Gewalt in der Familie

von Daniel Welzer-Lang

"Erzähle mir, wie Du das letzte Mal gegenüber Deiner Freundin gewalt­tätig gewesen bist..." Man könnte dieses Spiel trainieren, das amüsant sein könnte, beträfe es nicht den Alltag von Millionen von Frauen und Kin­dern. Man befrage eine große Zahl von Männern, indem man ihnen ein­fach diese Frage stellt: "Erzähle mir, wie..."

In dem Kreis dreier französischer Zen­tren für "gewalttätige Männer" sind Diskussionen über die Analyse von Ge­waltphänomenen beliebt. Die eher so­ziologischen Positionen, die hier darge­stellt werden, sind nicht die einzigen, die es gibt. Sie repräsentieren nicht alle Zentren.

Es gibt also Aufnahmezentren für ge­waltätige Männer in Frankreich. Es be­stehen schon drei Stück. Ungefähr fünf­zig ähnlicher Zentren existieren in Ka­nada, andere in den USA, zahlreiche Projekte gibt es in Deutschland... Die französischen Zentren sollten also sicher sein, da· sie eine gute Zukunft haben. Das Grundprinzip, das zu ihrer Grün­dung führte, könnte man so beschreiben: Jeder Mensch hat ein Recht auf eine Alternative zur Gewalt. Diese Maxime, die Frauen, Kinder und Männer ein­schließt, kann nicht anders als der hu­manistischen Entwicklung entsprechen, der antisexistischen Entwicklung un­seres modernen Denkens. Dennoch läßt sie zwei Fragen offen: Gibt es nicht auch gewalttätige Frauen? Ist es möglich, sich zu ändern? Anders gesagt, wenn man eine brutale Bestie ist, Schlä­ger von Frauen und Kindern ("die Schwachen", werden sie in den Liedern genannt...), kann man wirklich sein Verhalten ändern, um ein Mann, Vater, Ehegatte, Liebhaber zu werden, der sanft und sensibel ist? Dies sind zwei harmlose Fragen, aber beide erschließen den Zugang zum Mythos des gewalttäti­gen Mannes. Die private männliche Gewalt (häusliche Gewalt) ist keine Krankheit, auch wenn manche Kranken gewaltätig sind. Man wird nicht in Folge einer Virusinfektion, eines Hormonver­sagens oder einen physiologischen Krankheit gewalttätig. Die häusliche Gewalt ist eine Interaktion, eine Aus­drucksweise. Nichts spricht also dage­gen und wir be­gegnen dieser Tatsache im Laufe unse­rer Forschung, da· es auch gewalttätige Frauen gibt.

Dennoch ist die private Gewalt in ihrer Mehrheit, schaut man sich die Befra­gungen an, männliche Gewalt, ebenso wie im öffentlichen wie im privaten Raum Gruppen von Männern über Gruppen von Frauen herrschen. Weit entfernt von naturalistischen Erklärung (der Mann ist schlecht oder aggressiv von Natur aus, wie die Frau sanft und intuitiv ist) oder moralischen Erklärun­gen (es ist gut oder schlecht, seine Nächste zu schlagen), ist die Gewalt, oder besser die verschiedenen Formen von Gewalt, in erster Linie eine Regu­lierung eines familiären Systems. Es ist eine soziale Institution, die die Positio­nen der Geschlechter (Rollen, Status) geschaf­fen hat als Funktion des anato­mischen Geschlechtes bei der Geburt. Das Bild des gewaltsamen Mannes, des schreck­lichen Unholds, der brutalen Be­stie gehört in das Reich des Märchens, denn einen solchen Mann gibt es nicht. Die­ses Bild, wiederholt in Medien und Dar­stellungen, erlaubt zu sagen: "Da ich nicht dem Bild des gewalttätigen Man­nes entspreche, bin ich keiner." Der ge­walttätige Mann, ebenso wie der Ver­gewaltiger, ist der Andere. Die Analy­sen, die ich in der Begegnung mit Män­nern machen könnte, die wegen Verge­waltigung verurteilt wurden, finden sich zum großen Teil in der häuslichen Ge­walt wieder.

