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Gewalt in der Familie
von"Erzähle mir, wie Du das letzte Mal gegenüber Deiner Freundin gewalttätig gewesen bist..." Man könnte dieses Spiel trainieren, das amüsant sein könnte, beträfe es nicht den Alltag von Millionen von Frauen und Kindern. Man befrage eine große Zahl von Männern, indem man ihnen einfach diese Frage stellt: "Erzähle mir, wie..."
In dem Kreis dreier französischer Zentren für "gewalttätige Männer" sind Diskussionen über die Analyse von Gewaltphänomenen beliebt. Die eher soziologischen Positionen, die hier dargestellt werden, sind nicht die einzigen, die es gibt. Sie repräsentieren nicht alle Zentren.
Es gibt also Aufnahmezentren für gewaltätige Männer in Frankreich. Es bestehen schon drei Stück. Ungefähr fünfzig ähnlicher Zentren existieren in Kanada, andere in den USA, zahlreiche Projekte gibt es in Deutschland... Die französischen Zentren sollten also sicher sein, da· sie eine gute Zukunft haben. Das Grundprinzip, das zu ihrer Gründung führte, könnte man so beschreiben: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine Alternative zur Gewalt. Diese Maxime, die Frauen, Kinder und Männer einschließt, kann nicht anders als der humanistischen Entwicklung entsprechen, der antisexistischen Entwicklung unseres modernen Denkens. Dennoch läßt sie zwei Fragen offen: Gibt es nicht auch gewalttätige Frauen? Ist es möglich, sich zu ändern? Anders gesagt, wenn man eine brutale Bestie ist, Schläger von Frauen und Kindern ("die Schwachen", werden sie in den Liedern genannt...), kann man wirklich sein Verhalten ändern, um ein Mann, Vater, Ehegatte, Liebhaber zu werden, der sanft und sensibel ist? Dies sind zwei harmlose Fragen, aber beide erschließen den Zugang zum Mythos des gewalttätigen Mannes. Die private männliche Gewalt (häusliche Gewalt) ist keine Krankheit, auch wenn manche Kranken gewaltätig sind. Man wird nicht in Folge einer Virusinfektion, eines Hormonversagens oder einen physiologischen Krankheit gewalttätig. Die häusliche Gewalt ist eine Interaktion, eine Ausdrucksweise. Nichts spricht also dagegen und wir begegnen dieser Tatsache im Laufe unserer Forschung, da· es auch gewalttätige Frauen gibt.
Dennoch ist die private Gewalt in ihrer Mehrheit, schaut man sich die Befragungen an, männliche Gewalt, ebenso wie im öffentlichen wie im privaten Raum Gruppen von Männern über Gruppen von Frauen herrschen. Weit entfernt von naturalistischen Erklärung (der Mann ist schlecht oder aggressiv von Natur aus, wie die Frau sanft und intuitiv ist) oder moralischen Erklärungen (es ist gut oder schlecht, seine Nächste zu schlagen), ist die Gewalt, oder besser die verschiedenen Formen von Gewalt, in erster Linie eine Regulierung eines familiären Systems. Es ist eine soziale Institution, die die Positionen der Geschlechter (Rollen, Status) geschaffen hat als Funktion des anatomischen Geschlechtes bei der Geburt. Das Bild des gewaltsamen Mannes, des schrecklichen Unholds, der brutalen Bestie gehört in das Reich des Märchens, denn einen solchen Mann gibt es nicht. Dieses Bild, wiederholt in Medien und Darstellungen, erlaubt zu sagen: "Da ich nicht dem Bild des gewalttätigen Mannes entspreche, bin ich keiner." Der gewalttätige Mann, ebenso wie der Vergewaltiger, ist der Andere. Die Analysen, die ich in der Begegnung mit Männern machen könnte, die wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, finden sich zum großen Teil in der häuslichen Gewalt wieder.
