Hunger und Krieg werden nicht durch die Stationierung von Militär an Europas Grenzen versiegen. Darüberhinaus macht die immens gewachsene gegenseitige Abhängigkeit internationale Kooperation und für alle je betroffenen Parteien lebbare Konflikt-Regelungen in den drei Bedrohungs-Feldern unabdingbar nötig.
Ein großes Risiko liegt in der Illusion, die Vereinten Nationen könnten zu einer über-nationalen, jenseits nationaler Einzelinteressen agierenden "Welt-Polizei" entwickelt werden, die als "big sister" jeden die Sicherheit bedrohenden Akteur, notfalls mit eigenen militärischen Zwangsmitteln, zur Vernunft zwingen könne.
Daß nicht zivile Institutionen zu diesen Einsätzen genauso gut oder besser ausgestattet, trainiert und bezahlt werden, ist eine Frage des politischen Willens - und der lautet nach wie vor: Stabilisierung der derzeitigen Machtverhältnisse auf internationaler Ebene, notfalls mit Militär, das zu eben diesem Zweck mit allen verfügbaren Mitteln politisch, materiell und gesellschaftlich bestens ausgestattet sein muß. Konfliktbearbeitung besteht so im schlimmsten Fall darin, "Friedhofsruhe" zu schaffen, indem die Konfliktparteien samt ihrer Zivilbevölkerung militärisch stillgestellt werden (Volker Rühe sprach auf der Kommandeurstagung der BW im Dezember 93 davon, daß Konflikte "erstickt" oder "militärisch beigelegt werden" müssten) und im glücklichsten darin, vorhandene bescheidene Fähigkeiten und Ansätze (Konfliktverhütungszentrum der KSE usw.) zur Bearbeitung von Eskalationen halbherzig oder gar nicht einzusetzen.
Die Komplexität der o.g. aktuellen Entwicklungen erfordert jedoch, entschlossen an die Ursachen der Konflikte zu gehen und zivile Mittel zu ihrer Bearbeitung zu entwickeln, z.B.
- diplomatische Vorgehensweisen zu uneigennützigen, wirksamen Einmischungen in Angelegenheiten von friedenserhaltendem Interesse,
- ein effizientes System positiver und negativer Sanktionen und Sanktionshilfe-Maßnahmen
- Lernen und Multiplizieren gewaltfreier Methoden der Konfliktbewältigung
- Kompetenz und Effizienz beim Vermitteln als 3. Parteien in einem Konflikt (politische Mediation)
- Fähigkeiten entwickeln zum frühen Erkennen von Ursachen für Konflikte/Eskalationen und zur Unterstützung bei deren Beseitigung (Bedürfnisse erkennen, Menschenrechte verteidigen...).
Wenn internationale Politik nicht immer wieder vor dem Dilemma stehen will, bloß entweder (selbst-)mörderische Drohungen mit bzw. Einsätze von Militär in Kriegs- oder Krisengebieten oder hilfloses Nichtstun angesichts von Krieg und grausamsten Menschenrechtsverletzungen als Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, muß sie sich endlich für zivile Methoden und Mittel der Konfliktaustragung und -deeskalation entscheiden. Unsere Sicherheit ist heute vornehmlich durch die Unfähigkeit der (Außen)politik bedroht, entstehende Eskalationen zu erkennen und zu verhindern oder zur gewaltfreien, politischen Austragung bereits offenbarer Konflikte beizutragen.
Konversion durchsetzen heißt, sich für Abrüstung entscheiden
Wer Abrüstung durchsetzen will, muß Konversion langfristig planen. Im personalen Bereich heißt das:
- den Stellenabbau bei der Bundeswehr verstetigen,
- Umschulungs- und Beschäftigungs-Programme für Soldaten und Zivilbeschäftigte der BW nach Marktbedarf in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Arbeit auflegen,
- Umschichtung von Mitteln und politischen und Planungs-Kompetenzen in zivile Bereiche mit dem Ziel der Abschaffung des Bundesministerium der Verteidigung und bspw. der Schaffung eines Ministeriums/Bundesamtes für Abrüstung, Konversion und Soziale Verteidigung (o.ä.),
- Entwicklung, Koordinierung und personelle sowie finanzielle Ausstattung von Trägern eines Zivilen Friedensdienstes, dessen Angehörige für die gewaltfreie Bearbeitung von Konflikten im In- und Ausland eingesetzt werden.
