Helfen verbote?

Freiheitsrechte sind unteilbar!

von Elke Steven

Gewalttaten, Angriffe auf Menschen wie auch ihre Bedrohung mit Gewalt sind strafrechtlich zu verfolgen, den Opfern ist uneingeschränkt Hilfe zu leisten, nach den Ursachen ist zu forschen, um weitere Gewalttaten zu verhindern. Antisemitisch, rassistisch und nationalistisch begründete Gewalttaten berühren eine demokratische Gesellschaft im Innersten. Es darf keine Verharmlosung geben.

Schon die öffentliche Kundgabe antisemitischer, rassistischer und nationalistischer Meinungen ist für alle Demokraten schwer erträglich. Der Übergang scheint manchmal fließend. Straftaten sind jedoch mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen. Versammlungen unter freiem Himmel aber stehen unter dem Schutz des Art. 8 GG, sie sind ein Grundrecht aller Bürger und Bürgerinnen.

Des Schutzes dieses Grundrechts bedürfen vor allem diejenigen, die ihre abweichenden Meinungen öffentlich kundtun wollen, diejenigen, die die selbstgerechte Mitte dieser Gesellschaft provozieren wollen, die davon überzeugt sind, dass Änderungen im politischen Alltagsgeschäft geboten sind. Dieses Anliegen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Brokdorf-Beschluss von 1985 als zu sicherndes Grundrecht erkannt – entgegen dem herrschenden politisch-polizeilichen Verständnis, das geordnete, staatlich reglementierte Aufzügen unter straffer Organisation eines Leiters, um nicht Führers zu sagen, bevorzugt hätte. Es hob hervor, dass Versammlungen „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ enthalten, „das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“.

Dieses von der Studentenbewegung, von den „neuen sozialen Bewegungen“ erstrittene, neu gestaltete Grundrecht nehmen auch Gruppen der extremen Rechten inzwischen für sich in Anspruch. Sie versammeln sich nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch „unter freiem Himmel“ und versuchen dort, ihre menschenrechtswidrige Meinung zumindest bis an die Grenze der Strafbarkeit kundzutun. Indem sie an die – gesetzlich mehrmals verschobenen - Grenzen bezüglich Inhalten, Orten und Gedenkdaten gehen, provozieren sie erst recht.

Wer aber, um dem zu begegnen, das Freiheitsrecht einschränken will, hat das Wesen dieses Grundrechts nicht verstanden. Und wer an dieser Haltung nach den ersten Versammlungsgesetzen und -gesetzentwürfen der Länder, die seit der Föderalismusreform möglich geworden sind, festhält, muss seine Augen schon fest vor der Realität der politischen Verhältnisse verschließen.

Das fundamentale Argument ist das zentrale. Freiheitsrechte, die nur für die gelten, die der Meinung der Mehrheit nahe – oder nah genug - stehen, sind keine Freiheitsrechte mehr. Es werden Bedingungen gestellt, die immer diejenigen definieren werden, die die Macht haben. Um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen dem Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.“

Wie schnell sich diese Auflösung von Freiheitsrechten, die Unterminierung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit vollzieht, kann jeder sehen, der die neuen Versammlungsgesetze, das bayerische allen vorangehend, studiert. Baden-Württemberg und Niedersachsen wollen folgen. Daran ändert auch die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts, die das bayerische Gesetz in einigen Punkten für nicht verfassungskonform erachtet. Die Länder wollen vorgeblich die Versammlungen der extremen Rechten behindern. Das aber, so argumentieren sie schlüssig, kann nicht einseitig geschehen; auch die Versammlungen der „Linksextremen“ müssten also eingeschränkt werden können. Was aber „extrem“ ist, definiert im Zweifelsfall der demokratisch unkontrollierbare Verfassungsschutz. Voller unbestimmter Rechtsbegriffe und offener Deutungsmöglichkeiten sichern diese Gesetze einzig der Polizei jede Eingriffsberechtigung und erweitern die grundgesetzlichen Einschränkungen des Grundrechts noch auf Versammlungen in geschlossenen Räumen. „Die Autonomen“ gefährden, liest man die Begründung des bayerischen Gesetzes, eigentlich diesen Staat und sollen bekämpft werden.

Zugleich bedrohen diese Gesetze alle diejenigen, die ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegen die Versammlungen der extremen Rechten in Anspruch nehmen. Das aber ist die schon jetzt zu beklagende Praxis, gegen die öffentlich immer wieder anzugehen ist: die polizeiliche Kriminalisierung der Gegendemonstrationen, deren Einkesselung und die Festnahmen der Teilnehmenden, die ihre demokratische Gesinnung gegen die antidemokratische und rassistische zum Ausdruck bringen. Es bedarf noch mehr demokratisch-bürgerlichen Mutes und Zusammenhalts und nicht mehr staatlicher Verbote.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.