Das öffentliche und das Private

Die Untersuchungen in den Sozialwis­senschaften über die privaten Formen der Gewalt sind, obschon sie in den An­fängen stecken, reich an Informationen. Sie scheinen alle sozialen Schichten und sozialen Milieus zu berühren... Von da­her kenne ich Fülle von KämpferInnen in den gewaltfreien Bewegungen, die von der Gewalt im Privatleben sehr be­troffen sind. Vor allem anderen wird die Gewalt im Geheimen der Privatsphäre gelebt. Diese Geheimnis von Praktiken, die zu der unerträglichen Struktur gehören, die das Paar, die das Paar nach au­ßen bekämpft, produziert Scham, Ge­wissensbisse, Schuld... bei allen Han­delnden. Wenn die Formen der Gewalt ausgedrückt und definiert werden, d.h. wenn das Vorhandensein von Gewalt - was bei weitem nicht in der Mehrheit der Fülle zutrifft - anerkannt wird, dann finde ich persönlich sehr bemerkenswert die Unterschiede in den Definitionen, die von Frauen und von Männern gege­ben werden. Frauen haben die Neigung, ihre Wahrnehmung auf Gewalt zu be­schränken, die durch nackte Fäuste, Ohrfeigen oder mit ei­nem Werkzeug (Besen, Messer etc.) ausgeübt wird. Kurz gesagt, sie be­schränken ihre Dar­stellungen auf das öffentlich ... Bild, eine verprügelte Frau zu sein. Männer im Gegenteil dehnen die Definitionen viel weiter aus auf ver­schiedenen Formen von verbaler, psy­chologischer und sexueller Gewalt aus. Sie verknüp­fen das, was sie als Gewalt definieren, mit dem Willen, der andere zum Nach­geben zu zwingen, oder ihr sie zu tun - im vollen Sinne des Wortes. Da­her ver­steht man die Reaktion mancher be­fragter Frauen, die nach der Aussage ihres Partners sagen: "Warum befragen Sie mich? Ich bin keine Frau, die ge­schlagen wird." Woher rührt das Inter­esse, genau zu wissen, wovon man spricht und wer davon spricht? in jedem Herrschaftssystem, wie das Patriarchat eines ist, haben die Herrschenden mehr Zugang zu Informationen, besonders über das Wie der Herrschaft als die Be­herrschten.

Kann man sich verändern?

Wenn sich die ungefähr dreißig Zentren in Quebec anschaut, ist die Rate der Männer, die nach einem Kurs in den Zentren nicht mehr rückfällig werden, ca. 60 bis 90 Prozent. Ja, kann man kann sich wandeln. Meine Hypothese lautet, da· Gewalt vor allem die Regulierung einer sozialen Beziehung ist. Ein weni­ger komplizierter formuliert: man wird nicht gewalttätig geboren, ebenso wenig ge­waltfrei, man wird einfach geboren... als Mann oder Frau und man hängt nicht der häuslichen Gewaltfreiheit an, denn dies ist nicht einfach eine Ideologie... Jen­seits von - sicher notwendigen - psy­chologischen Erklärungen über Gewalt, die man als in der Kindheit durch Vater oder Mutter erlebt hat oder die der Vater gegen die Mutter ausübt, sind Gewalttätigkeiten in erster Linie ein Mittel für ein Paar oder eine Familie, in einem Sy­stem der Un­gleichheit zu Funktionieren. Oder all­gemein ausgedrückt, die Männer beherr­schen die Frauen, was immer auch die individuellen Variationen sein mögen. Wenn wir heute die Idee vor­stellen, ge­walttätige Männer zu be­treuen, so liegt dies nicht daran, da· wir humanistische Genies sind, sondern in erster Linie daran, da· die sozialen Geschlechterbe­ziehungen sich in Folge des Eindringens der Frauen und des Feminismus in die öffentliche Sphäre entwickelt haben...

Die Zukunft des sozialen Umgangs mit der männlichen Gewalt hängt von der Entwicklung der Beziehung zwischen Mann und Frau ab, dem Ma· an Tole­ranz, das die Opfer aufbringen, bevor sie flüchten oder sagen: "Wenn Du Dich nicht änderst, gehe ich". Aber es hängt auch und allem von den Männern ab, von Euch und von mir.

Daniel Welzer-Lang ist Animateur in der "Association Recherche et Interven­tions Masculines" in Lyon. Der Beitrag wurde leicht gekürzt aus der Zeitschrift "Non-Violence Actualität" Nr. 121, Ja­nuar 1989 übernommen. Übersetzung: Christine Schweitzer

Auch in Deutschland gibt es ähnliche Initiativen. Unter anderem sind das:

- Männer gegen Männergewalt e.V., Kontakt- und Beratungsstelle, Müh­lendamm 66, 2000 Hamburg 76, Tel.: 040/2201276

- Männer helfen Männern, Marienstr. 23, 6700 Ludwigshafen, Tel.: 0621/622622

- Männerbüro Göttingen, Groner­torstr.16, 3400 Göttingen, Tel.: 0551/46161

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