Zivile Konfliktaustragung pushen statt deutscher Soldaten weltweit
Wer der zivilen Austragung von Konflikten zum Durchbruch verhelfen will, muß die innen- und außenpolitische Verankerung ihrer Methoden betreiben und entsprechende Institutionen Schaffung, das heißt z.B.:
- zivile Methoden der Eskalations-Vermeidung, Konflikt-Bewältigung und -Vermittlung innen- und außenpolitisch einsetzen und auswerten,
- zivile Institutionen und Organe der UN und KSE ausbauen/fördern,
- Initiativen der Bürger-Diplomatie (Helsinki Citizens Movement) fördern und eskalationsmindernd nutzen,
- Zivile Friedensdienste in subsidiärer freier Trägerschaft aufbauen und fördern,
- Friedensforschung, -pädagogik und -arbeit fördern und Alphabetisierung in gewaltfreiem Handeln unterstützen,
- Beratungs- und Trainings-Kompetenz z.b. für Mediation in allen gesellschaftlichen Bereichen und in der Außenpolitik nutzen, usw.
BRD ohne Armee politisch durchsetzen - so nicht?!
Seit 4 Jahren gibt es inzwischen den Aktionstag für eine BRD ohne Armee, der einige Male mit zentralen Aktionen (mehr oder minder großen Stils), aber stets zumindest mit vielfältigen lokalen Aktivitäten begangen wird und das Anliegen einer Abrüstung und außenpolitischen Kompetenzzugewinns an gewaltfreien Handlungsmöglichkeiten in die Öffentlichkeit bringt. Die Grüppchen, die sich lokal um die Forderung nach einer BRD ohne Armee zusammengefunden haben, sind sehr unterschiedlich und haben oft im Rest des Jahres ganz andere Themenschwerpunkte. Ebenso vielfältig sind die Gelegenheiten und inhaltlichen Anlässe, die Forderung ins Bewußtsein zu rücken: die öffentliche Debatte über Einsätze der Bundeswehr in aller Welt, um Rüstungs-Prestige-Projekte wie den Eurofighter 2000, die Konversions-Debatte an den Standorten und mit den Soldaten, die von den budgetär bedingten Kürzungen im Militärwesen betroffen sind usw. Diejenigen, die auf der Notwendigkeit von Militär zur Wahrung der Sicherheit und zum Schutz von Menschenrechten, insbesondere mit Hinweis auf die Gewalt in Bosnien, bestehen, verlangen dabei eindeutige Handlungs-Alternativen zur militärischen Option - auch wenn diese selbst immer weniger überzeugen kann. Schon deshalb ist es für die Entwicklung der Perspektive einer BRD ohne Armee unabdingbar notwendig, die Bemühungen um gewaltfreie Konfliktaustragung innen- und außenpolitisch in die Anstrengungen für Abrüstung und Konversion einzubetten, und nur so kann die Zukunftsaussicht einer militärfreien Macht-Entwicklung Stärke und Überzeugungskraft gewinnen. Andererseits werden die Entwicklungen für gewaltfreie Konfliktaustragung nur dann politisch an Boden gewinnen können, wenn sie gegen den Primat des Militärs in der Außenpolitik (innenpolitisch: Jurisdiktion/Polizei) durchgesetzt werden können.
Auf Änderung des derzeitigen Kurses durch parlamentarische Veränderungen kann dabei nicht gesetzt werden: selbst nach einem Wahlsieg der Sozialdemokratie. Zu stark läßt sich die Partei immer noch auf die Treue zu Bundeswehr und NATO, auf die künstliche Subventionierung von Rüstungsarbeitsplätzen und die Erstarrung in hilflosem Nichtstun in der Konfliktbearbeitung festlegen.
Wir können deshalb für absehbare Zeit nicht auf Regierungshandeln warten und sollten mit der Entwicklung von Fähigkeiten und Institutionen der gewaltfreien Konfliktaustragung selbst beginnen. Das bedeutet:
- Erlernen von Methoden gewaltfreien Handelns und seinem Weitergeben in Trainings und Kursen (gewaltfreies Handeln, Mediation, Zivilcourage,...)
- Selbst organisieren von Friedensarbeit und -forschung (z.B. Institut für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung)
- In Zusammenarbeit mit Gruppen gleicher Orientierung in anderen Ländern politisch Druck machen (z.B. Armeeabschaffungsinitiativen in div. europäischen Staaten)
- Projekte gewaltfreier Einmischung in Konflikte starten (Bsp.: Antirassismus-Trainings, Balkan Peace Team) und den Aufbau eines von freien Trägern organisierten Zivilen Friedensdientes vorantreiben