Die Folgen des Irak-Kriegs: Amerikas Veteranen kommen krank zurück - und viele von ihnen unterstützen die Friedensbewegung

Die unsichtbare Kriegswunde

von Barbara Jentzsch

Der junge Sergeant der Nationalgarde möchte anonym bleiben. Nach zehn Monaten Krieg ist er im Juli mit mentalen Störungen aus Bagdad zurückgekommen. So wie Tausende Afghanistan- und Irak-Veteranen fragt auch er sich heute, ob sein Leben je wieder normal sein wird. Ob er irgendwann wieder gut schlafen kann. Ohne Albträume, ohne die plötzlichen Flashbacks, die intensiven, fiebrigen Kriegserinnerungen. Ob seine Übernervosität, die Angstzustände, Wutanfälle, Depressionen und die Schuldgefühle aufhören. Wann er keinen Alkohol und keine Tabletten mehr braucht, um die Selbstmordgedanken zu verjagen und zu Hause wenigstens halbwegs zu funktionieren. Ob er sich vielleicht doch behandeln lassen soll.

Jeder fünfte Irak-Heimkehrer leide an posttraumatischem Belastungssyndrom (PTSD), heißt es in einer vom Pentagon in Auftrag gegebenen Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Zum ersten Mal und in umfassender Weise werden darin die Auswirkungen untersucht, die schwere Bodengefechte, Nahkampf in der Stadt, von Haus zu Haus und andere gefährliche Dienste auf Soldaten haben. Als "unsichtbare Kriegswunde, für die es keine Medaille gibt und die eine lebenslange Beschädigung hinterlassen kann", beschreiben Spezialisten die Nervenstörung, die seit 1980 von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung anerkannt wird und für die Betroffenen ähnlich belastend ist wie das so genannte Golfkriegssyndrom.

Beim Golfkriegssyndrom, das sichtbare physische Schäden hinterlässt, hatten die Soldaten keine Hemmungen, sich diagnostizieren zu lassen, doch diesmal ist es anders. Die in den USA herrschende "Beschwer dich nicht"-Militärkultur stigmatisiert nervenkranke Soldaten. Mentale Verletzungen und Krankmeldungen gelten als absolute Karrierehemmer. Obwohl inzwischen bekannt ist, dass die Hälfte aller Betroffenen chronisch gestört bleibt, sucht nur jeder vierte vom posttraumatischen Belastungssyndrom gequälte Soldat Hilfe. Die ist ihm keineswegs garantiert. Entweder werden sie zu früh an den Kriegsschauplatz zurück geschickt oder in schwereren Fällen, wenn ihre Entlassung aus dem Militär angesagt ist, wird der medizinische Befund soweit heruntergespielt, dass die zuständige Veteranenbehörde ihnen anstelle einer lebenslangen Versehrtenrente nur eine einmalige Zahlung zuspricht.

40 Prozent der 330.000 Iraksoldaten gehören den Armeereservisten und der Nationalgarde an. Sie waren auf diesen Krieg am wenigsten vorbereitet und deshalb finden sich unter ihnen jetzt die meisten Fälle mit PTSD-Syndrom. Doch gerade diese Veteranen fühlen sich verraten und verkauft. "Uns hatten sie nicht auf der Rechnung. Für uns wollen und können sie gar nicht zahlen", meint der in eine ungewisse Zukunft heimgekehrte Sergeant der Nationalgarde.

Echte Hilfe und moralische Unterstützung finden viele der PTSD-Soldaten bei Veteranenorganisationen, die sich aus Protest gegen den Irak-Krieg formiert haben: Bei "Veterans for Common Sense", "Veterans against the Iraq War" und "Operation Truth". "Veterans against the Iraq war" hat sich in diesem Sommer am Rande des demokratischen Parteitags, gegründet. Es ist eine Antikriegsorganisation, die sich an den einst von John Kerry mitgegründeten "Veterans against the Vietnam War" orientiert und darauf hofft, eine ähnliche politische Bedeutung zu erlangen. Der Widerstand der 1971 um Kerry gescharten Veteranen hatte maßgeblich zur Beendigung des Vietnamkrieges beigetragen. "Unser Ziel ist es, Menschenleben zu retten und die Gewalt im Irak durch einen sofortigen Rückzug aller Besatzungstruppen zu beenden", heißt es in der Gründungserklärung der AntiIrak-Krieg Veteranen. Mit ihrem Auftritt erhielten sie bei der großen Protestdemonstration am 29. August in New York großen Beifall. 500.000 Amerikaner zogen friedlich durch Manhattan und demonstrierten gegen George W. Bush und gegen den Irak-Krieg.

Die US-Friedensbewegung sieht sich in diesen Tagen mancher Kritik ausgesetzt, weil sie nicht fähig war, den Krieg zu verhindern und kaum Druck auf die Präsidentschaftskandidaten ausüben konnte. Die Kritiker vergessen dabei, dass alle Warnungen, Voraussagen und Befürchtungen der Friedensbewegung in Sachen Irak eingetroffen sind. Doch die Stimmen des Widerstands wurden von den kriegslüsternen, superpatriotischen Medien latent ignoriert. Für ihr Versagen, ja sogar für ihre Art von Zensur haben sich die wichtigsten Tageszeitungen New York Times und Washington Post inzwischen zwar entschuldigt, aber der Schaden ist immens. Amerika muss in Kriegs- und Krisenzeiten damit rechnen, schlecht informiert zu werden.

Der Text wurde von der Redaktion leicht gekürzt.

Quelle: Publik-Forum, Nr. 20/2004
 

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Barbara Jentzsch ist ständige Mitarbeiterin der Redaktion des "Publik-Forums".