Das öffentliche und das Private
Die Untersuchungen in den Sozialwissenschaften über die privaten Formen der Gewalt sind, obschon sie in den Anfängen stecken, reich an Informationen. Sie scheinen alle sozialen Schichten und sozialen Milieus zu berühren... Von daher kenne ich Fülle von KämpferInnen in den gewaltfreien Bewegungen, die von der Gewalt im Privatleben sehr betroffen sind. Vor allem anderen wird die Gewalt im Geheimen der Privatsphäre gelebt. Diese Geheimnis von Praktiken, die zu der unerträglichen Struktur gehören, die das Paar, die das Paar nach außen bekämpft, produziert Scham, Gewissensbisse, Schuld... bei allen Handelnden. Wenn die Formen der Gewalt ausgedrückt und definiert werden, d.h. wenn das Vorhandensein von Gewalt - was bei weitem nicht in der Mehrheit der Fülle zutrifft - anerkannt wird, dann finde ich persönlich sehr bemerkenswert die Unterschiede in den Definitionen, die von Frauen und von Männern gegeben werden. Frauen haben die Neigung, ihre Wahrnehmung auf Gewalt zu beschränken, die durch nackte Fäuste, Ohrfeigen oder mit einem Werkzeug (Besen, Messer etc.) ausgeübt wird. Kurz gesagt, sie beschränken ihre Darstellungen auf das öffentlich ... Bild, eine verprügelte Frau zu sein. Männer im Gegenteil dehnen die Definitionen viel weiter aus auf verschiedenen Formen von verbaler, psychologischer und sexueller Gewalt aus. Sie verknüpfen das, was sie als Gewalt definieren, mit dem Willen, der andere zum Nachgeben zu zwingen, oder ihr sie zu tun - im vollen Sinne des Wortes. Daher versteht man die Reaktion mancher befragter Frauen, die nach der Aussage ihres Partners sagen: "Warum befragen Sie mich? Ich bin keine Frau, die geschlagen wird." Woher rührt das Interesse, genau zu wissen, wovon man spricht und wer davon spricht? in jedem Herrschaftssystem, wie das Patriarchat eines ist, haben die Herrschenden mehr Zugang zu Informationen, besonders über das Wie der Herrschaft als die Beherrschten.
Kann man sich verändern?
Wenn sich die ungefähr dreißig Zentren in Quebec anschaut, ist die Rate der Männer, die nach einem Kurs in den Zentren nicht mehr rückfällig werden, ca. 60 bis 90 Prozent. Ja, kann man kann sich wandeln. Meine Hypothese lautet, da· Gewalt vor allem die Regulierung einer sozialen Beziehung ist. Ein weniger komplizierter formuliert: man wird nicht gewalttätig geboren, ebenso wenig gewaltfrei, man wird einfach geboren... als Mann oder Frau und man hängt nicht der häuslichen Gewaltfreiheit an, denn dies ist nicht einfach eine Ideologie... Jenseits von - sicher notwendigen - psychologischen Erklärungen über Gewalt, die man als in der Kindheit durch Vater oder Mutter erlebt hat oder die der Vater gegen die Mutter ausübt, sind Gewalttätigkeiten in erster Linie ein Mittel für ein Paar oder eine Familie, in einem System der Ungleichheit zu Funktionieren. Oder allgemein ausgedrückt, die Männer beherrschen die Frauen, was immer auch die individuellen Variationen sein mögen. Wenn wir heute die Idee vorstellen, gewalttätige Männer zu betreuen, so liegt dies nicht daran, da· wir humanistische Genies sind, sondern in erster Linie daran, da· die sozialen Geschlechterbeziehungen sich in Folge des Eindringens der Frauen und des Feminismus in die öffentliche Sphäre entwickelt haben...
Die Zukunft des sozialen Umgangs mit der männlichen Gewalt hängt von der Entwicklung der Beziehung zwischen Mann und Frau ab, dem Ma· an Toleranz, das die Opfer aufbringen, bevor sie flüchten oder sagen: "Wenn Du Dich nicht änderst, gehe ich". Aber es hängt auch und allem von den Männern ab, von Euch und von mir.
Daniel Welzer-Lang ist Animateur in der "Association Recherche et Interventions Masculines" in Lyon. Der Beitrag wurde leicht gekürzt aus der Zeitschrift "Non-Violence Actualität" Nr. 121, Januar 1989 übernommen. Übersetzung: Christine Schweitzer
Auch in Deutschland gibt es ähnliche Initiativen. Unter anderem sind das:
- Männer gegen Männergewalt e.V., Kontakt- und Beratungsstelle, Mühlendamm 66, 2000 Hamburg 76, Tel.: 040/2201276
- Männer helfen Männern, Marienstr. 23, 6700 Ludwigshafen, Tel.: 0621/622622
- Männerbüro Göttingen, Gronertorstr.16, 3400 Göttingen, Tel.: 0551/46161